Helbich Das Haus
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-85420-881-5
Verlag: Literaturverlag Droschl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-85420-881-5
Verlag: Literaturverlag Droschl
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ilse Helbich erzählt in ihrem autobiographisch gefärbten Text »Das Haus« die Geschichte einer Frau, die sich mit über 60, entgegen aller Vernunft und entgegen dem wohlmeinenden Freundesrat, einen ›Herzenswunsch‹ erfüllt: Sie kauft ein altes Haus. Es ist beinahe Liebe auf den ersten Blick – und das, obwohl das Haus in einem Dorf und in einer Gegend liegt, in die sie eigentlich nicht ziehen wollte. Mehr noch: Es ist baufällig und feucht, und für sie das Schlimmste: Es ist durch lieblose Umbauten und pragmatische Modernisierungen über Generationen komplett verunstaltet. Und doch kauft sie dieses 'verletzte' Haus mit seinem 'verwilderten' Garten. Diese Worte sagen viel über die Autorin und ihre Prosa: Ilse Helbich beschreibt Haus und Garten als geschundene Kreaturen, denen sie ihre ursprüngliche Form und Würde zurückgeben will. Zunächst mit Taten und später, indem sie dieses Buch schreibt, mit Worten. Dabei ist viel vom 'Hineinwachsen', 'Herausschälen', 'Entfalten' die Rede. Der Bericht vom allmählichen Entstehen des Hauses, von den behutsamen Annäherungen an einzelne Nachbarn, ja auch die gemeinsam erlebte Flutkatastrophe, die die Fundamente des neuen Heims buchstäblich zu unterspülen droht, ist in seiner geradlinigen Schmucklosigkeit von ungeheurer Spannung. Und erreicht dort, wo die wortlose Einsamkeit, die sich gnadenlos verringernde Zukunft im Genuss der Natur und des Augenblicks sichtbar werden, eine weit über das Erzählte hinausgehende Bedeutung.Ilse Helbich, die erst mit 80 ihren ersten Roman publizierte, besitzt ein ganz außergewöhnliches Talent, das Wesentliche zu formulieren, einen fast buddhistischen Sinn für Konzentration und Leere.
Autoren/Hrsg.
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Was sie sich wünscht, als sie jung war: Wäre ich ein Tischler, würde es mich reizen, die Anfertigung eines Esstisches in allen Schritten zu beschreiben. Es würde sich um einen gewöhnlichen Esstisch handeln, einen soliden, mit einer Hartholzplatte, vielleicht aus Nussbaum, die Messerschnitte, Speck- und Rotweinflecke verträgt, natürlich mit einer Brotlade, und mit festen, ein wenig ausgestellten Tischbeinen, und vielleicht mit einer Querleiste für die müden Füße. Ein gewöhnlicher Esstisch für alle Tage, von dem ich hoffe, dass er noch Kindern und Kindeskindern dienen kann, wenn dann auch verbannt in ein Kellerstübchen oder eine Werkstatt. Sie ist kein Tischler. Aber sie kann erzählen, wie dieses Haus geworden ist unter ihren Augen und unter ihren Händen, oder richtiger, unter den vielen Händen derer, die sie sich zu seiner Vollendung herholen konnte. Und wie das Haus gewachsen ist, heraus aus dem, was es vor Jahrzehnten, ja vor Jahrhunderten war und immer weiter geworden ist, herausgeschält aus den entstellenden Verfremdungen, zu seiner, so hofft sie, reinen Gestalt, die ganz die seine ist und zugleich auch die ihre, die sie nur sehen kann und nur glauben, wenn sie mit Augen schaut, was sie hier bewirkte. In der Gestalt, die für heute gilt und morgen schon sich leise weiter auffalten wird zu einer gewandelten Form, die dann ein anderer ihm fand … oder verwittern wird und dann zerfallen. Manches davon hat sie anderen, hat sie sich selbst oft und oft erzählt. So oft, dass daraus Geschichten geworden sind oder Sagen, mit einem Kern aus Wirklichkeit und da und dort durchschossen von dem, was man Fakten nennt. In diesen Geschichten ist ihr die Bedeutung des einmal Geschehenen, ist etwas von seiner Wahrheit sichtbar geworden und daher sagbar. Eine nahe, nein, eine gegenwärtige Vergangenheit, die da steht wie dieses Haus. Rundherum Wildnis. Früher, als sie eine Bleibe hatte, aber nirgends zuhause war. Obwohl sie seit Kindertagen rundherum jedes Haus, jeden Strauch kannte. Jemand, der die nackte Haut an ein fremdes Ufer gerettet hat. Eine Bleibe, das ist ein Bett, um zu schlafen, Tisch und Sessel, um zu essen, zu rasten, wenn es nicht mehr weitergeht; eine Bleibe ist ein Herd und ein Kühlschrank und natürlich ein Waschraum. Eine Wohnungstür, die man zusperrt hinter sich. Fenster, aus denen man nicht schauen will, nicht hinausschauen, nicht um sich schauen, ein Tag folgt mit Datumssicherheit auf den anderen. So ist das, wenn einer aus seinen Zusammenhängen herausgefallen ist oder herausgegangen, das macht im Tagesablauf keinen Unterschied. Wenn einer dann Zeit zwischen den Fingern hat, leere Stunden, kann man anfangen, umherzufahren. Unterwegs im Auto, straßenauf, straßenab. Eintönige Wegstrecken: konzentrier dich auf den Autobahnzwang, das lenkt ab. Dann ist die Gegend auf einmal so schön, dass sie aufwacht und schaut. Die Wachau. Das Strömen des Flusses kreuzend das Dahingleiten der Fähre; so kommt auch die Kulisse der Hügel in Drehung, überall Gleiten. Aber drüben steht fest der Block der aneinandergedrängten alten Häuser unterm hochweisenden Kirchturm. Wie sie am Geländer der Fähre lehnt und dem umschriebenen Ort dort in der Abendsonne entgegenschaut, weiß sie auf einmal, dass sie ein Haus haben soll. Nein, sagt sie, wenn jetzt die Fragen des Zuhörers kommen, damals hat sie nicht nachgedacht, wie das zugehen könnte. Erst viel später fing das Grübeln, das Rechnen an, als sie sich klarmachte, dass das Erbe der Eltern, das ihr vor kurzem zugefallen war, einen solchen wahnwitzigen (ja, sie gab es zu!), nun, einen solchen Entscheidungsschritt ermöglichen könnte. Als sie ebenso anfing, ihr Alter – sie war damals 65 –, ihre Kränklichkeit, nicht so sehr gegen den neuen Herzenswunsch als gegen die auf sie zukommende Arbeitsfülle aufzurechnen. Damals aber, am nächsten Morgen nach einem Blitzentschluss, griff sie stracks zum Telefon und rief einen in der Wachau lebenden Vetter an, um ihn nach einem Häusermakler zu fragen. Der Vetter, der Staatsanwalt war, gab ihr nach kurzem Nachdenken einen Namen und eine Telefon-Nummer; er meinte, mit diesem Mann hätte er beruflich noch nie zu tun gehabt, vielleicht sei dies eine brauchbare Empfehlung? Das Gespräch mit dem Makler enttäuschte sie. In der Wachau könne sie gewiss nichts Passendes finden. Außerdem sei die Gegend feucht, für Zugezogene ungesund. Ob sie es nicht in den Nebentälern versuchen wolle? Dort ließe sich leichter ein geeignetes Objekt finden und die Preise dort entsprächen wohl eher ihren Möglichkeiten. Zögernd willigte sie ein. Der Wunsch, der ihr als Eingebung vom Himmel gefallen war, hatte sich jetzt ins Dämmrige zurückgezogen. Trotzdem fuhr sie gehorsam zum vorgeschlagenen Treffen in einen Ort, dessen Namen ihr nichts sagte. Von Wien kommend, ging es durch die Ebene des Tullnerfeldes; sein großer Himmel; als sie ins Seitental der Donau abbog, war ihr das Weinland zunächst fremd, erst im Weiterfahren, als sich Hügel enger ans Flussbett schoben, erkannte sie eine Gegend wieder, die sie, vom nördlichen Waldviertel her, vor Jahren durchfahren hatte. Damals, an einem sonnigen Septembermittag, hatte es ihr gefallen, wie die waldigen Hügel dem Flusslauf folgend näherwellten und sich wieder zurückzogen, um eine Wiesenfläche freizugeben, wie hie und da kleine Kukuruzfelder neben dem glitzernden Wasser als goldenes Viereck glänzten. Kleine Orte lagen abseits, einmal hatte sie eine sehr schöne Wehrkirche über eng angeschmiegten Häusern sich heben gesehen. Damals hatte sie sich vorgenommen, diese Landschaft bald zu erforschen, hatte den Wunsch dann versinken lassen – nun war sie ebenda angekommen. Sie war zu weit gefahren und kehrte um. Von der Umfahrungsstraße abbiegend, fuhr sie in den angegebenen Ort ein. Das Dorf liegt am Fuß von Wein- und dann Waldhügeln, die hinter dem Auengelände bald recht steil hochsteigen. Der Hauptstraße mit ihren Krümmungen folgend, bemerkt sie niedrige Häuser, manche sind in der groben Art hergerichtet, wie es die gängigen Hübschheitsideale vorschreiben, grelle Fassaden mit klaffenden Fensterlöchern, häufiger sieht sie sich selbst überlassene Häuser mit verblichenem Putz und von Mauerrissen durchzackten Wänden. Ein schönes Tor da, ein schmiedeeiserner Fensterkorb dort. Manchmal gibt eine Durchsicht die höherliegende Kirche frei. Am späten Vormittag ist die Dorfstraße menschenleer – tot oder scheintot. Dann steht sie vor dem angepriesenen Haus. Es gibt keinen Irrtum, die Hausnummer stimmt. Seine Fassade ist hässlich, schmutziggelb, von Glotzfenstern verunstaltet. Die passen nicht zum alten grünen Holztor, dem behäbig zweiflügeligen, das schräg in der Mauer sitzt. Ein altväterlicher Glockenzug verlockt zum Läuten, sie fasst den Holzknauf und zieht, der Klang ist hell und fordernd. Dann steht der Makler hinter ihr. Der Mann lässt sie nicht lange schauen, er zieht einen schweren Schlüssel aus der Tasche und sperrt das Tor auf, das erst Widerstand leistet und sich dann knarrend aufstoßen lässt. Aus der gewölbten Einfahrt sieht sie in eine Wildnis. Hohes Gras, überwachsen von wirrem Rankwerk, sie erkennt Brombeeren, Disteln, Brennnesseln, die bis an die schmutzigen Mauern reichen. Weit drüben, über die grüne Wirrnis hinweg, sieht sie ein kleines Haus sich an den Boden schmiegen. Erst wie sie sich jetzt umschaut, kann sie die Hausgestalt als Ganzes ausmachen. Sie begreift, dass dieses Anwesen Hackenform hat, ein Dreiseit-Hof ist, den die Vorbesitzer in verschiedenen Stadien des Umbauens zurückgelassen haben. Während drüben das kleine Haus sich selbst überlassen und vernachlässigt daliegt, hat es ungeschickte Anstalten gegeben, den breiten Mitteltrakt zu modernisieren. Dem Makler scheint daran zu liegen, dass sie dem Anblick nicht zu lange ausgesetzt ist, er schließt eine Tür im Gewölbe der Einfahrt auf, über Betonstufen geht es hinauf, noch eine Tür und dann die Wohnung, die ausgeräumt ist und schon lange sich selbst überlassen, man kann es riechen. Im Weitergehen sagt sie sich vor, dass sie gerade das erwartet habe: die abblätternden Wände, die gesprungene Klosettmuschel, die in den Angeln hängenden Türen. Aber warum sieht das alles aus, als hätte es zur Vernachlässigung eine zusätzliche Misshandlung erfahren? Schließlich begreift sie, dass dieser Eindruck von den falschen Maßen der Räume kommt, die jemand durch fühlloses Einziehen von Zwischenwänden verunstaltet hat, schmalbrüstige Höhlen sind es, die neu eingesetzte quadratische Fenster aufreißen und aus dem Gleichgewicht zwingen. Schweigend folgt sie dem Makler von Zimmer zu Zimmer; es ist schwierig, sich in der Abfolge ineinandergeschachtelter Kojen zurechtzufinden, nur ein kleines Bad und der Ort, wo einmal die Küche gewesen ist und noch ein alter Propangasherd steht, lassen sich identifizieren. Irgendwann erwähnt der Makler, dass hier bis vor zwanzig Jahren das Postamt des Ortes gewesen sei, darum heiße das Haus bei den Leuten noch immer »Die alte Post«. Das gefällt ihr. Über die Stiege hinunter führte sie der Mann zurück in den Hof und die Hausmauer entlang, da stießen sie auf eine von ungefügen Säulen getragene Höhlung, die Säulen waren mit Buntmosaik kleinfleckig beklebt. In der Ecke ein schmaler Schluff, durch den sie sich seitlich zwängten, überrascht stand sie plötzlich in einem sehr hohen, leeren Raum. Weit oben waren zwei Langfenster in die grobe Steinmauer eingeschnitten, sie begriff, dass dort die Dorfstraße vorbeiführte, der Raum, der einmal wohl die Scheune gewesen war, lag tief unter der Straßenfläche. Darum war es hier unten noch kälter, als es schon in...