E-Book, Deutsch, Band 2, 214 Seiten
Reihe: Die Norwegen-Saga
Hammer Die Nordwind-Saga - Die Verlobung
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-362-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman | Die Norwegen-Saga, Band 2: Eine mutige Frau - und der Preis, den das Schicksal fordert ...
E-Book, Deutsch, Band 2, 214 Seiten
Reihe: Die Norwegen-Saga
ISBN: 978-3-98952-362-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Elisabeth Hammer ist eine norwegische Autorin, die sich für ihre Geschichten von Natur, Musik und Träumen inspirieren lässt. Sie setzt sich für die Schwachen in der Gesellschaft ein und hat ein großes Herz für Tiere und Kinder. In ihrer Freizeit liest sie gerne alles von Fantasy bis hin zu Kriminalromanen, schaut Fernsehserien oder Fußball und unternimmt lange Spaziergänge. Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre Norwegen-Saga mit den Bänden »Die Nordwind-Saga - Das Findelkind«, »Die Nordwind-Saga - Die Verlobung«, »Die Nordwind-Saga - Die Rivalen«, »Die Nordwind-Saga - Das brennende Haus« und »Die Nordwind-Saga - Das Vermächtnis«.
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Kapitel 1
Skoppum, Ende Juni 1855
Blanker Schrecken füllte Rakels Brust und nahm ihr den Atem. Der Vogt stand direkt vor ihr. Er hatte sie festgekettet, und obwohl die Handschellen ihr eine gewisse Bewegungsfreiheit ließen, gab es keinen Ausweg. In ihr zog sich alles zusammen. Sie wich so weit zurück, wie sie konnte, bis sie mit dem Rücken an der Wand stand. Er folgte ihr und packte sie, bevor sie sich zur Seite werfen konnte.
»Jetzt habe ich dich, Rakel«, flüsterte er und sah ihr in die Augen. »Du gehörst mir.«
Sie senkte den Blick. Er hielt das Messer fest in der Hand und hatte die Spitze auf ihren Brustkorb gerichtet. Wenn er wirklich zustieß, war es mit ihr vorbei. Vor Furcht wurden ihre Gedanken schleppend und ihr Körper ganz taub. Doch dann erwachte tief in ihr etwas zum Leben.
»Nein!«, schrie sie, während rasender Zorn ihre Angst in die Knie zwang. »Geh weg von mir, du Satan!«
Sie warf sich nach vorne und stieß ihn mit der Schulter fort. Der Angriff kam so überraschend, dass er das Gleichgewicht verlor. Er musste einige hastige Schritte zur Seite machen, um nicht zu fallen. Auf diese Gelegenheit hatte sie gewartet und sie warf sich nach vorne. Hitze lief durch ihren Körper, breitete sich in Armen und Beinen aus. Sie gierte danach, es ihm heimzuzahlen, doch dann wurde sie plötzlich aufgehalten. Die Kette hielt sie zurück und sie knurrte frustriert.
»Komm schon!«, forderte sie ihn heraus. Sie fühlte sich unüberwindlich, viel zu stark, als dass er ihr hätte schaden können. Und das wusste er auch, dachte sie triumphierend. Sie sah, wie er die Augen aufriss und sich nicht näher heranwagte.
»Worauf wartest du?«, schrie sie, doch sie konnte ihn nicht zum Angriff reizen. In ihrem Körper prickelte und brannte es schmerzhaft, und dann packte sie die Kette, um sie aus der Wand zu reißen. Im tiefsten Inneren wusste sie, dass es nutzlos war. Sie hatte den Versuch schon vorher unternommen und das Metall ließ sich unmöglich loszerren. Doch zu ihrer großen Überraschung rührte es sich diesmal. Zerbröckeltes Mauergestein fiel zu Boden und eine hellgraue Staubwolke wirbelte empor. Ungläubig ließ sie los. Die Metallringe, mit denen die Kette an der Wand befestigt war, hatten sich ein gutes Stück aus der dicken Wand gelöst. Frei war sie allerdings noch immer nicht.
Zittrig wandte sie sich dem Vogt zu. Er stand ganz still und starrte sie fassungslos an.
»Also ist es wahr«, flüsterte er und ließ das Messer sinken. »Ich dachte, er würde nur wirres Zeug reden.«
Rakel hörte seine Worte, doch verstand sie nicht. Ein letztes Mal zerrte sie an der Kette, doch nun war es unmöglich, sie auch nur das kleinste bisschen aus der Wand zu lösen. Sie ließ los und fühlte sich völlig leer. Die überwältigende Gier, Bergan anzugreifen, war verschwunden. Ihr Körper wurde schwer und schlaff, sodass sie auf den Boden sank. Dort blieb sie sitzen. Vage bemerkte sie, dass der Vogt näherkam, doch sie schaffte es nicht länger, gegen ihn anzukämpfen.
Er kniete sich neben ihr nieder. Rakel schloss die Augen, unfähig, sich zu wehren. Er lehnte sich vor, und sie wartete darauf, was geschehen würde. Dann hörte sie, wie er mit einem metallischen Klicken die Handschellen löste. Er nahm sie in die Arme und hielt sie ganz fest.
»Verzeih mir«, sagte er leise. »Aber ich musste es mit eigenen Augen sehen.«
Sie verstand nicht, was er meinte. Seine Nähe war verwirrend. Sie hätte sich losreißen und fliehen sollen. Doch ihr Körper reagierte nicht, wie er sollte. Alle Willenskraft hatte sie verlassen. Stattdessen lehnte sie den Kopf an seine Brust.
»Du wirst mich nicht töten?«, flüsterte sie zittrig.
»Nein«, sagte er. »Ich werde dich nicht töten, Rakel. Das hatte ich nie vor.«
Sie hörte seinen Herzschlag. Der Puls ging rasch, als sei er gerannt. Sie schloss die Augen und fühlte sich sicher, auch wenn das keinen Sinn ergab.
»Was willst du von mir?«, brachte sie hervor. »Ich verstehe das alles nicht.«
»Ich hatte gehofft, es würde reichen, dich wütend zu machen«, sagte er leise. »Aber du musstest erst um dein Leben fürchten. Das ist gut. Dann ist sehr viel nötig, damit es geschieht.«
»Wovon redest du?« Sie machte sich los und blickte zu ihm hoch. Noch immer fühlte sich ihr Körper erschöpft und leer an, doch allmählich kehrte ihre Willenskraft zurück. »Du wolltest, dass ich Angst um mein Leben habe?«, fragte sie erschöpft. »Warum?«
»An dem Abend, als Matjes dich überfallen hat ...«, sagte er bedächtig. »Hast du dich je gefragt, wie du ihm entkommen bist?«
Sie sah ihn verwirrt an. Wieso kam er jetzt darauf zurück?
»Ich weiß nicht«, sagte sie tonlos. »Irgendwie habe ich ihn dazu gebracht, loszulassen, und ...«
Sie schloss die Augen und sah die Szene wieder vor sich. Matjes war nach hinten getaumelt, er schrie und hielt sich das Handgelenk. »Anscheinend hatte er schon vorher eine Verletzung«, überlegte sie. »Ich muss genau die richtige Stelle am Handgelenk getroffen haben, als ich ihn abwehren wollte. Jedenfalls hat er mich losgelassen und ist weggelaufen.«
»Aber dabei hat er gebrüllt wie ein abgestochenes Schwein«, entgegnete der Vogt. »Ich habe ihn sogar durchs geschlossene Fenster gehört, laut und deutlich. Er hat dich eine Hexe genannt und ist fortgerannt, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her.«
Nun, da sich ihre Angst legte, begann Rakel wieder klar zu denken. Das Wort Hexe erinnerte sie an die vielen Male, die Bergan sie geneckt und gereizt hatte. War das hier auch nur ein Spiel?
»Ich war eben wütend«, sagte sie scharf. »Er hat versucht, mich zu erwürgen, und ich habe um mein Leben gekämpft. Wenn er mich als Hexe beschimpft hat, dann nur deshalb, weil es ihm unbegreiflich war, dass ein Mädchen sich gegen ihn verteidigen konnte. Worauf willst du eigentlich hinaus?«
Er sah sie lange an und das kleine Lächeln erschien wieder in seinem Mundwinkel.
»Glaubst du wirklich, du bist Matjes entkommen, weil du ihm im Kampf überlegen warst? Ich habe selbst mit ihm gekämpft, Rakel. Er ist keinesfalls ein Schwächling.«
»Und das müsste er sein, damit ich ihn abwehren kann, meinst du?«
Sie kam auf die Füße. Ihr Kopf fühlte sich seltsam leicht an, und sie taumelte, bevor sie das Gleichgewicht wiederfand. Ihr verletztes Knie schmerzte, aber knickte nicht weg, als sie ihr Gewicht darauf verlagerte. »Ich bin nicht so schwach, wie du denkst. Immerhin habe ich auf dem Hof mitgearbeitet, seit ich laufen kann.«
»Ich halte dich nicht für schwach«, erwiderte er und stand ebenfalls auf. »Aber ich kann dir versichern, dass du gegen Matjes unter normalen Umständen keine Chance gehabt hättest.« Er grinste. »Du glaubst tatsächlich, dass er weggerannt ist, weil er eingesehen hat, dass du zu stark für ihn bist. Das ist irgendwie süß.«
»Halt den Mund!«, sagte sie. »Du hast doch keine Ahnung! An dem Abend bist du frisch aus dem Bett deiner Liebhaberin gesprungen, also woher solltest du wissen, was vorher passiert ist?« Sie klopfte sich das Kleid ab, damit sie ihn nicht ansehen musste.
Er stieß ein trockenes Lachen aus, und sie wusste, warum. Sie hätte seine Liebhaberin nicht erwähnen sollen. Jetzt bildete er sich bestimmt ein, dass sie sich darum scherte.
»Aber ich habe durchaus etwas gesehen, Rakel«, sagte er schließlich. »Nämlich die Verletzungen, die Matjes an dem Abend davongetragen hat.«
Seine Worte ließen sie aufblicken.
»Wovon redest du? Ich habe nichts weiter getan, als ihn am Handgelenk zu packen. Wenn er verletzt war, dann schon vorher. Meine Schuld war es jedenfalls nicht.«
Bergan griff nach ihrer rechten Hand, doch Rakel riss sie los.
»Ich wollte dir nur etwas zeigen«, sagte er und hielt ihr bittend seine offene Handfläche entgegen. »Darf ich?«
Am liebsten hätte sie ihm den Rücken zugedreht, doch das tat sie nicht. Zögernd reichte sie ihm ihre Hand. Sie erwartete, dass es sie von der Berührung frösteln würde, aber er ergriff sie so vorsichtig, als sei sie aus Glas. Dann drehte er ihre Handfläche nach oben. Mit dem Zeigefinger strich er über jedes halb gebeugte Fingerglied. Es kitzelte ein bisschen, aber sie zwang sich zum Stillhalten.
»Die Abdrücke deiner Finger waren am nächsten Tag immer noch auf seiner Haut zu sehen. Er hat sie mir gezeigt. Tiefe, blauviolette Abdrücke. Ist dir klar, wie stark man sein muss, um so etwas zustande zu bringen?«
Sie zog die Hand zurück und verbarg sie hinter dem Rücken.
»Soll das ein Scherz sein?«
»Nein«, sagte er ernst. »Diesmal nicht. Du hast ihn für jeden sichtbar gezeichnet, Rakel.«
»Das ist unmöglich«, protestierte sie. »Hör auf, mich verrückt zu machen! Willst du mir einreden, dass ich unnatürlich stark bin? Eine echte Hexe? Das wird dir nicht gelingen, denn an so etwas glaube ich nicht. Und jetzt habe ich genug davon. Bin ich immer noch festgenommen, Vogt Bergan?«
»Nein«, sagte er. »Und nenn mich doch bitte Ask.«
Sie überhörte seinen Vorschlag.
»Dann erwarte ich, dass du mich sofort aus diesem Keller lässt. Bergan.«
»Du wirst dich in große Schwierigkeiten bringen, Rakel«, sagte er. »Deine Kräfte werden wachsen, und wenn du nicht vorsichtig bist, wirst du jemandem damit schaden. Lass mich dir helfen, sie unter Kontrolle zu bringen«, bat er. »Ich habe darin eine gewisse Erfahrung.«
Misstrauisch sah sie ihn an. Meinte er das ernst? Bei ihm konnte man nie wissen, und dieses Mal würde sie sich nicht hinters Licht führen lassen. Bestimmt hatte er die Metallkette präpariert, damit sie sich von der Wand lösen...