Heine / Liedtke | "Das Märchen meines Lebens" | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Heine / Liedtke "Das Märchen meines Lebens"

Poetische Selbstporträts
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-455-00835-7
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Poetische Selbstporträts

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-455-00835-7
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»In uns selbst liegen die Sterne unseres Glücks.« Heinrich Heine Das Frappante an Heinrich Heine, so befand einer seiner Schriftstellerkollegen, sei, dass man seine Werke nicht lesen könne, »ohne auch für die Person des Dichters eine neugierige Spannung zu empfinden.« Für die Zeitgenossen war diese sprichwörtliche »Heine'sche Subjektivität« Faszinosum und Ärgernis zugleich, für heutige Leser macht gerade sie den ungebrochenen Reiz seiner Schriften aus.  Diese Auswahl präsentiert Heines schönste poetische Selbstporträts und seine wichtigsten autobiographischen Werke. Sie erzählen von Heimat und Exil, großen und kleinen Geistern, und den »märchenhaften« Lebenswegen eines der populärsten wie umstrittensten Schriftsteller Europas.

Heinrich Heine, 1797 in Düsseldorf als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, arbeitete nach Abschluss einer Banklehre und anschließendem Jurastudium ab 1825 als Journalist und Schriftsteller. Nach vielen Zwischenstationen ging er im Mai 1831 nach Paris ins Exil. Etwa vier Jahre später wurden seine Schriften in Deutschland verboten. Heinrich Heine gilt als 'Vollender und Überwinder der Romantik', Wegbereiter eines zeitkämpferischen Journalismus und des modernen Feuilletons und ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller. Er starb 1856 in Paris.
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Weitere Infos & Material


Cover
Titelseite
Zu Düsseldorf am Rhein*
Das erste Buch*
Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski
Affrontenburg
Briefe aus Helgoland*
Lebensfahrt
Ich ging, weil ich musste*
Nachtgedanken
Ludwig Börne. Eine Denkschrift
Geständnisse
Memoiren*
Enfant perdu
Nachwort
Erläuterungen
Zeittafel
Zur Textgestalt
Quellenangaben
Über Heinrich Heine
Impressum


Zu Düsseldorf am Rhein*


[…] das Licht der Welt erblickte ich an den Ufern jenes schönen Stromes, wo auf grünen Bergen die Torheit wächst und im Herbste gepflückt, gekeltert, in Fässer gegossen und ins Ausland geschickt wird – Wahrhaftig, gestern bei Tische hörte ich jemanden eine Torheit sprechen, die anno 1811 in einer Weintraube gesessen, welche ich damals selbst auf dem Johannisberge wachsen sah. – Viel Torheit wird aber auch im Lande selbst konsumiert, und die Menschen dort sind wie überall: Sie werden geboren, essen, trinken, schlafen, lachen, weinen, verleumden, sind ängstlich besorgt um die Fortpflanzung ihrer Gattung, suchen zu scheinen, was sie nicht sind, und zu tun, was sie nicht können, lassen sich nicht eher rasieren, als bis sie einen Bart haben, und haben oft einen Bart, ehe sie verständig sind, und wenn sie verständig sind, berauschen sie sich wieder mit weißer und roter Torheit.

Wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, dass ich Berge versetzen könnte – der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe. Aber da mein Glaube nicht so stark ist, muss mir die Phantasie helfen, und sie versetzt mich selbst nach dem schönen Rhein.

O, da ist ein schönes Land, voll Lieblichkeit und Sonnenschein. Im blauen Strome spiegeln sich die Bergesufer mit ihren Burgruinen und Waldungen und altertümlichen Städten – dort vor der Haustür sitzen die Bürgersleute des Sommerabends und trinken aus großen Kannen und schwatzen vertraulich: Wie der Wein, Gottlob!, gedeiht, und wie die Gerichte durchaus öffentlich sein müssen, und wie die Maria Antoinette so mir nichts dir nichts guillotiniert worden, und wie die Tabaksregie den Tabak verteuert, und wie alle Menschen gleich sind, und wie der Görres ein Hauptkerl ist.

Ich habe mich nie um dergleichen Gespräche bekümmert und saß lieber bei den Mädchen am gewölbten Fenster und lachte über ihr Lachen und ließ mich mit Blumen ins Gesicht schlagen und stellte mich böse, bis sie mir ihre Geheimnisse oder irgendeine andere wichtige Geschichte erzählten. Die schöne Gertrud war bis zum Tollwerden vergnügt, wenn ich mich zu ihr setzte; es war ein Mädchen wie eine flammende Rose, und als sie mir einst um den Hals fiel, glaubte ich, sie würde verbrennen und verduften in meinen Armen. Die schöne Katharine zerfloss in klingender Sanftheit, wenn sie mit mir sprach, und ihre Augen waren von einem so reinen innigen Blau, wie ich es noch nie bei Menschen und Tieren und nur selten bei Blumen gefunden; man sah gern hinein und konnte sich so recht viel Süßes dabei denken. Aber die schöne Hedwig liebte mich; denn wenn ich zu ihr trat, beugte sie das Haupt zur Erde, so dass die schwarzen Locken über das errötende Gesicht herabfielen und die glänzenden Augen wie Sterne aus dunkelem Himmel hervorleuchteten. Ihre verschämten Lippen sprachen kein Wort, und auch ich konnte ihr nichts sagen. Ich hustete, und sie zitterte. Sie ließ mich manchmal durch ihre Schwester bitten, nicht so rasch die Felsen zu besteigen und nicht im Rheine zu baden, wenn ich mich heiß gelaufen oder getrunken. Ich behorchte mal ihr andächtiges Gebet vor dem Marienbildchen, das mit Goldflittern geziert und von einem brennenden Lämpchen umflimmert, in einer Nische der Hausflur stand; ich hörte deutlich, wie sie die Muttergottes bat: ihm das Klettern, Trinken und Baden zu verbieten. Ich hätte mich gewiss in das schöne Mädchen verliebt, wenn sie gleichgültig gegen mich gewesen wäre; und ich war gleichgültig gegen sie, weil ich wusste, dass sie mich liebte – Madame, wenn man von mir geliebt sein will, muss man mich behandeln.

Die schöne Johanna war die Base der drei Schwestern, und ich setzte mich gern zu ihr. Sie wusste die schönsten Sagen, und wenn sie mit der weißen Hand zum Fenster hinauszeigte, nach den Bergen, wo das alles passiert war, was sie erzählte, so wurde mir ordentlich verzaubert zu Mute, die alten Ritter stiegen sichtbar aus den Burgruinen und zerhackten sich die eisernen Kleider, die Lore-Ley stand wieder auf der Bergesspitze und sang hinab ihr süß verderbliches Lied, und der Rhein rauschte so vernünftig, beruhigend und doch zugleich neckend schauerlich – und die schöne Johanna sah mich an so seltsam, so heimlich, so rätselhaft traulich, als gehörte sie selbst zu den Märchen, wovon sie eben erzählte. […]

Jetzt […] will mir auch die früheste Kindheit wieder im Gedächtnisse hervorblühen, und ich bin wieder ein Kind und spiele mit anderen Kindern auf dem Schlossplatze zu Düsseldorf am Rhein.

Ja, Madame, dort bin ich geboren, und ich bemerke dieses ausdrücklich für den Fall, dass etwa, nach meinem Tode, sieben Städte – Schilda, Krähwinkel, Polkwitz, Bockum, Dülken, Göttingen und Schöppenstädt – sich um die Ehre streiten, meine Vaterstadt zu sein. Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben da 16000 Menschen, und viele hunderttausend Menschen liegen noch außerdem da begraben. Und darunter sind manche, von denen meine Mutter sagt, es wäre besser, sie lebten noch, z.B. mein Großvater und mein Oheim, der alte Herr v. Geldern und der junge Herr v. Geldern, die beide so berühmte Doktoren waren und so viele Menschen vom Tode kuriert und doch selber sterben mussten. Und die fromme Ursula, die mich als Kind auf den Armen getragen, liegt auch dort begraben, und es wächst ein Rosenstrauch auf ihrem Grab – Rosenduft liebte sie so sehr im Leben, und ihr Herz war lauter Rosenduft und Güte. Auch der alte kluge Kanonikus liegt dort begraben. Gott, wie elend sah er aus, als ich ihn zuletzt sah! Er bestand nur noch aus Geist und Pflastern und studierte dennoch Tag und Nacht, als wenn er besorgte, die Würmer möchten einige Ideen zu wenig in seinem Kopfe finden. Auch der kleine Wilhelm liegt dort, und daran bin ich schuld. Wir waren Schulkameraden im Franziskanerkloster und spielten auf jener Seite desselben, wo zwischen steinernen Mauern die Düssel fließt, und ich sagte: »Wilhelm! hol doch das Kätzchen, das eben hineingefallen« – und lustig stieg er hinab auf das Brett, das über dem Bach lag, riss das Kätzchen aus dem Wasser, fiel aber selbst hinein, und als man ihn herauszog, war er nass und tot. Das Kätzchen hat noch lange Zeit gelebt.

Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Mute. Ich bin dort geboren, und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehn. Und wenn ich sage nach Hause gehn, so meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin. Dieses Haus wird einst sehr merkwürdig sein, und der alten Frau, die es besitzt, habe ich sagen lassen, dass sie beileibe das Haus nicht verkaufen solle. Für das ganze Haus bekäme sie jetzt doch kaum so viel, wie schon allein das Trinkgeld betragen wird, das einst die grünverschleierten, vornehmen Engländerinnen dem Dienstmädchen geben, wenn es ihnen die Stube zeigt, worin ich das Licht der Welt erblickt, und den Hühnerwinkel, worin mich Vater gewöhnlich einsperrte, wenn ich Trauben genascht, und auch die braune Türe, worauf Mutter mich die Buchstaben mit Kreide schreiben lehrte – ach Gott! Madame, wenn ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das meiner armen Mutter genug Mühe gekostet.

Aber mein Ruhm schläft jetzt noch in den Marmorbrüchen von Carrara, der Makulatur-Lorbeer, womit man meine Stirne geschmückt, hat seinen Duft noch nicht durch die ganze Welt verbreitet, und wenn jetzt die grünverschleierten, vornehmen Engländerinnen nach Düsseldorf kommen, so lassen sie das berühmte Haus noch unbesichtigt und gehen direkt nach dem Marktplatz und betrachten die dort in der Mitte stehende schwarze, kolossale Reiterstatue. Diese soll den Kurfürsten Jan Wilhelm vorstellen. Er trägt einen schwarzen Harnisch, eine tief herabhängende Allongeperücke – Als Knabe hörte ich die Sage, der Künstler, der diese Statue gegossen, habe während des Gießens mit Schrecken bemerkt, dass sein Metall nicht dazu ausreiche, und da wären die Bürger der Stadt herbeigelaufen und hätten ihm ihre silbernen Löffel gebracht, um den Guss zu vollenden – und nun stand ich stundenlang vor dem Reiterbilde und zerbrach mir den Kopf: Wie viel silberne Löffel wohl darin stecken mögen, und wie viel Apfeltörtchen man wohl für all das Silber bekommen könnte? Apfeltörtchen waren nämlich damals meine Passion – jetzt ist es Liebe, Wahrheit, Freiheit und Krebssuppe –, und eben unweit des Kurfürstenbildes, an der Theaterecke, stand gewöhnlich der wunderlich gebackene, säbelbeinige Kerl mit der weißen Schürze und dem umgehängten Korbe voll lieblich dampfender Apfeltörtchen, die er mit einer unwiderstehlichen Diskantstimme anzupreisen wusste – »Die Apfeltörtchen sind ganz frisch, eben aus dem Ofen, riechen so delikat« – Wahrlich, wenn in meinen späteren Jahren der Versucher mir beikommen wollte, so sprach er mit solcher lockenden Diskantstimme, und bei Signora Guilietta wäre ich keine volle zwölf Stunden geblieben, wenn sie nicht den süßen, duftenden Apfeltörtchenton angeschlagen hätte. Und wahrlich, nie würden Apfeltörtchen mich so sehr angereizt haben, hätte der krumme Hermann sie nicht so geheimnisvoll mit seiner weißen Schürze bedeckt – und die Schürzen sind es, welche – doch sie bringen mich ganz aus dem Kontext, ich sprach ja von der Reiterstatue, die so viel silberne Löffel im Leibe hat und keine Suppe und den Kurfürsten Jan Wilhelm darstellt. Er soll ein braver Herr gewesen sein und sehr kunstliebend und...


Heine, Heinrich
Heinrich Heine, 1797 in Düsseldorf als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, arbeitete nach Abschluss einer Banklehre und anschließendem Jurastudium ab 1825 als Journalist und Schriftsteller. Nach vielen Zwischenstationen ging er im Mai 1831 nach Paris ins Exil. Etwa vier Jahre später wurden seine Schriften in Deutschland verboten. Heinrich Heine gilt als „Vollender und Überwinder der Romantik“, Wegbereiter eines zeitkämpferischen Journalismus und des modernen Feuilletons und ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller. Er starb 1856 in Paris.

Liedtke, Christian
Christian Liedtke, geboren 1964 in Hamburg, studierte Germanistik und Philosophie in Hamburg, Cincinnati (USA) und Bonn. Als wissenschaftlicher Archivar am Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf, ist er verantwortlich für den handschriftlichen Nachlass Heinrich Heines und die Redaktion des Heine-Jahrbuchs, außerdem schrieb er eine Heine-Biografie (Rowohlt 2006). Bei Hoffmann und Campe erschienen von ihm zuletzt u. a. Heinrich Heine. Ein ABC (2015) und Das Märchen meines Lebens (2020).

Heinrich Heine, 1797 in Düsseldorf als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, arbeitete nach Abschluss einer Banklehre und anschließendem Jurastudium ab 1825 als Journalist und Schriftsteller. Nach vielen Zwischenstationen ging er im Mai 1831 nach Paris ins Exil. Etwa vier Jahre später wurden seine Schriften in Deutschland verboten. Heinrich Heine gilt als "Vollender und Überwinder der Romantik", Wegbereiter eines zeitkämpferischen Journalismus und des modernen Feuilletons und ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller. Er starb 1856 in Paris.



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