Hahn / Nauerth | Vom Lassen der Gewalt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 344 Seiten

Hahn / Nauerth Vom Lassen der Gewalt

Thesen, Texte, Theorien zu Gewaltfreiem Handeln heute

E-Book, Deutsch, 344 Seiten

ISBN: 978-3-7519-2854-0
Verlag: Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Gewaltfreies Leben und gewaltfreies Handeln bestehen vorrangig in der Kunst des Lassens von Gewalt. So könnte man die zentrale Überzeugung beschreiben, die die in diesem Buch erstmalig gesammelten Texte und Thesen durchzieht und prägt. Der Autor dieser Texte arbeitet als Rechtsanwalt in Villingen-Schwenningen mit einem Schwerpunkt im Migrations-/Asylrecht und ist engagiert im Internationalen Versöhnungsbund/Deutscher Zweig. Immer wieder hat er von seiner Grundhaltung der Gewaltfreiheit aus zu aktuellen Fragen aus den Bereichen Theologie, Politik, Ethik und Recht Stellung bezogen: "Politisches Handeln unter der Bedingung des Gewaltverzichts ist nicht irreal, sondern geschieht in dieser Welt unter den gleichen Umständen, wie sie sich auch den 'Realpolitikern' bieten. Aus dem Gewaltverzicht oder zugleich mit ihm ergeben sich aber andere Handlungsgrundsätze und -formen." Entstanden sind so im Lauf der Jahre Facetten einer Ethik des Gewaltverzichts, einer Ethik, die nicht am Zweck, sondern an den eingesetzten Mitteln orientiert ist: "Die Aufforderung zum 'Nein' zur Gewalt im Alltag verspricht keine schnellen Ergebnisse. Es geht schlicht um die Frage, auf welcher Seite wir stehen wollen, ob wir Partei ergreifen für die Opfer struktureller Gewalt oder für die verantwortlichen Täter, ob wir Partei ergreifen für das Recht oder für das Unrecht, ob wir auf der Seite der Unbewaffneten stehen oder bei den Bewaffneten, ob wir bei denen sind, die draußen stehen oder bei denen, die drinnen die Tür zumachen."

Ullrich Hahn, geb. 1950 in Oldenburg; seit dem zweiten Lebensjahr lebt er in Villingen. Selbstzeugnis: "Da ich keine spezifisch christliche Erziehung genossen hatte, konnte ich den Inhalt der Botschaft Jesu unvoreingenommen aufnehmen. Ich hatte kein 'Glaubenserlebnis' dabei und auch keinen Kontakt zu christlichen Gruppen, sondern empfand das Gelesene als zutiefst vernünftig und nachvollziehbar. [...] Die Berufsethik als Rechtsanwalt entspricht meiner Vorstellung von der Botschaft Jesu: Es geht um die (einseitige) Fürsprache für Menschen, um die Wahrheit dessen, was ich vortrage, und um die Schweigepflicht bezüglich aller Informationen, die ein Mandant oder Mandantin nur mir anvertrauen will. [...] Die Kriegsdienstverweigerung hat mich bereits 1973 in den Versöhnungsbund geführt. Für mich war auf der ersten Jahrestagung die Vielfalt der Generationen beeindruckend. Während mir sonst als jungem Kriegsdienstverweigerer oft vorgehalten wurde, ich würde schon noch älter und damit vernünftiger werden, traf ich im Versöhnungsbund alte Menschen (z. B. noch Martin Niemöller mit über 90 Jahren), die noch immer und je älter desto mehr Gewalt in allen ihren Formen ablehnten und nach Wegen gewaltfreien Handelns und Lebens suchten. Seit 1996 gehöre ich dem Vorstand des deutschen Zweiges des Internationalen Versöhnungsbundes an, zunächst 14 Jahre als Vorsitzender, seither als Präsident." (Autobiographischer Text: https://www.versoehnungsbund.de).
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Krieg und Frieden – von Leo Tolstoi bis in unsere Zeit
Vortrag am 27.01.2014 vor der Psychologischen Gesellschaft in Basel „Krieg und Frieden“ ist nicht nur der Titel der wohl berühmtesten Schrift Tolstois, sondern eines seiner wichtigsten Anliegen, die ihn sein Leben lang beschäftigt haben. Ich will im Folgenden darstellen, was er hierzu gesagt und geschrieben hat, welche Wirkung er zu seiner Zeit, d.h. bis kurz vor Beginn des 1. Weltkrieges und der russischen Revolution 1917 hatte und inwieweit seine geschriebene und gelebte Botschaft – zumindest für mich – auch heute noch aktuell ist. Ich fange von hinten an, das heißt bei mir: Während meiner Militärzeit in Deutschland, die ich von 19681970 beim damals kasernierten und mit Kriegswaffen ausgerüsteten Bundesgrenzschutz an der Grenze zur DDR verbracht hatte, las ich aus einem mehr kulturellen als religiösen Interesse das Neue Testament und erfuhr dabei eine Art Umkehr in meinem bis dahin gültigen Denken: die Botschaft Jesu leuchtete mir ein; ich empfand sie weniger als ein Gebot des Glaubens als vielmehr der Vernunft und kündigte als erste Konsequenz meine freiwillig eingegangene Verpflichtung zum Waffendienst. Während des dann begonnenen Studiums verweigerte ich noch nachträglich als Reservist den Kriegsdienst. Für mich bedeutete diese Kriegsdienstverweigerung kein Mittel zur Vermeidung irgendwelcher Reserveübungen, sondern eine Lebensentscheidung zum Verzicht auf Gewalt in allen ihren Formen. Interessiert las ich deshalb damals alle Schriften Gandhis, die ich in deutscher Sprache erhalten konnte. In seiner Autobiographie schreibt er aus der Zeit vor 1910, als er als Rechtsanwalt in Südafrika politisch gegen die Apartheid kämpfte: „Tolstois ‚Das Reich Gottes ist inwendig in euch‘ überwältigte mich. Vor der Unabhängigkeit des Denkens, der tiefen Moralität und Wahrheitsliebe dieses Buches schienen alle mir von Coates gegebenen Bücher zur Bedeutungslosigkeit zu verblassen.“ Und später: „Ich studierte ferner intensiv Bücher Tolstois. Die ‚Kurze Darlegung der Evangelien‘, ‚Was sollen wir tun?‘ und andere Bücher machten tiefen Eindruck auf mich. Mehr und mehr begann ich, die unbegrenzten Möglichkeiten universaler Liebe zu erfassen.“6 Damit hatte ich für mich Tolstoi entdeckt und zwar zunächst nicht sein schriftstellerisches Werk, sondern seine religiösen, sozialkritischen und politischen Schriften, die heute fast ganz in Vergessenheit geraten und vom Büchermarkt verschwunden sind. Das war bis zu Beginn des ersten Weltkriegs 1914 noch anders: 1911, ein Jahr nach seinem Tod, schreibt ein deutscher Verleger im Vorwort zu mehreren Erzählungen aus dem Nachlass Tolstois: „Es ist wohl denkbar, dass die große Trilogie ‚Anna Karenina‘, ‚Krieg und Frieden‘ und ‚Auferstehung‘ eines Tages vergessen sein wird, Tolstois Lehre aber steht auf festerem Grund und hat die Herzen von Tausenden gewonnen […] er hat die Menschen gelehrt, die durch die kalte Vernunft gezogenen Grenzen zu überfliegen, sich über die Wirklichkeit zu erheben und den Sinn des Lebens in der Liebe zu finden. Es war seine Mission, die moralischen Geschwüre unserer Gesellschaft bis auf die Wurzeln zu sondieren und Ideale, die im Sterben zu liegen schienen, aus dem Staub empor zu heben und neu zu beleben. Die geistige Freude, von der er schrieb, […] war wirklich und wahrhaft in ihm und sie war die Quelle des hohen Idealismus, die ihn nicht nur zum Gewissen Russlands, sondern der ganzen zivilisierten Welt machte.“7 Doch zurück ins 19. Jahrhundert: Leo Tolstoi, 1828 in einer Familie des russischen Hochadels geboren, wird früh Waise, wächst bei seinen Tanten auf und wird seiner Gesellschaftsschicht entsprechend von französischen und deutschen Hauslehrern erzogen. In drei frühen Erzählungen hat er seine „Kindheit, Knabenalter, Jugendjahre“ dichterisch verarbeitet. Nach erfolglosem Studium begleitet er, 23 Jahre alt, seinen Bruder in den Kaukasus, wo die russische Armee schon damals Tschetschenen und andere dem Islam angehörende Bergvölker zu unterwerfen sucht. In mehreren Erzählungen schildert er seine ersten Kriegserfahrungen. Ihn bewegt die Frage, wie die Menschen das Töten und die Angst vor dem eigenen Tod verarbeiten. Zu Beginn seiner Erzählung „Der Überfall“ schreibt er 1851: „Der Krieg hat mich immer interessiert. Krieg nicht im Sinne der Kombinationen großer Feldherren, meine Fantasie weigerte sich stets, solchen großen Unternehmungen zu folgen; ich verstand sie nicht. Mich interessierte die Tatsache des Krieges an sich, das gegenseitige Töten. Es interessiert mich mehr, wie und von welchen Gefühlen getrieben ein Soldat den anderen tötet, als wie die Armeen bei Austerlitz oder Borodino verteilt waren.“ Nach Beginn des Krimkrieges (1853–1855) erlebt er als Artillerieoffizier die einjährige Belagerung der russischen Festung Sewastopol durch englische, französische und osmanische Truppen und schreibt drei Berichte aus der eingeschlossenen Stadt, die ihn in Russland berühmt machen. Es geht ihm darum, den Krieg nicht mit wehenden Fahnen und klingendem Spiel, sondern in seiner Realität des Leidens und Sterbens zu beschreiben. Die Art seiner Darstellung ist neu, realistisch. Er erzählt nicht nur das Geschehen im Stellungskrieg unter dauerndem Artilleriebeschuss vor der Stadt, sondern auch das Leiden im Lazarett, die Amputationen ohne Betäubung, aber auch die Eitelkeiten der höheren Offiziere, denen es auf der Promenade hinter der Front um Ruhm, Orden und Beförderung geht. Am Ende des zweiten Berichts, „Sewastopol im Mai 1855“, schreibt er: „Der Held meiner Erzählung aber, den ich mit der ganzen Kraft meiner Seele liebe, den ich in seiner ganzen Schönheit darzustellen bemüht war und der immer schön war, schön ist und schön sein wird, ist – die Wahrheit.“ Nach dem für Russland verlorenen Krieg kehrt Tolstoi 1855 auf sein Gut zurück. Bevor er etwa 1862 mit der Arbeit an seinem Werk „Krieg und Frieden“ beginnt, beschäftigt er sich mehrere Jahre intensiv mit Pädagogik und Erziehung. Er gründet auf seinem Gut eine freie Schule für die Kinder „seiner“ Bauern (erst 1861 wird in Russland die Leibeigenschaft aufgehoben). Auf zwei Reisen nach Westeuropa hospitiert er in vielen Schulen, besucht berühmte Pädagogen dieser Zeit und gibt eine eigene pädagogische Zeitschrift heraus. Seine unmittelbare Erfahrung als Lehrer der Bauernkinder erstreckt sich zwar nur auf wenige Jahre, aber die Arbeit an der Volksbildung verbindet sich mit seinem ganzen späteren Werk. Mit seinen „Russischen Lesebüchern“ und dem „Neuen ABC“ lernt bis zur Revolution 1917 ein Großteil aller russischen Schüler Lesen und Schreiben. Nach 1880 wird er mit seinen politischen Schriften und seinen Volkserzählungen schließlich zum Aufklärer des russischen Volkes. Etwa sechs Jahre, von 1862–1868 arbeitet Tolstoi an „Krieg und Frieden“. Für die darin beschriebene Epoche von 1806–1813 mit dem großen Krieg zwischen Russland und Napoleon legt er eigens eine Bibliothek mit etwa 700 Büchern an. Nach Tolstois ausdrücklicher Erklärung ist „Krieg und Frieden“ kein Roman. Mit dem realen Ablauf der politischen Geschichte verbindet sich zwar das romanhaft gestaltete Leben einer Reihe von russischen Adelsfamilien. Das Buch enthält aber auch eine historisch sehr genau recherchierte Geschichte dieser Zeit, außerdem philosophische Betrachtungen über die Ursachen der geschilderten politischen Ereignisse, immer in Wechsel mit Erzählungen über das Alltagsleben der höheren Gesellschaft, aber auch der einfachen Menschen, insbesondere im Militär. Das Buch hat nicht nur einen roten Faden, sondern viele, die sich im Fortgang der Erzählung zu einem Geflecht verbinden. Diese dezentrale Form im Aufbau entspricht der damit verbundenen Botschaft: Die menschliche Geschichte wird für Tolstoi entgegen der noch bis in unsere Zeit üblichen Darstellung nicht durch die „großen Männer“ bestimmt. Tolstoi entthront sowohl Zar Alexander als auch Napoleon und die ganzen höchsten Kreise, die sich als Lenker der Geschichte verstehen, ohne zu begreifen, dass sie es sind, die ihrerseits durch die Bewegung der jeweiligen Zeit getrieben werden: „Napoleon, den wir uns als Führer dieser ganzen Bewegung vorstellen (wie sich der Wilde vorstellt, dass die Figur, die an der Bugspitze eines Schiffes ausgesägt ist, die Kraft ist, die das Schiff führt), Napoleon war in dieser ganzen Zeit seiner Aktivität wie ein Kind, das sich einbildet, es lenke seinen Wagen, weil er sich an den Bändern hält, die im Inneren des Wagens angebracht sind.“ Der Antiheld des russischen Krieges gegen die Armee Napoleons ist gerade der in der russischen Geschichtsschreibung bis Tolstoi als Zauderer geschmähte alte Feldherr Kutusow, der nach Möglichkeit allen Schlachten ausweicht, mit dem russischen Heer zurückweicht, sogar Moskau preisgibt und auch beim Rückzug Napoleons...


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