E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Harding Die Einstein-Vendetta
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-96428-303-0
Verlag: Verlagshaus Jacoby & Stuart
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hitler, Mussolini und die wahre Geschichte eines Mordes
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-96428-303-0
Verlag: Verlagshaus Jacoby & Stuart
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Harding, geb. 1968, ist ein vielfach ausgezeichneter Bestsellerautor, dessen Bücher in mehr als 16 Sprachen übersetzt wurden. Sein Buch 'Hanns und Rudolph' (dtv) wurde mit dem JQ-Wingate Prize for Non-Fiction ausgezeichnet, sein Buch 'Sommerhaus am See' (dtv) war auf der Shortlist des Costa Biography Award. Als Journalist hat er u.a. für The Guardian, die Washington Post und die Sunday Times geschrieben, zudem arbeitet er als Radio- und Fernsehmoderator. Er ist Mitbegründer eines Fernsehsenders in Oxford und gab lange Jahre eine vielfach mit Preisen ausgezeichnete Zeitung in West Virginia heraus. Er ist Vorsitzender des Vereins Alexander-Haus e.V. und lebt mit seiner Familie in Hampshire/England.
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1. Il Focardo, 1944
Robert Einstein versteckte sich in den Wäldern, knapp fünfundzwanzig Kilometer südöstlich von Florenz, weit weg von seinem Haus, weit weg von seiner Familie. Seit zwei Wochen hatte er sich nun schon versteckt gehalten, in Sichtweite seiner Villa, aber verborgen. Alles, was er bei sich hatte, waren eine Decke und ein Buch, das er schnell aus seiner Bibliothek geholt hatte. In manchen Nächten schlief er auf dem Erdboden unter Zypressen, Eichen und Haselnusssträuchern. An anderen Nächten fand er Zuflucht bei einem örtlichen Bauern. Aus Angst, sein Aufenthaltsort könnte den Nazis, die nach ihm suchten, verraten werden, blieb er nie länger als vierundzwanzig Stunden an einem Ort.
Zwei Wochen zuvor hatten Mitglieder der Division Hermann Göring laut an seine Haustür geklopft und verlangt, ihn zu sprechen. Glücklicherweise hatte er zu der Zeit auf den Feldern gearbeitet, und die deutschen Besucher waren weggeschickt worden. Später setzte er sich mit seiner Frau Nina und den beiden erwachsenen Töchtern Luce und Cicì zusammen und besprach mit ihnen, was zu tun sei. War es sicherer, zusammenzubleiben oder sich zu trennen? Letztendlich waren sie sich einig, dass es am besten wäre, sich zu trennen: Die Frauen würden in der Villa bleiben, und er würde sich irgendwo in der Nähe verstecken. Schließlich war Robert das Ziel, und so musste er derjenige sein, der sich versteckte. Falls die Deutschen zur Villa zurückkehrten, würden die Frauen sagen, dass er weg war. Es hatte schon einmal funktioniert, warum nicht noch einmal? Nina, Luce und Cicì waren Christinnen, das würde sie doch sicherlich vor jeglicher möglichen Gewalt schützen.
Doch seit er sich verabschiedet hatte – nachdem er seine Töchter lange umarmt und seine Frau auf die Wange geküsst hatte –, nagte die Angst an ihm, sie könnten die falsche Entscheidung getroffen haben. Hatten sie wirklich alle Optionen in Betracht gezogen? Waren Nina, Luce und Cicì tatsächlich sicher? Getrennt voneinander zu sein, gab ihm das Gefühl, machtlos zu sein. Machtlos, auf sich ändernde Umstände zu reagieren. Machtlos, seine Familie zu schützen. Mehr als einmal hatte er darüber nachgedacht, zur Villa zurückzukehren. Zumindest wären sie dann zusammen und könnten sich allen Widrigkeiten, die auf sie zukämen, gemeinsam stellen. Aber dann erinnerte er sich an die Gründe, warum sie sich überhaupt getrennt hatten, und so hielt er widerwillig an dem Plan fest: Sie würden getrennt bleiben, bis sich die Bedingungen änderten.
Zwei Wochen lang hatte er daher im Verborgenen gewartet, von Angst gelähmt, in der Hoffnung, dass sich etwas ändern würde. Als Ingenieur betrachtete er sich als Mann der Vernunft. Er verließ sich weder auf Glauben oder Aberglauben, noch war er jemand, der betete. Er beurteilte eine Situation anhand der Fakten, und wenn er im Wald auf jemanden stieß – einen Bauern auf dem Weg zu einem der umliegenden Dörfer, eine Gruppe von Partisanen auf dem Weg von einer Aktion zur nächsten, einen Schwarzmarkthändler, der mit Zigaretten, Eiern oder Käse handelte – erkundigte er sich stets nach den neuesten Nachrichten. Meistens war er jedoch allein. Und so lauschte er aufmerksam auf die Geräusche um ihn herum, auf das Bumm-Bumm der Artilleriegeschosse, die immer näherkamen, auf das widerhallende Grollen der B–24 und anderer alliierter Bomber, die immer öfter über ihn hinwegflogen, auf das Rat–tat–tat des Maschinengewehrfeuers, das immer lauter und häufiger von den Hügeln der Umgebung zu hören war. Aus all dem schloss er, dass die amerikanischen und britischen Bodentruppen bald in Florenz eintreffen und mit ihren überlegenen Ressourcen die gefürchteten Deutschen aus der Region vertreiben würden und er endlich in der Lage sein würde, sich wieder mit seiner Familie zu vereinen. Sie wären in Sicherheit.
Hin und wieder konnte Robert, und das war immer das Beste, Informationen aus einer noch willkommeneren Quelle bekommen, nämlich von seiner geliebten Frau. So kam es, dass Robert Einstein am 3. August 1944 um sieben Uhr morgens am Waldrand stand und auf ihre Schritte lauschte. Obwohl dieser Besuch im Voraus vereinbart worden war, hatten sie auch vereinbart, dass Nina wegbleiben sollte, wenn es Anlass zur Sorge gab, sodass immer ungewiss blieb, ob sie wirklich kam. Die Minuten verstrichen in relativer Ruhe; es war zu spät für die nächtlichen Luftbombardements und zu früh für einen Nahkampf. Gelegentlich wurde die angespannte Stille durch den Schrei eines unsichtbaren Vogels oder das Rascheln eines kleinen Säugetiers, das durch das Unterholz huschte, unterbrochen.
Dann hörte Robert das Knirschen sich nähernder Schritte. Obwohl leise – wer auch immer kam, bemühte sich den Lärm gering zu halten – hallte das Geräusch in der trockenen Sommerluft gefährlich vom felsigen Pfad wider. Er fing ein paar geflüsterte Worte auf. Als er die Stimme seiner Frau erkannte, rief er ihren Namen, und wenige Augenblicke später blickte er in ihr Gesicht; sie trug ein kleines Paket, und ihre Stirn war schweißgebadet. Mitten im toskanischen Sommer war es bereits drückend heiß, aber hier im Schatten war es glücklicherweise kühler. Außerdem war diese Stelle nicht einsehbar, weshalb sie sie für ihr Treffen ausgewählt hatten.
Darum bemüht, nicht aufzufallen, standen sie eng beieinander und begrüßten sich in gedämpftem Ton. Nina teilte ihm die neuesten Nachrichten mit, dass es den Mädchen gut gehe, dass die Pfirsichernte auf dem Anwesen begonnen habe, dass laut dem Bericht vom Vorabend im BBC-Radio die alliierten Streitkräfte nur noch gut 30 Kilometer südlich von Florenz stünden. Wie lange würde er noch im Wald bleiben müssen? Vielleicht nicht mehr allzu lange. Die britischen und amerikanischen Bodentruppen waren noch näher, als er gehofft hatte. Nach vier Jahren Krieg und elf Monaten deutscher Besatzung könnte bald alles vorbei sein, vielleicht schon in dieser Woche. Vielleicht sogar schon morgen. Es sah so aus, als hätte sich die Entscheidung, die Familie zu trennen – Nina und die Mädchen in der Villa, Robert im Wald – ausgezahlt.
Während Roberts Frau sprach, blickte er sie an. Nina war neunundfünfzig Jahre alt, mit mandelförmigen Augen, schmalen Lippen und schulterlangen dunklen Haaren. Sie sprach noch immer mit norditalienischem Akzent, obwohl sie seit Jahrzehnten in Rom und der Toskana lebte. Tatsächlich hatte sich Nina seit ihrem ersten Treffen vor mehr als dreißig Jahren kaum verändert, und ihre Liebe zueinander war mit dem Alter nur noch gewachsen. Was Robert betraf, so waren sein Bart und seine Haare zwar mit weißen Strähnen durchsetzt, aber er fühlte sich jünger als seine sechzig Jahre. All die vielen Jahre, in denen er zusammen mit den , den Landarbeitern, auf den Feldern gearbeitet hatte, hatten ihm Vitalität und Ausdauer verliehen. Und da er in München aufgewachsen war, hatte auch er einen Akzent, obwohl er sich nicht sicher war, ob seine teutonischen Wurzeln nun ein Hindernis oder ein Vorteil waren.
Sie sprachen weiter über die Ereignisse und vermieden dabei bestimmte Themen. Nina wollte nicht wissen, wo Robert übernachtete, für den Fall, dass sie befragt würde. Es bestand auch keine Notwendigkeit, den Ablauf für den Notfall zu besprechen. Das hatten sie bereits vielfach durchgesprochen. Wenn Nina zu einem nicht vereinbarten Zeitpunkt nach ihm suchen würde, sollte er versteckt bleiben. Auf keinen Fall würde er sich zu erkennen geben, selbst wenn sie verzweifelt wirkte.
Sie waren am Ende ihres Gesprächs angelangt, als sie ein gewaltiges Krachen aus Richtung der Villa hörten. Es klang, als wäre etwas Massives zerbrochen. Nina war sich nicht sicher, was es sein könnte, und hatte Angst. Schnell verabschiedete sie sich von ihrem Mann und eilte davon. Robert sah ihr nach, wie sie den Sandweg hinunter verschwand.
Nina rannte den ganzen Weg und hielt dabei ihr langes Bauernkleid hoch. Es dauerte fünf Minuten, bis sie die hohen schmiedeeisernen Tore ihrer Villa – Il Focardo – erreichte. Sie bog in die von Zypressen gesäumte Auffahrt ein, bis sie keuchend und schweißgebadet den Haupteingang erreichte und sofort sah, was den Lärm verursacht hatte. Die Eingangstüren waren aufgeschlagen worden. Es musste einer enormen Kraftanstrengung bedurft haben, um diese massiven Balken zu zerbrechen. Sie kletterte über die zersplitterten Trümmer in den Hausflur. Dort war sie mit den Verursachern der Zerstörung konfrontiert. Vor ihr standen sieben schwer bewaffnete deutsche Soldaten.
Nina wollte wissen, was los war. Sie sprach fließend Deutsch, da sie jahrelang mit Robert in Bayern gelebt hatte. Der Kommandant ignorierte die Frage und fragte nach ihrem Namen, woraufhin sie antwortete, sie sei Nina Einstein. Er fragte dann, wo ihr Mann sei, und Nina sagte, sie wisse es nicht. Der Kommandant blieb hartnäckig. Sie hätten den Befehl,...




