Hasler | Stürmische Jahre | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Nagel & Kimche

Hasler Stürmische Jahre

Die Manns, die Riesers, die Schwarzenbachs
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-312-00676-2
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die Manns, die Riesers, die Schwarzenbachs

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Reihe: Nagel & Kimche

ISBN: 978-3-312-00676-2
Verlag: Nagel & Kimche
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Thomas Mann mit Familie, Franz Werfel, Annemarie Schwarzenbach, Alma Mahler – berühmte Autoren fanden vor dem Krieg in Zürich zusammen, mittendrin das heute vergessene Ehepaar Ferdinand und Marianne Rieser. Ihrem Engagement war es zu verdanken, dass das von ihnen gekaufte und privat betriebene Theater am Pfauen zu einer Heimat im Exil für viele durch den Nationalsozialismus gefährdete Schauspieler aus Deutschland wurde. Sie spielten riskante, nazikritische Stücke. In ihrer romanhaften Art erzählt Eveline Hasler von der angstvoll kreativen Anspannung damals, Schauplätze sind auch Wien, Prag und München. Ein starkes Porträt von Menschen, die mit angehaltenem Atem das Ungeheure erwarten.

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    21   DER JANUAR BLIEB KALT, die Straßen waren vereist. Das hielt den begeisterten Automobilisten Rieser nicht davon ab, am Steuer seines Zweitwagens, eines cremefarbenen Buick, mit Frau und Töchterchen nach Wien zu reisen. Franz und Alma Werfel erwarteten die Verwandten in ihrem neuen Wohnsitz, der Villa Ast. Sie stand im Edelviertel der Stadt auf der sogenannten Hohen Warte, eine Jugendstilvilla mit sandfarbener Fassade und zwanzig Zimmern. Der Erbauer, reich geworden in der Baubranche, hatte an nichts gespart, überall Marmor, die Zimmer luxuriös eingerichtet, geschmackvoll die Möbel aus der Wiener Werkstätte. Über dem Kanapee prangte, vom ehemaligen Geliebten Oskar Kokoschka gemalt, überlebensgroß die Hausherrin. Jetzt wurde in einem Rollstuhl die junge Manon hereingeschoben, das Gesicht sorgfältig bemalt, eine kostbare Decke auf den Knien. Die Gelähmte war Besucher gewohnt. Ein steter Strom von Mitfühlenden und Neugierigen zog vor ihrem Rollstuhl vorüber, und sie war es etwas müde geworden. Doch über den Besuch der kleinen Mucki schien sie sich aufrichtig zu freuen. Bevor Manon vor einem Jahr von der heimtückischen Krankheit erwischt worden war, hatten sich die beiden noch in Venedig gesehen, damals war Manon bei der Rialtobrücke herumgehüpft, ein rehschlankes, übermütiges Mädchen. «Wunderbar, ihr seid gerade rechtzeitig gekommen», sagte Alma zu den Gästen. Und geheimnisvoll fügte sie hinzu: «Übermorgen ist Manons großer Tag.» Und Marianne: «Ach, was denn? Geburtstag hat sie doch nicht?» «Sie wird verlobt», sagte Alma lächelnd. Die Zürcher Gäste schauten verdutzt. «Nun, es ist ein so reizender Bräutigam, ein junger Politiker. Die Liebe wird zu ihrer Heilung beitragen.» Ferdinand Rieser seufzte. Bestimmt hatte Alma sich das ausgedacht, er hasste Almas gesellschaftliche Betriebsamkeit. Zum Glück schlug Franz Werfel vor, mit den Gästen einen Rundgang durch Haus und Gartenanlage zu machen. Draußen auf der Terrasse gestand der Hausherr, er möge den pompösen Palais nicht, Alma habe die Villa ausgesucht. Doch auch ihre Begeisterung habe inzwischen nachgelassen. Sie glaube, in den luxuriösen Marmorwänden wohne der Tod. «Warum denn das?», fragte Marianne. «Der frühere Besitzer und Erbauer, einer der erfolgreichsten österreichischen Baulöwen, hat nicht nur in der Weltwirtschaftskrise einen großen Teil seines Vermögens verloren, auch zwei seiner Kinder sind in diesem Unglückshaus, wie Alma es jetzt bezeichnet, gestorben. Und nun», Franz seufzte, «leiden wir ja unter der tragischen Erkrankung von Manon …» «Mit wem soll sie denn verlobt werden?» «Mit Erich Cyhlar. Er ist achtundzwanzig.» «Ach, ich erinnere mich», sagte Marianne. «In Venedig, vor Manons Erkrankung, hat Alma ihn uns vorgestellt. Aber Manon schien mir über die Bekanntschaft nicht gerade begeistert zu sein.» Werfel nickte. «Nun, er ist ein liebenswürdiger junger Mann, ein Protégé des Moraltheologen Hollnsteiner. Er liebt Manon. Hollnsteiner und Alma finden, seine Zuneigung werde der Kranken guttun.» Das alles klang sehr nach Almas Inszenierung. Kein Wunder, dass man in den Klatschspalten der Wiener Presse bereits über das bevorstehende Ereignis lesen konnte. Am Vortag werden denn auch rund um die Uhr weiße Blumenbouquets ins Haus geliefert. Am Tag des Festes erscheinen die Gäste und sitzen mit leicht betretener Miene in Almas Salon. Unterhalten sich gedämpft. Das Wohnzimmer der kranken Braut, erklärt die Hausherrin, bleibe noch vor fremden Blicken durch einen Vorhang geschützt. Erst als Hollnsteiner die Szene betritt, kommt Bewegung in die Gäste, als Zeremonienmeister ordnet er alle im Halbkreis an. Geigenmusik erklingt, Hollnsteiner reißt den Vorhang beiseite. Da sitzt die Braut, sorgfältig hergerichtet, neben dem Rollstuhl steht der Bräutigam im Smoking. Ein junger eifriger Staatssekretär. Aufgeplusterte Wangen unter kreisrunder Hornbrille. Er neigt sich zur Braut, lächelt, «Küss die Hand». Und küsst lilienweiße Fingerspitzen. Was für ein Bild! Die Pressefotografin kommt nach vorn und kauert sich hin für eine Aufnahme. «So ein Paar hat man noch nie erlebt. Rührend, dass der junge gutaussehende Mann sich opfert», flüstert eine Dame mit Pelzstola, ihre Freundin nickt und entnimmt ihrem Ridicule das gestickte Taschentuch. Da und dort betupft man sich die Augen. Schneuzt sich zart. Die Lilien, seit jer in der Kirche ein Symbol der Reinheit, verbreiten aus den üppigen Bouquets Friedhofsgeruch. Manon, wächsern, mit Rouge auf den Wangen, schaut nicht unfreundlich, doch ziemlich gleichgültig. Hollnhofer, nun wieder inmitten der Gästeschar, erzählt in einer kurzen Ansprache, dass es der Wunsch der Braut gewesen sei, Schauspielerin zu werden. Noch immer könne sich dieser Wunsch erfüllen, sei doch, o Wunder!, ihre Stimme trotz der Lähmung sanft und samten geblieben. Der Theologe, Almas Seelenhirt und nach Aussage intimer Kennerinnen auch mehr, wünscht dem Paar in Bälde eine glückliche Hochzeit, überstrahlt von einer Gesundung durch Liebe! Wunderbare Worte. Der Bräutigam steht dazu, die Braut muss er sitzen lassen. Im Hintergrund der Gäste eine junge Frau, sie schüttelt den Kopf über Hollnsteiners Rede, verkneift sich ein Lachen: Es ist Anna, Almas Tochter aus der Ehe mit Mahler. Neben ihr Verehrer und Begleiter, der junge Dichter Elias Canetti, der später einmal den Nobelpreis erhalten wird. Alma kann ihn nicht ausstehen, in ihrem Tagebuch beschreibt sie ihn als halb verkrüppelten, nihilistischen Juden, einen literarischen Anfänger. Anna, mit ihren sechsundzwanzig Jahren schon zweimal geschieden, wird den Liebhaber auswechseln. Wer hat ihr in erotischen Angelegenheiten den schnellen Wechsel vorgemacht? Wohl die Mutter, heißt es in Wien. Zum Schluss der Zeremonie, um die Braut zu beglückwünschen, gehen die Besucher einzeln nach vorn. Man beugt sich vor der jungen Braut – oder ihrem Schicksal? –, küsst ihr die linke Wange. Mucki geht als Letzte, tippelt hin auf Zehenspitzen. Hält beim Küssen vorsichtig Manons Kinn, eine Braut aus Glas.   Nach der Verlobung muss sich die Manon von dem Ereignis erst tüchtig erholen. Doch schon am nächsten Morgen verlangt sie nach Mucki. Mucki setzt sich neben den Rollstuhl, zeichnet auf ein Blatt. Erzählt dazu: «Das hier ist Bellefleur. Unser Emigrantenhund. Zürich ist, weißt du, voller Emigranten. Papa ist froh um sie, sonst wäre seine Bühne leer.» Manon kichert. «Auch Mama und Papa sind zugezogen», fährt Mucki fort. «Ist nicht jeder Mensch irgendwann eingewandert? Ganz früher wohnten wir ja alle mit Adam und Eva im Paradies, wo die Bäume mit den roten Äpfeln stehen.» «Die Mucki», so erzählt Manon der Mutter, «ist noch ein bisschen naiv, aber was sie so daherplappert, ist erfrischend. Wenn sie bei mir ist, ist mir weniger fad. Sie leistet mir Gesellschaft wie im Buch der Johanna Spyri die Heidi, die aus den Schweizer Bergen nach Frankfurt kommt. Du weißt doch, zu Fräulein Klara, die auch im Rollstuhl saß.» Alma ist erfreut, dass die beiden Mädchen sich so gut verstehen, möchte die Mucki noch einen Monat in Wien behalten. Doch Ferdinand Rieser pocht darauf, dass sie Ende Woche bei schönstem Winterwetter heimreisen. Morgen muss er noch nach Salzburg, hat dort in der Nähe eine geheime Mission. Und Mucki? Sie darf nach den Ferien nicht schon wieder in der Schule fehlen. «Kommst du wieder, Mucki?», fragt Manon. «Nächstes Jahr.» «Dann bin ich tot.» Alma, die es gehört hat, schluchzt auf. «Mama», sagt Manon, «du wirst damit fertig werden. Wie du schon mit vielem fertig geworden bist.»   Wochen später, im April, wird Manon auf dem Grinzinger Friedhof begraben. Alban Berg, kinderlos, ein Freund des Hauses, widmet der Toten das Violinkonzert Dem Andenken eines Engels. Ein Werk aus farbigen, durchsichtigen Klängen, in Zwölfton gesetzt, der gläserne Flügel des Engels zersplittert. Und Elias Canetti malt Manon mit seinen Worten: Sie verbreitete Scheu mehr noch als Schönheit um sich, eine Engelsgazelle vom Himmel.     22   AM NÄCHSTEN TAG fuhr Ferdinand Rieser schon früh mit seinem Wagen nach Salzburg. Eine geheime Mission, hatte er zu Marianne gesagt, er hoffe, gegen Abend zeitig zurück zu sein. Der Tag war kalt, doch sonnig heiter, Alma schlug vor, Marianne zum Einkaufsbummel in ihre Lieblingsgeschäfte mitzunehmen, anschließend wollten sie Kaffee trinken in einer der berühmten Konditoreien in der Wiener Innenstadt. Da waren die zwei Frauen an einem Marmortischchen bei üppigem Gebäck, Alma in wallendem rosa Kleid und in bester Laune. Das Gespräch kreiste um Almas Lieblingsthema, die Liebe. Der Schwägerin war während ihrer Zeit in Zürich nicht entgangen, dass Marianne Rieser die Zusammenarbeit mit einem ungarischen Musiker überaus reizvoll fand. Marianne, peinlich berührt, lächelte schmal. Wiegelte ab: «Nun, Kasics ist ein netter Kerl. Ich mag ihn und seine Musik.» Doch Alma ließ ihr Komplizenlachen hören, ihr strohfarbener, dauergewellter Kopf rückte näher. Marianne, das schwere Parfüm riechend, war gefangen in dem Dunstkreis. «Pass auf», sagte jetzt Alma vertraulich. «Musiker sind für euch Werfel-Töchter eine Versuchung.» «Werfel-Töchter? Wie kommst du darauf?» «Muss ich dich daran erinnern, was sich zwischen Hanna und Alban Berg abgespielt hat?» Widerlich, sie kann auch Hanna nicht in Ruhe lassen, dachte Marianne. Erklärte dann kurz angebunden,...


Hasler, Eveline
Eveline Hasler wurde in Glarus geboren, studierte Psychologie und Geschichte in Fribourg und Paris und war einige Zeit als Lehrerin tätig. Heute lebt sie im Tessin. Sie schreibt vor allem historische Romane, aber auch Lyrik, Kinderbücher, Kolumnen, Reportagen sowie Radio- und Zeitschriftenbeiträge. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Schubart-Literaturpreis, dem Meersburger Droste-Preis für Dichterinnen und dem Justinus-Kerner-Preis. 1990/91 war sie Guest Lecturer am German Department der City University in New York. Ihre Bücher wurden bisher in zwölf Sprachen übersetzt.



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