Gurt | Die Tote im St. Moritzersee | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 192 Seiten

Reihe: Ein Fall für Corina Costa

Gurt Die Tote im St. Moritzersee

Der zweite Fall für Corina Costa
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-311-70503-1
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Der zweite Fall für Corina Costa

E-Book, Deutsch, Band 2, 192 Seiten

Reihe: Ein Fall für Corina Costa

ISBN: 978-3-311-70503-1
Verlag: OKTOPUS bei Kampa
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In der Morgendämmerung treibt ein Ruderboot auf dem spiegelglatten St. Moritzersee. Darin die Leiche von Anastasia Maranta. Ihr Vater, Rudolfo Maranta, der ungekrönte König des Engadiner Jetsets, verspricht eine Belohnung von einer Million Franken für denjenigen, der den Tod seiner vierundzwanzigjährigen Tochter aufklärt. Seitens der Justiz wird die Alpinpolizistin Corina Costa auf den Fall angesetzt. Die naturverbundene Beamtin, die auch Bergbäuerin ist und mit ihrem Murmeltier Fred und anderen Tieren oberhalb von Pontresina lebt, betritt die für sie völlig fremde Welt des materiellen Reichtums und des falschen Lächelns. Je tiefer sie in diese Sphäre vordringt, desto gefährlicher wird es. Eine Hetzjagd inmitten der Engadiner Berge beginnt.

Philipp Gurt wurde 1968 als siebtes von acht Kindern einer armen Bergbauernfamilie in Graubünden geboren und wuchs in verschiedenen Kinderheimen auf. Bereits als Jugendlicher verfasste Gurt Kurzgeschichten, mit zwanzig folgte der erste Roman. Schon immer hatte er ein inniges Verhältnis zur Natur, das auch sein hochatmosphärisches Schreiben prägen sollte. Seine Verbundenheit mit dem Kanton Graubünden, wo er noch heute als freier Schriftsteller lebt, ist in jedem seiner Romane spürbar.
Gurt Die Tote im St. Moritzersee jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


3


Corina Costa saß im Halbschatten einer Arve auf der Veranda ihres alten Bergbauernhofs. Ihr zahmes Murmeltier, das sie als Jungtier vor Jahren verletzt hoch oben in den Bergen gefunden und zu Hause liebevoll gesund gepflegt hatte, lag auf ihrem Schoß. Seither gehörte Fred genauso zur Familie wie die sieben Geißlein und ihre Gackerinas, so nannte sie ihre Hühner. Die naturverbundene 40-Jährige, die ihr pechschwarzes und naturgelocktes Haar, das ihr bis über den Nacken fiel, immer selber schnitt, und die Berge und Tiere als ihre besten Freunde bezeichnete, blickte hinunter aufs Dörflein Pontresina, während das Licht-Schatten-Spiel der Zweige über ihr im launigen Rauschen des Bergwindes tanzte.

Ihr altes schwarzes Wandtelefon, eines mit Wählscheibe, riss sie nur Minuten später, um kurz vor 11:30 Uhr, mit seinem rhythmischen und dem Anschein nach nimmermüden Schrillen aus ihrem gemächlichen Dasein.

Sachte setzte Corina Fred auf den Boden und sagte ihm dabei auf Romanisch, dass sie ans Telefon gerufen werde. »Eau stögl be svelt piglier giò il telefon.«

Mit einem freundlichen »Allegra«, was so viel wie »Guten Tag« hieß, hob sie ab.

Am anderen Ende war der Regionenchef des Kriminalstützpunktes der Kantonspolizei Graubünden in Samedan, dem auch Corina, die fürs Oberengadin und das Bergell zuständig war, angehörte.

»Corina, hör mal. Es scheint, dass die Tochter von Dr. Rudolfo Maranta spurlos verschwunden ist«, sagte Urs Capeder, ihr oberster Vorgesetzter im Tal. »Er will mit jemandem von uns reden. Kannst du das übernehmen?«

»Du meinst Maranta, den Milliardär? Den ungekrönten König des Jetsets in St. Moritz?«

»Genau den meine ich.«

»Aber wir haben doch noch immer ein paar gute Leute auf dem alten Posten in St. Moritz, auch Fahnder, somit sogar im selben Dorf.«

»Will er nicht.«

»Dann frage ich mich, warum der Mann nicht die Viertelstunde zu euch auf den Posten nach Samedan fährt oder sich chauffieren lässt. Fällt ihm dann ein Stein aus der Krone? Es geht ja schließlich um seine Tochter, und außerdem habe ich heute meinen freien Tag.« Corina blieb wie immer freundlich, so wie es ihre Art war. Sie arbeitete jeweils nur drei Tage die Woche als Alpinpolizistin und Ermittlerin bei der Kripo im Engadin, außer ein Fall verlangte ihren vollen Einsatz darüber hinaus.

»Er hat übrigens nicht selbst angerufen. Seine Assistentin war in der Leitung. Sie hat darauf bestanden, dass wir unseren besten Ermittler schicken. Das habe ich ihr zugesichert. Also habe ich dich angerufen, obwohl du frei hast.«

»Soll das jetzt ein Kompliment sein, oder sucht ihr Kanonenfutter, Urs?«

Er lachte. »Ach Pfeifendeckel, Corina, ich finde also schon, dass dies ein Kompliment ist, und ein ehrliches obendrein.«

»Na dann sage ich ›Grazcha fich‹«, antwortete sie mit ihrer warmen Stimme. Sie war dafür bekannt, dass sie nie mehr als nötig sprach. Sie sagte: »Die Hoheit muss sich aber einen Moment gedulden. Ich muss erst vom Berg runter und davor noch meine Tiere versorgen.«

»Du hast ja noch immer keinen Führerschein. Sollen wir dich im Dorf unten abholen?«

»Ach, wozu auch? Bis ihr in Pontresina seid … ich nehme lieber mein Garutsch«, das war der Name für ihr altes Damenrad, »und vom Dörfli aus sind es ja nur noch sieben Kilometer bis St. Moritz, das habe ich geschwind. Aber ich brauche die Adresse.«

Corina legte auf, nachdem sie diese notiert hatte, und machte sich bereit. Sie holte ihre Waffe aus dem Versteck, lud dann die Glock mit der separat gelagerten Munition und steckte sie ins Schulterholster. Bevor sie ihren Hof verließ, kontrollierte sie, ob all ihre Tiere genug Wasser und zu fressen hatten, und streichelte Fred zum Abschied über den Rücken, nachdem er sie bis zum Tor im Gartenzaun begleitet hatte. Das immer frohe Kerlchen wäre wohl gerne mitgekommen, so wie er sie anschaute und ihr herzzerreißend nachpfiff.

Doch sie musste sich auf ihr altes hellblaues Damenvelo setzen; ein unverwüstliches bleischweres Modell aus den Siebzigern mit vielen aufgemalten kleinen Sonnenblumen, mit dem sie oft im Tal unten unterwegs war. Auf diesem ratterte sie nun halsbrecherisch auf der schlechten Bergstraße hinunter nach Pontresina, das sich friedlich ruhend unter ihr sonnte, als läge pures Glück über dem schönen Hochtal.

Der warme Fahrtwind zerzauste unterwegs ihre widerspenstigen Locken, ihre wachen Augen blickten in den Sommertag, als unternähme sie eine Sonntagsausfahrt, und das an einem hellheiteren Montag. Wie so oft hatte sie erst im letzten Moment, beim Verlassen des alten Hauses, an das Mobiltelefon gedacht, an den Knochen, wie sie es nannte. Verdeckt unter ihrem offenen schlichten Holzfällerhemd trug sie ihr Schulterholster umgeschnallt, mit der gesicherten Glock darin – Vorschrift bei jedem Einsatz.

Nachdem sie Pontresina hinter sich gelassen hatte und auf einer verlassenen Nebenstraße mitten durch Felder in Richtung Celerina radelte, der warme Sommerwind wehte ihr dabei ins Gesicht, erblickte sie von Weitem schon die uralte Begräbniskirche San Gian. Diese erhob sich mit ihren beiden ungleichen Türmen einsam auf einem Hügel. Corinas Gedanken schweiften zwangsläufig ab, denn hier lag das Grab ihrer Mutter Everita, die mittlerweile schon seit 22 Jahren tot war und ein großes Geheimnis mit in die Ewigkeit genommen hatte.

Einige Minuten radelte Corina in diese Gedanken versunken weiter, bis sie kurz vor Celerina das warnende Hupen eines Lastwagens abrupt ins Hier und Jetzt zurückriss.

In St. Moritz angekommen brauchte sie sich nicht zu orientieren, denn die mächtige Villa Chantarella der Marantas, mit ihren kleineren Nebengebäuden, thronte oberhalb des Ortes und unterhalb der Chantarella-Bahn, am oberen Ende der Via Tinus. Es war Mittagszeit, es gab nur wenig Verkehr auf den Straßen, und von überall her wehte der leckere Duft von Gekochtem.

Nach insgesamt 40 Minuten Fahrzeit erreichte sie die private Zufahrt, die zu dem Anwesen abzweigte. Sie stellte ihr Flower-Power-Garutsch vor dem geschlossenen Tor ab und drückte den Knopf, auf dem stand und der sich unterhalb einer Kameralinse befand. Der Rasen um sie war grüner als grün und so streng geschnitten wie ein Kurzhaarschnitt im Militär. Die niedrige Natursteinmauer, die nicht zum Schutz der Liegenschaften erbaut sein konnte, wurde von schönem Buschwerk und perfekt gepflegten Rabatten durchbrochen. Das voluminöse Plätschern eines Wasserspiels wehte herüber.

Eine weibliche Stimme ertönte aus dem Lautsprecher, über dem die Kameralinse sie weiter anstarrte. »Wir kaufen nichts und geben auch keine Almosen. Sehen Sie denn nicht das Schild? Hausieren verboten!« Dann war die Verbindung weg.

Corina musste lächeln, schaute an sich herunter. Sie trug wie immer Secondhand, diesmal eine alte Jeans, wie immer im Look der Siebziger, denn sie liebte diesen Kleidungstil, den schon ihre Mutter getragen hatte. Manches Kleidungsstück stammte noch von ihr. Das Shirt war sauber, wenn auch zugegeben zünftig ausgebleicht. Und das Damenhemd im Holzfällerstil lag, schon seit Corina denken konnte, im alten Schrank. Da es Sommer war und sie bei diesem Einsatz wohl nicht in die Berge steigen musste, trug sie leichte Ledersandalen und nicht wie in den kalten und langen Wintermonaten ihre alten schweren Bergschuhe, deren Sohlen, waren sie mal abgelaufen, nur beim einzigen und uralten Schuhmacher in Celerina neu besohlt werden konnten. Heutzutage warfen die meisten Leute gleich alles weg, statt das Alte wieder in Schuss zu bringen, weil es neu halt billiger zu haben war, bedauerte Corina. Allein schon der Umstand, dass es nicht wenige gab, die jedes Jahr ihr Handy gegen das neueste Modell eintauschten, wollte ihr nicht in den Kopf. Als würden sich die Leute dadurch besser verstehen. Nun, vielleicht hielt man sie auch deswegen für eine Hausiererin, weil ihr Haarschnitt kreativ war, denn Corina nahm es da nicht so genau. Sauberkeit war ihr wichtiger, wenngleich auch das nicht übertrieben.

Doch nun mit Blick auf sich selbst fragte sie sich dennoch: Sehen so die Hausierer in St. Moritz aus? Sind die hier oben schöner und besser angezogen als im restlichen Schweizerland? Sie selbst hatte nämlich noch keinen zu Gesicht bekommen.

Corina drückte nochmals die Klingel und streckte ihren Dienstausweis, den sie aus der hinteren Hosentasche gezogen hatte, vor die Kameralinse. »Kantonspolizei Graubünden, Adjutant Costa. Dr. Rudolfo Maranta hat mich gemäß seiner Assistentin Frau Feuerbach hergebeten.«

Einen Moment herrschte Stille in der Leitung. Dann: »Moment bitte.« Der Ton war nicht freundlicher geworden.

Eine etwas rundliche Bedienstete mit abweisendem Blick von oben herab öffnete das Tor und führte Corina ins Gebäudeinnere, über glänzend schwarze Marmorböden hinweg durch den Anbau zur Villa.

Als die Frau sich plötzlich nach ihr umdrehte, sagte sie entrüstet: »Sie hinterlassen ja eine regelrechte Schweinerei.«

Corina verstand nicht, blickte verwundert die Frau an.

»Ihre Schuhe! Schauen Sie mal der Dreck, der aus dem Profil kommt.«

Corina blickte zurück. »Ach, das«, sagte sie gedehnt, »das ist doch kein Dreck, das ist nur etwas trockene Erde, weil ich zuvor an der Tränke meiner Gackerinas stand.«

»Das ist Dreck!«

»Vergessen Sie bitte nicht: Zu diesem Dreck, den ich Erde nenne, werden wir alle irgendwann. Es heißt ja schließlich Erde zu Erde und nicht Dreck zu Dreck.«

Nun...


Gurt, Philipp
Philipp Gurt wurde 1968 als siebtes von acht Kindern einer armen Bergbauernfamilie in Graubünden geboren und wuchs in verschiedenen Kinderheimen auf. Bereits als Jugendlicher verfasste Gurt Kurzgeschichten, mit zwanzig folgte der erste Roman. Schon immer hatte er ein inniges Verhältnis zur Natur, das auch sein hochatmosphärisches Schreiben prägen sollte. Seine Verbundenheit mit dem Kanton Graubünden, wo er noch heute als freier Schriftsteller lebt, ist in jedem seiner Romane spürbar.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.