E-Book, Deutsch, Band 2, 354 Seiten
Reihe: Kemper & Wahlberg ermitteln
Heiland Dunkle Spur: Der zweite Fall für Kemper & Wahlberg
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96655-406-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 2, 354 Seiten
Reihe: Kemper & Wahlberg ermitteln
ISBN: 978-3-96655-406-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Henrike Heiland, geboren 1975 in Hessen, studierte deutsche und englische Literatur. Danach arbeitete sie zunächst als TV-Producerin und Drehbuchautorin; heute ist sie unter dem Namen Zoë Beck als Schriftstellerin, Übersetzerin und Synchronregisseurin sowie als Verlegerin des Verlags culturbooks erfolgreich. Auf Lesereisen lieh sie internationalen Bestsellerautorinnen wie Denise Mina, Val McDermid und Louise Welsh ihre Stimme. Die vielfach preisgekrönte Autorin - unter anderem erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis und den Deutschen Krimipreis - ist außerdem Mitinitiatorin des Aktionsbündnisses #verlagegegenrechts. Die Autorin im Internet (unter dem Namen Zoë Beck): https://zoebeck.blog/ Bei dotbooks erschienen die drei unter den Namen Henrike Heiland veröffentlichten Kriminalromane um die Ermittler Erik Kemper und Dr. Anne Wahlberg: »Späte Rache«, »Dunkle Spur« und »Alte Sünden«. Die ersten beiden Fälle sind auch als Sammelband erhältlich.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Die frische Brise, die landwärts von der Ostsee her wehte, schaffte es nicht, den Gestank des verbrannten Leichnams erträglicher zu machen.
»Durch den Mund atmen!«, rief ihnen ein Spurensicherer zu. Erik Kemper nickte nur.
Es war drei Uhr an einem Samstagmorgen im September, und der Fundort im Überseehafen Rostocks war mit starken Scheinwerfern ausgeleuchtet. Die Männer von der Kriminaltechnischen Untersuchung fotografierten noch und suchten die Gegend ab. Erik sah sich langsam um, vermied es aber, direkt auf das Opfer zu sehen.
»Was legt hier nachher ab?«, fragte er Micha Anders, der sich gerade mit einem der Hafenpolizisten unterhalten hatte.
»Nur Frachter, wir können gut absperren. Im Moment liegen auch nur diese beiden Schiffe hier, und die waren definitiv die ganze Zeit dicht. Da konnte niemand rauf, um sich zu verstecken. Ich denke, die können raus.«
In Eriks Kopf hämmerte es. Er hatte fast nicht geschlafen, und als er sich endlich zwang, zu dem Opfer hinüberzusehen, schaffte er es kaum, seinen Blick scharf zu stellen.
Die Leiche und der Boden darum herum in einem Radius von ungefähr zwei Metern waren mit weißem Feuerlöschpulver bedeckt. Unmöglich zu sagen, ob es sich einmal um einen Mann oder eine Frau gehandelt hatte. Wie es aussah, hatte das Feuer Kleidung, Haut, Haare und Fleisch fast vollständig aufgefressen. Das Opfer lag auf dem Rücken, die Arme, die Hände zusammengekrampft, ob vom Feuer oder vom Todeskampf, war unklar. Die verkohlten menschlichen Überreste waren mit dem asphaltierten Boden des Parkplatzes, der an einer der Anlegestellen des großen Überseehafens lag, fast verschmolzen. Im gleißenden Scheinwerferlicht sah Erik noch Dampf aufsteigen.
»Wo ist der Typ mit dem Feuerlöscher?«, fragte er dann und sah sich suchend um.
Micha deutete auf einen kahlköpfigen, leicht übergewichtigen Mann Ende vierzig in Flanellhemd und Jeans, der mithilfe eines Sanitäters versuchte, das Feuerlöschpulver von Körper und Kleidung zu entfernen.
»Hat die Windrichtung in der Aufregung nicht beachtet«, erklärte Micha. »Dieter Lindpointner heißt er. Österreicher.« Er sagte es in einem Tonfall, als würde die Herkunft des Mannes alles erklären.
»Seine Hose ist offen.«
Micha nickte und fuhr sich mit beiden Händen durch die kurzen blonden Haare. »Er hatte hier eine geschäftliche Verabredung mit einer Dame.«
»Ah ja?«
»Aus dem Blow Job ist dann aber nicht mehr so viel geworden. Sie hatte noch nicht richtig angefangen, als er das Feuer gesehen hat und losgerannt ist.«
»Dann hat sie ihren Job aber nicht sehr gut gemacht«, bemerkte Erik trocken und massierte mit einer Hand seinen Nacken. Die Kopfschmerzen blieben. »Und dieser Lindpointner, oder wie er heißt, hat gleich mit dem Feuerlöscher herumgefuchtelt? Was, wenn das Opfer noch gelebt hätte? An dem Zeug kann man ersticken!«
»Die Kollegen haben ihn blasen lassen ...« Angesichts der ungewollten Zweideutigkeit musste Micha grinsen, riss sich aber sofort wieder zusammen, als er Eriks ernstes Gesicht sah. Er räusperte sich umständlich und fuhr fort: »Jedenfalls hatte er so viel Promille, dass es mit der Logik nicht mehr so weit her war.«
Erik schüttelte langsam den Kopf. »Hat er irgendwas gesehen? Vielleicht, wie jemand weggelaufen oder weggefahren ist? Wo ist die Frau?«
»Die Frau ist abgehauen. Er hat zwar versucht, sie zu beschreiben, aber es wird eine Weile dauern, bis wir sie gefunden haben, wenn wir sie überhaupt finden. Gesehen hat er nichts, nur das Feuer.«
Erik sah wieder zu dem Mann, der sein weiß gepudertes Gesicht in den Händen hielt und offenbar weinte. Der Sanitäter, gerade mal Anfang zwanzig, sah reichlich überfordert aus und klopfte dem Österreicher hilflos auf die Schulter.
»Scheiße, der Arme. Erst ein Coitus Interruptus, und dann das hier. Hoffentlich war die Kleine nicht zu teuer.« Micha lachte kurz über seinen eigenen Witz, verstummte dann aber wieder, als Erik nicht reagierte.
»Was ist mit den Autos? Irgendwie muss der Tote doch hergekommen sein«, wechselte Erik das Thema.
»Wir haben bisher kein Auto gefunden, aber die Taxifahrer werden noch angefragt. Das dauert allerdings.«
»Was ist mit anderen Truckern? Und die Kollegen von der Hafenpolizei haben doch ihr Büro keine hundert Meter von hier! Ist denn nachts keiner von denen da? War da vorne nicht auch so eine Art Kneipe? Oder hat die nur tagsüber auf? Und ein Duty-free-Shop? Irgendwas gab's da doch immer!« Erik spürte, wie seine überreizten Nerven plötzlich mit ihm durchgingen. Hoffentlich merkte Micha nicht, dass er vor Erschöpfung zitterte.
»Hier hatte nichts mehr geöffnet. Außerdem hab ich schon alles veranlasst. Die Kollegen haben sich jeden vorgenommen, den sie finden konnten, und bis jetzt heißt es, dass niemand etwas gesehen hat. Bist du okay?«, fragte Micha seinen Chef leicht besorgt und verwundert.
»Ja, ja, ich hab nur schlecht geschlafen ... Vergiss es. Sag mal, war nicht eigentlich Kai für das Wochenende eingeteilt?«, fiel ihm plötzlich ein. »Wo ist er?«
»Kai hat heute Geburtstag und wollte reinfeiern. Wir haben getauscht«, erklärte Micha.
Erik rieb sich mit unsicheren Händen die Augen und atmete tief durch. Seinen Fehler bemerkte er zu spät. Angewidert von dem Geruch verzog er das Gesicht. »Okay, lass uns gehen. Wir machen morgen weiter, die kommen hier auch ohne uns klar. Ruf die anderen an, das Wochenende ist gestrichen. Wir treffen uns gleich um ... na, sagen wir acht, ich muss wenigstens noch mal zwei oder drei Stunden schlafen.«
Micha setzte gerade dazu an, etwas zu sagen, als einer der Spurensicherer zu ihnen herüberbrüllte.
»Wir haben ein Handy!«
»Wo kommt das denn plötzlich her?«, rief Erik zurück. Die zwei oder drei Stunden Schlaf konnte er jetzt streichen.
»Wäre fast ins Hafenbecken gefallen, ist aber auf einem Mauervorsprung gelandet.«
Erik ließ sich eine Taschenlampe geben und ging zu dem Geländer, das den Parkplatz zum Wasser abgrenzte.
»Hier?«, fragt er. Der Kollege nickte. Erik sah zurück zu dem Toten, dann wieder zu der Stelle, an der das Handy gelegen hatte. »Gab offenbar ein Handgemenge«, überlegte er laut. »Gehört wahrscheinlich dem Opfer.«
»Oder dem Täter?«, warf Micha ein.
»Vielleicht ... Aber ich tippe auf das Opfer. Wenn der Täter genug Zeit hatte, einen Brand zu legen, hätte er doch auch nach seinem Handy gesucht.«
»Es war dunkel, er dachte, es sei ins Wasser gefallen.«
»Wir werden es bald wissen. Wenn wir Glück haben, kann uns der letzte Anrufer einige Fragen beantworten.« Erik zog sich Plastikhandschuhe über, nahm das Gerät vorsichtig in die Hand und klickte sich im Menü zu den Ruflisten durch. Micha schaute ihm neugierig über die Schulter.
»Hm, letzter ausgehender Anruf ... war gegen elf. Ein anderes Handy. Mal sehen.« Erik probierte die Nummer und hielt das Telefon so, dass beide mithören konnten, doch es kam nur eine automatische Ansage: »... versuchen Sie es später noch einmal.«
»Na gut, dann nicht. Letzter angenommener Anruf ... heute kurz nach Mitternacht. Ein Festnetzanschluss in Rostock.«
Er drückte auf die Verbindungstaste. Sie warteten auf das Freizeichen, und es klingelte fast zehnmal, bis sich endlich eine verschlafene Stimme meldete.
»Hallo?«, murmelte jemand undeutlich.
»Entschuldigung, wer ist denn da?«, fragte Erik.
»Hauser«, lallte es schlecht gelaunt in der Leitung. »Es is scheiße spät, verdammt, was soll das?«
»Hauser?«, wiederholte Erik verblüfft. »Kai, bist du das?«
Schlaf hatte er keinen mehr bekommen. Gleich würde er sich mit seinen Kollegen von der Mordkommission zusammensetzen und die Aufgaben für die nächsten Tage verteilen. Erik durchforstete seinen Schreibtisch nach Zigaretten. Er hatte sie zu Hause vergessen, als er zum Tatort gefahren war. Vielleicht ein Zeichen. Vielleicht sollte er endlich damit aufhören.
Micha war nicht an seinem Platz, ihn konnte er nach keiner fragen. Erik hatte nicht die leiseste Ahnung, wo sich der Kollege die meiste Zeit aufhielt, jedenfalls nicht in seinem Büro. Dennoch blieb seine Arbeit nie liegen. Eriks Theorie war, dass sich Micha an ruhigen Abenden und an den Wochenenden ins Büro setzte, um nachzuarbeiten, was zwischen Fußballgerede, Kaffeetrinken und Rauchen mit den Kollegen auf der Strecke geblieben war. Eine Vermeidungsstrategie. Micha mied so seine Freundin: Er machte Überstunden in der Hoffnung, sie würde seiner dadurch überdrüssig. Selbst Schluss zu machen, dazu fehlte ihm der Mumm, und vielleicht auch eine adäquate Nachfolgerin.
Erik sah auf die Uhr. Er hatte noch etwas Zeit. Was war schon dabei, einen Blick in Michas Schreibtisch zu werfen? Micha nahm sich auch ständig von seinen Kippen, ohne vorher zu fragen. Er wurde schnell fündig, zündete sich eine Zigarette an und sog gierig den Rauch ein. Was in den letzten Stunden passiert war, rechtfertigte diesen kleinen Diebstahl unter Kollegen, dachte er.
Sie hatten Kai sofort abgeholt und mit auf das Präsidium genommen. Kai war derart betrunken gewesen, dass er mit dem Telefonhörer in der Hand im Flur eingeschlafen war. So fanden sie ihn, als sie durch die nur angelehnte Tür sein Haus betraten. Als Micha und Erik ihn weckten, erschrak er kurz und freute sich dann über ihr Erscheinen bei seiner Party, um sofort wieder ins Reich der Träume hinüberzugleiten. Erst als Micha ihn unter die kalte Dusche stellte, kam er wieder zu sich und konnte sich offenbar nicht entscheiden, ob er es prima finden sollte, die beiden zu sehen, oder ob er es eher als schlechtes Zeichen zu werten hatte.
Erik hatte sich derweil...




