E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Harbort Das Hannibal-Syndrom
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-492-95814-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Phänomen Serienmord
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-492-95814-1
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dank Hollywood gilt Hannibal Lecter als Inbegriff des infernalischen Serienmörders. Doch wer sind diese Täter in der Wirklichkeit? Der Kriminalexperte Stephan Harbort hat zahlreiche von ihnen in ihren Hochsicherheitszellen besucht und interviewt, um Motivation, Tathergang und Täterprofil zu erforschen. Er befasste sich mit allen 75 deutschen Serienmördern seit 1945 - eine aufschlussreiche und schockierende Dokumentation, aus der man viel über die Psyche solcher Täter erfährt.
Stephan Harbort, geboren 1964, lebt in Düsseldorf, ist erfahrener Kriminalist, langjähriger Lehrbeauftragter an der Fachhochschule Düsseldorf und führender Serienmord-Experte. Er sorgte mit seiner sensationellen Entwicklung des empirischen Täterprofils europaweit für Aufsehen und ist ein gefragter Berater für TV-Dokumentationen und Krimiserien.
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KAPITEL 2 Begegnung mit einem Untoten Köln-Ossendorf, Rochusstraße 350. Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt. Laut Duden ein »besonders ausbruchssicherer Teil bestimmter Strafvollzugsanstalten«. Dort fristen Menschen ihr Dasein, die für die Allgemeinheit eine Bedrohung darstell(t)en: früher, heute, künftig. Endstation für solche Schwerstverbrecher, deren Lebensführung und Selbstkontrolle erheblich aus dem Gleis geraten sind, die deshalb ausrangiert, aufs Abstellgleis geschoben werden müssen. Lebensversicherungs- und Lebensversickerungsanstalt zugleich. Persönliche Bewegungsfreiheit und Intimsphäre werden in Quadratmetern gemessen. Eine künstliche Welt, in der niemand leben möchte. Dort sind bestenfalls die Gedanken frei, der Rest wird vorgegeben: Verhalten, Ernährung, Kleidung. Hier werden sogar die seelischen Grundlagen menschlichen Handelns abgetötet: der Glaube, die Hoffnung. Dort war ich an diesem wolkenverhangenen Morgen des 5. November 1997 mit einem Mann verabredet, der vor mehr als 20 Jahren bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte: Im Juli des Jahres 1977 waren von dem damals 26jährigen Peter Windisch binnen sieben Tagen in Wuppertal und Frankfurt am Main drei Menschen ermordet worden, anschließend hatte er sich der Polizei gestellt. Dieses Treffen war von langer Hand vorbereitet worden. Nachdem mir durch die zuständige Staatsanwaltschaft zum wiederholten Mal Akteneinsicht verweigert worden war, hatte ich im März 1997 einen Brief an Peter Windisch geschrieben, um sein Einverständnis einzuholen. Nur wenige Tage später hatte ich sein Antwortschreiben erhalten, in dem es zu meiner Überraschung unter anderem hieß: »Bei Interesse, besuchen Sie mich für ein Gespräch?!« Da ich die Taten dieses Mannes nur aus älteren Presseveröffentlichungen kannte, setzte ich mich mit Bettina Rode, der zuständigen Sozialarbeiterin, in Verbindung, um mit ihr den organisatorischen Ablauf, aber auch den motivischen Hintergrund der Taten und die derzeitige psychische Verfassung von Peter Windisch zu erörtern. Ich wollte vorbereitet sein. Mit Bettina Rode führte ich dann mehrere längere Gespräche, in denen sie mir mit großem Sachverstand und Einfühlungsvermögen die Persönlichkeit dieses Mannes und sein bisheriges Verhalten im Strafvollzug beschrieb. Einige Hinweise ließen in mir jedoch schon bald recht zwiespältige Gefühle aufkommen. Peter Windisch hatte während der Haft an Mitgefangenen mit größter Brutalität zwei weitere Mordanschläge verübt, seine Opfer lebensgefährlich verletzt. Deshalb hatte dieser Mann den überwiegenden Teil seiner lebenslangen Freiheitsstrafe in Einzelhaft verbüßen müssen. Ein Aussätziger unter Aussätzigen. Darüber hinaus brütete er beharrlich über Fluchtplänen, wollte endlich raus. Ein Jahr zuvor war sein Gnadengesuch abgelehnt worden. Damit stand felsenfest: Der Zug war abgefahren – ohne ihn. Endstation Knast. Dieser Mann war äußerst gefährlich. Sein Angebot, ihn besuchen zu sollen, hatte nun unverhofft einen schalen Beigeschmack bekommen. Warum sollte gerade ich ihn treffen? Auf was mußte ich mich da gefaßt machen? Dennoch hatte ich mich nach reiflicher Überlegung dazu durchgerungen, die »Bestie von Wuppertal« zu besuchen. Ich hatte mit Bettina Rode vereinbart, daß sie zu Beginn dieses Gesprächs zugegen sein sollte. Ihr war von ihm schon vor geraumer Zeit versichert worden, daß sie nicht »auf seiner Liste« stand. Peter Windisch hatte sich offensichtlich in seine »Königin« verguckt. Ihre Anwesenheit sollte ihn ein wenig beruhigen, Vertrauen schaffen. Schließlich hatte er in den zurückliegenden Jahrzehnten kaum Besuch erhalten. Steht dann mal ein Kontakt mit der Außenwelt ins Haus, ist die Aufregung groß – auf beiden Seiten. Kurz vor 9 Uhr erreichte ich die Justizvollzugsanstalt. Ich hatte unruhig geschlafen, viele Gedanken waren mir durch den Kopf gegangen. Das triste Wetter spiegelte meine Gefühle: Das Stimmungsbarometer schwankte heftig zwischen gespannt und angespannt. Einen umfangreichen Fragenkatalog hatte ich vorbereitet, ließ ihn jedoch genauso wie mein Diktiergerät im Wagen liegen. Ich hatte mich kurzfristig anders entschieden. Peter Windisch wußte um meinen Beruf. Ich wollte mich deshalb während des Gesprächs auf handschriftliche Notizen beschränken, um sein Vertrauen zu gewinnen und um den Eindruck zu vermeiden, es handele sich um eine Art Vernehmung. Nach dem üblichen Sicherheitscheck wurde ich durch einen Justizvollzugsbeamten zum Hochsicherheitstrakt geführt. Auf dem Weg dorthin fragte er mich, wen ich besuchen wollte. Ich nannte ihm den Namen. Mein Begleiter runzelte die Stirn und riet mir dann vielmeinend: »Windisch, ja, da seien Sie bloß vorsichtig!« Ich verspürte plötzlich ein prüfungsangstähnliches Kribbeln in der Magengegend, hakte nach: »Gibt es etwas, das ich unbedingt wissen müßte?« Der Beamte, der mich um einen Kopf an Körpergröße überragte, belegte mich mit einem sparsamen Blick, der mich nicht gerade ermutigte. »Nun reden Sie schon«, raunzte ich ihn etwas gereizt an. »Der Mann ist immer noch gefährlich. Setzen Sie sich am besten unmittelbar neben den Alarmknopf. Dann kann eigentlich nicht viel passieren. Meine Kollegen sitzen ja gleich nebenan«, erklärte er. Das klang nicht gerade ermutigend. Mehr war aber nicht zu erfahren. Obwohl ich nach 14 Jahren Polizeidienst einiges gewohnt war und mich nicht unbedingt als ängstlichen Menschen bezeichnen möchte, kamen mir doch Zweifel, ob meine Entscheidung richtig gewesen war. Drohte tatsächlich Gefahr? Bange machen gilt nicht, redete ich mir ein. Während ich diesem Gedanken nachhing, erreichten wir den Besuchsraum. Der Beamte verabschiedete sich, und ich suchte zunächst nach dem Alarmknopf. Ich fand ihn ohne große Mühe in der Nähe des Eingangsbereichs. Er war knallrot, nicht zu übersehen und problemlos zu erreichen. Dann verschaffte ich mir einen Überblick. Viel gab es allerdings nicht zu sehen: Dieser Raum war vollständig mit Holz verkleidet, vermittelte aber eine typische Knastatmosphäre. In der Mitte stand ein recht großer Tisch, von einer Sitzgarnitur umstellt. Das war aber auch schon alles. Sonst gab es dort nichts, was einer Erwähnung wert gewesen wäre. Fehlende Fenster, das grelle Neonlicht und eine bedrückende Stille wollten einfach kein Gefühl von Gemütlichkeit aufkommen lassen. Diese Umgebung erschien mir irgendwie fremdartig, steril, zeitlos. Ich kramte meine Unterlagen hervor. Für Peter Windisch hatte ich ein Buch gekauft, zusätzlich einige Dosen Cola sowie Süßigkeiten mitgebracht. Unser Gespräch sollte in einer möglichst angenehmen, entspannten Atmosphäre stattfinden. Einige Blatt Papier und einen Kugelschreiber legte ich auf den Tisch. Ich nahm in Armlänge seitlich zum Alarmknopf Platz. Sicher ist sicher, dachte ich mir. Nun wartete ich gespannt auf meinen Gesprächspartner. Wenig später erschien er in Begleitung von Bettina Rode. Nach kurzer Begrüßung setzten wir uns. Peter Windisch musterte mich mit seinen tiefliegenden Augen, wirkte auf mich dabei aber eher gehemmt, etwas unsicher. »Ich bin überrascht, einen so jungen Mann zu treffen, der auch mein Sohn sein könnte. Ich hatte mit einem älteren Herrn gerechnet, der kurz vor der Pensionierung steht«, begann er das Gespräch. Ich weiß heute nicht mehr, was ich darauf zur Antwort gab. Vermutlich habe ich nur süßsauer gelächelt. Erinnern kann ich mich aber noch sehr genau an das ungute Gefühl, als er diese imaginäre Vater-Sohn-Beziehung herstellte. Bettina Rode verließ kurze Zeit später den Besuchsraum, ich saß ihm nun allein gegenüber. Einem Mann in mittleren Jahren, der ein buntkariertes Holzfällerhemd, gürtellose Jeans und Turnschuhe trug. Seine im Stirnbereich nur noch spärlichen, ins Graue übergehenden Haare waren bis auf wenige Zentimeter gestutzt. Sein spitz zulaufendes Kinn und seine kleinen, aber durchdringenden Augen hatten etwas Schelmisches. Er war einen Kopf kleiner als ich, von gedrungener Statur. Kräftige, aber gepflegte Hände und seine breiten Schultern ließen unschwer erkennen, daß er seinen Körper gestählt hatte. Der 47jährige wirkte auf mich jünger, als es sein tatsächliches Alter hätte vermuten lassen. Normalerweise altern Menschen schneller in solchen Anstalten – zumindest äußerlich. Hier schien es anders zu sein: Peter Windisch wirkte frisch, hellwach, dynamisch. Etwas Abstoßendes oder gar Animalisches hatte er nicht an sich. Seine menschenverachtende, mörderische Gesinnung war ihm beim besten Willen nicht anzusehen. Schnell kamen wir ins Gespräch. Zunächst erklärte er mir, was er nicht war, nicht sein wollte: »Ich bin kein Serienmörder. Ich bringe nur ab und zu einen um!« Ich fixierte ihn, beobachtete sein Mienenspiel. Das fand nicht statt – nur sein Blick flatterte. Diesem ausgeprägten Zynismus, dieser stumpfen Dialektik begegnete ich hier nicht zum ersten Mal. Zuvor schon war ich häufiger auf ähnliche Resonanz gestoßen. So hatte mir beispielsweise Gerhard Bold, der mehrfache Frankfurter Frauenmörder, folgende Zeilen geschrieben: »Meiner Ansicht nach bin ich keineswegs in die Kategorie der Serientäter einzuordnen. Ganz bestimmt nicht.« Insbesondere bei diesem Tätertyp haben wir es mit Menschen zu tun, die nichts vergessen haben, aber als »Serienkiller« vergessen werden wollen. Peter Windisch begann zunächst von seiner Kindheit zu erzählen: »Die Ehe meiner Eltern stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Mein Vater war unheimlich jähzornig und ging ständig fremd. Meine...