E-Book, Deutsch, Band 8, 464 Seiten
Reihe: Ulldart (Zeit des Neuen)
Heitz Brennende Kontinente
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-492-95057-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ulldart. Zeit des Neuen 2
E-Book, Deutsch, Band 8, 464 Seiten
Reihe: Ulldart (Zeit des Neuen)
ISBN: 978-3-492-95057-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
I. |
»Wir sind den Spuren der Qwor gefolgt.
Sie streifen anscheinend sinnlos umher, es gibt
kein Muster in ihren Bewegungen. Ich habe
angeordnet, dass Arbeiten im Wald nur unter
dem Schutz von zehn Bewaffneten erlaubt sind.
Nachts sehen die Wachen von der Mauer aus
blaues Leuchten im Wald.
Ich erachte es als sicher: Die Qwor belauern uns.«
Aufzeichnungen des ehrenwerten Sintj?p,
Bürgermeister Bardhasdrondas,
gesammelt in den Archiven zu Neu-Bardhasdronda
Kontinent Ulldart, Königreich Tersion,
Hauptstadt Baiuga, Winter im Jahr 1/2
Ulldrael des Gerechten (460/461 n.S.)
Die Luft wehte durch Prynn Caldúsins lange schwarze Locken, in denen sich kein graues Haar fand. Er stand an der Balustrade des weißen Marmorbalkons und blickte von der höchsten Stelle des Palasts nach Südwesten.
Der Nachmittagswind strömte von der See her; er trug Kühle mit sich und brachte den alten Mann trotz des dicken Überwurfs aus weißer Terawolle zum Frösteln. Die hellblauen Stickereien und schwarzen Embleme auf dem Stoff wiesen ihn als Ältesten des Hauses Iuwantor aus.
»Ich habe es befürchtet«, raunte er, die Augen aufs Meer gerichtet.
Die Umrisse von vier großen Schiffen zeichneten sich weit draußen auf dem Wasser ab. Das Äußere der Schiffe war für einen älteren Tersioner wie ihn unverkennbar: Drei Ruderbänke lagen übereinander, zwei kleine Segel schwebten geisterhaft am Bug; auf die große Entfernung waren die Taue, mit denen sie an dem kurzen Frontmast befestigt waren, noch nicht zu erkennen.
Ihr Fortkommen war bewundernswert, eine Meisterleistung von Ruderern und Trommlern gleichermaßen. Die Riemen hoben und senkten sich im Wechsel, sodass die hölzernen Blätter ohne Unterlass ins Wasser stachen. Die Galeeren schossen mit gleich bleibender und vor allem hoher Geschwindigkeit über die Wasseroberfläche. Noch vor Einbruch der Dämmerung würden sie die Hafeneinfahrt erreicht haben.
»Was tun wir nun, Furanta?« Prynn rieb sich über den kurzen schwarzen Bart und schaute über die Stadt zum künstlich angelegten Hafen von eineinhalb Meilen Breite und einer halben Meile Tiefe. Davor lagen mächtige Mauern, die bogenförmig errichtet worden waren und die Hauptstadt vor zu hohen Wogen und Angreifern schützten. Auf zwei künstlichen Inseln standen Wachtürme, steinerne Hüter der Hafenpforte, zwischen denen sich knapp unterhalb der Wasseroberfläche eine mächtige Kette spannte.
Im Grunde gab es wenig, was Baiuga und er fürchten mussten. Bis auf das, was die Galeeren brachten: eine kleine, zierliche Frau.
Seine Nichte stellte sich neben ihn. »Ach, Onkel Prynn«, seufzte sie und legte ihm eine zusätzliche Decke um die dünnen Schultern. Ihre zu Zöpfen geflochtenen blonden Haare waren selten für eine Tersionin; ihr Vater, so erzählte man sich, gehörte zu den rogogardischen Freibeutern, der in Baiuga nichts außer dem Herz ihrer Mutter geraubt und ihr ein lebendiges Andenken an eine gemeinsame Nacht hinterlassen hatte. Furanta war stolz auf ihre besondere Haarfarbe. »Alle Häuser wussten, dass ihre Abwesenheit nicht ewig währt.« Sie richtete das hellblaue Seidengewand, in das raffinierte Schlitze auf dem Rücken und von der Taille abwärts eingearbeitet waren.
»Aber beinahe jeder hat es sich gewünscht.« Prynns Lippen wurden schmal. Viele Errungenschaften und Freiheiten gerieten in Gefahr, und die Sklaverei, die Lodrik Bardri¢ während der Zeit der Eroberung abgeschafft hatte, würde zurückkehren. Ein Land ohne Unfreie – so hätte er Tersion gerne weitergeführt, und die Mehrheit der Häuser folgte Prynn auf diesem Kurs. Nicht zuletzt gefiel ihm die Macht, die er und damit das Haus Iuwantor ausübte. Niemals hätte er gedacht, dass er sich so rasch daran gewöhnen würde. »Ein schöner Traum geht zu Ende«, sagte er vieldeutig.
Furanta ließ den Blick über die Befestigungsanlage schweifen. Prynn erkannte in ihren Augen, woran sie dachte. »Nein, wir werden sie gewiss nicht versenken. Die Folgen wären unabsehbar. Für unser Haus, für Tersion. Und für Ulldart.«
Sie setzte sich auf die weiße Balustrade und lehnte den Rücken an eine Säule. »Ich hätte dir dergleichen niemals unterbreitet«, sagte sie leise und meinte damit das Gegenteil.
Prynn wandte sich zu ihr und legte eine faltige Hand auf ihren Kopf. »Es ist vorbei. Wir waren Verwalter und keine Regenten.« Es waren Worte der Aufgabe, des Rückzuges, und sie fielen ihm schwer.
Er betrachtete die Stadt, die weiß getünchten Häuser, in denen so viele Menschen wie in etwa zwanzig Dörfern zusammenlebten. Die breite Prachtstraße, die in gerader Linie vom Hafen zum Palast führte, hatte er immer gemocht. Jetzt betete Prynn, dass sie sich auftun und verschwinden würde, damit auf ihr niemand zu dem Hügel gelangte, auf dem sich der Palast befand.
In den Straßen und Gassen herrschte vielfältiges Treiben. Die Menschen ahnten noch nicht, was ihnen die Schiffe brachten; dass die Vergangenheit zurückkehrte und einige Tausend Bewohner in Ketten legen würde.
Darf ich es zulassen? Muss ich weichen? Prynn hörte das aufgeregte, begeisterte Rufen, das aus der Arena herüberklang. Die Tersioner jubelten den Shadoka zu, Kämpfern, die für das Geld und die Ehre der tersionischen Herrschaftsfamilien ihr Leben aufs Spiel setzten.
Schlagartig wurde es still.
In einem Augenblick der unheilvollen Ruhe vernahm er das Klirren von Waffen, danach einen langen Schrei. Einen Todesschrei. Gleich darauf brandete lauter Beifall auf, ein Kampf war zu Ende gegangen. Prynn verstand es als Zeichen: Seine Zeit als Regentschaftsverwalter war vorüber. Er musste sich fügen, um noch größeres Leid zu vermeiden. Nicht noch ein Krieg.
»Was bleibt uns also?«, meinte Furanta niedergeschlagen.
»Die Hoffnung, dass sie sich umstimmen lässt und unseren Weg geht. Überall auf Ulldart sind Neuerungen im Gange.« Er fuhr ihr über das Haar und lächelte; aus den dünnen Fältchen auf seinem sonnengebräunten Antlitz wurden dunkle Linien, die endlos tief wirkten. Sie zerschnitten das Lächeln, zerstörten es und offenbarten einen Teil seiner wahren Gefühle. »Warum nicht auch hier?«
Die junge Frau lehnte den Kopf gegen die Brust des alten Mannes und schwieg, während sie Baiuga betrachtete. Das rogogardische Blut in ihr wallte, sie dachte nicht daran, die Macht ihres Hauses aufzugeben. Sie hasste die Regentin, ohne sie gesehen zu haben, und ihre Augen schleuderten all ihre Empfindungen aufs Meer zu den Schiffen, die schneller und schneller wurden. Leider besaß sie nicht mehr als ihren Hass. »Du hast Recht«, sagte sie schließlich, als füge sie sich vorerst. »Warum nicht auch hier?«
Stumm beobachteten sie die Galeeren, dann verkündete der linke der beiden Wachtürme der Stadt mit lautem Schlagen der Signalglocke das Nahen der vertrauten Fremden. Furanta schlang bei den durchdringenden Klängen die Arme Hilfe suchend um ihren Onkel.
Auch woanders wurde das Signal gehört.
Tief in den Schatten von Baiuga lauerte eine andere Vergangenheit, die weder vergab noch vergaß. Sie hatte sich wie ausgelaufene Tinte in den dunkelsten Ritzen der Stadt verteilt, war unsichtbar und doch allgegenwärtig geworden. Und sie lauerte.
Der Schlag der Glocke erweckte sie, brachte sie dazu, sich an einem Ort zu sammeln und zu einem Hort der Finsternis zu werden.
Dieser Hort sandte seine Schatten aus.
Alana die Zweite stand an Deck und achtete darauf, noch nicht gesehen zu werden. Ihr Erscheinen musste inszeniert und voller Wirkung sein, als bräche die leuchtende Sonne durch finstere Wolken. Ihre Dienerinnern umringten sie und schirmten sie vor den Blicken der Wartenden ab, die sich im Hafen versammelt hatten.
»Wie merkwürdig.« In ihrem Kopf rangen die Gedanken mit den aufsteigenden Gefühlen. Der Anblick ihrer geliebten Stadt, aus der sie die Truppen von Bardri¢ vertrieben hatten, ließ ihr Tränen der Rührung und der Freude in die Augen treten. Gleichzeitig war ihr nicht entgangen, dass Baiuga sichtlich in zwei Lager gespalten war.
»Was ist merkwürdig?«, fragte ihr Gatte, Lubshá Nars’anamm. Er überragte sie sowohl in der Breite als auch in der Länge um einiges und war die Verkörperung des mächtigen Kriegers, trotz seines fortgeschrittenen Alters. Er trug wie seine Alana einen dünnen Überwurf aus weißer Seide, darüber lag die wertvolle Rüstung aus Iurdum und kleinen Eisenplättchen. Die langen schwarzen Haare fielen mähnengleich auf seine breiten Schultern. Auch wenn Lubshá es nicht musste, er achtete darauf, dass die Schiffe anlegten, ohne sich zu berühren oder mit ihren langen Rammspornen die Mauern zu beschädigen.
»Die Art, wie ich...