E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Hau’ofa Rückkehr durch die Hintertür
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-293-30302-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-293-30302-7
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Tonga gilt als miserabler Erzähler, wer seine Zuhörer nicht zum Lachen bringt. Lach- und Lügengeschichten über seine kleine Insel im Pazifik erzählt auch Epeli Hau’ofa. Hier gelten ganz andere Regeln als für den Rest der Welt. Die größte Tugend ist heiteres Nichtstun, das allerdings immer wieder durch penetrante Entwicklungshelfer gestört wird. Sie haben die Insel als ideales Terrain für Hilfsprojekte entdeckt, was allerhand lästige Betriebsamkeit verursacht. Doch bald entwickeln sich die Bewohner zu international hochgeschätzten Experten im Einreichen korrekter Gesuche und Empfangen von Hilfe.
Epeli Hau’ofas geschliffene Satiren funkeln vor Spott und Selbstironie und gehören heute zum grundlegenden Lesestoff und Denkanstoß der pazifischen Welt.
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Der Siebte Tag und andere Tage
Als Gott in sechs Tagen das Universum schuf und am siebten ruhte, befand Er, dass es so gut sei und dass der Mensch seine Arbeits- und Ruhetage ebenso regeln solle. Abrahams Kinder befolgten die Regel, und so tun es die Christen auf der ganzen Welt – außer in dem kleinen Land Tiko, ungeachtet seiner strengen Gesetze zum Sonntagsgebot. Das heißt nicht, dass in Tiko sieben oder auch nur fünf Tage die Woche gearbeitet wird. Weit gefehlt. Um Tiko zu verstehen, muss man zuerst die Wege des Lieben Gottes kennen und sich dann das Gegenteil vorstellen. Während der Herr in eine Richtung geht, gefolgt von den Christen auf der ganzen Welt, schlägt Tiko die entgegengesetzte Richtung ein, und zwar ganz allein. Wenn also der Herr an sechs Tagen arbeitet und am siebten ruht, ruht Tiko an sechs Tagen und arbeitet am siebten. »Und das ist die Wahrheit«, sagte Manu und nickte mit seinem schweren Kopf. »Da unsere Leute am Sonntag so hart arbeiten, müssen sie sich sechs Tage lang von den Strapazen erholen.« »Das ist nicht wahr!« rief der alte Priester. »Niemand arbeitet oder spielt am Sonntag, das ist gegen das Gesetz!« Da er nicht mit einem starrköpfigen Achtzigjährigen streiten wollte, erzählte Manu dem Prediger von seinem bedeutenden Verwandten Sione Falesi. Sione ist eine äußerst wichtige Person, die im Königreich hohe weltliche und religiöse Ämter bekleidet. Sione ist ein Meter achtzig groß, wiegt sicherlich seine dreihundert Pfund, und jedes Gramm an ihm verrät den großen polynesischen Aristokraten, wie Satusi, seine fünfundzwanzigjährige Frau, es auszudrücken pflegt. Tatsächlich ist Sione ein richtiger polynesischer Häuptling, ein praktizierender Christ und ein erklärter Sündiger, der jeden Sonntag in die Kirche geht, vor allem um Gott für seine vielen, vielen Fehler um Verzeihung zu bitten. Siones Haus steht nicht allzu weit von der Kirche des Ortes entfernt, die eine riesige Glocke hat. Jeden Sonntagmorgen exakt um vier Uhr dreißig dröhnt die große Glocke. Ja, sie dröhnt, denn in Tiko läuten die Glocken nicht. Zudem dröhnt die Glocke von Siones Kirche genau zur selben Zeit wie tausende anderer Glocken im Königreich, wo es viermal mehr Kirchen gibt als öffentliche Einrichtungen, selbst wenn man alle zusammenzählt. Beim ersten Dröhnen rollt Sione von seiner Frau herunter und kracht auf den Boden, ist hellwach. Auch Satusi schreckt auf, fällt auf ihn drauf und ist ziemlich sauer wegen dieser Unterbrechung. Ihre sechzehn Kinder springen ebenfalls auf, allerdings geben sie keinen Mucks von sich, da sie sonst den Hintern versohlt bekämen. Alle Leute im Land springen zur selben Zeit auf wie Sione und seine Familie. Und die Glocken hören erst dann auf zu dröhnen, wenn alle in der Kirche sind. Es gibt keine andere Möglichkeit, die Glocken anzuhalten, was erklärt, warum annähernd hundert Prozent in die Kirche gehen. Alle gehen in die Kirche, alle außer Manu, der das einzige Paar Ohrstöpsel im Land besitzt. Und deshalb kann Manu durchschlafen. So beginnt der Sonntag im kleinen Tiko, ein langer Tag. Alle zwei Stunden dröhnen die großen Glocken, und alle zwei Stunden gehen alle in die Kirche, außer Manu. Alle singen, alle beten, alle beichten; sitzend, stehend, kniend. Und während des ganzen Siebten Tags wird der Herr gelobt, wird dem Herrn geschmeichelt, wird der Herr um etwas gebeten. Doch vielleicht hört es der Herr gar nicht, weil es sein freier Tag ist. Der letzte Akt der Frömmigkeit findet um zehn Uhr abends statt, wenn jede Familie zusammenkommt, um das Familiengebet herzusagen, bevor sie sich in ihre sechstägige Ruhe- und Erholungsphase zurückzieht. Sione hat sechzehn Kinder, und keines ist an einem Sonntag geboren worden. Seine Frau ist wieder schwanger, und es ist ganz sicher, dass das Kind an jedem anderen Tag auf die Welt kommen wird als am Siebten Tag. Tatsächlich ist niemand im Königreich an einem Sonntag zwischen Sonnenaufgang und Mitternacht empfangen oder geboren worden, und zwar wegen der Glocken, die die Menschen in den Kirchen halten. Es ist unmöglich, am Siebten Tag irgendeine Sünde zu begehen. Kinder können nur an einem Sonntag geboren werden, wenn ihre Erzeuger an diesem Tag gesündigt haben, sagen die Ärzte vom staatlichen Krankenhaus. Doch niemand tut es, nicht einmal Sione, obwohl er eine äußerst wichtige Person ist. »Der Siebte Tag ist der Tag des Herrn, jeder andere Tag gehört dem Teufel«, erklärte Manu. Und der Teufel tut, wie die Sonntagsschullehrer predigen, nichts anderes, als die Menschen in Versuchung zu führen. Deshalb sind die sechs Tage, die dem Versucher gehören, nicht nur eine Phase der Ruhe und Erholung, sondern auch der Verführung und vielen, vielen Sünde. Ungeachtet ihrer Frömmelei und der scheinheiligen Beteuerungen würden Sione und seine Freunde es nicht anders haben wollen. So hat Sione dank der Ruhe und des ach so sündigen Lebens während der sechs auf den Siebten folgenden Tage sechzehn Kinder gezeugt, und es sollten noch mehr kommen. Sione ist fest davon überzeugt, dass er mit einer großen Familie dem Allmächtigen einen hübschen Gefallen tut. Sagte Gott nicht zu Abraham, er solle so viele Kinder zeugen wie Sandkörner auf der Erde oder Sterne am Firmament? So war es, sagte Sione, und es gibt noch nicht einmal so viele Menschen in Tiko wie Sandkörner in einer Hand. So kann Sione nicht anders, als sich gegen die Vereinigung für Familienplanung (VFP) und das, was sie repräsentiert, zu stellen. Als die Vereinigung über die Bevölkerungsexplosion sprach, gab Sione scharf zurück, dass es auf Tiko keine Explosionen gäbe außer denjenigen, die von den Hintern der VFP-Mitglieder losgehen würden. Als die Vereinigung den Gedanken äußerte, dass die Menschen sich weniger fortpflanzten, wenn sie weniger ruhten, entgegnete Sione, dass Ruhe und Fortpflanzung ein Geschenk Gottes an den Menschen seien und deshalb die VFP nichts angehe. Als die Vereinigung den Klerus anflehte, die sonntägliche Bürde zu erleichtern, sodass die Menschen an den übrigen Tagen zu Hause nicht so viel Zeit mit Ausruhen verbrächten, wollte der Klerus den Vorschlag nicht unterstützen, sondern erklärte: Erst wenn alle seine Schäfchen in den Himmel kämen, ruhten sie auch sonntags. An den anderen Tagen dürften sie ruhen, soviel sie wollten. Und das tun sie auch: zu Hause, im Busch, auf Stühlen, überall. Sione beispielsweise fährt von Montag bis Freitag jeden Morgen in sein Büro, um auf dem Stuhl hinter dem Schreibtisch zu faulenzen. Um drei Uhr nachmittags eilt er dann nach Hause, um den Rest des Tags auf seiner Frau zu verbringen. All dies ist der staatlichen Einrichtung nicht gerade förderlich, sagte der weise Mann von der Denkbehörde. Diese weisen Männer stellten einst einen Übersee-Experten ein, der prüfen sollte, ob die Möglichkeit bestünde, dass die Tikongs auch am Werktag arbeiten. Der Experte, ein gewisser Mr. Merv Dolittle von der Abteilung der Angelegenheiten für Ureinwohner, Canberra, Australien, interviewte ein halbes Dutzend VIPs, unter ihnen Sione Falesi. Mr. Dolittle kam eine Stunde früher als vereinbart in Siones Büro, wo er ihn mit seiner Sekretärin Ana Taipe beim Kartenspiel antraf. »Bitte, kommen Sie herein, kommen Sie herein, Mr. Dolittle. Sie kommen etwas zu früh, nicht wahr?« Sione begrüßte seinen Gast ohne einen Anflug von Verlegenheit. »Möchten Sie mit uns spielen? Nicht? Wie schade. Dann nehmen Sie Platz. Wir halten nur gerade unsere Teepause ab.« »Teepause?« fragte Mr. Dolittle und schaute auf seine Uhr. Es war neun. Seine Augen suchten das Büro nach Teetassen ab. »Sie werden nichts finden, Mr. Dolittle. Wir haben kein Geld für Tee, weshalb wir die für eine Teepause vorgesehene Zeit mit Kartenspielen totschlagen. Wenn man nichts zum Beißen hat, kann man geradesogut mit den Fingern herumfummeln, das ist jedenfalls meine Meinung. Ana, wisch den Tisch ab und nimm die Karten mit. Braves Mädchen. Wir werden in der Mittagspause das Spiel wieder aufnehmen.« Die Sekretärin verließ das Büro, und Sione wandte sich dem Experten zu. »Nettes Mädchen. Sie ist die raffinierteste Kartenspielerin in Tiko. Deshalb habe ich sie angestellt. Sie taugt sonst nicht viel. Die guten Sekretärinnen sind in Neuseeland.« »Was macht Ana?« »Verschiedenes, Mr. Dolittle. Sie und ich spielen jeweils in den Pausen am Morgen und am Mittag Karten. Oft kommen wir richtig in Fahrt und spielen dann einfach weiter. Was sind schon zwei Stunden?« »Was macht sie sonst noch?« »Verschiedenes, wie ich bereits sagte«, erwiderte Sione und zerbrach sich den Kopf über Anas positive Eigenschaften. »Sie ist eine verdammt gute Masseuse. Ich habe einen Bandscheibenvorfall, wie Sie sehen, und sie bearbeitet ihn seit fünf Jahren. Und das täglich. Sie ist Klasse, Sie müssen sie eines Tages ausprobieren.« »Haben Sie an Ihrer Arbeit schwer zu tragen, Mr. Falesi?« »O ja, sehr. Sie sollten mich am Sonntag sehen, wenn ich achtzehn Stunden durchgehend für Gott arbeite. Das Leben ist eine Last, eine enorme Last«, seufzte Sione schwer. »Aber man muss das seine beitragen für den Allmächtigen. Er war sehr gut zu Tiko, man kann es überall feststellen …« »Wie steht es mit den anderen Tagen?« unterbrach ihn Mr. Dolittle. »Wie bitte? O ja, die anderen Tage, selbstverständlich. Nun, sehen Sie, Mr. Dolittle …« Sione hielt...