Guthörl | Mein Hindu-Sohn | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Frieling - Erinnerungen

Guthörl Mein Hindu-Sohn

Erfahrungsbericht
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8280-3833-2
Verlag: Frieling & Huffmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erfahrungsbericht

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Reihe: Frieling - Erinnerungen

ISBN: 978-3-8280-3833-2
Verlag: Frieling & Huffmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als die in Luxemburg lebende Ursula bei einem ihrer Indien-Besuche 1990 den damals etwa zehnjährigen Straßenjungen Rajan kennenlernt, spürt sie, dass Rajan ein ganz besonderes Kind ist. Ursula beschließt, dem kleinen Rajan eine Schulbildung zu ermöglichen. Dass gute Absichten nicht immer gut ankommen, muss Ursula bald erfahren, sie gibt dennoch nicht auf. Die Tage mit Rajan werden zu erhebenden Erlebnissen. Sie übt mit ihm Englisch und erfährt immer mehr über seinen familiären Hintergrund.
Mit den Jahren verändert sich die Beziehung zwischen Ursula und Rajan. Ursula wird gezwungen, zu reflektieren und ihr Handeln sowie ihre Erwartungen neu zu bewerten …

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16. 1. 1993 Wir verbrachten einen erfüllten, angenehmen Nachmittag zusammen: Durai, Rajan und ich. Kurz vor 3 Uhr öffneten sie meine Zimmertür. Ich war gerade auf dem Balkon und hatte das Klopfen nicht gehört. Ich wunderte mich, dass sie am Tor niemand aufgehalten hatte. Die Ashramitin am Empfang hatte nämlich gesagt, dass man mir Bescheid sagen würde, wenn meine Freunde kämen. Nachdem sie sich ein wenig ausgeruht hatten, fuhren wir zum Friedhof, mit Blumen von Agni und mit vielen Rosen und Wasserlilien, die ich heute Morgen vor dem Ashram gekauft hatte. Ich fuhr mit dem Fahrrad, und die beiden langsam hinter oder neben mir her mit dem Motorrad. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ein Motorrad so langsam fahren kann. Auf dem Friedhof das gleiche Ritual wie immer: zuerst den Mann mit dem Schlüssel holen, der auf der anderen Seite im größeren Teil des Friedhofs wohnt. Mindestens 6 Personen umringten uns und sahen neugierig unseren Verrichtungen zu. Einer brachte Wasser, und wir bürsteten (die Bürsten hatte ich vorher gekauft) die Marmorplatte und die eingravierte Schrift. Anschließend breiteten wir unsere Blumen aus und standen bzw. Durai und Rajan knieten vor Abdallahs Grab. Durai hat ihn gut gekannt, Rajan nur vom Hören. Rajan war sehr ernst und schien mir ein paar Tränen zu verdrücken. Ob er an seine Mutter gedacht hat? Ich legte meinen Arm um ihn, damit er sich nicht traurig und verlassen fühlte. Ich fotografierte das Grab allein, zusammen mit Durai und Rajan und ließ uns zusammen von einem der Friedhofsgärtner knipsen. Was dabei herauskommt, werde ich in Luxemburg sehen. Weil Durai und Rajan gar so ernst schauten, sagte ich: „Jetzt könnt ihr lächeln. Das gefällt Abdallah gut, wenn er euch sieht von da oben, wo er jetzt ist.“ Rajan sagte später, als wir wieder in der Stadt unterwegs waren: „Abdallah und Ursula.“ Er hat, so scheint es mir, Sinn für romantische Liebesgeschichten. Wir ließen unsere Vehikel am Ashram stehen und gingen zu Fuß durch die feiertäglichen Straßen zum Aristo-Restaurant. Heute ist Pongal, und die meisten Geschäfte sind geschlossen. Im Aristo fanden wir einen Tisch und wurden gut und schnell bedient. Es schmeckte nicht schlecht, und wir aßen kräftig und zum Schluss noch ice-cream. Rajan schaffte nur noch ein kleines. Sein Bäuchlein war schön rund, und wir lachten darüber. Es kam mir fast so vor, als wären wir eine Familie. Um halb sieben fuhren sie nach Auroville zurück. Rajan sagte zu Durai, der es mir auf meine Bitte übersetzte, auf Tamil: „Ich würde am liebsten die Nacht über bei Ursula bleiben.“ Ich lachte, sagte aber nicht: Ja, das geht. Im Gästehaus sieht man es sicher nicht gern, und außerdem schlafe ich besser allein. Ich habe auch vor, um 20 Uhr bei Pourna vorbeizufahren und zu schauen, ob sie zu Hause ist. In letzter Zeit habe ich sie nie angetroffen. Ein Glück, dass ich Durai und Rajan habe, sonst wäre ich ganz schön einsam. Shaupon sah ich kurz im dining room beim Lunch. Wir saßen nebeneinander und redeten ein bisschen. Doch er stand bald auf, weil er schlafen gehen wolle. Er wäre gestern Abend auf einer Männerparty gewesen und sehr spät ins Bett gekommen. Gestern um zwei Uhr fuhr ich wieder nach Auroville. Zunächst las mir Rajan aus seinem Englischbuch vor, und ich ließ ihn einige Übungen machen. Er ist wirklich schon sehr weit in seinen Englischkenntnissen gekommen und schreibt schön in lateinischen Buchstaben. Dann ließ ich ihn multiplizieren. Bei kleinen Zahlen ging es recht gut. Wenn es über fünf hinausging, hatte er Schwierigkeiten, weil er das Einmaleins nicht auswendig kann. Ich ließ ihn die Reihen ausarbeiten, ab sechs fiel es ihm schwer. Ich half ihm und sagte, dass er alle Reihen bis neun auswendig lernen solle, damit er leichter multiplizieren und dividieren könne. Durai lud uns zum Tee in die Küche ein. Nachdem ich noch Nishta und Freundin in seinem Haus besucht hatte, fuhren Rajan und ich zu Shraddhavan und Helmuth. Rajan saß wieder gesittet in seinem Sessel, lauschte und antwortete freundlich, wenn man ihn etwas fragte. Mit David sprach ich auch wieder über Rajan und Durai und wie froh ich sei, dass bis jetzt alles so gut gegangen sei. David erzählte von E., die Deutsche mit viel Geld. „Sie hat vor ein paar Jahren einen Jungen adoptiert. Das ist vollkommen schiefgegangen. Der Junge war unmöglich. Vielleicht hat sie ihn zuerst zu viel verwöhnt. Sie konnte ihn nicht im Haus behalten und schickte ihn nach Auroville.“ Das wundert mich wenig, so wie ich E. schon vor 12 Jahren eingeschätzt habe. Dies war sicher eine Erfahrung, die sie machen musste. Warum die Leute immer gleich adoptieren müssen. Mir kommt das wie eine Inbesitznahme eines Kindes vor. Man kann doch alles für ein Kind tun, auch ohne Adoption. Außerdem finde ich es viel besser, dass Rajan auch indische Bezugspersonen hat und nicht etwa nur mit mir zusammen ist. Wie langweilig und einengend für ein Kind, das vorher die Freiheit der Straße gewöhnt war. E. hat sich ja immer schon eingebildet, sie wüsste alles am besten. Nach Abdallahs Tod wollte sie mir auch gute Ratschläge erteilen: Ich solle nicht so viel an ihn denken, um ihn nicht an die irdische Ebene zu binden, was ihn an seinem Aufstieg hindere. Der adoptierte Junge hatte vielleicht die Nase voll von ihr und benahm sich extra schlecht, um von ihr wegzukommen. Barun Tagore hat seine Versprechungen nicht gehalten, obwohl ich ihm öfter geholfen habe. Er wollte beispielsweise versuchen, für Rajans Großmutter eine Unterkunft zu finden. Er wollte Abdallahs Pflanzen am Grab wässern, wenn er sowieso mit dem Motorrad dort vorbeikommt. Er wollte mir bei der Beschaffung der Geburtsurkunde für Rajan helfen. Nichts von alledem ist geschehen. Vor ein paar Tagen sah ich ihn kurz in Pournas Haus nach seiner Rückkehr aus Europa. 20. 1. 1993 Meine Spekulation, Rajan könnte Abdallahs Reinkarnation sein, hat wieder neue Nahrung bekommen. Saudamini aus der Bibliothek meinte, es wären noch keine zehn Jahre her, seit sie Rajan als ungefähr zweijähriges Kind mit der Großmutter auf der Straße vor der Bibliothek täglich sah. Sie schätzt ihn eher auf 10 jetzt anstatt 12, wie wir annahmen. Ich sagte: „Er ist aber schon so erwachsen.“ – „Durch seine Kindheit auf der Straße konnte er viel beobachten und war immer mit Erwachsenen zusammen. Deshalb ist er reifer als andere Kinder seines Alters.“ Ich kann mich ja auch so gut daran erinnern, als er noch sehr klein war, und ich habe auch das Gefühl, dass es noch gar nicht so lange her ist. Nimmt man an, dass die Seele schon bei der Zeugung beteiligt ist, könnte er frühestens 9 Monate nach Abdallahs Tod, also am 19. 7. 83 geboren sein. Ich habe jedoch eher das Gefühl, als ob die Seele erst am Ende der Schwangerschaft in den Körper eintritt. So hat sie Zeit, die für sie passende Mutter und den geeigneten Körper zu suchen. Immerhin könnte dann Rajan jetzt fast 11 sein. Sein Körper könnte schon im Mutterleib gewesen sein, als Abdallah noch lebte. Ich weiß, dass solche Gedanken der großen Mehrheit der Menschen völlig abwegig erscheinen müssen, ja sie würden mich dafür wahrscheinlich für verrückt erklären. Die Reinkarnation Abdallahs in Rajans Körper würde auch erklären, warum Rajan schon so erwachsen ist für sein Alter. Abdallah war eine hochentwickelte Seele und mit 30 Jahren bereits weise wie ein alter Mann, kombiniert mit einer jungenhaften naiven Fröhlichkeit. Rajan kommt mir im Wesen ähnlich vor. Wunderkinder mit einer speziellen Begabung sind ja auch in der Lage, in jüngsten Jahren die reifsten Werke zu schaffen, wahrscheinlich, weil die Seele schon oft auf der Erde gelebt hat und alle Talente bereits ausgebildet sind, wenn sie im derzeitigen Körper ihr Schaffen beginnt. 21. 1. 1993 Der gestrige Nachmittag in Auroville war wieder wie ein Kunstwerk. Für mich ist ein gelungener Tag, an dem alles im richtigen Moment am richtigen Platz geschieht, wie ein lebendes Gemälde oder Gedicht. Dann empfinde ich Glück. Rajan führte mich gleich zu Nishtas Haus. „He is typewriting.“ – „Aber können wir ihn denn dann stören?“ – „Ja, wir können.“ Durch die geschlossene Tür rief ich: „Nishta!“ Er öffnete sofort und sagte: „Es ist schön, dass du kommst. So können wir uns noch ein bisschen unterhalten, bevor ich zum Dienst beim Matrimandir fahre.“ Die Aurovillianer wechseln sich dabei ab. Wir gingen zusammen zum Küchenhaus, und Nishta kochte Tee und meinen mitgebrachten Früchtetee für Rajan und mich. Dazu gab es wieder Kuchen von Honeydew in Pondy. Rajan liebt diesen Kuchen. Kurz vor 4 Uhr fuhren wir zu Lucas. Es war aber niemand zu Hause, nur das Dienstmädchen. Sie sagte: „Chinmayi kommt um halb fünf nach Hause.“ Wir setzten uns auf die Terrasse, und ich schrieb ein Briefchen. Doch als ich gerade fertig war, traf Lisa, Rajans Lehrerin, ein. Sie setzte sich zu uns. Wir sprachen über die...


Guthörl, Ursula
Die gebürtige Saarländerin Ursula Guthörl arbeitet nach ihrem Handelsschulabschluss zunächst als Fremdsprachen-Sekretärin. 1965 erfolgt der Umzug nach Luxemburg, wo sie bis 1998 bei der Europäischen Kommission tätig ist. In der Zeit von 1981 bis 1984 gewährt sie sich eine Erholungspause, die sie im Umfeld des Sri Aurobindo Ashrams in Pondicherry (Auroville/Südindien) verbringt. Heute lebt und schreibt die Autorin in Berlin.



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