Harrison Stahlratte schlägt zurück
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-641-12682-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Stahlratte-Zyklus - Band 4 - Roman
E-Book, Deutsch, 0 Seiten
ISBN: 978-3-641-12682-7
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Jim di Griz, dank seiner zweifelhaften Fähigkeiten als Dieb und Schlossknacker inzwischen zum interstellaren Geheimagenten aufgestiegen, hat sich trotz seines Arbeitgebers ein unbefangenes Verhältnis zu Gesetzesparagraphen bewahrt. Er verbringt mit seiner Braut Angelina einen unbewilligten Urlaub, in dem die beiden Diebe in alte Gewohnheiten zurückfallen. Doch als die Stahlratte in den Dienst zurückkehrt, erhält sie einen Auftrag, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt: Er soll ins Hauptquartier eines gefährlichen Gegners eindringen und die Strategie auskundschaften, mit der dieser einen Planeten nach dem anderen erobert ...
Harry Harrison, 1925 in Stamford, Connecticut geboren, ist einer der großen Meister der Science Fiction. Mit zahllosen Romanen und Erzählungen hat er sich weltweit ein Millionenpublikum erobert, darunter 'New York 1999', der als 'Soylent Green' verfilmt wurde und heute als einer der bedeutendsten Klassiker des Genres gilt. Harry Harrison starb am 15. August 2012 im Alter von 87 Jahren.
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2
»Wohin gehst du, Jim?«, fragte Angelina aus dem Fenster unseres Zimmers im ersten Stock. Ich blieb stehen, eine Hand auf dem Gartentor.
»Nur schnell runter zum Strand und ein paar Züge schwimmen, Liebling«, rief ich zurück. Eine überschwere Pistole krachte, und die zersplitternde Pforte wurde aus meiner Hand gerissen.
»Mach mal deinen Bademantel auf«, sagte sie – nicht unfreundlich – und blies den Rauch von der Pistolenmündung.
Ich zuckte resigniert die Achseln und gehorchte. Ich war barfuß, aber natürlich vollständig angezogen. Meine Hosenbeine waren aufgekrempelt, und meine Schuhe steckten in den Jackentaschen. Sie nickte verständnisvoll.
»Du kannst wieder raufkommen. Du gehst nirgendwohin.«
»Natürlich nicht.« Heiße Entrüstung. »So einer bin ich nicht. Ich fürchtete bloß, du könntest mich missverstehen. Ich wollte nur in den Laden und ein paar Zigaretten …«
»Komm rauf!«
Ich gehorchte. Die Psychotherapeuten des Sonderkorps hatten meine Angelina zwar von ihren mörderischen Regungen befreit, die verknoteten Stränge ihres Unbewussten entwirrt und sie auf eine glücklichere Existenz als die vorbereitet, die ihr bis dahin von den Umständen zudiktiert worden waren. Aber wenn es hart auf hart ging, war sie immer noch die alte. Ich seufzte und stieg mit bleiernen Füßen die Treppe hinauf.
Und ich kam mir noch mehr wie ein Unhold vor, als ich sah, dass sie weinte. »Jim, du liebst mich nicht!« Ein klassischer Schachzug seit der ersten Frau im Garten Eden, aber immer noch unwiderleglich.
»Ich tue es«, protestierte ich, und es stimmte. »Es ist einfach ein Reflex – oder etwas Ähnliches. Ich liebe dich, aber die Ehe ist – nun ja – eben wie ein Gefängnis. Und in all meinen krummen Jahren bin ich noch nie eingelocht worden.«
»Es ist Befreiung, nicht Gefangenschaft«, sagte sie und besserte ihr von den Tränen beschädigtes Make-up aus. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass sie weißen Lippenstift aufgelegt hatte, der zu ihrem weißen Kleid und dem kleinen weißen Spitzending in ihrem Haar passte.
»Es ist genauso, als ob man im kalten Wasser schwimmen geht«, sagte sie und tätschelte meine Wange. »Man bringt es schnell hinter sich, damit man es nicht zu sehr fühlt. Nun roll schon deine Hosenbeine runter und zieh die Schuhe an.«
Das tat ich, aber als ich mich aufrichtete, um auf dieses letzte alberne Argument zu antworten, sah ich, dass die Tür sich geöffnet hatte und ein Standesbeamter und seine zwei Zeugen im Nebenraum standen. Angelina nahm meinen Arm, und sie tat es sanft, das muss ich ihr lassen, und gleichzeitig erfüllten machtvolle Orgelklänge vom Tonband die Luft. Angelina zog an meinem Ellenbogen, ich widerstand einen Moment und wankte dann vorwärts, während ein grauer Nebel vor meinen Augen herabzusinken schien.
Als er sich langsam wieder lichtete, blökte die Orgel ihre letzten Töne, die Tür schloss sich hinter den Rücken der Abgehenden, und Angelina unterbrach die Bewunderung ihres ringgeschmückten Fingers, um ihre Lippen zu meinen emporzuheben. Ich hatte kaum noch genug Willenskraft übrig, sie schnell zu küssen, bevor ich aufstöhnte.
Auf der Anrichte standen einige Flaschen, und meine zuckenden Finger tasteten die Reihe entlang, bis sie unfehlbar die kugelförmige Flasche mit ›Syrischem Pantherschweiß‹ fanden, einem starken Getränk mit so scheußlichen Nachwirkungen, dass sein Verkauf auf den meisten zivilisierten Welten verboten ist. Ein großes Becherglas von diesem Zeug war überaus wirksam. Ich fühlte, dass es mir schadete, und schenkte mir ein zweites ein. Während ich dies tat und in meinen benommenen Gedanken untertauchte, musste eine gewisse Zeitspanne verstrichen sein, weil Angelina – meine Angelina (unterdrücktes Ächzen) – nun in Hose und Pullover vor mir stand, unsere Koffer gepackt und fertig neben sich. Das Glas wurde aus meinen Fingern gepflückt.
»Genug jetzt«, sagte sie – nicht unfreundlich. »Wir werden heute Abend feiern, aber jetzt müssen wir weg. In der nächsten halben Stunde wird die Eheschließung registriert, und wenn der Computer unsere Namen schluckt, wird er klingeln und blinken wie ein Spielautomat bei einem Volltreffer. Und die Polizei wird uns inzwischen mit allen Verbrechen der letzten zwei Monate in Verbindung gebracht haben und sich geifernd und bellend auf unsere Fährte setzen.«
»S-sei still«, befahl ich und kam taumelnd auf die Füße. »Die Vorstellung ist mir vertraut. H-hol den Wagen, und wir fahren.«
Ich bot meine Hilfe beim Koffertragen an, aber bis ich diese Information herausbrachte, war sie mit ihnen schon halb die Treppe hinunter. Mit dieser Ermutigung gelang es mir, dem im Weg stehenden Mobiliar auszuweichen und die Tür zu erreichen. Als ich einige Zeit später ins Freie kam, stand der Wagen mit laufender Maschine und offener Tür draußen, und Angelina saß am Steuer, ganz mühsam gezügelte Ungeduld. Ich stolperte hinein, und die ersten dünnen Fühler der Realität begannen mein Gehirn zu durchdringen. Wie alle anderen Wagen auf Kamata, wurde auch dieser mit Dampf betrieben, und der Dampf wurde durch die Verbrennung von Torfziegeln erzeugt, die der Feuerung mittels einer sinnreichen und unnötig komplizierten Vorrichtung zugeführt wurden. Es dauerte wenigstens eine halbe Stunde, bis der Kessel soweit angeheizt war, dass der Dampfdruck zum Anfahren ausreichte. Angelina musste schon vor der Hochzeit geheizt und auch alle anderen Schritte geplant haben. Mein einziger Beitrag zu alledem war ein privates Besäufnis, das sehr wenig geholfen hatte. Ich schauderte bei dem Gedanken an die einzig mögliche Schlussfolgerung, aber sie war unabweisbar.
»Hast du eine Ernüchterungspille?«, erkundigte ich mich heiser.
Sie lag auf ihrer Handfläche, bevor ich ausgeredet hatte. Klein, rund, rosa, mit einem schwarzen Totenschädel und gekreuzten Knochen darauf. Die Erfindung irgendeines verrückten Chemikers, die im Stoffwechselhaushalt des Körpers wie ein Staubsauger arbeitete und nicht nur den Alkohol, sondern auch alle Nebenwirkungen des Trinkens beseitigte, so dass der bemitleidenswerte Patient innerhalb von Minuten stocknüchtern wurde.
»Ohne Wasser kann ich sie nicht nehmen«, murrte ich. Dann zwinkerte ich den Plastikbecher in ihrer Hand an. Es gab kein Zurück. Schaudernd legte ich das tödliche Ding auf meine Zunge und leerte sodann den Becher.
Man sagt, es dauere nicht lange, aber nach meinem subjektiven Empfinden waren es Stunden. Es ist eine höchst ungewöhnliche Erfahrung und schwierig zu beschreiben. Eine ungefähre Vorstellung gewinnt man, wenn man einen Gartenschlauch in den Mund steckt und das Wasser aufdreht, bis es aus allen Körperöffnungen einschließlich der Poren spritzt.
»Uff«, sagte ich schwach, setzte mich auf und wischte mein Gesicht mit dem Taschentuch ab. Die Häuser eines kleinen Dorfes sausten vorbei und wurden von Feldern und Hecken abgelöst. Angelina fuhr ruhig und entspannt, und der Fördermechanismus schnurrte und klapperte, als er einen weiteren Torfziegel in die Feuerung des Boilers schob.
»Hoffentlich fühlst du dich besser«, sagte sie. »Sie haben Großalarm gegeben und sind hinter uns her. Mit allem, was sie haben. Ich habe den Polizeifunk abgehört.«
»Werden wir ihnen entwischen?«
Angelina warf einen schnellen Blick auf die Karte und zog den Wagen scharf nach links in eine Abzweigung.
»Vielleicht, wenn du sehr schnell eine gute Idee hast. Sie haben das ganze Gebiet eingekreist, mit Luftüberwachung und allem.«
Ich hatte mich von dem heroischen Selbstvertrauen mit der Ernüchterungspille noch nicht ganz erholt, und so gab es eine direkte Verbindung zwischen meinen trüben Gedanken und meinen Stimmbändern, die nicht von der Zensur der Intelligenz kontrolliert wurde.
»Ein großartiger Start in die Ehe, muss ich sagen! Dick in der Tinte und alles! Und ich hab’s gewusst! Kein Wunder, dass ich ihr all diese Jahre ausgewichen bin!«
Der Wagen verließ die Straße und kam rumpelnd und schaukelnd im tiefen Gras unter einer Baumreihe zum Stillstand. Angelina war draußen, hatte die Tür zugeworfen und griff nach ihrem Koffer, bevor ich Zeit für eine Reaktion hatte. Ich versuchte es ihr zu erklären.
»Ich bin ein Dummkopf …«
»Und ich bin ein Dummkopf, dass ich dich geheiratet habe!« Ihre Stimme war eiskalt; Angelina hatte ihre Emotionen völlig unter Kontrolle. »Ich habe dich in die Ehe gelockt, weil ich dachte, das sei, was du wirklich wolltest. Es war ein Irrtum, also wird die Geschichte jetzt enden, bevor sie richtig anfängt. Es tut mir leid, Jim. Du hast mir ein neues Leben gegeben, und ich dachte, ich könnte das gleiche für dich tun. Danke und leb wohl!«
Als sie geendet hatte, war mein aufgeschreckter Verstand wieder in Funktion, und ich war schwach, aber bereit. Im Nu war ich aus dem Wagen, stand vor ihr und hielt sie sanft an den Armen fest.
»Angelina, ich werde dir dies nur einmal und wahrscheinlich nie wieder sagen. Also pass gut auf und vergiss es nicht. Ich war einmal der beste Gauner des Universums, bevor sie mich mit allen möglichen Versprechungen reingelegt und ins Sonderkorps lockten, um ihnen zu helfen, andere Gauner zu fangen. Und ich fing dich. Du warst nicht nur eine Gaunerin, sondern eine raffinierte Verbrecherin und darüber hinaus eine sadistische Mörderin.« Ich fühlte sie erschauern und hielt sie noch fester. »Es muss gesagt werden, denn genau das warst du. Du bist es nicht mehr. Du hattest Gründe, so zu sein; diese Gründe sind beseitigt, und einige unglückliche Knoten in deiner Psyche sind entwirrt worden. Und nun liebe ich dich. Ich liebte dich sogar in der Zeit vor deiner Umerziehung,...