E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: Kantonspolizei Aargau
Haller Der Fluch von Aarau
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-96041-329-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminlaroman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Reihe: Kantonspolizei Aargau
ISBN: 978-3-96041-329-5
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der 6. Fall für Andrina Kaufmann
Andrina gerät in ernsthafte Schwierigkeiten: Nachdem sie und ihr Verlobter Marco Feller, Leiter der Kripo Aarau, eine Beziehungspause eingelegt haben, wird sie bewusstlos neben der Leiche einer jungen Frau gefunden. Als Andrina erwacht, kann sie sich an nichts erinnern. Ist sie die Täterin? Als sie verzweifelt versucht, ihre Erinnerung zurückzuerlangen, überlebt sie nur knapp einen Mordanschlag. Wer ist hinter ihr her? Und vor allen Dingen: Warum?
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ZWEI Langsam wurde es heller. Andrina wehrte sich. Sie wollte nicht aufwachen, sondern in ihrem warmen Kokon bleiben. Gerüche drangen in ihr Bewusstsein. Beissend. Unangenehm. Eindeutig Desinfektionsmittel. Mit der rechten Hand tastete Andrina über die Fläche, auf der sie lag. Weich. Sie öffnete die Augen und starrte an eine weisse Decke. Vorsichtig drehte sie den Kopf. Sie erblickte einen Infusionsständer, an dem ein Beutel mit einer durchsichtigen Flüssigkeit hing. Sie brauchte einige Sekunden, um zu verarbeiten, was sie sah. Andrina betrachtete ihre Hände. In der linken steckte eine Infusionsnadel. Sie hob den Arm ein Stück weiter. Der weisse Ärmel des Spitalhemdes rutschte nach unten. Sie wackelte mit den Zehen und zog die Beine an. Alles liess sich bewegen. Einzig in ihrem Kopf pochte es. Es fühlte sich wie ein unterdrückter Schmerz an. Mit der rechten Hand tastete sie sich an die Stirn. Ein Verband. Vorsichtig fuhr sie den Verband entlang. Was war passiert? Sie grub in ihrem Gedächtnis. Leere. Das Unwissen verunsicherte sie. Das Einzige, an das sie sich erinnerte, war ein Licht. Gesichter, die sich über sie gebeugt hatten. Wann war das gewesen? Sie drehte den Kopf auf die andere Seite. Niemand sonst war im Raum. Panik brandete auf. Sie wollte nicht alleine sein. Sie brauchte Klarheit. Feller. Wo war er? War er dabei gewesen, als … was auch immer … passiert war? Andrina grub weiter im Gedächtnis. Waren sie mit dem Auto unterwegs gewesen? Andrina erschrak. War er verletzt oder gar …? Nicht weiterdenken. Er würde bestimmt gleich kommen. Gemeinsam würden sie Licht in das Dunkel bringen, das in ihrem Kopf herrschte. Andrinas Blick wanderte zum Fenster. Draussen regnete es. Äste schwankten hin und her. Sie waren nicht zusammen unterwegs gewesen. Oder doch? Marco, wo bist du, fragte sie lautlos. Geht es dir gut? Andrina drehte den Kopf zurück und starrte auf die Tür. Marco … Was war an diesem Gedanken falsch? Sie hob ihre Hände. Der Ring war weg. Feller hatte ihn ihr gegeben, als sie sich im Frühling verlobt hatten. Sie tastete mit der Hand an ihren Hals. Die Kette war nicht da. Das ist logisch, versuchte sie sich zu beruhigen und schloss die Augen. Die Sachen hatte man ihr abgenommen, als sie im Spital angekommen waren. Die Ärzte würden sie zu ihren privaten Sachen gelegt haben. Sie wurde schläfrig. Sogleich fuhr ihr ein Schreck in die Glieder. Feller – sie waren nicht mehr zusammen. Nach den Ereignissen rund um das Pharmaunternehmen JuraMed und Fellers Halbbruder Enrico Bianchi waren sie sich nicht sicher gewesen, ob sie ihre Beziehung fortsetzen konnten oder ob zu viel kaputtgegangen war. Gemeinsam hatten sie eine Beziehungspause für sechs Monate beschlossen. Feller hatte sie gebeten, solange nicht aktiv den Kontakt zu suchen. Nach und nach war sie sich klar geworden, Feller immer noch zu lieben. Sie hatte sich dennoch an seinen Wunsch gehalten und gehofft, es werde sich einrenken. Vor knapp drei Wochen hatte Feller allerdings diese SMS geschickt. Andrina dachte an den seltsamen Wortlaut. Es gab keine Anrede. «Vielleicht ist es wirklich das Beste, wenn wir unsere Beziehung beenden», stand da als erster Satz. Im Anschluss wünschte er ihr alles Gute, und das war es. Er war zu feige gewesen, es ihr persönlich zu sagen. Sie hatte ihn angerufen. Kurz und knapp hatte er erklärt, er wolle in Ruhe gelassen werden, und hatte aufgelegt, bevor Andrina etwas hatte erwidern können. Fellers Trennung hatte ihr den Boden unter den Füssen weggezogen. Nur die Routine des Alltags hatte sie am Morgen aufstehen lassen. Ihre Schwester, bei der sie seit dem Sommer wohnte, hatte versucht sie zu trösten. Es sei besser so, hatte Seraina gesagt. Andrina konnte dem nichts Positives abgewinnen und schlich weiterhin wie ein Gespenst durch den Tag – sehr zum Missfallen ihrer Schwester. Die Diskussionen, die sie beinahe täglich mit Seraina führte, drängten in den Vordergrund. Nicht jetzt. Andrina schob sie zur Seite. Ein anderer erschreckender Gedanke blitzte auf. War die Trennung von Feller der Grund, weshalb sie hier war? So ein Blödsinn, beantwortete sie die Frage selber. Sie blickte zum Fenster und musterte die Bäume. Welches Datum war überhaupt heute? Wie sollte sie das wissen, wenn sie nicht wusste, wie lange sie bereits hier war. Es klopfte. Ein Mann in einem weissen Kittel trat ein. Er musste Ende zwanzig sein. «Wie schön, Sie wach zu sehen», rief er. Bei dem Satz schwang etwas zwischen den Zeilen mit, das Andrina nicht einordnen konnte. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. «Ich bin Jonas Bertram, Assistenzarzt. Wie fühlen Sie sich?» Andrina starrte den Mann an. Bekannt kam er ihr nicht vor. «Haben Sie Schmerzen?», fragte er weiter, als Andrina nichts sagte. «Ein wenig, aber sie lassen sich aushalten.» «Wenn sie stärker werden, melden Sie sich bitte. Wir können Ihnen mehr Schmerzmittel geben. Bevor ich es vergesse. Hier ist etwas, das Ihnen in der Notaufnahme abgenommen worden ist.» Er kramte in der Tasche seines Kittels und hielt Andrina eine Lappengoldkette hin. Andrina starrte die Kette an, ohne sie zu nehmen. Hatte sie die etwa getragen? Richtig, Feller hatte in der SMS nur den Ring – ein Familienerbstück, das seine Mutter bereits zu ihrer Verlobung getragen hatte – zurückverlangt. Ihr kam in den Sinn, sich gewundert zu haben, weil er nicht die Kette wiederhaben wollte, die er ihr im Sommer als verfrühtes Geschenk zur Hochzeit überreicht hatte. Vermutlich hatte er nicht daran gedacht, und freiwillig wollte Andrina ihm die Kette nicht zurückgeben. Ein Andenken an die glückliche Zeit mit ihm wollte sie behalten. Wenn er sie wiederwollte, musste er es explizit sagen. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie blinzelte sie weg. «Ist das nicht Ihre Kette?», fragte Bertram, der verstört wirkte. «Doch, doch.» Andrina hob die Hand, und Bertram liess die Kette hineingleiten. Andrina betrachtete das unregelmässige Viereck und fuhr mit dem Zeigefinger die Kanten entlang. Bertram holte eine kleine Taschenlampe aus seinem Kittel. «Darf ich Ihnen kurz in die Augen leuchten?» Als Andrina nickte, beugte er sich über sie und hielt das rechte Lid fest. Tränen schossen in ihre Augen, als er den Lichtstrahl in ihr rechtes Auge richtete. Nachdem er das Gleiche beim linken Auge wiederholt hatte, steckte er die Lampe weg. «Das sieht gut aus. Die zuständige Pflegeschwester hat mir bei der Übergabe vorhin gesagt, Ihr Zustand habe sich weiter stabilisiert. Sie waren heute Morgen kurz wach und haben mit ihr gesprochen. Das ist erfreulich.» War sie das tatsächlich gewesen? Wieso sprach er mit ihr in diesem sanften Tonfall, als sei sie ein Kind, oder bildete sie sich das ein? «Ihre Schwester war heute Morgen da. Sie war erleichtert, Sie wach gesehen zu haben.» Sie hatte mit Seraina gesprochen? Auch das wusste Andrina nicht mehr. «Sie hat sich grosse Sorgen um Sie gemacht. So konnten wir sie beruhigen.» Bertram nickte, als wolle er das Gesagte unterstreichen. Die Worte prasselten gegen Andrina, und sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren. «Nachdem Ihre Schwester gegangen ist, sind Sie eingeschlafen. Sie werden die nächsten Tage viel schlafen und müde sein. Das ist normal. Haben Sie Hunger?» «Nein.» «Sie waren stark unterkühlt und haben eine Gehirnerschütterung.» Unterkühlung? Wovon sprach der Mann? Andrina fühlte sich verunsichert. Sie tastete nach dem Verband. «Die Wunde am Haaransatz oberhalb der Schläfe haben wir genäht. Keine Sorge, die Narbe wird kaum zu sehen sein. Sie werden sich einige Tage schonen, das heisst Bettruhe wegen der Gehirnerschütterung. Zum Glück gab es keine weiteren Befunde.» «Was für Befunde?» «Keine Blutungen oder ein Schädelbruch. Sie hatten grosses Glück.» «Was ist überhaupt passiert?» Auf einmal hatte sie das Gefühl, er rede um den heissen Brei herum. Warum sagte er nicht, was vorgefallen und warum sie hier war? War das nicht das Erste, über das man einem Patienten neben seinem Gesundheitszustand Auskunft gab? Er schwieg. Andrina war zunehmend beunruhigt. «Hatte ich einen Unfall?» «Sie wissen nicht, was vorgefallen ist?» Bertram wirkte schockiert. Falsch, schockiert stimmte nicht. Er war eher überrascht, weil Andrina ihm diese Frage stellte. «Nein. Das Letzte, was ich weiss, ist, dass ich auf der Terrasse bei meiner Schwester sass.» Bertram runzelte die Stirn. «Wieso sagen Sie meiner Schwester?», fragte er misstrauisch. «Wissen Sie nicht, wie sie heisst?» Was für eine seltsame Frage, dachte Andrina. «Seraina Steiger.» Ihr wurde bewusst, wie monoton sie sprach. Sein linker Mundwinkel zuckte leicht. Hielt er Andrina für unzurechnungsfähig? Das war es nicht. Der junge Arzt wirkte, als sei er mit der Situation überfordert. Deutlich sah Andrina, wie es in seinem Kopf arbeitete. «An das, was nach der Terrasse geschah, können Sie sich nicht erinnern?» «Nein. Warum bin ich hier? Hatte ich einen Unfall?», wiederholte Andrina. Unfall. Im Kopf liess sie das Wort Buchstabe für Buchstabe vorbeigleiten. Ein neuer Gedanke nahm Gestalt an, und Andrina erschrak. «Habe ich einen Unfall verursacht? Ich meine, einen Verkehrsunfall oder so. Wurde eine weitere Person dadurch verletzt?» Oder war diese Person gar gestorben? Das Pochen hinter der Stirn verstärkte sich. Hatte sie ein Menschenleben auf dem Gewissen? «Wie kommen Sie...




