E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Hausbichler Der verkaufte Feminismus
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7017-4659-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie aus einer politischen Bewegung ein profitables Label wurde
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-7017-4659-0
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Beate Hausbichler, geboren 1978 in Reith im Alpbachtal (Tirol), lebt in Wien. Sie hat Philosophie an der Universität Wien studiert und ist seit 2008 Redakteurin bei der österreichischen Tageszeitung DER STANDARD, seit 2014 leitet sie deren frauenpolitisches Ressort dieStandard. Zuletzt erschienen: 'Der verkaufte Feminismus' (2021).
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Feminismus und Konsum – eine alte Freundschaft
In einem vorweihnachtlichen TV-Spot des Online-Konzerns Amazon fallen sich zwei Frauen in einer Flughafenhalle in die Arme und küssen sich. Es sind einfach zwei junge Frauen, die sichtlich ein Paar sind und sich über ein Wiedersehen freuen. Sie schwenken weder eine Regenbogenfahne noch werden sie von den anderen Passant*innen kritisch beäugt – Schnitt zu einer anderen Szene des täglichen Lebens, zu dem eben auch diese gehört.
Ein anderer Internetriese plakatiert wenige Wochen davor androgyn aussehende Menschen, unterhalb ihrer Bilder steht der Slogan »Free to be«. Sie tragen das, was man vor ein paar Jahren vielleicht noch als Unisex-Klamotten bezeichnet hätte. Jetzt braucht es keine extra Titulierung mehr. Lässige Kleidung, lässige Menschen, die lässig sind im Umgang mit Geschlechterrollen, oder besser gesagt: Geschlechterklischees? War da mal was?
Wie schön, denkt sich die feministisch geneigte Passant*in. Werbung wie diese zeugt doch von einer gewissen Selbstverständlichkeit. Dass man nicht automatisch wegen des eigenen weiblichen biologischen Geschlechts auf Männer steht und sich schon gar nicht deswegen auf die Wahl von »Frauenklamotten« limitieren lässt. Und trotzdem ist da auch eine gewisse Irritation, die die Freude darüber trübt, dass seit einigen Jahren Werbungen nur so vor Diversity und Feminismus strotzen. Waren es nicht Feministinnen, die das alles vorantrieben? Menschen, die gegen Sexismus kämpften und nichts dafür bekamen – außer verdammt viel Gegenwind, Häme und die ständige Diffamierung ihrer politischen Ziele? Für ihre kommunistisch anmutende »Gleichmacherei« der Geschlechter, für ihre »Hässlichkeit«, weil sie sich den gängigen und von der Schönheitsindustrie befeuerten Schönheitsidealen verweigerten? Und waren es nicht eben genau diese Industrien, die massiv von dem strengen Auseinanderdividieren der Geschlechter profitierten, ja sogar darin ihre Geschäftsgrundlage hatten? Seien es Kosmetik, Ernährung, Mode oder Lifestyleprodukte und damit natürlich auch Amazon oder Zalando. Es sind mächtige Industrien, die in Frauen das unstillbare Begehren wecken, perfekt zu sein. Und jetzt stellen sich Unternehmen wie diese plötzlich auf die feministische Seite?
Nun, daran muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Feminismus ist eben im Mainstream angekommen. Und ist es nicht gut, wenn Feminismus, die Gleichberechtigung von Frauen und LGBTIQ (Lesbisch Schwul Bi Trans* Inter* Queer) inzwischen ein derart gutes Image haben, dass sich auch Konzerne damit schmücken wollen? Oder ist es eben nur das: eine feministische Variante von Greenwashing, also ein »Feminist-Washing«, das das Fett abschöpft und die darunterliegenden zäheren Anliegen, jene, die mehr erfordern als bloße Ästhetik, schön unberührt lässt? Aber schieben wir die Frage, ob geschlechterpolitisch progressiv angehauchte Spots wie jene von Zalando oder Amazon gut oder schlecht sind, einmal beiseite. Denn auch wenn es offensichtlich ist, dass der Umgang von Werbung und Konzernen mit dem Thema Gender im weitesten Sinne neu ist, so zeigt ein genauerer Blick auf geschlechterpolitische Entwicklungen, dass er es im Grunde nicht ist.
Für den Konsumkapitalismus war es immer schon wichtig, die herrschenden Geschlechterverhältnisse zu verstehen. Nicht nur, damit er Frauen und Männer in ihrem ihnen zugeordneten Rollenverständnis erreicht, sondern er muss auch Möglichkeiten des Ausbruchs aus ebendiesen Rollen anbieten. Die Geschlechterdifferenz, also die Vorstellung, dass es nur Männer und Frauen gibt und das biologische und soziale Geschlecht ursächlich miteinander zusammenhängen, dass Männer und Frauen verschiedene Bedürfnisse und Kompetenzen haben und durchgehend heterosexuell wären – diese Vorstellungen sind noch immer eine enorm wichtige Grundlage für ein endloses Produktportfolio. Doch gleichzeitig sind heute innerhalb der herrschenden Geschlechterrollen die Antworten auf die Frage »Wer willst du sein?« diverser geworden. Vor der zweiten Frauenbewegung beschränkten sich die möglichen Identitäten von Frauen meist nur auf die Wahl, eine mittelprächtige oder eine perfekte Hausfrau sein zu wollen, darauf, ob es im eigenen Haushalt »nicht nur sauber, sondern rein« sein sollte, wie es in dem berühmten Werbeslogan der Waschmittelmarke »Ariel« ab den späten 1960ern hieß.
Heute darf es mehr sein. Männer dürfen und sollen sich zugestehen, eine anspruchsvolle Gesichtshaut zu haben, und können sich die pflegende Creme in einem in kräftigem Mitternachtsblau gehaltenen Tiegel ins Bad stellen. Es ist im Grunde ganz einfach: Werden die Identitätsangebote für die Geschlechter vielfältiger, werden es auch die Produkte. Eine Win-win-Situation? Eine Wachstumschance für den Markt und gleichzeitig eine Chance im Kampf gegen sexistische Stereotype?
Neue Produkte für neue Geschlechterrollen
Werbung muss Menschen oder – um in der Sprache des Marktes zu bleiben – Konsument*innen in den ihnen zugeordneten sozialen Sphären ansprechen. Und zwar nicht nur, um an ihre vermeintlichen Interessen zu appellieren, denken wir nur an Automessen, die ja vor allem Männer ansprechen, bei denen polierte Neuwagen bis heute flankiert von zwei jungen Frauen präsentiert werden. Oder an die perfekt sitzende Slipeinlage für sie, die den ganzen Tag »frisch hält«. Wer verkaufen will, muss über die Klischeevorstellungen hinaus die Geschlechterverhältnisse genau beobachten. Konzerne müssen verstehen, wer überhaupt welche Kaufentscheidungen treffen kann und darf. Das galt insbesondere für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Damals appellierte man noch vorwiegend an die Kompetenzen von Frauen als Hausfrauen, als Verantwortliche für alles, was das Äußere, die Oberfläche, das Heim betraf: saubere Wäsche, Küchenzubehör, Haushaltsgeräte, Schönheitspflege. In den Werbesujets der 1950er-Jahre posieren Frauen neben Kühlschränken wie dem »Neuen Frigidaire – Ein entscheidender Fortschritt in der Haushalt-Kühlung«. Oder sie freuen sich, nun endlich »meine Gruco-Küche« zu haben, und fallen dem Gatten im Anzug um den Hals, der sie ihr offenbar gekauft hat. Wie der großzügige Gönner auf dem Gruco-Sujet tragen nahezu alle männlichen Protagonisten in der Werbung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Anzug. Frauen hingegen Kleidung für drinnen: Küchenschürzen, Dessous, flauschige Hauspantoffeln. Darin bejubeln sie Produkte »für Frauen«, während Männer für alles stehen, was draußen passiert. Sie sind auf der Straße, im Büro zu sehen, stets unterwegs. Ein Sujet der Textilmarke Elbeo für »ihn« und »sie« zeigt diese strenge Drinnen-Draußen-Dichotomie so: Der Männerfuß, der den Herrenstrumpf bewirbt, steckt in einem Lederschuh. Der Mann ist gerade auf dem Sprung hinaus in die Welt – das heißt, sobald die auch auf dem Bild sichtbare Frau damit fertig ist, ihm die Schuhe zu binden. Die hilfsbereite Dame hingegen bleibt daheim, so viel steht auch auf dem Elbeo-Sujet für Damenstrümpfe fest, die vor warmem Kerzenlicht feilgeboten werden, ein gemütlicher Innenraum, ihr privates Territorium.
Innen und außen, privat und öffentlich. Das sind wesentliche Denkfiguren für die Untersuchung der Geschlechterverhältnisse und der Unterdrückung von Frauen. Etwa bei Simone de Beauvoir (de Beauvoir 2000), die das Frauenleben als ein auf Immanenz, Körperlichkeit, Passivität und Wiederholung beschränktes Dasein analysiert, während Männer Transzendenz repräsentieren. Ihnen sei durch Geistigkeit und Intellektualität die Selbstüberschreitung möglich, sie könnten aktiv in die Welt eingreifen. Auch Pierre Bourdieu (Bourdieu 2005, 14–43) analysiert die soziale Ordnung durch die männliche Herrschaft entlang von Körperlichkeit und Innerlichkeit, die Frauen in ihrem Habitus verkörpern und sich so immer wieder an ihren sozialen Ort im Inneren gekettet werden, während Männer ihren Platz im Draußen und in der Öffentlichkeit haben.
Diese Innen-/Außen-Zuweisung von Männern und Frauen ist im Alltag offensichtlich – und schafft bis heute eine schier unendliche Menge von Produkten, die entlang dieser Anordnung vermarktet werden. »Würde man einem Mann alle ›Männergeschenke‹ kaufen, könnte er ein halbes Jahr in der Antarktis überleben & dabei die ganze Zeit besoffen sein. Würde eine Frau alle ›Frauengeschenke‹ bekommen, könnte sie eine Reihe aus Kuscheldecken um die ganze Erde legen«, schreibt die deutsche Autorin und »Der Spiegel«-Kolumnistin Margarete Stokowski (Stokowski 2019). Schaut man auf das Marketing für Kleidung und Spielzeug für Kinder, hat sich die Zuweisung sogar noch verstärkt. Seit rund zehn Jahren wurde die Einteilung der Warenwelt in Pink und Blau noch einmal um einiges rigider (Hausbichler 2019). Die Angebote an Spielzeug-Haushaltsgeräten...




