Harding | Das Herz des Henry Quantum | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Harding Das Herz des Henry Quantum

Roman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-19733-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-641-19733-9
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Henry Quantum ist ein großer Grübler - vom generellen Zustand der Welt über den Lebenssinn des Saxofonisten am Straßenrand, irgendetwas schafft es immer, die Aufmerksamkeit des liebenswerten Sonderlings auf sich zu ziehen. Kein Wunder also, dass ihm der Alltag bisweilen entgleitet. Wie zum Beispiel das Weihnachtsgeschenk für seine Frau Margaret. Und so macht Henry sich am 23. Dezember leicht verzweifelt auf, irgendwo in San Francisco noch schnell eine Flasche Chanel No. 5 zu erwerben. Doch auch das wird zu einer Odyssee. Weil Henry sich einfach nicht zu konzentrieren vermag. Und weil er durch Zufall auf Daisy trifft, die einstige große Liebe seines Lebens. Eine Begegnung, die nicht nur ihn zutiefst erschüttert. Und die aus einem sonnigen Tag in San Francisco ein bezauberndes Buch über drei Menschen macht, deren Leben durch scheinbar kleine Dinge in große neue Bahnen gelenkt wird.



Pepper Harding ist das Pseudonym eines Autors, der unter anderem Namen bereits mehrere Bücher veröffentlicht hat. Harding, der aus New Jersey stammt und in Pennsylvania, Tennessee und an der University von Chicago studierte, lebt bereits seit langen Jahren mit seiner Familie in und um San Francisco, momentan in Sonoma County.

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KAPITEL 1

23. Dezember, 7:35 – 10:14 Uhr

Mein Freund Henry Quantum, der von allen nur Bones genannt wurde, weil er sehr groß und dünn war und von den Figuren aus Raumschiff Enterprise am liebsten die des Dr. McCoy mochte, hatte an diesem Tag nur eine wirkliche Aufgabe, nämlich ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau zu kaufen. Nachdem er dies bereits seit mehreren Wochen (eigentlich sogar Monaten) vor sich hergeschoben und, als er auf seinem iPhone nach den neuesten Huffington-Post-Nachrichten suchte, erschrocken festgestellt hatte, dass der 23. Dezember gekommen und noch nichts, nicht einmal eine Kleinigkeit für den Weihnachtsstrumpf besorgt worden war, wurde ihm klar, dass er keine Wahl mehr hatte, er musste einkaufen gehen. Es war ein ganz normaler Arbeitstag, also standen auch noch andere Aufgaben im Terminkalender, doch es gab nur eine einzige echte Mission: Margaret glücklich machen. Er hatte sich bereits für eine Flasche Chanel No. 5 entschieden – und wusste sogar, wo er sie kaufen würde: bei Macy’s. Er würde sich am besten morgens als Erstes darum kümmern, damit ihm die Sache tagsüber nicht auf der Seele lag. All das hatte er direkt nach dem Aufwachen in einem Anfall von Panik beschlossen; dann aber senkte sich eine Art Frieden über ihn, und er ging frohen Herzens unter die Dusche. Erledigt, das wäre erledigt!, sagte er sich.

Als er jedoch nach der Seife greifen wollte, erstarrte seine Hand auf halbem Wege, weil er sich, als das Wasser auf seine Schultern zu prasseln begann, über die wunderbare Wasserdichtigkeit seiner Haut freute, was ihn wiederum auf das generelle Wunder der Natur brachte, das, wenn er es recht bedachte, den ganzen Kosmos umfasste, worauf ihm das Hubble-Weltraumteleskop in den Sinn kam und die Bilder von Galaxien, die er im vergangenen September am NASA-Stand auf dem Sausalito Art Festival gesehen hatte, besonders die der Sombrerogalaxie, die tatsächlich wie ein Sombrero aussah. Das allerdings rief ihm etwas ins Gedächtnis, was man ihm seit der Junior High School immer wieder eingehämmert hatte, nämlich dass das Licht 186 000 Meilen pro Sekunde zurücklegt, wenn man also etwas weit Entferntes anschaut, wie beispielsweise die Sombrerogalaxie, sieht man in Wirklichkeit, wie es vor Millionen Jahren (im Fall der Sombrerogalaxie dreißig Millionen Jahren) aussah, und nicht, wie es jetzt ist; wer konnte also überhaupt sagen, wie sie jetzt aussah? Es gab keinen Beweis dafür, dass diese Galaxie nicht bereits auf Kollisionskurs mit unserer eigenen Galaxie war, in dreißig Millionen Jahren konnte ja eine Menge passieren, und als er das bedachte, schien die Seifenschale auf einmal unerreichbar für ihn, genauso unerreichbar, wie die Sombrerogalaxie es für ihn gewesen wäre, selbst wenn es in seiner Macht gestanden hätte, sich augenblicklich dorthin zu versetzen, denn die Galaxie, die er erblickt hatte, gab es nicht mehr. Eigentlich geschah alles außerhalb seiner selbst in der Vergangenheit – zum Beispiel diese Manifestation der Seifenschale –, es war bereits vorbei, erledigt, beendet, kaputt, Geschichte. Eine Zeit lang hatte er immer mal wieder Zen praktiziert und redete nun ständig davon, man müsse in der Gegenwart leben – und da komme man über das Atmen hin, hieß es –, doch jetzt musste er zugeben, dass er dieses Ziel nie erreichen würde, ganz gleich, wie sehr er sich bemühte. Niemand konnte es erreichen, nicht einmal Buddha persönlich. Er stieg über den Badewannenrand, und das Frottee der Badematte fühlte sich an wie immer, weich und angenehm, doch jetzt wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass dies nur eine Illusion war. Noch eine Nanosekunde zuvor war es weich und angenehm gewesen. Doch jetzt? Wer konnte das wissen?

Er warf den Bademantel über und ging in die Küche. Margaret sah von ihrem Haferbrei auf und fragte: »Was ist denn jetzt schon wieder?«

Er schnappte sich zwei Scheiben Vollkorntoast, schob sie in den Toaster und sah zu, wie die Heizdrähte orangerot aufglühten. Wärmte sich die Hände über den Schlitzen. »Was wäre, wenn plötzlich nur ein Lichtjahr von uns entfernt ein kleiner Stern entstehen würde?«, fragte er Margaret. »Und was wäre, wenn er sich uns sofort knapp unter der Lichtgeschwindigkeit zu nähern beginnen würde? Was würden wir dann sehen? Wir würden in sechs Trillionen Meilen Entfernung einen Stern sehen, der aber eigentlich schon hier wäre, oder vielleicht würden wir ihn, weil er schon so nah wäre, groß und hell und zugleich klein und fern sehen. Aber das Wichtigste ist, wir würden ihn nie so sehen, wie er wirklich wäre, und wenn wir alles ausgerechnet hätten, wenn wir endlich wüssten, dass er entstanden wäre, wäre er uns schon auf den Kopf gefallen und hätte uns alle getötet.«

»Möchtest du Normalen oder Koffeinfreien?«, antwortete sie.

»Nein, ich meine es ernst.«

»Ich weiß«, sagte sie. »Aber es ist doch ein hypothetischer Stern, oder?«

»Ja«, antwortete er.

»Dann trink erst mal einen Kaffee.«

Niedergeschlagen brachte er seinen Toast zum Tisch und setzte sich.

»Vielleicht könnten wir uns heute auch noch über etwas anderes Gedanken machen, was meinst du?«, schlug sie vor.

»Es beschäftigt mich eben.«

»Ich weiß, aber warum erzählst du mir nicht, was du heute vorhast?«

»Oh, ich weiß auch nicht, das Übliche«, antwortete er ausweichend, denn er dachte daran, dass er ihr eine Flasche Parfum kaufen wollte. Wobei ihm außerdem einfiel, dass ein Kunde kommen würde und dass er gegen halb elf die neuen TV-Spots präsentieren musste, also konnte er das Parfum nicht schon morgens kaufen, und er sagte: »Mist.«

»Was?«

»Heute kommen die Leute von Protox.«

»Du kriegst das bestimmt wunderbar hin«, sagte sie.

Die Nachbarschaft der Begriffe »wunderbar« und »Protox« ließ sofort Denise vor seinem inneren Auge auftauchen, sie war Art Director und hatte jede Menge Tattoos, und er versuchte sich vorzustellen, wie es sich anfühlte, wenn man tätowiert wurde, die Nadel, die in den Arm stach und Linien in Blau und Orange hinterließ, wobei er keine Ahnung hatte, ob es wirklich so gemacht wurde, ob es Linien waren oder Punkte und ob man betrunken sein musste oder sie einen nüchtern ließen, jedenfalls mochte er keine Nadeln, Punkt. Und Denise hatte so dünne Arme. Immer wenn ihm Blut abgenommen wurde, musste er den Blick abwenden, weil er es nicht ertrug, wenn sein Blut den Kolben füllte, dann dachte er darüber nach, wie viel Blut ein Mensch hat, und die Antwort ist fünf bis sechs Liter und weniger bei einer Frau, es sei denn, sie ist groß, wie zum Beispiel eine Fitnesstrainerin, und er dachte an die Muskeln dieser Frauen und daran, wie es sein mochte, mit einer derart muskelbepackten Frau zu schlafen; es wäre sicher so eine Art Homo-Hetero-Erfahrung, weil man ihre Brüste praktisch gar nicht mehr …

»Willst du nicht deinen Toast essen?«, fragte Margaret.

»Oh. Nein. Bitte nimm du ihn. Ich dachte gerade an Protox.«

»Ein widerliches Produkt«, sagte sie. »Wird dir nie schlecht, wenn du anderen diese Scheiße schmackhaft machen willst?«

Jetzt geht das wieder los, dachte er. »Es ist Werbung. Und Werbung ist mein Job.« Glücklicherweise ließ sie das Thema fallen, beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. »Geht’s dir wieder gut, Bones?«, fragte sie.

»Natürlich.«

»Drohen keine weiteren planetaren Katastrophen? Darf ich damit rechnen, dass die Welt noch heil ist, wenn du nach Hause kommst?«

»Haha«, sagte er.

Sie schenkte ihm eins ihrer leicht herablassenden Lächeln und wandte sich wieder der Times zu, die sie inzwischen elektronisch las.

Er ging ins Schlafzimmer, zog eine schmal geschnittene Khakihose und ein Jackett an, schlüpfte in die Cordovan Loafer, betrachtete sich im Spiegel und gratulierte sich dazu, dass sein Bauch nicht über den Hosenbund hing, wie das bei praktisch jedem anderen seines Alters – vierzig und ein paar Monate – der Fall war. Er hatte noch sein gesamtes Haupthaar, prüfte es allerdings täglich auf Anzeichen fürs Schütterwerden und kämpfte immer wieder vergeblich gegen die Tolle an, die beim leisesten Windhauch in seltsamen Winkeln über seine Stirn ragte. Seine Augen, die manche als verträumt bezeichnet hätten, waren von einem heiteren Blau; Margaret klagte, sein Blick schiene immer in den fernen Weltraum gerichtet zu sein, was aber natürlich nicht stimmte; er dachte dann lediglich nach. Die netteren ihrer Freundinnen sagten, er habe Ähnlichkeit mit dem Schauspieler James Stewart – weil er schlaksig und unbeholfen war, auch wenn er es lieber auf dessen Eleganz und Anstand bezog; vielleicht traf auch beides auf ihn zu, denn er musste zugeben, dass er ein bisschen konfus wirken konnte, wenn er mit den Gedanken nicht bei der Sache war, die er gerade tat.

»Was soll’s!«, sagte er, griff nach seiner Aktentasche und ging in die Garage hinunter.

Sie wohnten an einem Hang, deshalb stand ihr Haus auf Stelzen, und die Garage war in die Erde gegraben, was ihn immer an einen Bunker denken ließ, nur dass es in der Garage ständig feucht war und nach Pilzen roch. Im Winter fielen die Ameisen in Scharen ein, und an der hinteren Wand waren feuchte Flecken, die manchmal so nass wurden, dass er fürchtete, der ganze Hang könne abrutschen. Doch in diesem Jahr gab es keine Ameisen, weil es nicht regnete, es herrschte Dürre, und im kommenden Sommer würde es Brände geben wie den in Oakland, bei dem tausend Häuser niedergebrannt waren. Allerdings pflegten die Brände in einem Sommer nach einem regnerischen Winter noch schlimmer zu sein,...


Harding, Pepper
Pepper Harding ist das Pseudonym eines Autors, der unter anderem Namen bereits mehrere Bücher veröffentlicht hat. Harding, der aus New Jersey stammt und in Pennsylvania, Tennessee und an der University von Chicago studierte, lebt bereits seit langen Jahren mit seiner Familie in und um San Francisco, momentan in Sonoma County.



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