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E-Book, Deutsch, 520 Seiten

Ha / Mysorekar re/visionen

Postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland

E-Book, Deutsch, 520 Seiten

ISBN: 978-3-95405-039-0
Verlag: Unrast Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Kein



Im vorliegenden Band werden erstmals kritische Stimmen ausnahmslos von People of Color zusammengebracht – Schwarze Deutsche, Roma und Menschen mit außereuropäischen Flucht- und Migrationshintergründen. Ihre widerständige Wissensproduktion und ihr politischer Erfahrungsaustausch bringen alternative Diskussionen hervor. Sie setzen sich mit Rassismus, Islamophobie und ausgrenzenden Migrations- und Integrationsregimes auseinander und diskutieren Fragen von individuellem und kollektivem Widerstand, antirassistischer Kulturpolitik und postkolonialen Denkansätzen. Selbstbestimmte Räume und solidarische Visionen werden sichtbar, welche die rassistische Logik des Teilens und Herrschens herausfordern und auf grenzüberschreitende Identitäten und Bündnisse zielen.

Die politischen Analysen, literarischen Essays, Glossen sowie Gespräche verweisen auf eine große Bandbreite von Ausdrucksformen. Zu Wort kommen Theoretiker/-innen, Aktivist/-innen und Kulturarbeiter/-innen. Ihre Standpunkte sind vielschichtig und unterschiedlich, doch verbindet sie ein gemeinsamer gesellschaftlicher Ausgangspunkt: Alle vermessen, von diversen rassifizierten Subjektpositionen aus, den dominanten Mainstream in neuer Weise. Durch den People of Color-Ansatz wird ein Paradigmenwechsel möglich, der die weiße Norm hinterfragt und nachhaltig untergräbt. Ein Ziel dieses Buches ist es, andere Sensibilitäten und Artikulationen zugänglich zu machen und mit befreienden Impulsen in aktuelle politische Debatten einzugreifen, die bisher von weißen Perspektiven geprägt sind.
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https://www.unrast-verlag.de/images/stories/virtuemart/product/458_ha_re-visionen_inhalt.pdf


Einleitung
Kien Nghi Ha, Nicola Lauré al-Samarai, Sheila Mysorekar Berlin-Neukölln: Hier trafen wir uns, als wir vor fast zwei Jahren begannen, über dieses Buch nachzudenken. Ähnlich aufgehoben gefühlt hätten wir uns vermutlich auch in Köln-Ehrenfeld, Frankfurt-Gallus oder jedem anderen globalisierten Kiez in Deutschland. Orte, an denen die aufgeräumte Vorgartenordnung dominanter Konzepte von Nation, Geschichte, Kultur und Sprache augenscheinlich überrollt ist. Ganz zu schweigen von den zweifelhaften Vorstellungen darüber, wer und was ›deutsch‹ zu sein hat, wer und was ›dazu‹ gehört. Orte, an denen man zuweilen das Bedürfnis verspürt, einigen von der Realität sichtlich überforderten Mehrheitsmitbürger/-innen ein vernehmliches, ganz und gar ironiefreies »Willkommen in der Wirklichkeit!« zuzurufen. Solche großstädtischen Grenzzonen sind keine harmonischen oder hierarchiefreien interkulturellen Begegnungsstätten. Im Gegenteil. Sie stehen sinnbildlich für zumeist zugewiesene, nicht freiwillig gewählte Räume, und sie beherbergen unterschiedliche, häufig widerstreitende Erfahrungen und Blickwinkel, ungebrochene und gebrochene Mutter- und Vaterzungen. Vor dem Hintergrund ineinander greifender Herrschaftsstrukturen schreiben sich die dazugehörigen Grenzgeschichten als schwer passierbare kulturelle Landschaften mit verwickelten Machtpositionen und Interessenlagen ein. Im ›leitkulturellen‹ Weißen Deutschland sind solche Grenzgeschichten nicht sonderlich beliebt. Ganz besonders unbehaglich muten sie an, wenn sie mit so schwierigen Themen wie Migration, Rassismus, Ausgrenzung und Gewalt verknüpft sind. Sie spiegeln eine Dominanzkultur, die sich im Zuge von Einwanderung, deutsch-deutscher Vereinigung, europäischer Integration und eines nunmehr weltweiten ›Anti-Terrorkampfes‹ zwar verändert hat. Allerdings wirken neo/kolonial und imperial geprägte soziale Strukturen, kultur- und ideengeschichtliche Zusammenhänge sowie ideologische Deutungsmuster offen oder unterschwellig fort. Migrationspolitische Sanktionen, diskriminierende Sondergesetze und ethnische Unterschichtungen im Arbeits- und Bildungsbereich sind ebenso wenig passé wie rassistische Gewaltakte, alte oder neue Feindbilder sowie Überfremdungs- und Kulturkampfszenarien mit ›rassischen‹ und kulturellen Überlegenheitsfantasien. Das gilt auch für das erdachte völkische Gebilde einer nationalen Blutsgemeinschaft, in der Deutsch-Sein und Weiß-Sein als identisch und folglich als ›normal‹ vorausgesetzt werden. Weiße ›Normalität‹ ist allerdings weder Ansichtssache noch ist sie ein ›natürliches‹, quasi gegebenes oder unsichtbares Phänomen, das im luftleeren Raum entstand. Aufs engste mit den Praktiken des Kolonialismus und des modernen Rassismus verknüpft, drückt sie das historische Gewordensein eines rassistischen Herrschaftsverhältnisses aus. Darin werden, in Verbindung mit anderen Ordnungskategorien wie Geschlecht (gender), Klassenzugehörigkeit oder sexueller Orientierung, gesellschaftliche und soziale Beziehungen hergestellt und geregelt. Weiße ›Normalität‹ greift damit in gravierender Weise in den Bereich des Zwischenmenschlichen ein. Sie ist in allen Institutionen, in politischen und sozio-ökonomischen Strukturen sowie in der Kultur- und Wissensproduktion verankert und wird in Weißen Dominanzgesellschaften durch Prozesse der Rassifizierung und Minorisierung durchgesetzt. Das bedeutet, dass bestimmte Personen und Communities auf der Basis zugeschriebener, vermeintlich wesenhafter ›rassischer‹ und/oder kultureller Unterschiede als ›anders‹, ›abweichend‹ und ›unterlegen‹ konstruiert werden. Erst durch Ausschlüsse und Diskriminierungen erscheinen sie als ›Minderheiten‹. Da ein positiv besetztes Weißes Selbst als gegenüberliegendes und im Grunde unerreichbares ›Maß der Dinge‹ fungiert, geraten Blick- und Sprechverhältnisse zu einem Werte behafteten, einseitigen Monolog: Die Weiße Norm spricht, beurteilt und bleibt in diesem machtvollen Prozess unsichtbar; die ›Anderen‹ werden besprochen, analysiert und abgewertet und so zu vermeintlich stummen, geschichtslosen ›Objekten‹. Was in landläufigen Weißen Kontexten über die ›Welt‹ und diese ›Anderen‹ – seien sie fern oder nah, seien sie vergangen oder gegenwärtig – ›gewusst‹ wird, ist folglich kein unschuldiges, ›objektives‹ oder gar universell gültiges Wissen, sondern immer eingebettet in komplexe, räumlich und zeitlich gebundene Prozesse einer rassifizierten Machtausübung. Im Mehrheitsdeutschland werden Vorhandensein und Wirkweisen von rassistischen Strukturen und Rassifizierungsprozessen üblicherweise reflexartig zurückgewiesen. Der sich liberal verstehende Mainstream lagert Rassismus entweder in verschüttete oder einigermaßen ›bewältigte‹ Vergangenheiten aus, verbannt diesen an den rechten Gesellschaftsrand oder verpackt ihn in neutral erscheinende Begrifflichkeiten. Unterzieht man jedoch gängige, vornehmlich aus dem sozialwissenschaftlichen Diskurs stammende Fremdbezeichnungen wie ›Nicht-Weiße‹, ›sichtbare Minorität‹ (visible minority), ›ethnische Minderheit‹ oder ›Migrant/-in‹ einer kritischen Betrachtung, zeigt sich schnell, wie wenig sie dazu geeignet sind, gesellschaftliche Realitäten kritisch zu erfassen. Während ›Nicht-Weiße‹ die Anwesenheit rassifizierter Subjekte auf eine Differenz von der Norm bzw. auf eine reine Negation reduziert und damit die dominante Perspektive reproduziert, besteht die Gefahr, dass durch Begriffe wie ›Minorität‹ oder ›Minderheit‹ bestehende Machtverhältnisse verobjektiviert werden. In ihnen erscheint die Weiße Mehrheit – durch demokratische Prinzipien legitimiert – als eine gegebene Größe, die ›selbstverständlich‹ entscheidet und regiert. Die Tatsache, dass Mehrheits- und Minderheitenverhältnisse gesellschaftlich hergestellt sind und Konstrukte darstellen, mit denen die privilegierte Gruppe sich ›ihre‹ Minderheiten definiert, gerät so aus dem Blick. Eine damit einhergehende Naturalisierung sozialer Macht- und Ungleichheitsverhältnisse erschwert es zudem, rassistische Grundannahmen offen zu legen und sie zu dekonstruieren. Der Begriff der ›sichtbaren Minorität‹ wiederum ist zu unspezifisch, um als kritische Analysekategorie wirksam zu sein. Zum einen fungiert er als Sammelbegriff, der von rassifizierten Menschen über religiöse Gemeinden bis hin zu Behinderten und Polizisten reichen kann. Zum anderen bilden, genau genommen, Weiße Männer selbst eine sichtbare Minorität, obwohl sie die mit Abstand einflussreichste Gruppe in westlichen Gesellschaften darstellen. Trotz guter Gründe, Termini wie ›Minderheit‹ und ›Minorität‹ zu problematisieren, ist es kaum möglich, sie gänzlich zu vermeiden, da diejenigen, die in Weißen Gesellschaften rassistisch ausgegrenzt werden, quantitativ tatsächlich meist in der Unterzahl sind und nicht der hegemonialen Mehrheitskultur angehören. Im hiesigen Kontext wird häufig ›Migrant/-in‹ als übergreifende Kategorie verwendet, um entlang der Unterscheidung ›Deutsche‹ versus ›Ausländer‹ die zentrale Marginalisierungsebene des hier beheimateten Rassismus herauszustellen. Vor dem Hintergrund der ›Gastarbeiteranwerbung‹ aus dem Mittelmeerraum, die rassistische Tendenzen und die gescheiterte Entnazifizierung der deutschen Nachkriegsgesellschaft enthüllte, machte dies lange Zeit durchaus Sinn. Heutzutage richtet sich der strukturelle, institutionelle und alltägliche Rassismus jedoch vornehmlich gegen islamische Gemeinden, illegalisierte Migrant/-innen aus Lateinamerika und Asien, ›integrationsunwillige‹ Deutsch-Türk/-innen und kriminalisierte afrikanische Flüchtlinge. Die aktuellen Feindbilder werden zusätzlich durch tradierte, im kolonialen Rassismus und Orientalismus wurzelnde Stereotypen gegen außereuropäische Menschen befördert und zementiert. Es ist kaum zu übersehen, dass sich mit den veränderten globalen Bedingungen auch die symbolischen, politischen und geografischen Grenzen Westeuropas inklusive jene der alten BRD nachhaltig verschoben haben. Im Gleichklang mit den Machtverhältnissen in der internationalen Politik hat sich eine kolonialisierende Dominanzkultur revitalisiert. Da innerhalb dieser neuen hegemonialen Konfiguration die Grenze in erster Linie zwischen Europa und seinen sogenannten ›Anderen‹ gezogen wird, greift die brüchige Kategorie ›Migrant/-in‹ inzwischen zu kurz und sagt zu wenig aus. Die undifferenzierte Betrachtung vermeintlicher ›Ausländer‹ ebnet nicht nur fundamentale Statusunterschiede zwischen – um ein beliebiges Beispiel zu nennen – einem eingewanderten Weißen Wall Street Banker und einer Putzfrau türkischer Herkunft ein, sondern basiert zudem auf dem Ausschluss von Schwarzen Deutschen aus dieser Gesellschaft. Auf diese Weise wird ein restauratives Deutschlandbild projiziert, das durch seine ethnische Homogenisierung vormoderne Züge trägt. Es ist daher überfällig, nach neuen analytischen Kategorien zu suchen, die diese postkolonialen Machtverhältnisse erfassen können. In der wohlmeinenden Mitte der Gesellschaft nimmt man inzwischen meist unwillig zur Kenntnis, dass es zwar eine Menge ›Betroffener‹ gibt, dass diese ›Betroffenen‹ jedoch nicht mehr so sind, wie man sie gern hätte: Sie geben kaum noch Auskunft über ihre ›Betroffenheit‹ und verweigern sich ausufernden Fragenkatalogen. Sie trotzen der Integrationsmission und verschanzen sich in ›Parallelgesellschaften‹. Sie lassen sich nicht mehr fremdbezeichnen und nehmen sich, gänzlich ungefragt, den Raum für das Neu-Entwerfen...


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