E-Book, Deutsch, 284 Seiten
Hahn Blutland
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7427-7885-7
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-3-7427-7885-7
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Schreiben ist für mich wie Opium für die Seele. Eine Sucht, die dich nicht mehr aus ihren Fängen lässt, wenn sie dich einmal gekriegt hat'. Seit Jahren schreibt Hahn darum Drehbücher, Theaterprogramme und mehr. Er war in der Verlagsbranche tätig und betrieb jahrelang auch eine Kleinkunstbühne, in der er als Autor, Schauspieler und Regisseur tätig war. Schicken Sie mir eine Nachricht: josefderhahn@gmail.com. Sie erhalten garantiert Antwort.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Am Hohen Markt
Eine der Grundlagen zur Entwicklung des Wiener Marktwesens war das Marktrecht, das den Händlern und ihren Kunden gewährt wurde.
Die älteste erhaltene Marktordnung, die sich mit dem Verkauf von Lebensmitteln befasst, wird in um etwa 1250 datiert; sie enthält genaue Bestimmungen über die Preisfestsetzungen und über die Strafen bei Maß- und Gewichtsvergehen sowie bei Preisüberschreitungen.
Das Bäckerschupfen etwa war eine Ehrenstrafe für das Vergehen gegen Qualität oder dem Gewicht von Backwaren, die analog zu anderen Gebieten Europas auch in Wien üblich war. Die älteste schriftliche Fixierung des Bäckerschupfens stammt aus dem 13. Jahrhundert. Seit den Babenbergern wurde das Bäckerschupfen in Wien angewandt. Abrecht II. verschärfte die Strafe 1340 mit einigen Zusätzen. Das letzte Bäckerschupfen fand 1773 in der Roßau statt. Erst Joseph II. schaffte das Bäckerschupfen ab. Das Bäckerschupfen kam dem derben Geschmack schadenfroher Zuschauer entgegen und gab Gelegenheit, der Spottlust freien Lauf zu lassen. Ein Spottgedicht von damals bringt es auf den Punkt:
Beging hier jemand nur den Streich, die Waren zu verletzen, so zwang man ihn, sich alsogleich in diesen Korb zu setzen. Und zog ihn dann - bedenkt den Graus, stets in das Wasser ein und aus. Vier Zoll war das bestimmte Ziel, für die zu leichten Lothe; es fehlte manchmal schrecklich viel an Semmeln und an Brote, sodass man (was sehr oft geschah) Nur bloß des Mannes Mütze sah.
Der zu Bestrafende wurde in einen hölzernen Käfig oder Korb gesteckt und mittels einer hebelartigen Vorrichtung mindestens einmal ins Wasser getaucht. Dass diese Vorgangsweise nicht ganz ungefährlich war, beweist ein 1550 eingetretener Todesfall eines Delinquenten.
1279 wird urkundlich erstmals ein eigener landesfürstlicher Handelsrichter genannt. Durch eine behördliche Tierbeschau und einen Schlachtzwang wurde auch vermieden, dass kranke Tiere zum Verkauf angeboten wurden.
Die Märkte wurden auf verschiedenen Plätzen der Stadt abgehalten. Nach der Beschau der Waren bekamen die Bauern der Umgebung von den Marktorganen Plätze zugewiesen.
Zweimal in der Woche, Dienstag und Freitag, fand der Wochenmarkt statt. Bei Marktbeginn wurde auf jedem Platz eine Fahne gehisst. Zuerst hatten die Adeligen, dann die geistlichen Bewohner und das Hofgesinde die Gelegenheit einzukaufen; nach Abnahme der Fahne war der Verkauf allgemein freigegeben.
Das älteste Zentrum des Kleinhandels befand sich am Hohen Markt, auf dem neben Donaufischen auch Karpfen und Krebse gehandelt wurden. Man fand hier auch Händler mit venezianischen Glaswaren, Wachsgießer, Landfleischhauer sowie Geflügel- und Obsthändler. Weiters Schuster, Tuchbereiter, Gewandhändler und Tuchschneider.
Am Graben, dem zweiten bedeutenden städtischen Marktplatz, fand der Kleinverkauf von Mehl, Milch, Butter, Kraut und Brot statt. Weitere, kleinere, Märkte befanden sich beim Petersplatz und auf dem Bauernmarkt.
Veronika Salzinger, die einfältige Magd war gerade zum Einkauf unterwegs. Sie war heute allein damit beauftragt worden.
Das erste Mal.
Darauf war sie stolz.
Lange hatte ihr Frau Wassermann eingebläut, was sie mitbringen sollte und worauf sie beim Einkauf achten musste. Ununterbrochen plapperte die Fünfzehnjährige die Liste vor sich hin, um ja nichts zu vergessen.
Wie schon erwähnt: Mit großen Geistesgaben war sie absolut nicht ausgestattet.
Ein junger Priester unterbrach ihr Gebrabbel. „Zu wem betet ihr denn so eifrig, schönes Mädchen?“
Als >schönes Mädchen< hatte sie noch nie irgendwer bezeichnet. Ein geistlicher Herr schon gar nicht. Vroni war ganz verlegen und schaute mit knallrotem Gesicht züchtig zu Boden. Sie brachte vor Aufregung kein Wort heraus.
„Ihr könnt es mir ruhig sagen, meine Tochter! Gott und seine Heiligen sind immer unter uns und freuen sich über jedes Gebet, das sie erreicht“.
„Ich – ich – ich habe gar nicht gebetet, Vater. Ich habe mir bloß die Einkäufe vorgesagt, damit ich nichts vergesse. Die gnädige Frau Wassermann hat mir genau erklärt, was ich mitbringen soll.“
Der junge Priester runzelte seine Augenbrauen: „Wassermann? – Wassermann? Willst du mir etwa sagen, dass du unter jüdischer Knechtschaft stehst, meine arme Tochter?“
Vroni nickte. Als >Knechtschaft< hatte sie ihren Dienst allerdings noch nie gesehen. Aber, wenn ein geistlicher Herr das sagte…! „Ja, ich bin die Magd bei der Familie Wassermann“.
„Bedauernswertes Geschöpf, das du bist! Sieh dich vor, dass du nicht zusammen mit den Juden ins höllische Feuer geworfen wirst!“
„Höllisches Feuer?“, sie zitterte vor Schreck. „Aber warum denn nur? Ich gehe jeden Sonntag zur Heiligen Messe und auch zur Beichte. Ich bin ein ordentlicher Christenmensch!“
„Gewiss, gewiss“, sprach der Geistliche weiter. Seine Stimme wurde leiser und verschwörerisch: „Aber heute ist mir im Traum der Erzengel Gabriel erschienen, der Bote des Herrn. Groß und mächtig mit dem flammenden Schwert in der Hand“.
Vroni schlug erschrocken ihre Hände zusammen. Dabei fiel ihr der Einkaufskorb mit den Münzen zu Boden und diese kullerten davon. Zwei Straßenjungen sammelten sie flugs auf und rannten damit davon. „Der- heilige – Erzengel – Gabriel?“, stotterte sie.
„Gewiss, gewiss! Er hat mir verkündigt, dass Gott der Herr das jüdische Gesindel, die Mörder seines Sohnes, in dieser Stadt, ob ihres unzüchtigen und luxuriösen Lebenswandels, bestrafen wird! Mit Feuer und Schwert wird er über sie kommen! Bald, sehr bald schon!“
Vroni sank zu Boden. Aus ihren Augen kullerten dicke Tränen. „Aber meine Herrschaft führt doch ein sittsames und frommes Leben! Will der Herrgott auch sie bestrafen?“
„Ganz gewiss, meine Tochter! Niemand wird von der himmlischen Strafe verschont bleiben! Niemand – es sei denn -!“
„Was - sei denn? - Bitte sagt es mir Vater.“
„Eigentlich darf ich das nicht. - Aber du bist so eine gläubige und fromme Tochter – also hör mir genau zu: Die Häuser, in denen der Leib des Herrn aufbewahrt wird, die bleiben vom Gericht des Herrn verschont! Wenn du dich und deine Herrschaft erretten willst, dann musst du in jedem Raum ihres Hauses zumindest zwei geweihte Hostien verstecken. Das bedeutet die wahre Rettung für euch! Gott möge mir vergeben, dass ich die Mörder seines Sohnes vor ihm bewahre!“
„In jedem Raum? Wir haben acht Räume, das bedeutet“, sie rechnete mit ihren Fingern nach, „zehn und sechs geweihte Hostien. Wo soll ich die denn hernehmen?“
„Es scheint heute dein Glückstag zu sein, meine fromme Tochter. Zufälligerweise trage ich ein ganzes Gefäß mit dem geweihten Leib des Herrn bei mir. Ich könnte dir einige davon überlassen. Du musst mir aber einen heiligen Eid schwören, dass du deiner jüdischen Herrschaft darüber nichts erzählen wirst. Sie dürfen das nicht wissen! Sonst verschont sie der Herr nicht!“
„Ja, Vater! Schweigen werde ich wie ein Grab. Ich schwöre es bei der Heiligen Jungfrau!“ Vroni war total erschüttert. Ihr treu-einfacher Sinn stand ihr nur danach, ihre Herrschaft vor der angedrohten schrecklichen Strafe des Herrn zu bewahren. Ein so frommer Herr würde doch nicht lügen? Also nahm sie die Hostien mit einem höflichen Knicks entgegen und verstaute sie im Ausschnitt ihres Kleides.
Dass ihr der Priester dabei half und dabei auch mehrmals ihren Busen berührte, fiel ihr gar nicht auf. Mit einem Handkuss verabschiedete sie sich von ihrem vermeintlichen Erretter und eilte mit den Hostien nach Hause. Dort erzählte sie, dass sie leider auf einem Fischkadaver ausgerutscht wäre, hingefallen und dabei den Einkaufskorb und das Geld verloren hatte. Sie habe zwar danach gesucht, aber nichts mehr davon gefunden. Es täte ihr sehr leid!
„Sei froh, dass du dich nicht verletzt hast“, meinte Frau Wassermann großmütig. „Alles andere kann man ersetzen.“ Insgeheim beschloss sie aber, das törichte Mädchen nie mehr allein zum Markt zu schicken. Also würde sie ab jetzt doch wieder selber einkaufen gehen.
Mittlerweile versteckte Vroni, wie ihr aufgetragen worden war, in jedem Raum des Hauses ihre Hostien. Mit einem stillen Gebet dankte sie Gott, dass er ihr den jungen Priester gesandt hatte. Komme nun was wolle: Ihre Herrschaft war geschützt!
Der junge Priester hingegen ging zurück zur Burg. Dort warf er als erstes die falschen Hostien weg, schlüpfte aus dem Talar und warf ihn achtlos in eine Ecke. Als Knappe, der er in Wirklichkeit war, klopfte er an Leonhards Tür und trat nach Aufforderung hinein. „Es ist alles so geschehen, hochwürdigster Herr, wie ihr es angeordnet habt. Dieses saudumme Frauenzimmer hat mir anstandslos alles geglaubt. Sicher bin ich mir, dass sie alle Verrichtungen wie aufgetragen, durchführen wird!“
Leonhard grinste böse: „Das hast du gut gemacht, mein Sohn! Du hast Gott und der Kirche einen großen Dienst erwiesen. Tritt näher!“
Als der Knappe in Erwartung einer zugesagten Belohnung näher trat, rammte ihm Leonhard seinen Dolch ins Herz. Mit erstauntem Blick fiel der Junge zu Boden und sein Lebenslicht verlosch. „Wer braucht schon Mitwisser?“, sagte sich der Mörder. Die Leiche des Jungen würde er später beseitigen lassen. Irgendetwas würde ihm dazu schon einfallen.
„So, der Anfang wäre gemacht“, murmelte er noch vor sich hin.
Dann beeilte er sich, um rechtzeitig zur Messfeier zu kommen!
...



