E-Book, Deutsch, 196 Seiten
Reihe: Edition Drachenmücke
Hähnel Mumien küsst man nicht
illustriert
ISBN: 978-3-95996-250-6
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Fantastische Gruselgeschichten
E-Book, Deutsch, 196 Seiten
Reihe: Edition Drachenmücke
ISBN: 978-3-95996-250-6
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
Mumien küsst man nicht
Bis gestern fand ich ausgestopfte Tiere richtig gut. Schon deswegen, weil meine große Schwester Franziska sie absolut doof findet. Wenn Onkel Hartmuts Geburtstag auf dem Kalender steht, hat sie tagelang vorher schlechte Laune. So war das auch diesmal. Onkel Hartmut ist der Bruder meines Vaters. Er ist Wissenschaftler und Tierpräparator. Im Auftrag internationaler Museen hat er so gut wie alles, was zwei, vier oder keine Beine besitzt, ausgestopft. Ehrlich gesagt, manchmal würde ich mir ja auch gerne meine nervige Schwester ausstopfen und ins Zimmer stellen, aber das erlaubt das Gesetz nicht. Außerdem bin ich überzeugt, meine Mutter hätte garantiert etwas dagegen, wenn ich meine dreckigen Fußballschuhe um ihren Hals und die Stinkesocken an ihre Nase klammern würde. Meine Schwester liebt Tiere über alles und findet sie total knuddelig. Mit ausgestopften Exemplaren ist das etwas anderes. Die sind nur superekelhaft und entsetzlich gruselig. Ihre Tierliebe geht so weit, dass sie weder Fleisch noch Wurst isst. Letzte Woche erst mäkelte sie: „Was einmal Augen hatte, kommt nicht auf meinen Teller!“ Meinen Einwand, es gebe auch augenlose Tiere, beantwortete sie wie immer mit Geschrei. Und wer bekam den Ärger? Ich! Dabei hatte ich ihr nur erklärt, nichts gehe über eine leckere Scheibe Grottenolmsalami. Und Regenwurmchips seien der absolute Renner. Na ja, und dass Quallengelee so schön am Gaumen kitzeln würde. Natürlich beschwerte sie sich wieder. Beschweren ist ein Hobby von ihr. „Du sollst deine Schwester nicht ständig ärgern!“, schimpfte daraufhin meine Mutter. „Du benimmst dich wie ein Kindergartenkind!“ Dabei ist es Franziska, die pausenlos nervt. Bei jeder Mahlzeit versucht sie, mir den Appetit zu verderben. „Schmeckt die Toten-Wurst? Zergeht das Leichen-Steak mit der Blut-Fleischsaft-Soße auf der Zunge? Deine Lieblingsbouletten sind aus zerhäckselten Schweinchen.“ Dazu sagt meine Mutter nichts. Selbst mein Vater hält sich aus unseren Streitereien raus. Das Herumgezicke meiner Schwester kommentiert er höchstens mit dem Satz: „Junge, so ist das mit den Frauen. Fängt ganz früh an und hört nie wieder auf.“ Toll! Mir hilft das nicht. Außerdem traut sich mein Vater das nur zu sagen, wenn wir zu einem Männergespräch verurteilt wurden. Männergespräche muss er immer dann mit mir führen, wenn sich Franziska über mich beschwert hat. Ihr könnt mir aber glauben, ich zahle ihr jede Gemeinheit zurück. Mein Motto: Rache ist Blutwurst! Franziska ist zwei Jahre älter. Wenn man eine vierzehnjährige Schwester hat, die ernsthaft meint, ihren Bruder erziehen zu müssen, dann bedarf es Gegenmaßnahmen. Vor ein paar Tagen kam ich endlich darauf, wie ich ihr das ständige Gemeckere heimzahlen kann. Nach der Schule hatte sie mit ihrer besten Freundin Laura telefoniert und sich mit ihr über Jungs und Küssen unterhalten. Und ich habe sie belauscht. Mich schüttelt es jetzt noch, wenn ich nur daran denke. Von dem Mikrofon unter ihrem Bett hatte mein Schwesterherz keine Ahnung. „Hast du schon mal Bernd geküsst?“, wollte Laura wissen und kicherte albern. „Der presst die Lippen so fest zusammen, als wollte man ihn mit Krötenleber füttern.“ „Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii, ist ja abartig“, quietschte meine Schwester und erzählte: „Aus sicherer Quelle weiß ich, Ralf hat beim Küssen aus seiner Zunge eine Röhre geformt. Keine Ahnung, was das soll.“ „Das ist noch gar nichts! Ich habe gehört, Sebastian leckt einem die Zähne ab.“ „Würg, brech, kotz!“, meinte Franziska und Laura ergänzte: „Jungs sind so peinlich! Echt ekelhaft! Obermegawiderlich!“ Beide brüllten vor Lachen und dann fragte meine Schwester: „Dieser Christian, der Blonde in der Parallelklasse, der ist süß, oder?“ „Christian? Süß? Meinst du wirklich?“, staunte Laura. „Nein! Nein, natürlich nicht. Ich wollte nur wissen, was du so denkst“, beeilte sich meine Schwester zu versichern. Aber es war zu spät. „Du bist verliebt in ihn! Ich glaube es nicht! Du und Christian! Der küsst bestimmt wie ein Koi-Karpfen. Das muss ich sofort den anderen erzählen!“ „Du bist so gemein!“, protestierte Franziska, aber ihre angeblich beste Freundin legte nur lachend auf. Christian und meine Schwester? Das war der Witz des Tages. Ich kannte Christian. Der interessierte sich nur für Comic-Hefte. Seit Wochen versuchte er, mich davon zu überzeugen, dass ich ihm eine Uraltausgabe von Spider-Man überließ. Bisher hatte ich das abgelehnt. Viel zu wertvoll. Plötzlich hatte ich diese geniale Idee. In wenigen Tagen feierte Onkel Hartmut seinen fünfzigsten Geburtstag in seiner alten Villa. Der perfekte Ort, um sich an Franziska zu rächen. Gestern war es so weit. Den ganzen Tag war es drückend warm. Dicke Wolken verdunkelten den Himmel. Mir war klar: Spätestens am Abend würde es ein mächtiges Gewitter geben. „Ich will hierbleiben“, quengelte Franziska. Das musste ich unbedingt verhindern. „Ich habe schrecklich fürchterliche Angst vor Gewitter!“, äffte ich sie nach, verzog das Gesicht und zitterte, als würde mein Körper an einer Stromleitung hängen. „Das stimmt gar nicht! Mir wird nur schlecht, wenn ich an die ausgestopften Tiere denke.“ Erst grinste ich, dann verzog ich das Gesicht zu einer Grimasse: „Mami, die Tiere schauen mich so böse an! Die werden mich bestimmt auffressen!“ „Du bist so was von blöd. Ein richtig blöder Blödmann!“ Zufrieden lachte ich und tat so, als würde ich ängstlich auf den Fingern herumknabbern. „Hör auf, deine Schwester zu ärgern! Ausgestopfte Tiere sind wirklich ein bisschen unheimlich“, bemerkte meine Mutter. Einen Augenblick befürchtete ich, dass Franziska tatsächlich zu Hause bleiben dürfte. Zum Glück ließ sich mein Vater diesmal nicht erweichen. „Familienfeiern sind Pflicht! Keine Diskussion!“ Onkel Hartmut freute sich riesig, als er die Tür der alten Villa öffnete und uns sah. Wie alle Erwachsenen wunderte er ein bisschen herum: „Richtig gut seht ihr aus! Groß seid ihr geworden! Du hast die gleichen Gesichtszüge wie deine Schwester!“ Lachend schlug er mir auf die Schulter und ließ uns allein. Franziska grinste mich an. Von wegen, ich sehe meiner Schwester ähnlich. Ich verzog das Gesicht und tat so, als würde ich mir den Finger in den Hals stecken. Grinse nur! Du wirst schon sehen, was du davon hast, dachte ich. Dann gab es Kuchen, Kakao und endlos langweiliges Erwachsenengequatsche. Als Franziska in ein Gespräch verwickelt war, behauptete ich, dass ich kurz auf die Toilette müsste. Niemanden interessierte das. Und es fiel keinem auf, dass ich heimlich die Hintertür öffnete. Als ich wieder neben meiner Schwester saß, flüsterte ich mit tiefer Stimme: „Uhaaaaaa! Du hast Angst vor den ausgestopften Tieren! Sie wollen doch nur mit dir kuscheln! Uhhhhaaaa!“ Meine Schwester kniff mich in den Arm und trat mir gegen das Schienbein. Das macht sie immer so, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. „Ich habe keine Angst. Ich bin nicht so ein Baby wie du!“ „Dann lass uns zu ihnen gehen!“ Ich grinste. „Es gibt bestimmt etwas Neues zu entdecken. Oder hast du doch Angst?“ Wir stiegen die große Treppe hinauf. Ein Blitz zuckte am Abendhimmel. Ich zählte die Sekunden, bis es donnerte. Wie erwartet näherte sich unaufhaltsam das Unwetter. Starke Windböen peitschten die Bäume. Plötzlich fiel der Strom aus. Zum Glück wusste ich, wo Onkel Hartmut die Taschenlampen aufbewahrte. Jetzt, wo es dunkel war, erleuchteten Blitze die Wände der alten Villa. Überall hingen Köpfe verschiedener Wildtiere, die mit ihren Glasaugen alles genau zu beobachten schienen. „Sie starren dich an!“, flüsterte meine Schwester mir ins Ohr. „Sie wissen, dass du Tiere isst.“ Ich tippte gegen meine Stirn. „Sie schauen dich an, weil du ihnen das Futter wegfutterst!“ Franziska zog eine Grimasse und zuckte mit den Schultern. Ich nahm zwei Stufen mit einmal und sprintete den Rest der Treppe hinauf. Ich wusste, Dunkelheit mochte mein Schwesterlein gar nicht. Also rannte sie mir hinterher. Onkel Hartmut sammelt alles, was mit seinem Beruf zu tun hat. Die alte Villa, in der er wohnt, gleicht einem verstaubten Museum. Der überwiegende Teil seiner Sammlung beschäftigt sich mit Tieren. Richtig interessant wird es aber erst in der Kuriositätenabteilung: In der Mitte des Raumes befindet sich ein kleiner Tisch, der aus dem Panzer einer Riesenschildkröte gefertigt ist. Um ihn herum stehen vier Hocker aus echten Elefantenbeinen. Vor dem Kamin liegt ein Eisbärenfell mit präpariertem Schädel. Außerdem befinden sich in den Vitrinen Gläser mit Augen, in Scheiben geschnittene Gehirne sowie ein paar Flaschen Schlangenschnaps mit eingelegten Klapperschlangen. Die Sammlung ist uralt. In dieser Kuriositätenabteilung standen wir nun. Ein gewaltiger Blitz ließ Franziska zusammenzucken. Kurz darauf donnerte es besonders laut. „Du hast doch Angst! Du fürchtest dich im Dunkeln! Die Augen der Toten können es sehen!“, flüsterte ich mit tiefer Stimme. „Hör auf, ich habe keine Angst!“, schimpfte meine Schwester. Es klang nicht sehr überzeugend. „Beweise es!“, forderte ich und schaute mich um. In einer Ecke entdeckte ich endlich, was ich gesucht hatte. Es war eine Mumie. Auf dem...