E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Hardeck Erich Fromm
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8438-0789-0
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Leben und Werk | »Der wohl wichtigste psychosoziale Denker des 20. Jahrhunderts!« Neil McLaughlin, kanadischer Soziologe
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-8438-0789-0
Verlag: marix Verlag ein Imprint von Verlagshaus Römerweg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jürgen Hardeck, geboren 1958, studierte Vergleichende Religionswissenschaft, Philosophie und Sinologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. 1990 promovierte er über »Die Religion im Werk von Erich Fromm«. Hardeck ist Kulturstaatssekretär in Rheinland-Pfalz und Erster Vorsitzender der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft e. V.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort 2024
Kindheit und Jugend in Frankfurt am Main
Studienjahre in Heidelberg und Berlin
Am Institut für Sozialforschung
Religionspsychologie: Das Christusdogma
Analytische Sozialpsychologie als kritische Theorie
Fromm in den USA
Karen Horney und Harry Stack Sullivan
Der autoritäre Charakter
Revision der Psychoanalyse
Der Bruch mit dem Institut
Die Furcht vor der Freiheit
Die Entstehung des modernen Individuums
Die Flucht ins Autoritäre
Die Flucht ins Destruktive
Die Flucht ins Konformistische
Der Bruch mit Karen Horney
Psychoanalyse und Ethik
Die Natur des Menschen
Charakterologie
Der Marketing-Charakter
Humanistische Ethik
Das Gewissen
Psychoanalyse und Religion
Fromm in Mexiko
Die vergessene Sprache
Ausschluss aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung
Wege aus einer kranken Gesellschaft
Die Kulturismusdebatte und ihre Folgen
Die Kunst des Liebens
Psychoanalyse und Zen-Buddhismus
Der Analytiker
Der Therapeut Fromm
Gründung der IFPS
Ein eigenwilliger Marxist
Die Seele des Menschen
Gruppen-Narzissmus
Nekrophilie
Inzestuöse symbiotische Bindungen
Humanistischer Sozialismus und Humanistische Psychoanalyse
Ihr werdet sein wie Gott
Fromm in der Schweiz
Die Anatomie der menschlichen Destruktivität
Gutartige und bösartige Aggression
Haben oder Sein
Marketing-Charakter und kybernetische Religion
Vorschläge für gesellschaftliche Änderungen
Buddhismus
Meister Eckhart
Lebensabend
Prägungen und Entwicklungen
Die andere kritische Theorie
Ich bin immer Freudianer geblieben
Prophet und Mystiker
Ein Feuerbach unserer Zeit
Humanismus
Studienjahre in heidelberg und berlin
Der Überängstlichkeit seiner Eltern, vor allem der des Vaters, schrieb Fromm es zu, dass er seinen Jugendwunsch, in Litauen ein Talmudstudium zu absolvieren, nicht verwirklichte und stattdessen, nach dem erfolgreichen Abitur 1918, ein Jurastudium in Frankfurt begann. Das Gesetz interessierte ihn, weil er es, eben wie ein orthodoxer, von Tora und Talmud geprägter Jude denkend, als Ausdruck des manifestierten Ethos einer Nation, als »kristallisiertes Minimum der Ethik einer Gesellschaft«1 betrachtete. Zum Sommersemester 1919 immatrikulierte sich Fromm, nach zwei Semestern in Frankfurt, an der Heidelberger Universität, studierte dort zunächst noch weiter Jura, hörte aber schon in seinem ersten Semester dort auch Vorlesungen bei einigen bedeutenden Professoren, so zur »Geschichte der Philosophie« bei Hans Driesch, zur »Deutsche[n] Geschichte des Mittelalters« bei Hermann Oncken, zur »Geschichte der Psychologie« bei Karl Jaspers und zur »Wertphilosophie« bei Heinrich Rickert, dem Oberhaupt der südwestdeutschen Schule der Neukantianer. Ab dem zweiten Semester in Heidelberg interessierte er sich dann in erster Linie für Lehrangebote in Soziologie und schlug dann ganz diesen Studiengang ein, denn er wollte nicht Anwalt oder Richter werden, sondern verstehen, was die Gesellschaft zusammenhält. (Offiziell studierte er damals allerdings Nationalökonomie, denn die Soziologie war zu dieser Zeit in Heidelberg noch keine eigenständige Disziplin.) Über seinen wichtigsten akademischen Lehrer schrieb er selbst:
»Ich hatte nur einen nichtjüdischen Lehrer, den ich wirklich verehrte und der mich tief beeinflusste: Alfred Weber, den Bruder von Max Weber. Er war auch Soziologe, aber im Unterschied zu ihm kein Nationalist, sondern ein Humanist, ein ungewöhnlich mutiger und überzeugender Mensch. Über viele Jahre hinweg besuchte ich seine Vorlesungen und Seminare. Oft sagte er auch Dinge, die über meinen Verstehenshorizont hinausgingen (und ich muss sagen, dass er manchmal eine bizarre und verwirrende Sprache hatte), aber unter den universitären Lehrern war er der einzige wirkliche Lehrer und Meister. Dennoch blieb meine Beziehung zu ihm distanziert, denn ich war schüchtern. Und ich wurde noch distanzierter, als er mir nach meiner Promotion eine akademische Karriere nahelegte. Ich spürte tief in mir, dass ich dies nicht wollte und dass mich eine solche Karriere in eine Zwangsjacke stecken würde«2,
erklärte er in einem Brief an Lewis Mumford vom 29. April 1975. Erst in einem Gruß, den er wohl aus Anlass von Webers Emeritierung an ihn sandte, gestand Fromm ihm: »Das Studium bei ihnen war für mich eine der fruchtbarsten Erfahrungen in meinem Leben; nicht nur mit Hinblick auf das, was ich lernte, sondern ebenso sehr durch den Eindruck und das Vorbild ihrer Persönlichkeit.«3
Im Gegensatz zu Max Weber (1864–1920), dessen Werk bis heute einflussreich ist (Fromm nahm in seinen Büchern häufig darauf Bezug), ist sein damals ebenso bekannter Bruder heute beinahe vergessen. Beide wurden durch die historische Schule der deutschen Nationalökonomie geprägt, hatten die Kultursoziologie zum Arbeitsschwerpunkt und standen als überzeugte Liberale politisch für eine Parlamentarisierung des Kaiserreiches. Max Weber starb bereits 1920. Alfred Weber (geb. 1868) verließ 1933 auf eigenen Antrag seinen Heidelberger Lehrstuhl, blieb während des gesamten Dritten Reiches mutig und gradlinig und nahm seine Professur nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf. 1958 verstarb er hochgeehrt in Heidelberg. Beide Webers betrachteten Kulturgeschichte als Kultursoziologie. Doch anders als sein Bruder Max, der in einer Position innerweltlicher Askese die bleibende Unversöhnbarkeit menschlicher Bedürfnisse in einer entzauberten Moderne akzeptierte und ihre Entwicklung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen analytisch zu verstehen suchte, stand Alfred Weber für eine eher intuitive, auf Synthese und Ganzheit zielende Methode. Unter dem Einfluss der Lebensphilosophie verabschiedete er sich noch vor dem Ersten Weltkrieg vom damals vorherrschenden Szientismus und wurde zu einem entschiedenen Kritiker eines einseitigen Rationalismus. Das von Intuition und Erleben ausgehende Paradigma Alfred Webers beeindruckte und bestärkte offensichtlich den jungen Erich Fromm, dessen späteres Werk, was diese Züge angeht, dem Alfred Webers stellenweise erstaunlich ähnlich anmutet. Und genau wie dieser trat Erich Fromm lebenslang persönlich integer und kompromisslos für den freien, selbstbestimmten Menschen im institutionellen Rahmen der Demokratie ein.
Während seiner Heidelberger Studienzeit besuchte Erich Fromm fünf bis sechs Jahre lang zum täglichen Talmudstudium den aus Russland stammenden orthodoxen Rabbiner Dr. Salman Baruch Rabinkow (1882–1939). Ihn hatte er schon als Zwölfjähriger im Elternhaus von Leo und Benno Cohn kennen gelernt, wo Rabinkow »Lernabende« veranstaltete, an denen neben diesen Ruth, die Tochter von Rabbi Nobel, Erich Fromm und Ernst Simon teilnahmen, wie Rose Cohn-Wiehner berichtete.4 Die Freundschaft, die bald mit dem in bescheidenen Verhältnissen lebenden, 1919 siebenunddreißig Jahre alten orthodoxen Gelehrten entstand, half ihm über den frühen Tod seines Lehrers Nobel hinweg, der im Januar 1922, erst fünfzig Jahre alt, überraschend starb. Rabinkows Einfluss ist nicht nur in Fromms Dissertation spürbar, er beeinflusste sehr tiefgehend Fromms Haltung und sein weiteres Denken. Durch ihn lernte er Moses Maimonides, den großen jüdischen Denker des Mittelalters, gründlich kennen und den osteuropäischen Chassidismus mit seiner Religiosität der Innerlichkeit und der Freude an allem, was das Leben schön macht. Verschiedene Zeugen berichteten, Fromm habe die bei Rabinkow gelernten chassidischen Lieder lebenslang sehr gern gesungen. Wie Rabinkow blieb Fromm stets ein in vielerlei Hinsicht bedürfnisloser, jedenfalls niemals gieriger Mensch, dem jedoch Askese völlig fremd blieb.
»Rabinkow verband eine grundsätzlich revolutionäre Haltung mit seiner religiösen Einstellung, und seine Interpretation des Judentums bestimmte sich von der Mischung dieser beiden Faktoren her«5, so beschrieb ihn Fromm-Biograf Rainer Funk.
»Rabinkow war ein Mensch, bei dem man sich nie, auch nicht beim allerersten Treffen, wie ein Fremder fühlte. Es war vielmehr, wie wenn man eine Unterhaltung oder Beziehung, die schon immer bestand, fortsetzte. […] ich kann mich an keine einzige Situation erinnern, in der ich mich vor seinem Urteil gefürchtet hätte […] Er versuchte nie, mich zu beeinflussen, mir zu sagen, was ich zu tun hätte, mich zu ermahnen. Das Einzige, womit er mich beeinflusste, war […] sein Beispiel, obwohl er der Letzte gewesen wäre, der ein Beispiel hätte geben wollen. Er war ganz er selbst«,
erinnerte sich Fromm an seinen Lehrer und Freund. »Rabinkow beeinflusste mein Leben mehr als vielleicht irgendein anderer Mensch und seine Ideen sind mir – wenn auch in anderen Formen und Begriffen – lebendig geblieben«6, fuhr er fort. Dies wird in Fromms Lebenseinstellung deutlich spürbar, die eine ähnliche Mischung aus einer geistlich konzentrierten Selbstdisziplin einerseits und einem ungeheuren Drang nach innerer und äußerer Unabhängigkeit darstellte, wie sie ihm Rabinkow vorgelebt hatte. »Sein alles durchdringendes Gespür für Freiheit […] war die Grundlage dafür, dass er frei von jedem autoritären Gehabe war und dass er eine tiefe Achtung vor der Integrität des anderen hatte«7, so Fromm. »Jede Beziehung, jede Bindung, jede Stellung, die ihn gehindert hätte, das zu tun und das auszusprechen, was er für richtig fand, und so zu leben und zu lehren, wie seine Erkenntnis es ihm als richtig erscheinen ließ, war ihm zuwider, war ihm unmöglich«8, erinnerte sich ein anderer seiner Schüler.
Rabinkow hatte im Laufe der Jahre viele später bedeutende Männer als Schüler, so z. B. Zalman Shazar, Israels Präsident von 1963–1973, Nahum Goldmann, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Moses Smoira, Präsident des Obersten Gerichtshofs in Israel (1948–1954), Ernst Simon, Nahum Glatzer, Fritz Gumpertz, Salomon Salman Rubaschoff, der nach seiner Namensänderung als Schneur Salman Schasar von 1963–1973 israelischer Staatspräsident war. Ein Blick in seinen Artikel Individuum und Gemeinschaft im Judentum (1929) bestätigt den überragenden Einfluss von Rabinkows humanistischem Bibelverständnis auf Fromms Werk. Der biblische Mensch hat sich, so Rabinkow dort, durch die Bundesschlüsse mit Gott als autonomes Wesen erkannt. Seine sittliche Vervollkommnung bildet, neben der Gottesliebe und Gotteserkenntnis, das Ziel der jüdischen Ethik, deren Aufgabe es ist, alle dieser Vervollkommnung im Weg stehende Hindernisse zu überwinden. Die Menschheit sei auf dem schwierigen Weg zu einem humanistischen Menschheitsbund, dieser könne jedoch »nur auf dem Umwege...