E-Book, Deutsch, Band 5, 221 Seiten
Reihe: Die Norwegen-Saga
Hammer Die Nordwind-Saga - Das Vermächtnis
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-595-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman | Die Norwegen-Saga, Band 5: Eine dramatische Frauensaga aus Skandinavien
E-Book, Deutsch, Band 5, 221 Seiten
Reihe: Die Norwegen-Saga
ISBN: 978-3-98952-595-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Elisabeth Hammer ist eine norwegische Autorin, die sich für ihre Geschichten von Natur, Musik und Träumen inspirieren lässt. Sie setzt sich für die Schwachen in der Gesellschaft ein und hat ein großes Herz für Tiere und Kinder. In ihrer Freizeit liest sie gerne alles von Fantasy bis hin zu Kriminalromanen, schaut Fernsehserien oder Fußball und unternimmt lange Spaziergänge. Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Norwegen-Saga mit den Bänden »Die Nordwind-Saga - Das Findelkind«, »Die Nordwind-Saga - Die Verlobung«, »Die Nordwind-Saga - Die Rivalen«, »Die Nordwind-Saga - Das brennende Haus« und »Die Nordwind-Saga - Das Vermächtnis«.
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Kapitel 1
Gemeinde Bratsberg, Ende August 1855
Dunkelheit umgab sie. Rakel fühlte nichts. Dann einen dumpfen Schmerz in der Brust.
Sie erbrach Wasser. Es rann ihr aus der Nase und dem Mund, während sie gleichzeitig nach Luft schnappte. Obwohl ihre Kehle und die Nasenflügel brannten, war das Gefühl wunderbar. Sie konnte wieder atmen!
Noch einmal würgte sie Wasser heraus, allerdings schon weniger, und dann legte sich der Brechreiz allmählich. Sie sank hustend und erschöpft in sich zusammen. Es dauerte einen Augenblick, bis sie wieder klar denken konnte. Erst als der Husten aufhörte, erinnerte sie sich daran, was geschehen war.
Jemand hatte versucht, sie zu erschießen!
Rakel schob sich auf die Knie. Seichtes Flusswasser strömte über ihre Hände, aber sie befand sich am sicheren Ufer. Wie war sie hierhergekommen? Ihre letzte Erinnerung bestand daraus, dass sie in die Tiefe gesunken war. Sie hatte sich nicht mehr nach oben kämpfen können. Dann war Wasser in ihre Lungen gedrungen, und alles war schwarz geworden.
Furcht durchbebte ihren Körper, als sie daran zurückdachte, und sie schluchzte laut auf. Als sie sich erheben wollte, bewegte sie sich wohl zu schnell, denn ihr wurde ganz schwindelig. Die Angst pochte in ihren Adern, sodass ihr das Denken schwerfiel. Aber eines war völlig klar: Sie musste weiter, bevor er sie finden konnte.
Also versuchte Rakel, sich zu orientieren, auch wenn ihr Kopf immer noch benebelt war. Der Fluss rauschte dröhnend an ihr vorbei, und ihr Blick folgte der Strömung. Da sah sie, dass das Wasser in nächster Nähe über eine Klippe stürzte. Zittrig griff sie nach dem Ast eines kleinen Baums und lehnte sich über die Felskante. Der Fluss donnerte abwärts und landete in einem Bett aus großen Findlingen. Rakel spürte die Gischt wie winzige Regentropfen gegen ihre Haut sprühen. Der Fluss setzte seinen Weg durch wilde Stromschnellen fort.
Ihr wurde ganz schwummerig, als sie sich vorstellte, was mit ihr hätte passieren können. Wenn sie den Wasserfall hinabgestürzt wäre, hätte sie sich alle Knochen gebrochen. Es war reines Glück gewesen, dass sie stattdessen am Ufer angespült worden war. Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Körper. Als sie ausatmete, bildete sich eine Wolke aus Frost vor ihrem Mund. Sie musste hier weg und einen Unterschlupf finden. Mit den Augen suchte sie die Umgebung des Flusses ab.
Wo um alles in der Welt war sie gelandet? Sie konnte den Felsvorsprung nicht mehr sehen, von dem sie sich hinabgestürzt hatte, genauso wenig wie das Wasserbecken darunter. Anscheinend hatte der Fluss sie ein ganzes Stück mitgeschwemmt. Ein fröstelnder Schauer durchlief ihren Körper. Sie war von einer Klippe gesprungen, weil ein Mann auf sie geschossen hatte.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie für einen Verfolger hier leicht zu sehen war. Er hatte sich auf dem Felsvorsprung direkt hinter ihr befunden, also konnte er nicht weit sein. Sie musste Schutz im Wald suchen, wo es mehr Versteckmöglichkeiten gab.
Sie wandte sich vom Fluss ab und erstarrte. Direkt hinter ihr lag ein Mann am Ufer! Erschrocken wich sie zurück, doch blieb gleich wieder stehen, als ihre Füße im Wasser landeten. War der Mann tot? Doch kaum hatte sie das gedacht, fing er an zu husten. Rakel zuckte zusammen. Er war dabei, aufzuwachen. Sie wollte weglaufen, rutschte jedoch schon bei den ersten Schritten auf einem nassen Stein aus und fiel hin. Hastig rappelte sie sich wieder auf und warf einen verzweifelten Blick auf die Gestalt hinter sich. Wer war er? Etwa der Mann, der auf sie geschossen hatte? Seine vom Wasser dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht. Aber als er den Kopf hob, erkannte sie Vogt Bergan!
Er war genauso durchnässt wie sie. Das weiße Hemd klebte ihm am Leib, und er rang nach Luft. Doch als er sich aufrichtete, begann Rakel zu zittern. Denn unter ihm lag ein Gewehr.
Sie blinzelte ungläubig, als habe sie sich den Anblick nur eingebildet. Doch leider hatte sie richtig gesehen. In ihrer Brust brannte es schmerzhaft, und Tränen wollten ihr in die Augen treten. Wieso war er hier? Mit einer Schusswaffe? Furcht und Verzweiflung wogten durch ihren Körper, während sie sich an Herrn Disens Anklagen erinnerte. Er hatte behauptet, Bergan sei beauftragt worden, jemanden aus dem Weg zu räumen. Da hatte sie seine Worte noch für verrückt gehalten, weil Ask Bergan zu so einer Tat niemals fähig wäre.
Hatte sie sich geirrt? Wieder fiel ihr Blick auf die Waffe, und plötzlich war ihr alles klar. Sein Auftrag lautete, sie zu ermorden.
»Du«, sagte sie rau. »Das warst du!« Ihre Stimme bebte, und weitere Worte brachte sie nicht heraus. Stattdessen wankte sie wieder auf den Wald zu. Sie musste weg und sich zwischen den Bäumen und Büschen verstecken. Das war ihre einzige Chance.
»Rakel!«, keuchte er. »Warte!«
Er rappelte sich auf und kam näher. Rakel versuchte zu rennen, doch ihr nasses Kleid war schwer und klebte ihr an den Beinen. Schon bald hatte er sie eingeholt. Er packte sie um die Taille und wollte sie an sich ziehen.
»Lass mich los!«, schrie sie, und ihre panische Angst wurde von rasender Wut verdrängt.
Das Gefühl überrollte sie wie eine Woge, und sie sprühte vor Zorn. Jetzt ging es ums nackte Überleben: der Vogt oder sie. Kampflos würde sie jedenfalls nicht aufgeben! Ohne darüber nachzudenken, drehte sie sich ruckartig um und presste die Handflächen gegen seine Brust. Dann schob sie ihn mit aller Kraft weg.
Zu ihrer Überraschung löste sich sein Griff. Bergan wurde fortgeschleudert, ohne sich dagegen wehren zu können. Er stürzte rücklings zu Boden, als habe sie mit einem Vorschlaghammer zugeschlagen, und landete hart auf den Felssteinen, wo das Wasser am Ufer leckte. Rakel sah, dass er vor Schmerz das Gesicht verzog, und wartete lieber nicht darauf, wie es mit ihm weitergehen würde. Sie raffte ihren nassen Rock hoch und rannte den Hang hinauf auf den Wald zu.
Als sie zwischen Bäumen und Büschen angelangt war, wagte sie einen Blick über die Schulter. Bergan kauerte auf den Knien im seichten Wasser und hielt die Hände auf die Brust gepresst. Anscheinend hatte sie ihm übel mitgespielt, doch das tat ihr nicht leid. Jetzt hatte sie vielleicht eine Chance.
Sie lief weiter in den Wald hinein, doch bald wurde ihr klar, dass diese Art zu fliehen sinnlos war. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand, und Bergan würde bestimmt schnell wieder auf die Beine kommen. Er war ein ausgezeichneter Spurenleser. Also, was sollte sie tun? Immerhin war sein Gewehr nass geworden, und er konnte es nicht mehr benutzen. Doch davon würde er sich bestimmt nicht aufhalten lassen. Er hatte schließlich immer noch zwei starke Arme. Falls er Rakel in die Hände bekam, war alles vorbei.
Sie lief, so schnell sie konnte, obwohl es nicht einfach war. Durch das Gestrüpp aus hoher Besenheide und Blaubeerbüschen war kaum ein Durchkommen, sodass sie sich mehrmals verfing und stolperte. Nun kehrte die Angst zurück. Während ihr Zorn nachließ, schwanden auch ihre Kräfte. Sie spürte ein Brennen in der Brust und schmeckte Blut im Mund, als sie eine Böschung hochkraxelte. Dann schwanden ihr die Kräfte. Ihr Atem ging pfeifend, und ihre Beine schmerzten von oben bis unten.
Sie hatte keine andere Wahl, als einen Moment lang auszuruhen. Mit letzter Kraft fand sie ein Versteck hinter einem großen Felsen und hohen Farnwedeln. Dort sank sie zusammen und brach in Tränen aus.
Bergan hatte versucht, sie zu ermorden! Ausgerechnet, nachdem er ihr Vertrauen gewonnen hatte. Sie hatte sogar begonnen, ihn als echten Freund zu betrachten, und zum Dank hatte er sie verraten. Diese Einsicht war so schmerzhaft, dass sie es fast nicht glauben wollte. Trotz allem, was sie über ihn gehört hatte, war sie überzeugt gewesen, dass er im tiefsten Inneren ein guter Mensch war. Wie hatte sie sich so in ihm täuschen können?
Doch jetzt blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln. Die Pause hatte ausgereicht, damit sie wieder zu Atem kam, und sie musste weiter. Bergan war es gewohnt, Leute aufzuspüren. Er wusste bestimmt, wie er sie finden konnte.
Vorsichtig stand sie auf und sah über den Felsen, hinter dem sie sich versteckt hatte. Sie ließ den Blick durch den Wald schweifen. Obwohl nichts Verdächtiges zu sehen war, ahnte sie, dass ihr Verfolger sich in der Nähe befand. Der Wald um sie herum war völlig still, und dann erklang ein lautes Vogelzwitschern zwischen ihr und dem Fluss. Das Tier war aufgeschreckt worden und stieß einen Warnruf aus. Rakel zuckte zusammen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Bestimmt hatte der Vogel bemerkt, wie Bergan näherkam.
Sie wollte gerade tiefer in den Wald eindringen, fort vom Fluss, als Bergans Stimme scharf und fremd die Stille des Waldes durchschnitt: »Rakel?«
Herr im Himmel! Er war viel näher, als sie gedacht hatte! Rakel duckte sich und versuchte, sich möglichst nicht zu rühren.
»Wo bist du? Wir müssen reden!«
Rakel gab keine Antwort. Ihr war klar, was er damit bezweckte. Der Vogt hielt sie für naiv und leichtgläubig, doch diesmal würde sie nicht auf ihn hereinfallen. Er hatte zwei Mal auf sie geschossen, und sie war nur durch reines Glück unverletzt geblieben. Natürlich würde sie ihm nicht verraten, wo sie steckte.
Jetzt hörte sie auch seine Schritte. Der Hang war voller trockener Blätter, die unter seinen Füßen prasselten. Während er näher kam, machte er keinen Versuch, sich zu verbergen.
Dann wurde es plötzlich still. Rakel hielt den Atem an. War er stehengeblieben, um zu entscheiden, wohin er weitergehen sollte, oder hatte er sie bereits entdeckt?
Die Antwort bekam sie sofort.
Ein Schatten fiel über den Felsen, hinter dem...