E-Book, Deutsch, Band 1, 208 Seiten
Havek Fräulein Kniffkes geheime Heldenschule 1: Stinkesocken auf 12 Uhr
22001. Auflage 2022
ISBN: 978-3-522-65524-8
Verlag: Planet!
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Superhelden-Geschichte ab 8 Jahren
E-Book, Deutsch, Band 1, 208 Seiten
Reihe: Fräulein Kniffkes geheime Heldenschule
ISBN: 978-3-522-65524-8
Verlag: Planet!
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Lena Havek hat Literaturwissenschaften studiert und fand Kinder immer total blöd. Irgendwann hat sich das schlagartig geändert - jetzt hat sie ganze vier Stück davon. Drei Söhne und eine Tochter. Und weil sie mit denen tagsüber die wildesten Geschichten erlebt, schreibt sie die nachts einfach auf. Nur gaaanz leicht verändert. Ehrenwort!
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Ätzend. Total voll mega ätzend bis mindestens zum Erdkern. So ätzend, dass gar nichts mehr übrig bleibt. So ätzend fand ich Fräulein Kniffke, als ich sie zum ersten Mal sah. Mindestens. Ich meine, ich wollte zum Karate. Ich wollte lernen, wie man kämpft! Und nicht, wie man eine Blockflöte richtig hält. Wenn man neu in der Stadt ist und keine Freunde hat, ist eine bescheuerte Blockflöte wirklich das Allerletzte, was man braucht.
Fräulein Kniffke aber war von den geheimen Mächten des Schicksals dazu auserkoren worden, meine Blockflötenlehrerin zu sein. Sie trug ein knöchellanges Blümchenkleid, unter dem eine braune Strumpfhose und schwarze Sandalen hervorschauten, dazu eine gelbe Strickjacke und eine runde Brille mit dickem Rand, hinter der ihre Augen winzig klein aussahen. Eine richtige Eulenbrille. Ihre Haare waren grau und oben straff zu einem dicken Knoten zusammengesteckt. Es sah aus, als hätte sie einen dreckigen Schneeball auf dem Kopf.
NIEEEEMALS wäre ich freiwillig zu ihr in den Unterricht gegangen. Sogar die oberlangweiligsten Lehrerinnen aller Zeiten sahen cooler aus.
Doch gestern hatte zwischen unserer normalen Post ein bunter Werbeprospekt gelegen: »Du willst Spaß mit Musik und netten Leuten? Kniffkes Flötengruppe sucht DICH! Diesen Samstag Gratis-Doppelstunde zum Kennenlernen!«
Nach all den Briefen mit Strom, Telefon, Schule, Vermieter, Versicherungs- und Steuerkram war das tatsächlich die erste freundliche Nachricht in unserem Briefkasten. Leider hatte ich es nicht geschafft, diesen blöden Werbeprospekt rechtzeitig verschwinden zu lassen.
Und da war ich jetzt also. Spaß mit Musik und netten Leuten. Ja genau. Nach Spaß sah dieses Fräulein Kniffke wirklich nicht aus. Sie war nicht besonders groß und auch nicht besonders klein. Sie war auch nicht besonders dick, aber dünn war sie nun auch wieder nicht. Eigentlich hatte sie eine richtige Oma-Figur. Das Einzige, was an ihr nicht omamäßig aussah, waren ihre Hände und Finger. Die waren nämlich dünn und knochig und ein bisschen hexenmäßig. Die Fingernägel trug sie lang und spitz und weiß lackiert. War bei Flötenlehrerinnen wohl gerade modern. Oder die brauchten das, um irgendwelche Luftlöcher auf den Flöten besser zu treffen.
»Halli-Hallo-Hallöchen!«, sagte sie und schüttelte erst meiner Mutter und dann mir mit ihren Hexenfingern die Hand. »Wenn das mal nicht mein neuer Flötenschüler ist. Herzlich willkommen bei uns!« Sie hatte eine Sehr-alte-Oma-Stimme, tief und knarzig. Vielleicht hatte sie als junge Frau zu viel geraucht. Dabei hatte sie ein Dauerlächeln aufgesetzt: »Ich bin Karola Kniffke und du bist Arthur, nicht wahr?«
»Bin ich«, sagte ich, weil ich ja irgendwas sagen musste. In meine Stimme legte ich so viel Desinteresse wie möglich, um dieser Kniffke keine falschen Hoffnungen zu machen.
Ich sagte nicht, dass ich lieber zu Karate wollte, aber wir nicht genug Geld dafür hatten. Ich sagte auch nicht, dass meine Mutter ein schlechtes Gewissen wegen der Trennung von Papa hatte und deshalb hoffte, ich könnte beim Flöten vielleicht neue Freunde finden. Das alles sagte ich nicht. Aber ich war kurz davor.
Ihr fragt euch jetzt bestimmt, wie ich überhaupt in so eine blöde Lage geraten bin? Nun ja, eigentlich hat alles mit unserem Umzug hierher begonnen. Papa und Mama wollten nicht mehr zusammen in einer Wohnung leben. War ziemlich unangenehm, bis sie diese Entscheidung endlich getroffen haben. In dieser Zeit hat Mama einen neuen Job in der Nachbarstadt angeboten bekommen – und zack, Gelegenheit genutzt. Nun wohnen wir in einem Mehrfamilienhaus am Ende der Ahornallee, dritter Stock. Wir haben sozusagen alle ein neues Leben angefangen. Aber ich hätte mein altes ganz gerne behalten.
Ich war erst eine Woche an der neuen Schule, und trotzdem war alles beknackt. Am Freitag hatte mir mein Mitschüler Enzo in der Pause erklärt, dass Streber in seiner Klasse nicht willkommen seien. Ich verstand nur die Hälfte, weil um uns herum eine Horde kreischender Fünftklässler Fangen spielte, aber vermutlich meinte er mit Streber mich. Enzos großer, breiter Kumpel Brian stand jedenfalls daneben und nickte bei jedem Wort drohend. Brian war der Schlechteste in unserer Klasse, so viel hatte ich schon mitbekommen. Aber seit wann war ich bitte schön ein Streber? An meiner alten Schule hätten sich die Lehrer vor Lachen in die Hosen gemacht. Wir konnten die Frage nicht abschließend klären, weil die Pause zu Ende ging.
Und dann hatte ich auf dem Heimweg auch noch ein Mädchen übersehen und war ihr mit meinem Fahrrad voll hinten reingefahren. Konnte ich doch nichts dafür, dass sie so schwarzgrau gekleidet war! Dunkle Haare, dunkle Klamotten, dunkle Schultasche, alles in Straßenbelagfarbe. Nur ihre Kniestrümpfe waren knallbunt geringelt. Weil das so überhaupt nicht zu ihrem grauen Rock und ihrem grauen Pullover passte, hatte ich die Kniestrümpfe für Straßenmalkreide gehalten.
Glücklicherweise war ich gerade erst in die Pedale gestiegen und noch nicht besonders schnell. Trotzdem hatte ich genug Schwung, um sie einfach umzunieten. Sie stolperte und streckte die Arme aus und dann – war es extrem seltsam: Anstatt hinzufallen und sich auf dem rauen Teerbelag die Knie und Handflächen aufzuschlagen, rollte sie sich in einem Purzelbaum ab und kam anschließend wieder wie selbstverständlich zum Stehen. Sie drehte sich in einer unglaublich schnellen Bewegung zu mir um, streckte die Fäuste in meine Richtung und machte: »Ha!«
Ganz offensichtlich hatte sie sich überhaupt nicht wehgetan. Da war ich ehrlich gesagt ärmer dran. Ich war zwar nicht umgefallen, hatte aber die Fahrradstange zwischen die Beine bekommen. So fest, dass mir die Tränen kamen. Vielleicht hatte ich deshalb nicht so genau gesehen, was sie da eigentlich für einen Stunt hinlegte.
»Aua!«, schrie das Mädchen mit den bunten Ringelstrümpfen jetzt trotzdem. »Kannst du nicht aufpassen, du Vollhorst?!«
Streber. Vollhorst. Tolle erste Schulwoche.
Ich murmelte eine Entschuldigung und radelte nach Hause, wo ich schon im Treppenhaus von meiner Mutter empfangen wurde. Normalerweise kein gutes Zeichen. Vor allem, wenn sie dabei den Kopf schief legt, mit der rechten Hausschuhspitze auf den Boden trommelt und die Arme so hinter dem Rücken verschränkt hält, als würde sie etwas Fieses verstecken.
»Hi, Mum«, sagte ich wie in den Hollywood-Filmen.
»Hi, Bubi«, sagte Mama übertrieben hoch. Nicht wie in einem Hollywood-Film. Eher wie bei den Teletubbies.
Ich wusste genau: Gleich kommt irgendein Knaller, und zwar kein schöner. Aber zunächst runzelte Mama die Stirn und holte wieder ihre normale Stimme heraus: »Oh, du hast ganz dicke Augen. Hast du geweint?«
»Nur am Fahrrad angehauen. Alles okay«, sagte ich. Stimmte ja auch zur Hälfte.
Mama nickte zufrieden und kam zur Sache. Sie zog die verschränkten Arme hinter dem Rücken hervor und hob anklagend eine einzelne Socke in die Höhe.
»Schau mal genau hin, Arthur. Was ist das?«
, wollte ich sagen. Aber natürlich sagte ich das nicht, sondern antwortete brav und vollkommen wahrheitsgemäß: »Das ist meine Lieblings-Raketensocke.«
»Und wo ist bitte die andere? In der Waschmaschine war bloß diese hier!«
Ich fühlte mich unschuldig, also zuckte ich mit den Schultern. »Vielleicht hat die Waschmaschine sie gefressen.« Das gab es wirklich! Das hatte ich mal irgendwo gelesen.
»Jetzt werd mal nicht frech. Es reicht mir schon, dass du deine Socken immer irgendwo ausziehst und einfach in die Ecke pfefferst!«
»Ich pfeffer meine Socken nicht in die Ecken, Mama!«
»Ach? Und wer hat die einzelne Raketensocke dann geklaut, bitte schön? Der Heilige Geist? Der Osterhase? Die Außerirdischen?«
»Keine Ahnung! Ich war’s jedenfalls nicht. Ich LIEBE diese Raketensocken!«
Mama seufzte. »Es ist doch wirklich zum Verrücktwerden. Entweder du ziehst die Dinger tagelang an, bis man dich auf drei Kilometer gegen den Wind riecht, oder du verlierst sie. Ganz der Papa, muss ich jetzt mal sagen. Macht ihr das eigentlich mit Absicht?«
Jetzt war es an mir, die Arme zu verschränken. »Das ist eine völlig haltlose Unterstellung und entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage, Frau Weckmann. Ohne meinen Anwalt werde ich mich zu diesem unbegründeten Vorwurf nicht weiter äußern. Haben Sie überhaupt die Spur eines Beweises?«
Amtsgericht-Sprache hatte sich bei Auseinandersetzungen mit Mama schon öfter bewährt. Zum Glück auch dieses Mal. Sie verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln und umarmte mich. So richtig mit fest an den Busen drücken und über die Haare streicheln. Was sollten die Nachbarn denken! Noch während der Umarmung begann ich, meinen Schulrucksack abzunehmen. Damit es so aussah, als würde sie mir dabei helfen.
Endlich ließ Mama mich wieder los.
»Ach Arthur, ich hab mir die Situation ja auch nicht ausgesucht. Ich weiß schon, dass es für dich nicht leicht ist. Aber tu mir einen Gefallen und wirf deine Socken das nächste Mal doch einfach beide zusammen in die Wäsche, okay?«
Weil ich an diesem Freitagnachmittag wirklich keine weitere Meinungsverschiedenheit mehr gebrauchen konnte, knickte ich ein. Ich versprach, nie wieder einzelne Socken irgendwo in die Ecken zu pfeffern, zu verlieren oder gar zu verstecken.
Beim Abendessen blätterte Mama unsere Post durch und blieb prompt hängen.
»Oh! Schau doch mal«, fing sie an.
»Ja-aah?« Ich versuchte, dieses »Ja-aah?« genauso zu betonen wie sie. Genau wie Mama, wenn ich sie während einer total spannenden Stelle ihrer...