E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Nagel & Kimche
Haffner So schön wie tot
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-312-01075-2
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Nagel & Kimche
ISBN: 978-3-312-01075-2
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Privatermittler Larry Hardy ahnt nichts Gutes, als eine junge Frau in sein Büro stürmt und verlangt, dass er ihren verschollenen Vater findet. Sie ist die Tochter des berühmten Autors Michael McCullen, der wie Larry selbst aus Amerika stammt und nun in Berlin lebt. Zunächst aber findet Larry nur die Ehefrau des Vermissten, und zwar tot in der Badewanne. Dummerweise gerät der Detektiv selbst in Verdacht. Larrys Probleme vermehren sich ebenso wie die Verdächtigen, und zu allem Überfluss setzen ihn auch noch russische Verbrecher unter Druck … Ein rasanter Hardboiled-Krimi, literarisch souverän und dramaturgisch geschickt.
Autoren/Hrsg.
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7 Der Anruf kam an einem jener himmelblauen Novembertage, an denen Berlin strahlt, als gäbe es in Norddeutschland gutes Wetter. Ein Täuschungsmanöver der Natur, Larry an Kalifornien zu erinnern, bevor die graue Wolkendecke der Wintermonate sich über die Stadt legt mit dem Vorsatz, ihn zu ersticken. «Kommen Sie runter, wir fahren zu meiner Mutter», sagte sie in einem Ton, als hätte Larry nichts anderes zu tun, als auf ihren Anruf zu warten. Was ja auch stimmte. Sie hatte in der Einfahrt zum Hof geparkt und nahm keine Notiz vom Möbeltransporter, der auf der Straße stand und hupte. Als Larry herunterkam, standen ein paar Autos im Stau mit erregten Fahrern, die mithupten und fluchten. Die Beifahrertür ihres Porsche stand offen. Er war hellblau, passend zu ihrem Smartphone. Der Möbel-Fahrer streckte seinen hochroten Kopf aus dem Fenster und schrie: «Turbo-Tussi!» Sie ließ den Motor aufheulen und zeigte ihm den Mittelfinger. Larry stieg ein, und Maddie setzte zurück, riss das Lenkrad herum und trat das Gaspedal durch. Dann drehte sie die Musik auf. Larry wunderte sich, dass der Wagen bei dem Gewummer der Bässe nicht in seine Einzelteile zerfiel. Wenn die Bässe es nicht schaffen würden, dann ihre Fahrweise. So viele Verkehrsregeln, wie sie missachtete, gab es gar nicht. Es war wohl die Strafe dafür, dass er alle Regeln seines Metiers missachtet hatte. Lass dir nie von einem Klienten sagen, was du zu tun hast. Fahr nicht in seinem Wagen mit. Und überhaupt – wie alt war sie eigentlich? Aber Larrys Mazda war in der Garage. An die Rechnung wollte er nicht denken. Eine Mädchenstimme kreischte, untermalt von einer Violine, während ein als Schlagzeug missbrauchter Presslufthammer lärmte, in der Hoffnung, mithalten zu können. «Wie gefällt Ihnen die Musik, Larry?», schrie Maddie. «Das bin ich mit meiner Band, The Sick Sisters! Ich bin Leadsängerin und spiele Geige – die erste Geige! Glamour Punk!» «Unerhört», sagte Larry und drehte die Musik leiser. «Sagen Sie es mir rechtzeitig, bevor Sie das zu einem Streichorchester ausbauen.» Er zog es vor, ihr nichts von seiner eigenen Band zu sagen. «Wann haben Sie übrigens die Fahrprüfung, Maddie? Die erste Stunde schon gehabt?» Sie schnitt einem Lieferwagen den Weg ab, überholte einen Kleinbus und schlüpfte in letzter Sekunde von der Gegenfahrbahn in die Lücke, die sie mit Drängeln erzwang. Es ging so schnell, dass Larry die Aufschrift auf der Plane des entgegenkommenden Lasters nicht vollständig hatte lesen können. Etwas wie «Geiz ist geil … wie Gott in Frankreich». «Man braucht keinen Führerschein, um ein Auto in Gang zu setzen, Larry», sagte sie. «Ein Zündschlüssel genügt.» «Und den borgen Sie von Ihrem Papi?» «Nicht nur von ihm. Auch von einigen seiner Freunde. Ich liebe die Abwechslung. Ist doch langweilig, immer dasselbe Pferd zu reiten, nicht wahr? Oder was man halt reiten will?» Larry behielt den Verkehr im Auge. «Ein paar davon habe ich zu Schrott gefahren. Man muss einen Haufen Eier aufschlagen, um ein Omelett zu machen. Hab ich recht?» Sie sah auf seine Beine, als sei er es, der Hot Pants tragen würde. «Werden Sie bloß nicht rot, Larry. Ihnen steht die Blässe des Melancholikers. Ist so unamerikanisch.» «Ist das der Porsche Ihres Vaters?» «Nein, das ist meiner. Er hat ihn mir zum achtzehnten Geburtstag geschenkt. Nicht weil er wollte, dass ich einen habe. Sondern weil er nicht mehr wollte, dass ich seinen auf dem Schrottplatz abstelle. Oder gar auf die Idee komme, sein bestes Stück zu missbrauchen.» Larry sah sie stirnrunzelnd an. «Seinen Jaguar E. Den Oldtimer.» Als sie aus der Stadt heraus und in Alt-Kladow waren, hielt sie vor einem Blumengeschäft. «Kaufen Sie rosarote Rosen, Larry, dreizehn Stück.» «Miss Maddie, ich kaufe gar nichts. Ich bin Detektiv, kein Gigolo.» «Schade. Aber genau deswegen müssen Sie Rosen kaufen. Meine Mutter wird denken, Sie bewundern ihre Jugend und ihre Schönheit, was kein Mensch tun wird, der bei Sinnen ist. Also wird sie ihr Herz für Sie öffnen. Wenn nicht mehr.» Larry öffnete die Tür. Der dritte Fehler. Lass die Finger von Rosen für Frauen, bei denen du die Hosen anbehalten willst. Er war schon draußen, als sie sich herüberbeugte. «Hey, Larry? Sie sind immer noch frei zu entscheiden, ob Sie einsteigen wollen bei ihr oder nicht.» Als Larry zum Wagen zurückkehrte, hielt er einen Augenblick inne. Sie saß in Gedanken versunken da, den Blick aufs Lenkrad gesenkt. Ein trauriger Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Sie wandte den Kopf, bemerkte ihn und lächelte abrupt. Als sei sie bei etwas ertappt worden, dessen sie sich schämte. Sie fuhr langsam los und benahm sich so korrekt, als sei er der Fahrlehrer, bei dem sie punkten wollte. Larry bat sie, im Schritttempo zu bleiben, damit er sich die Gegend ein bisschen ansehen konnte. Es wurde bereits Abend, um vier Uhr nachmittags. Sie hielten in der Nähe des Hafens, stiegen aus und gingen zum See hinunter. Das Wasser schlug ans Ufer mit einem leisen Glucksen. Maddie zeigte in Richtung Wald, wo das Haus stand. Sie nahmen den Fußweg am Ufer. Mannshohe Backsteinmauern und Staketenzäune hegten die Grundstücke ein, wo stattliche Häuser auf einem Hügelzug thronten, der das Seeufer entlang verlief. Die Fenster der Villen schnitten leuchtend gelbe Rechtecke aus dem Dunkel. Maddie blieb stehen und wies nach oben auf ein großes Haus. Da sah Larry sie. Sie stand in einem der hohen Fenster in der zweiten Etage und blickte auf den See. Das Haus, vielleicht hundert Meter entfernt, wurde verschluckt vom Schwarz der Nacht, bis auf dieses eine Fenster. Die Gestalt darin blieb reglos, als das schmiedeeiserne Tor sich öffnete, nachdem Maddie ihre Ankunft gemeldet hatte. Sie durchquerten den Park, unter den Schuhen knirschte der Kies. Sie stiegen die steinerne Treppe hoch zum Eingang. Ein Mann öffnete die Tür und nahm sie in Empfang. Er war von gedrungener Statur, mit schweren Augenlidern und Wangen, die herunterhingen wie bei einem Mops. Sein Kopf war sehr groß im Verhältnis zum Körper. In der düsteren Eingangshalle, nur von Kerzen in Wandhaltern beleuchtet, zitterte im Luftzug sein Schatten über ihnen wie ein groteskes Untier. «Schön, Sie zu sehen, Miss Madeleine», sagte der Mann, der Anzug und Krawatte trug und offensichtlich der Butler war. «Ihre Mutter wird gleich herunterkommen.» Er nahm Larry die Rosen ab und führte sie in einen Saal, der leer war bis auf einen Flügel und ein paar Sitzmöbel mit kleinen Tischchen. Die große Fensterfront ging auf die Veranda, der Blick auf den See war unverbaut. Vom gegenüberliegenden Ufer glitzerten die Lichter vom Ort Wannsee. Im schwarzen Wasser schwebten die hellen Fenster der Fähre darauf zu. Larry schaute hinaus zum Schiff, als sie plötzlich hinter ihm stand. «Mister Hardy, nehme ich an. Es freut mich, Sie kennenzulernen.» Sie hielt ihm eine schmale, schlaffe Hand hin und wandte sich an Maddie. «Mäuschen, Liebes, du bist viel zu kalt angezogen.» Sie blickte sich um nach dem Butler, der in einiger Entfernung stehen geblieben war. «John, bringen Sie Maddie bitte eine Wolldecke. Und einen Absinth für Mister Hardy. Sie mögen doch Absinth, Mister Hardy? Ich will hoffen, Sie bleiben zum Essen.» Elizabeth McCullen war groß und hager. Sie hatte schlohweißes Haar und ein blasses Gesicht, in dem ein Paar dunkler Augen lag, die alles Licht aufzuschlucken schienen. Ihre Wangen waren eingefallen. Sie musste einmal schön gewesen sein. Es war lange her. «Aber setzen wir uns doch», sagte sie und wies mit einer müden Hand auf das weiße Ledersofa und die paar dazu passenden Sessel. Alles war weiß im Raum, bis auf den schwarzen Flügel. «Spielen Sie Klavier, Mister Hardy? O bitte, spielen Sie mir etwas vor!» Eine kindliche Hoffnung blitzte auf in ihrem Gesicht und verlor sich in den Falten der Haut. Larry verneinte und versank im Polster. «Wie schade. Ich schätze es sehr, wenn Besucher mir etwas vorspielen.» Maddie ignorierte die dünne Decke aus Alpakawolle, die der Butler gebracht hatte. Sie saß im Schneidersitz in der Ecke des Sofas, so weit wie möglich von ihrer Mutter entfernt, die sich Larry gegenüber auf der Sesselkante niedergelassen hatte. «Ich weiß, dass mein Mäuschen besorgt ist, weil ihr Vater seit ein paar Tagen weg ist und sich nicht gemeldet hat», sagte Elizabeth McCullen. «Aber es gibt keinen Grund zur Sorge. Er braucht seine Freiheit, so wie er sein Gefängnis braucht.» «Sein Gefängnis?», fragte Larry. «Seinen Hochsicherheitstrakt, um genau zu sein.» Sie lächelte Larry an. «So nennt er seinen Schreibraum. Wo er sich einschließt, um zu gebären.» Larry sah zu Maddie. Sie schnitt eine Grimasse, klaubte etwas aus einer kleinen Silberdose, steckte es in den Mund und schluckte. «Misses McCullen, Ihre Tochter hat von einem Füllhalter erzählt, von dem sich Ihr Mann niemals trennt. Und den sie hier im Haus gefunden hat.» Elizabeth McCullen hielt seinen Blick, bis er selber wegsah. Sie saß aufrecht, die Hände gefaltet. «Er hat sich nie von seinem Kaweco Sport getrennt, das ist wahr. Seiner Glücksfeder, wie er sagt. Aber es gibt immer ein erstes Mal, nicht wahr? Menschen sind nicht wie die Sonne, die jeden Tag auf- und niedergeht und keine Ausnahme von der Regel macht. Was sie vielleicht eines Tages doch tun wird, nicht wahr? Wenn neunundneunzigmal dasselbe geschieht, heißt das nicht, dass es auch das hundertste Mal geschehen wird. Finden Sie nicht auch?» «Nun, die Sonne folgt einem Naturgesetz. Menschen tun das nicht, sie haben ihren eigenen Willen. Und Triebe, denen sie nachgeben.» Ein Lächeln huschte über ihr...