Hayder | Atem | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

Hayder Atem

Thriller
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-07252-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, 480 Seiten

ISBN: 978-3-641-07252-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sie würde für ihr Kind sterben. Aber würde sie auch dafür töten?

Sally Benedict ist sich sicher: alles fing mit dem Mord an Lorne Wood an, dem 16-jährigen Mädchen, das in dieselbe Schule ging wie ihre Tochter Millie. Eines Abends kehrte sie nicht mehr nach Hause zurück, man fand sie tot am Kanal, mit einem Tennisball im Mund und einer Plane bedeckt. Aber dies ist nicht das Einzige, was Sally zu schaffen macht: Ihre Ehe ist gescheitert, das Geld wird knapp, und sie hat das Gefühl, die Kontrolle über ihr Leben zunehmend zu verlieren. Als ihre Tochter immer größere Forderungen stellt, schlägt Sally einen Weg ein, der sie immer tiefer in kriminelle Kreise führt. Und dann übernimmt auch noch ihre Schwester Zoë, die bei der Polizei arbeitet, den Fall Lorne Wood – und es geschieht etwas im Leben der beiden Schwestern, das sie für immer aneinander binden wird …

Mo Hayder avancierte mit ihrem Debüt, dem Psychothriller »Der Vogelmann«, über Nacht zur international gefeierten Bestsellerautorin. Der Nachfolger »Die Behandlung« wurde von der Times zu einem der zehn spannendsten Thriller aller Zeiten gewählt. 2011 bekam Mo Hayder den »CWA Dagger in the Library« für ihr bisheriges Gesamtwerk, im Jahr darauf wurde »Verderbnis« mit dem renommierten Edgar Award für das beste Buch des Jahres ausgezeichnet. Mo Hayder, die zuletzt im Südwesten Englands lebte, verstarb im Juli 2021.
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4


Lorne Wood hatte in diesem Frühjahr die Gewohnheit gehabt, zum Shoppen in die Stadt und dann zu Fuß nach Hause zu gehen. Ihr Weg führte durch Sydney Gardens und dann weiter zu dem Leinpfad, an dem ihr Haus stand, etwa eine halbe Meile weiter östlich. Sydney Gardens war der älteste Park in Bath, berühmt für den Nachbau des römischen Minerva-Tempels. Er war außerdem ein berüchtigter Schwulentreff; man brauchte nur einen Schritt vom Weg abzuweichen, und schon sah man einen jungen, hübsch gekleideten jungen Mann, der mit hoffnungsvollem Lächeln im Gebüsch stand. Eltern schoben ihre Kinder mit Entschlossenheit an den Toilettenhäuschen vorbei und lenkten ihre Aufmerksamkeit durch lautes Reden ab, und Hundehalter suchten regelmäßig die Tierärzte der Umgebung auf, weil ihre Hunde sich an benutzten Kondomen verschluckt hatten, die sie im Gestrüpp aufgestöbert hatten. Durch den Park führte eine Bahnlinie, die von der Polizei bereits gründlich abgesucht worden war, weil es schon vorgekommen war, dass ein rasender Zug eine Leiche so sehr pulverisiert und verstreut hatte, dass sie praktisch verschwunden war. Aber jetzt suchte die Polizei keine Leiche mehr. Sie suchte nach Hinweisen darauf, wie Lorne aus der Stadt an die Stelle gekommen war, wo sie ermordet worden war.

Zoë und Ben gingen am Kanal entlang, ohne zu reden. Von Zeit zu Zeit blieb einer von ihnen stehen und spähte in das Gebüsch auf der rechten Seite des Weges oder hinunter in das undurchsichtige Wasser des Kanals, immer in der Hoffnung, etwas Wichtiges zu sehen, das den Teams entgangen war. Als sie ungefähr eine Viertelmeile weit in die Stadt zurückgegangen waren, blieb Zoë an einem kleinen Tor in einer Mauer stehen. Die hölzernen Äste einer Glyzinie ragten darüber, und die herabhängenden violetten Blütentrauben öffneten sich gerade erst. Das Tor führte nach Sydney Gardens hinein. Wahrscheinlich war Lorne hier auf den Leinpfad gekommen. Zoë und Ben standen einander mit gesenktem Kopf gegenüber und betrachteten den Flecken Erde zwischen ihnen.

»Ist es das, was sie an den Schuhen hatte?«, fragte er.

»Die Farbe ist die gleiche.«

Ben hob den Kopf und ließ den Blick über den Pfad wandern. Pfützen glänzten im Kies. Am Tag zuvor hatte es geregnet, aber jetzt ließ die Sonne das Wasser verdunsten. »An vielen Stellen in Bath findet man Erde von dieser Farbe. Das ist der Kalkstein im Boden.«

Zoë beäugte die Pfützen und dachte an die Schuhe. Ballerinas. Zum Gehen eigentlich ungeeignet, doch die Mädchen trugen sie in letzter Zeit alle.

Ben schob die Hände in die Taschen und blinzelte zum Himmel hinauf. »Und?«, fragte er leise. »Was glaubst du, was unter der Plane ist?«

»Boss?« Detective Corporal Goods, der zum Team gehörte, kam den Weg entlang auf sie zu und winkte, um sie auf sich aufmerksam zu machen. »Ich hab da eine Frau, die mit Ihnen sprechen will.«

»Eine Frau?«

»Von einem der Wohnboote. Ein paar der Eigentümer hatten gute Sicht auf den Tatort, bevor die Absperrungen aufgestellt waren. Sie konnten sehen, was los war. Und diese hat die Leiche gesehen – nur kurz. Sie möchte Ihnen was erzählen.«

»Super.« Zoë ging eilig den Weg hinunter, und Ben kam ihr nach. Ihr schwirrte der Kopf. Es wäre wirklich schön – wirklich schön –, wenn sie einen aufgeklärten Mordfall in ihr Album kleben könnte. Wenn sie vor die Kollegen und vor Lorne Woods Familie treten und verkünden könnte, sie habe den Mörder gefunden. Den Menschen, der ihrer Tochter einen Tennisball in den Mund gerammt hatte. Und der Himmel wusste, was er sonst noch mit ihr gemacht hatte.

Das Boot lag nicht weit vom Park und mindestens eine Viertelmeile vom Tatort entfernt. Es war bunt bemalt; die Kajüte war mit lauter Blumen betupft, und quer über das Heck war der Name Elfwood geschnitzt. Auf dem Dach, neben dem kleinen Schornstein, stapelten sich Vorräte: Kohlen, Holz, Wasserflaschen, und ein Fahrrad war auch da. Ben klopfte zweimal auf das Dach, sprang dann auf das Achterdeck und bückte sich, um in die Kabine zu schauen. »Hallo?«

»Ich bin hier«, sagte eine Stimme. »Kommen Sie rein.«

Ben und Zoë stiegen die Treppe hinunter und zogen die Köpfe ein, um an der niedrigen Decke nicht anzustoßen. Es war, als steige man in Aladdins Höhle – jede Oberfläche, die Decke, die Wände, die Schränke, alles war mit holzgeschnitzten Baumnymphen geschmückt. Vor den Fenstern hingen glitzernde Gardinen in Violett- und Rosatönen, und es roch nach Katzen und Patschuli-Öl. Nicht viel Sonne drang herein, nur so viel, dass sie eine Frau von etwa fünfzig Jahren mit sehr langen, hennaroten Locken sehen konnten, die mit einer selbstgedrehten Zigarette in der Hand vor dem Schott saß. Sie trug einen Blumenkranz im Haar und ein weites, am Hals geschlossenes Samtcape, das so weit aufklaffte, dass man eine Spitzenbluse und einen mit winzigen goldenen Spiegeln bestickten Rock erkennen konnte. Ihre nackten Beine und die Füße, die in Sandalen mit Gummisohlen steckten, waren sehr weiß, so weiß wie die Gläser mit Entenschmalz, die man im Sommer reihenweise auf dem Französischen Markt in Bath sehen konnte.

»Gut.« Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. »Schön zu sehen, dass die Polizei mal was Sinnvolles tut, statt Unschuldige zu verhaften.«

»Ich bin Detective Inspector Benedict.« Zoë streckte die Hand aus. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Die Frau klemmte die Zigarette zwischen die Lippen und schüttelte ihr die Hand. Sie blinzelte durch den Rauch und taxierte Zoë. Nach ein paar Augenblicken war sie anscheinend zufriedengestellt. »Amy«, sagte sie. »Und er? Wer ist er?«

»Detective Inspector Ben Parris.« Ben reichte ihr die Hand.

Amy schüttelte sie und beäugte ihn misstrauisch. Dann nahm sie die Zigarette aus dem Mund und forderte die beiden mit einer Handbewegung auf, sich zu setzen. »Tee gibt’s keinen – der Generator ist mir vor zwei Wochen krepiert, und meine Nummer mit dem Gaskocher wollen Sie wirklich nicht sehen.«

»Ist schon okay. Wir bleiben nicht lange.« Zoë holte ihr Notizbuch heraus. Nach all den Jahren und trotz aller verfügbaren Technologie sah man es bei der Polizei immer noch gern, wenn alles handschriftlich notiert wurde. Trotzdem machte sie sicherheitshalber immer auch eine Tonaufnahme mit ihrem iPhone. Theoretisch durfte sie das nicht, ohne um Erlaubnis zu bitten, aber sie tat es einfach. Sie hatte eine Technik entwickelt, eine schnelle Handbewegung über ihre Jackentasche, und sie wusste, ohne hinzusehen, wohin sie tippen musste. Ein kurzes Piep-Piep mit den Fingern, und die Tonaufzeichnung lief, während sie so tat, als sei sie mit ihrem Notizbuch beschäftigt. »Unser Constable sagt, Sie hätten da etwas, worüber Sie sprechen möchten.«

»Ja«, sagte Amy. Ihr Blick war sehr intensiv, denn ihre Augen waren von geplatzten Gefäßen spiralförmig durchzogen. »Ich hab die Leiche gesehen. Viele von uns haben sie gesehen.«

»Das war unglückselig«, sagte Ben. »Wir tun unser Möglichstes, um Tatorte zu sichern. Manchmal klappt’s nicht.«

»Wussten Sie«, sagte Amy, »dass man sehen kann, wie die Seele den Körper verlässt? Wenn man angestrengt genug hinschaut, sieht man es.«

Zoë senkte den Kopf und kritzelte etwas in ihr Notizbuch. Wenn Goods sie hierhergelotst hatte, damit sie sich Geschichten von Seelen und Geistern anhörten, würde sie ihn erschlagen. »Also – Amy. Haben Sie die Seele gesehen? Als sie den Körper verließ?«

Sie schüttelte den Kopf. »Sie war schon weg. Schon längst.«

»Seit wann?«

»Seit ihrem Tod. Gestern Abend. Sie halten sich nicht mehr auf. Das muss in der ersten halben Stunde passieren.«

»Und woher wissen Sie, dass es gestern Abend war?«

»Wegen des Armbands.«

Ben zog eine Braue hoch. »Wegen des Armbands?«

»Sie trug ein Armband. Das hab ich gesehen. Als sie die Leiche fanden, hab ich das Armband gesehen.«

Amy hatte recht. Lorne hatte ein Armband getragen. Ein loses Amulettarmband mit einem versilberten Totenschädel und einem winzigen Besteck: Messer, Gabel und Löffel. Und einer Glückszahl, der »16«, die sie zum Geburtstag bekommen hatte. Die Eltern hatten es bei der Vermisstenanzeige aufgeführt.

»Was ist mit diesem Armband? Warum ist es wichtig?«

»Weil ich es gehört habe. Gestern Abend.« Sie nahm wieder einen tiefen Zug, behielt den Rauch in der Lunge und ließ ihn dann in einem langen, bläulichen Strom entweichen. »Man hört alles. Wenn man hier drin sitzt, hört man jeden Laut. Sie benutzen ja alle den Leinpfad, nicht wahr? Man hört die Prügeleien und die Streitereien, die Partys und die Liebespaare. Meistens sind es nur Fahrradklingeln. Gestern Abend war es ein Mädchen, das etwas Klingelndes bei sich trug. Klingeling, machte es.« Sie hielt Daumen und Zeigefinger hoch und klappte sie auf und zu wie einen kleinen Schnabel. »Klingeling.«

»Okay. Sonst noch was?«

»Außer dem Klingeling? Nicht viel.«

»Nicht viel?«

»Nein. Es sei denn, Sie nehmen das Gespräch dazu.«

»Das Gespräch?«, wiederholte Ben. »Da hat ein Gespräch stattgefunden?«

»Am Telefon. Irgendwann kann man hören, dass es ein Telefongespräch ist. In der ersten Zeit, nachdem ich hier eingezogen war, dachte ich immer, sie reden mit einem Geist. Spazieren da vorbei und schwatzen, und niemand antwortet. Es hat ewig gedauert, bis ich es rausgefunden hatte. Mit Technik hab ich nichts am Hut. Ich hab kein Handy, und ich will auch keins. Vielen Dank.« Sie lächelte kurz und höflich, als hätte Ben ihr ein...


Hayder, Mo
Mo Hayder avancierte mit ihrem Debüt, dem Psychothriller »Der Vogelmann«, über Nacht zur international gefeierten Bestsellerautorin. Der Nachfolger »Die Behandlung« wurde von der Times zu einem der zehn spannendsten Thriller aller Zeiten gewählt. 2011 bekam Mo Hayder den »CWA Dagger in the Library« für ihr bisheriges Gesamtwerk, im Jahr darauf wurde »Verderbnis« mit dem renommierten Edgar Award für das beste Buch des Jahres ausgezeichnet. Mo Hayder, die zuletzt im Südwesten Englands lebte, verstarb im Juli 2021.



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