E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Haller Aarauer Finsternis
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96041-492-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-96041-492-6
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Enrico Bianchi, Eigentümer des aargauischen Pharmaunternehmens JuraMed und Andrinas neuer Lebenspartner, verschwindet spurlos. Steckt Enricos zwielichtiger Jugendfreund dahinter? Oder hat Andrinas ehemaliger Verlobter Marco Feller von der Kripo Aargau etwas damit zu tun? Da sie nicht weiß, wem sie trauen kann, macht Andrina sich auf eigene Faust auf die Suche und gerät dabei in Lebensgefahr.
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ZWEI
Andrina streifte die Sandalen ab und lief über den kühlen Rasen zu dem Sitzplatz am kleinen Teich. Sie genoss es, wenn sie in Enricos Garten war. Das Grün um sie herum fehlte ihr besonders, seit sie mit Gabi in einer Wohnung lebte. Sie liess sich auf das bequeme Sofa fallen und schaute zum Haus. Da alles grün war und blühte, fiel ihr auf, wie sich alles verändert hatte. Letzten Herbst hatte er beschlossen, den Garten und die Hausfassade neu zu gestalten. Den Job hatte er Andrina übertragen, und sie war mit dem Gärtner zusammengesessen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Der Efeu war von der Fassade verschwunden. Diese war in einem hellgelben Ton gestrichen worden, zu dem das Blau der Fensterläden passte. Der Garten wirkte wie ein Park im Miniformat, mit dieser gemütlichen Sitzecke und einem Hängekorb unter dem Kirschbaum. Büsche zu den Nachbargrundstücken gaben Sichtschutz. Bei den einzelnen kleinen Beeten hatte Andrina bei der Bepflanzung darauf geachtet, dass das ganze Jahr hindurch eine oder mehrere Pflanzen blühten – so wie im Moment die Bartblume, der Lavendel und die Rosen, die bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr Blüten hatten und einen süssen Duft verströmten. Andrina streckte die Beine aus. Heute war das Rückenturnen, das sie seit einem Jahr zweimal in der Woche besuchte, anstrengend gewesen. Ihr Blick wanderte zur Terrasse. Letzte Nacht war Aarau von Gewittern verschont geblieben. Sie sollte sich endlich aufraffen und die Pflanzen in den Kübeln giessen. Wenn Enrico unterwegs war, übernahm sie diesen Job. Ihr Handy klingelte. «Ciao, Bella.» Enrico klang unbeschwerter als am Morgen, als sie miteinander gesprochen hatten, nachdem er Bescheid gegeben hatte, in Basel angekommen zu sein. Er war spät dran, weil er im Stau gestanden war, und hatte gleich zu seinem ersten Meeting gemusst. «So wie es aussieht, war der Dieb gestern nicht im Gebäude. Es scheint, als habe ihn der Alarm verjagt», hatte er kurz erzählt. Er hatte berichtet, wie lange sich die Abklärungen und Befragungen in der vergangenen Nacht hingezogen hatten. «Sie gehen davon aus, dass der Einbrecher Medikamente stehlen wollte. So weit ist es zum Glück nicht gekommen. Die kurze Nacht steckt mir in den Gliedern. Ich war erst um kurz vor drei Uhr zu Hause.» Andrina hatte gehört, wie er unterdrückt gegähnt hatte. «Ich melde mich am Nachmittag», hatte er zum Abschied gesagt. Aus Nachmittag war nun offenbar Abend geworden. «Wo bist du?», fragte Enrico. «Ich geniesse die Kühle deines Gartens und wollte mich um die Terrassenpflanzen kümmern. Wie läuft es auf dem Kongress?» «Es ist anstrengend. Aber um diesen Ärztekongress komme ich nicht herum.» Enrico lachte leise. «Ich hatte einige Meetings, und die sind gut verlaufen.» Er berichtete von den Gesprächen, die er geführt hatte. «Wie du weisst, gibt es morgen als Abschluss dieses Gala-Nachtessen.» Andrina verkrampfte sich, da sie wusste, was als Nächstes kommen würde. Bisher war sie darum herumgekommen, als Frau an der Seite des JuraMed-Eigentümers aufzutreten. «Die Einladung bezieht sich auch auf die Partnerin», fuhr Enrico fort, als Andrina nichts erwiderte. Das hatte er bereits gesagt, als er Andrina davon berichtet hatte. Da Andrina sich nicht dazu geäussert hatte, hatte er es nicht vertieft, wofür sie ihm dankbar gewesen war. «Es wäre mir wichtig», sagte er leise. «Ausserdem ist morgen Freitag – ideal für einen Ausgang.» «Okay», hörte Andrina sich sagen, obwohl sie es nicht wollte. «Danke.» Freude schwang in seiner Stimme mit. «Ich hole dich morgen Nachmittag ab. So musst du nicht mit dem Zug kommen.» «Ist gut», murmelte sie. Sie rechnete es ihm hoch an, weil er den Weg von Basel nach Aarau und zurück auf sich nahm. Kurz setzte Schweigen ein, bevor Enrico das Wort ergriff. «Wo wir gerade dabei sind. Begleitest du mich auch am Montagnachmittag? Wie du weisst, ist da die Einweihung unseres Anbaus mit den neuen Büroräumen.» Eine kurze Pause folgte, als warte Enrico auf eine Antwort. «Ich weiss, es ist ein wenig viel im Moment», fügte er hinzu, als Andrina weiter schwieg. «Das wird sich zum Glück bald ändern. Spätestens im Herbst, wenn wir in die Ferien fahren.» Wo es hingehen sollte, wusste sie nicht. Enrico hatte ihr erklärt, sie überraschen zu wollen. «Klar komme ich am Montag mit», sagte sie und bemühte sich, locker zu klingen. «Du bist ein Schatz», sagte er. Seine Erleichterung konnte Andrina deutlich spüren. Das neue Schweigen wurde unangenehm, und sie suchte nach einer Möglichkeit, es zu brechen. «Hast du mit Köbi sprechen können?», fragte sie. «Leider nicht. Er nimmt nach wie vor das Telefon nicht ab. Es ist, als weiche er mir aus.» «Das würde ich an seiner Stelle auch. Hast du es von einem anderen Telefon aus versucht?» «Von einem anderen Telefon?», wiederholte Enrico. «Er kennt deine Nummer. Daher nimmt er nicht ab.» «Das ist eine gute Idee. Die andere Möglichkeit ist, bei ihm vorbeizuschauen, wenn die Messe zu Ende ist. So möchte ich das nämlich definitiv nicht im Raum stehen lassen.» «Ich möchte auch etwas nicht länger im Raum stehen lassen», sagte Andrina. «Jetzt, da du nicht zu einer Befragung oder zu einem Meeting musst.» «Das ist?» Enrico wirkte erstaunt. Er musste den Nachdruck gespürt haben, mit dem Andrina das gesagt hatte. «Wer ist Sergio Moretti, und was wollte er?» Stille. Es war, als hätte jemand den Ton ausgeschaltet. Andrina merkte, wie sie den Atem anhielt. «Das ist eine Angelegenheit, über die ich nicht am Telefon sprechen möchte.» «Ist er –» «Bitte, Andrina, nicht am Telefon. Darüber möchte ich in Ruhe mit dir reden», unterbrach er sie. Immerhin hatte er «mit dir» gesagt. Das hiess, er würde nichts verheimlichen. Geheimnisse gab es bisher nicht zwischen ihnen. Zumindest hoffte Andrina das. Genauso hoffte sie, er meinte es ehrlich, wenn er sagte, er wolle mit ihr darüber reden, und suchte nicht nach Gründen, es vor sich herzuschieben, oder nach neuen Ausreden. Für den Moment würde sie nicht mehr aus ihm herausbekommen. So viel stand fest. Daher beliess sie es dabei und berichtete über ihren Tag im Verlag. Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, kehrte Andrina zur Terrasse zurück. Sie füllte die Giesskanne. «Das überlässt du besser mir.» Andrina fuhr herum. «Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.» Beschwichtigend hob Kurt Marquart die Hände. «Kein Problem.» «Du sollst nicht die schwere Wasserkanne schleppen.» «Das ist kein Problem für mich.» Wie froh war Andrina, das inzwischen so selbstverständlich sagen zu können. «Trotzdem.» Marquart nahm Andrina die Giesskanne ab. Andrina musterte den hageren, drahtig gebauten Rentner, der ihnen im Garten half. Früher war er Feller zur Hand gegangen, aber dieser hatte ihn im Winter wissen lassen, sich fortan selbst um den Garten kümmern zu wollen. Für Marquart war es ein grosser Verlust. Er liebte die Gartenarbeit. «Sie hält mich jung», hatte er Andrina einmal anvertraut. Tatsächlich sah man ihm sein Alter nicht an. Regelmässig wurde er um zehn Jahre jünger geschätzt, als er in Wirklichkeit war. Er hatte Andrina angerufen, ob sie jemanden kenne. Kurzerhand hatte Enrico ihn eingestellt. Für den frisch im Herbst umgestalteten Garten könne er gut jemanden gebrauchen, da Andrinas Rücken nicht wieder für Gartenarbeit hergestellt war. Marquart stellte die Kanne auf den Boden. «Eigentlich wollte ich schauen, ob ich Unkraut jäten kann, aber der Boden ist zu trocken und zu hart.» «Möchtest du etwas trinken?» «Gerne einen Schluck Wasser.» Nachdem Andrina eine Karaffe und zwei Gläser auf den Terrassentisch gestellt hatte, liess sich Marquart mit einem Aufseufzen auf einen der Stühle sinken. «Das tut gut.» Er musterte Andrina. «Darf ich dich etwas fragen?» «Kommt darauf an», erwiderte Andrina lächelnd. «Wann zieht ihr endlich zusammen?» Die Frage brachte Andrina aus dem Gleichgewicht. «Entschuldige meine Direktheit, aber habt ihr nicht lange genug gewartet?» Andrina war unfähig zu antworten. Sie fragte sich, warum Marquart ausgerechnet dieses Thema anschnitt. «Ich weiss, wie schwer du dich damit tust, dich nach deiner Beziehung mit Marco zu öffnen. Du möchtest keinen zu dicht an dich heranlassen, weil du Angst hast, ihn zu verlieren.» Normalerweise liebte Andrina Marquart für seine Direktheit. Aber jetzt verwünschte sie ihn, weil er den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. «Ich möchte es nicht überstürzen.» «Das kann ich verstehen. Ich möchte dir nicht zu nahe treten. Zu lange warten darf man nicht. Du weisst nicht, was morgen ist.» Trauer huschte über sein Gesicht. Auf einmal wurde Andrina bewusst, welcher Tag heute war und warum Marquart schwarz gekleidet war. Heute vor zehn Jahren war seine Frau unerwartet gestorben. «Eben stand sie noch am Herd, und einen Augenblick später lag sie auf dem Boden», hatte er Andrina erklärt. Im Spital war sie am selben Tag an den Folgen einer Lungenembolie gestorben. Keiner hatte die Anzeichen dafür gesehen. Besonders Marquart gab sich die Schuld, weil er seiner Frau nicht hatte helfen können. Abrupt stand er auf. «Ich mache hier fertig», sagte er und verschwand mit der Giesskanne um die Hausecke, um gleich nochmals aufzutauchen. «Enrico ist nicht Marco, auch wenn die beiden Brüder – na ja, Halbbrüder sind.» «Das bedeutet nicht, dass es automatisch gut geht.» «Er tut dir gut....




