E-Book, Deutsch, 324 Seiten
Hartung / Schaede Internationale Gerechtigkeit
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-534-70387-6
Verlag: wbg Academic in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg)
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Theorie und Praxis
E-Book, Deutsch, 324 Seiten
ISBN: 978-3-534-70387-6
Verlag: wbg Academic in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (wbg)
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gerechtigkeit ist ein Schlüsselbegriff unserer Zeit, besonders während einer tiefen Wirtschaftskrise wie wir sie augenblicklich erleben. Viele politische, wirtschaftliche, aber eben auch philosophische und theologische Debatten drehen sich um dieses Thema. Besonders auch die globale Gerechtigkeit, die Verteilung der Güter und Chancen zwischen den Staaten und Völkern, rückt durch die intensive Verflechtung der Länder und Ökonomien immer stärker in den Mittelpunkt. Diesem wichtigen Themenfeld widmet sich der vorliegende Sammelband, der den philosophischen und theologischen Rahmen absteckt und die zahlreichen einzelnen Problemfelder der ökologischen, juristischen, militärischen, ökonomischen und anderen Dimensionen behandelt. Ausgewiesene Fachleute aus dem Umkreis der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg erforschen ein Terrain, das uns noch lange beschäftigen wird.
Mit Beiträgen von Hans Diefenbacher, Hans-Michael Empell, Gerald Hartung, Matthias Huber, Burkhard Liebsch, Fabiana de Oliveira Godinho, Hans Opschoor, Timo Rademacher, Ulrich Ratsch, Stefan Schäde, Eberhard Schmidt-Aßmann, Volker Teichert, Katharina Weilert, Markus Weingardt.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Internationale Gerechtigkeit
Philosophische und theologische Perspektiven GERALD HARTUNG UND STEPHAN SCHAEDE Inhalt Die Herausforderung Internationaler Gerechtigkeit Eine Skizze theologischer Gerechtigkeitsperspektiven Die philosophische Debatte über Internationale Gerechtigkeit Die Aufgabe einer Bestimmung Internationaler Gerechtigkeit im Übergang zu den Praxisfeldern In philosophischer und theologischer Perspektive die Frage nach der Internationalen Gerechtigkeit anzupacken und im unübersichtlichen Gewölbe der Bibliotheken zum Thema ein weiteres Licht zu entfachen, ist ohne Zweifel abenteuerlich. Gleichwohl liegt ein großer Reiz in der Herausforderung, in ein aktuelles Gespräch über Internationale Gerechtigkeit Resultate eines philosophisch und theologisch geleiteten Nachdenkens über Gerechtigkeit behutsam, aber mit Nachdruck einzubringen. Die Auseinandersetzung mit der Tradition und ihren überlieferten Argumentationsmustern zum Thema Gerechtigkeit erfüllt einen vielfältigen Zweck, Anregung zum Nachdenken, Abstand vom alltäglichen „Geschwätz“ (Kierkegaard) und Herausforderung zu einer komprimierten Darstellung sein. I. Die Herausforderung Internationaler Gerechtigkeit Gerechtigkeit gehört zu den ältesten Rätselfragen der Menschheitsgeschichte. Schon Aristoteles urteilte über die Gerechtigkeit „nicht Abendsonne noch Frührot [sei] so staunenswürdig wie sie“1 . Bei Platon war sie die Sonne am Ideenhimmel. Mit gleichem Bild bezeichnet ein evangelisches Kirchenlied Jesus Christus als „Sonne der Gerechtigkeit“2 . Gerechtigkeit, das ist, über die Jahrhunderte hinweg, jenseits aller säkularen und religiösen Schwärmerei „die zentrale Leitidee der politischen Philosophie“.3 Darüber hinaus ist sie in vielen Kulturen höchstes ethisches Prinzip für gesellschaftliches und religiöses Verhalten. Weltreligionen und klassische Philosophien führen sie als zentrales Konzept: Maat in Ägypten4 , Zedakah im Alten Israel5 , Gottes versöhnende Gerechtigkeit bei Paulus6 , Dharma im Hinduismus7 . Gerecht soll das Leben sein und einem jeden sein Lebensmaß gönnen. Gerecht solle sich Zusammenleben gestalten, so lautet eine Forderung, die in vergleichender religionsgeschichtlicher Perspektive standhält. Was muss also in diesem ausgreifenden kulturgeschichtlichen Kontext angesichts der aktuellen sich globalisierenden Welt- und Lebensverhältnisse gesagt werden? Eine Antwort wird nicht nur von der Theologie oder Philosophie gefordert. Erweisen muss sie sich auch in der Perspektive wechselseitig aufklärender Arbeit von Ökonomie, Recht, Politikwissenschaft, Theologie und Philosophie. Die Kooperation dieser Disziplinen im Blick auf das Gerechtigkeitskonzept scheint angesichts der Komplexität menschlicher Lebensverhältnisse zu einer interdisziplinären Verpflichtung zu werden. Denn jede Generation ist neu aufgefordert, sich angesichts ständig verändernder kultureller und natürlicher Bedingungen auf die Suche zu begeben, wie für gerechtere Lebensverhältnisse gesorgt werden kann. Jede der genannten Disziplin wäre dabei, wie sollte es angesichts der Komplexität ihres Gegenstandes auch anders sein, auf sich gestellt hoffnungslos überfordert. Es ist deshalb eine der großen konzeptionellen Herausforderungen an Institutionen und wissenschaftliche Disziplinen, die praktische Bedeutung und Durchsetzbarkeit von Gerechtigkeit angesichts der Entgrenzung sozialer Ungleichheit im globalen Horizont überzeugend zu beschreiben. Diese Herausforderung steigert sich folgerichtig im Blick auf das Konzept Internationaler Gerechtigkeit. Soll es nämlich gerechte Lebensverhältnisse geben, dann müssen sie mit guten Gründen und mit Macht8 durchgesetzt werden können. Welche Gründe aber kann es geben und welche Macht will und wird Gerechtigkeit durchsetzen – gar international? Die Globalisierung vollzieht sich ja ohne ein, eindeutig dafür zur Verantwortung zu ziehendes, spezifisches Subjekt.9 Die Verantwortung diversifiziert sich in eine schwer zu durchschauende und zu übersehende Vielzahl höchst unterschiedlicher Institutionen. Hier muss durch anspruchsvolle ökonomische, politische und juristische Analysen Klarheit gewonnen werden. Noch bevor überhaupt diese Arbeit aufgenommen wird, könnte eine, die Tatsachen analysierende, ökonomische, rechtliche und philosophische Diagnose, die beansprucht, nüchtern und emotionslos zu sein, zu folgendem defätistischen Urteil kommen: Wir leben in einer Welt, in der es ungerecht zugeht. Politische und soziale Menschenrechte werden zwar manchenorts realisiert, gerechte Lebensverhältnisse sind jedoch im weltweiten Vergleich eher die Ausnahme von einer Regel und bestehen lokal begrenzt. Es ist also völlig ausreichend, die menschliche Lebenswirklichkeit zu begreifen und von allem Wünschenswerten und Illusionärem abzusehen.10 Für diesen nüchternen Befund gibt es eine Fülle von Hinweisen, von denen hier nur einige zu erwähnen sind. Zweifelsohne leben sehr viel mehr Menschen in Armut11 als unter prosperierenden Verhältnissen, sie kennen physisches Wohlergehen kaum, psychisches ebenso wenig. Bildungsressourcen fehlen ihnen, informiert werden sie gar nicht, schlecht oder irreführend. Die Situation einer eskalierenden Ressourcen- und Nahrungsmittelknappheit wird durch viele Studien vor Augen geführt. Im Blick auf Klimaveränderungen wird deutlich, dass die soziale Ungleichheit noch verschärft wird durch eine Entkoppelung von Risikoerzeugung und Risikobetroffenheit.12 Dieses Faktum wird auch zu einem Problem der Generationengerechtigkeit.13 Höchst ungleiche Rechts- und Strafordnungen bestimmen das Leben innerhalb staatlicher Ordnungen. In jeder Hinsicht wird im nationalen und internationalen Bereich – und das hängt nicht nur, aber auch im religiöser Motivation zusammen – mit unterschiedlichem Maß gemessen. Das hat – zumindest aus kulturellen und kulturgeschichtlich aufklärbaren Gründen, weshalb eine Zentralperspektive auf Rechts- und Staatsordnungen weltweit unangemessen erscheint. Deshalb wird ein „Rechtskonzept für mehr internationale Gerechtigkeit … polyzentrisch und diskursiv angelegt sein müssen“14 . Da scheint das Unterfangen, in internationaler Perspektive von Fortschritt und sich entwickelnder Gerechtigkeit zu sprechen, ein Wagnis zu sein. Welche verlässlichen Daten können dieses Wagnis absichern? Wo verlässliche Daten zur Verteilung von Armut und Wohlstand, von Bildungschancen und materiellen Ressourcen vorliegen, ist nur ein verhaltener Optimismus gerechtfertigt. Die Finanzkrise des Herbstes 2008 scheint jedoch diese keimende Hoffnung sogleich zu ersticken. Lässt sich überhaupt noch von einem allgemeinen Trend zu einem Mehr an Wohlstand weltweit sprechen? Die Daten stimmen skeptisch, wenn nicht gar pessimistisch. Daher kann eine Philosophie des skeptischen Minimalismus im Blick auf gerechte Verhältnisse mit einiger Plausibilität behaupten: Die Welt wird immer nur anders, nicht besser.15 Solch einem skeptischen Minimalismus kann eine an der Rechtfertigungslehre orientierte evangelische Beschreibung des christlichen Glaubens nicht beipflichten. Die Welt wird zwar nicht schon durch ein Minimum an gutem Willen und aufrechter Gesinnung gleich besser. Vielmehr sind Individuen und gesellschaftliche Institutionen nach christlicher Auffassung dazu verpflichtet, für das Beste, für das sie sorgen können, auch wirklich Sorge zu tragen. Das jedoch wäre mit einem universalisierten „pecca fortiter“16 nicht vereinbar, denn die Rechtfertigungslehre beschreibt kein religiöses Privatissimum. Christlicher Glaube staunt über Gerechtigkeit nicht weniger als Aristoteles und er hat dafür ganz andere Gründe als die Philosophie. Er setzt auf Gottes Gerechtigkeit. In seiner Schöpfung sollte es entsprechend gerecht zugehen und zwar nicht nur im Ausnahmefall. Gerechte Ordnungen, gerechte Ideen, gerechtes Verhalten sollten durchgängig die Schöpfung bestimmen. Gottes Gerechtigkeit ist keine Richtertugend wie auch menschliche Gerechtigkeit ebenso wenig als eine bloß wünschenswerte Zukunftsperspektive und Utopie im schlechten Sinne, d. h. eine niemals zu erreichende, an der Eigenart der Schöpfung vorbei gedachte Vorstellung Sinn haben würde. Sie ist eine reale lebensgestaltende Kraft, mit der Menschen immer wieder rechnen können und unter den Endlichkeitsbedingungen dieser Welt auch rechnen müssen. Sie ist ein Phänomen essentieller Macht wie umgekehrt Ungerechtigkeit ein Phänomen instrumentalisierten Machtmissbrauchs ist.17 Diese Welt ist im Horizont des christlichen Glaubens eine Welt in der Wende, weder eine völlig korrupte, noch eine bereits erlöste Welt. Wie ist das im Horizont einer verantwortlich interpretierten, theologischen Rechtfertigungskonzeption zu verstehen? Und was bedeutet das aktuell für menschliches Tun und Lassen? Das ist im ersten Teil dieser Studie im Umriss zu skizzieren. Um kompakt zu bleiben und evangelischer Überzeugung zu folgen, geschieht dies in einer Konzentration auf biblische Texte, deren Relevanz für aktuelle Probleme immer zugleich pointiert herausgestellt wird. Dieser Skizze folgt dann eine Analyse aktueller philosophischer Gerechtigkeitskonzepte, mit denen theologisch ins Gespräch zu kommen ist. Denn es lassen sich bemerkenswerte Strukturanalogien zwischen einer philosophischen, nicht schon gleich...