E-Book, Deutsch, Band 07, 412 Seiten
Hearne Erschüttert
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-608-10895-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Chronik des Eisernen Druiden 7
E-Book, Deutsch, Band 07, 412 Seiten
Reihe: Chronik des Eisernen Druiden / Iron Druid Chronicles
ISBN: 978-3-608-10895-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kevin Hearne, geboren 1970, lebt in Arizona und unterrichtet Englisch an der High School. »Die Chronik des Eisernen Druiden« machte ihn unter Fantasyleserinnen und -lesern mit einem Schlag weit über die USA hinaus bekannt.
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1
Nur wenige Dinge wecken so schnell alte Erinnerungen wie Autoritätspersonen aus unserer Jugend. Damit will ich nicht behaupten, dass das unbedingt schöne Erinnerungen sind; sie sind einfach da und werfen uns gern zurück in Rollen, die wir eigentlich schon längst hinter uns gelassen haben sollten. Manchmal sind diese Erinnerungen glücklich und bieten uns Geborgenheit wie die Liebe einer Mutter. Häufiger allerdings haben sie die Schärfe von Rauhreif, die zuerst beißt, dann betäubt und schließlich als eisige Kälte tief in die Knochen kriecht.
Der alte Mann, der sich vor meinen Augen in eine sitzende Position aufrichtete, weckte nur wenige Erinnerungen der glücklichen Art in mir. Bei aller Intelligenz und magischen Begabung hatte sich mein Erzdruide meistens durch Grobheit hervorgetan und in seinem Leben nur wenige Freunde gewonnen – einem Leben, dessen Ende nach meiner bisherigen Überzeugung schon Jahrtausende zurücklag. Nachdem er mich noch vor der christlichen Zeitrechnung an die Erde gebunden hatte, waren wir uns nur noch zweimal begegnet und dann getrennte Wege gegangen, und ich hatte immer angenommen, dass er wie fast alle, die ich aus meiner Jugend kannte, gestorben war. Doch aus mir unbekannten Gründen hatte ihn die MORRIGAN in Tír na nÓg konserviert und ihm damit eine Zeitreise zugemutet, der er sich jetzt stellen musste – und zwar, wie ich hinzufügen darf, mit Speckbröseln und Speicheltropfen an den Rändern seiner zerfurchten Lippen.
Ich hoffe, dass es noch Speck geben wird, falls ich einmal zweitausend Jahre in die Zukunft reise.
Mit einer Art permanent verschleimtem Knurren bellte er mir auf Altirisch eine Frage entgegen. Er musste schnell Englisch lernen, wenn er auch mit anderen Leuten außer den TUATHA DÉ DANANN und mir sprechen wollte. »Wie lang war ich auf dieser Insel, Siodhachan? Schaust ja noch immer ziemlich jung aus. Können nicht mehr als drei oder vier Jahre gewesen sein, nach deinem Äußern zu urteilen.«
Da stand ihm eine große Überraschung bevor. »Das verrate ich dir im Austausch gegen etwas, das ich gerne wüsste: deinen Namen.«
»Meinen Namen?«
»Ich hab dich immer bloß Erzdruide genannt.«
»Und das war auch richtig so, du kleiner Kacker. Aber jetzt, wo du ein bisschen älter und ein echter Druide bist, kann ich’s dir ja sagen. Ich heiße Eoghan Ó Cinnéide.«
Ich grinste. »Ha! Anglisiert ist das Owen Kennedy. Das passt wunderbar. Ich rufe Hal an, dann kriegst du Papiere auf diesen Namen.«
»Was faselst du da?«
»Diese Frage wirst du in nächster Zeit bestimmt öfter stellen. Owen – hoffentlich macht dir diese Anrede nichts aus, aber ich kann dich einfach nicht ständig Erzdruide nennen – also, Owen, du warst über zweitausend Jahre auf dieser Insel.«
Er verzog das Gesicht. »Du willst mir wohl den Arsch mit einer Feder kitzeln. Meine Frage war ernst gemeint.«
»Meine Antwort auch. Die MORRIGAN hat dich auf die langsamste Zeitinsel gesetzt.«
Owen musterte mich angestrengt und begriff schließlich, dass ich keinen Witz gemacht hatte. »Zweitausend …?«
»Ganz recht.«
Sein Gesicht verriet, dass er verzweifelt nach irgendeinem inneren Halt suchte. Diese Zahl war in ihrer Ungeheuerlichkeit nicht zu erfassen. Die Erkenntnis, dass er entwurzelt und für immer aus seiner alten Heimat verstoßen worden war, glich ohne Zweifel dem Sturz in einen Brunnen ohne Grund. Zweimal öffnete er den Mund und schloss ihn wieder, nachdem ein halber Laut herausgedrungen war. Nach längerem Brüten wandte er sich schließlich an mich, weil ich das einzig Handfeste war, das ihm blieb. »Dann warst du anscheinend auch auf so einer Insel. Sie muss uns ungefähr zur gleichen Zeit hingebracht haben.«
»Nein, ich habe diese vielen Jahre nicht in einem Augenblick übersprungen. Ich habe sie durchlebt. Und dabei habe ich ein paar Sachen gelernt, die du mir nie beigebracht hast.«
Er grummelte ungläubig. »Jetzt weiß ich, dass du mich verkohlst. Willst du mir wirklich weismachen, dass du über zweitausend Jahre alt bist?«
»Allerdings. Schau der Wahrheit lieber ins Auge. Die Welt ist weit größer und ganz anders als damals, als du sie verlassen hast. Du hast noch nicht mal was von JESUS CHRISTUS, ALLAH, BUDDHA oder der Neuen Welt gehört. Nicht mal von Pommes. Da wartet ein Schock nach dem anderen auf dich.«
»Ein … Schock? Was soll das sein?«
Natürlich. Elektrizität war ihm genauso fremd wie die übertragene Bedeutung des Wortes. Ich hatte einen modernen Begriff benutzt, weil es im Altirischen nichts Entsprechendes gab.
»Aber dass du fast keine Haare am Kopf hast, überrascht mich.« Er deutete auf meinen kurz geschorenen Schädel. Nach der Begegnung mit gewissen Feenwesen, die mir den Skalp abgenagt hatten, hatte ich alles radikal abrasiert, und es war erst wenig nachgewachsen. Owen führte das natürlich auf eine fragwürdige kosmetische Entscheidung zurück. »Und was bei den neun Welten ist mit dem Rest von deinem Bart passiert? Du schaust nicht wie ein Mann aus, sondern als wäre auf deinem Kinn eine Ratte krepiert.«
»Mir gefällt es so.« Ich winkte ab. »Hör zu, Owen, du kannst mir einen Gefallen tun.«
»Schulde ich dir was?«
»Ich denke schon. Ohne mich wärst du noch immer auf dieser Insel.«
Laut schnaufend wischte sich mein Erzdruide über den Mund und entfernte dabei endlich die letzten Speckbrösel. »Was willst du von mir?«
Ich schob den rechten Ärmel über die Schulter hoch und zeigte ihm die versehrte Stelle am oberen Bizeps. »Ein Mantikor hat mich verletzt und mir die Fähigkeit geraubt, mich in einen Menschen zurückzuverwandeln, wenn ich in einer meiner Tiergestalten bin. Solange die Tätowierung nicht repariert wird, kann ich also keine meiner Tiergestalten annehmen. Könntest du das vielleicht ausbessern?«
Mit finsterem Gesicht herrschte er mich an: »Hab ich dir nicht beigebracht, wie man einen Mantikor zähmt, du Hornochse? Erzähl mir bloß nicht, dass das meine Schuld ist.«
»Ich hab nicht behauptet …«
»Ach, ich erinnere mich noch genau an dein ständiges Gejammer.« Er fuhr mit einer gekünstelten Falsettstimme fort: »›Wann werde ich je einem Mantikor begegnen? Warum muss ich Latein lernen? Wann kommen endlich die Sexriten dran?‹«
»Hey, das hab ich nie gesagt!«
»War auch gar nicht nötig. In dem einen Jahr hättest du dich nicht mal mehr an jemanden anschleichen können, weil deine Rute schon um die Ecke gelugt und jeder gerufen hat: ›Da kommt Siodhachan!‹, bevor der Rest von dir zum Vorschein kam. Weißt du das nicht mehr?«
Ich hatte keine Lust, das Thema meiner schwierigen Pubertät zu vertiefen, und kam daher auf Narben jüngeren Datums zurück. »Der Mantikor hat völlig unerwartet zugeschlagen. Ich hatte keine Möglichkeit, ihn zu zähmen.«
»Die Möglichkeit hat man immer.«
»Nein. Du warst nicht dabei und hast dich noch nie mit Mantikorgift auseinandersetzen müssen. Man braucht alle Kraft, damit man es aufspalten kann, glaub mir. Und als ich es endlich geschafft hatte, war ich so schwach, dass ich eine weitere Dosis nie überlebt hätte. Ich war schwer verletzt, und wenn ich ihm gegenübergetreten wäre, hätte ich die nächste Ladung abgekriegt. Jeder Zähmungsversuch wäre mein sicherer Tod gewesen. Ich kann von Glück sagen, dass ich lebend da rausgekommen bin.«
»Na gut, von mir aus. Aber warum ich? Kannst du das nicht von einem anderen Druiden machen lassen? Schließlich muss ich mich erst mal hier eingewöhnen.«
Fürs Erste ließ ich lieber unerwähnt, dass er und ich zwei von den drei letzten noch auf der Welt lebenden Druiden waren. Dafür war auch später noch Zeit. »Natürlich, wir haben viel zu beraten, und ich muss dir eine neue Sprache beibringen, damit du dich hier zurechtfindest. Allerdings ist der andere Druide, dem ich das anvertrauen könnte, zurzeit mit einer wichtigen Aufgabe beschäftigt.«
Granuaile unterrichtete ihre neue Wolfshündin Orlaith gerade im Sprechen und passte auch auf Oberon auf. Außerdem wollte ich sowieso nicht, dass sie mit Owen zusammentraf, solange ich ihm keine modernen Manieren beigebracht hatte. Wenn er mit ihr redete wie mit mir, würde in kürzester Zeit Blut fließen, und zwar vor allem seines.
Mein Erzdruide schüttelte sich, seufzte und rieb sich über die Schläfen, als hätte er schlimme Kopfschmerzen. »DAGDA kann mich kreuzweise, ich brauch jetzt was zu trinken. Weißt du vielleicht eine Schenke, wo man was anderes kriegt als...