E-Book, Deutsch, 400 Seiten
Held / Weiß / Charbonnier Mann sein in einer komplexen Welt
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7504-8371-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Impulse für die Persönlichkeitsentwicklung von Männern
E-Book, Deutsch, 400 Seiten
ISBN: 978-3-7504-8371-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Männer leben heute in einer komplexen Welt. Unübersichtlichkeit, Flexibilität und beschleunigte Veränderungsprozesse sind einige Kennzeichen der Gegenwart. In dieser Welt stehen Männer vor der Herausforderung der Persönlichkeitsentwicklung. Dieser umfassende Prozess der persönlichen Reifung, Ich-Werdung und Selbstfindung stellt Männer heute vor neue Aufgaben und Fragen. Die Buchbeiträge analysieren in diesem kulturellen Kontext Risiken und Chancen im Leben und Erleben von Männern und zeigen Perspektiven für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung. Dies geschieht unter vier Blickwinkeln: Mann-Sein und komplexe Welt, Persönlichkeitsentwicklung von Männern, Männer und Freundschaft sowie Grenzerfahrungen von Männern. Das vorliegende Buch ist für ein breites Publikum interessierter Leserinnen und Leser konzipiert. Es ist weder ein klassisches Ratgeberbuch, noch ist es primär für den fachwissenschaftlichen Diskurs geschrieben. Diese Aufsatzsammlung bietet auf theoretisch gehobenem Niveau konkrete Anregungen zur Persönlichkeitsentwicklung von Männern - aus diesem beruflichen Kontext stammen alle drei Herausgeber.
Autoren/Hrsg.
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Identität und Männlichkeit:
(Nicht nur) Psychoanalytische Konstruktionen und Perspektiven
Lars Charbonnier
„Wann ist ein Mann ein Mann?“, fragt Herbert Grönemeyer in seinem Hit „Männer“.13 Vor mehr als 30 Jahren hinterfragt er klassische Eigenschaften von Männern, indem er sie aufzählt und kontrastiert. Natürlich klingt sein Lied wie eine Identitätsbeschreibung von Männern im Allgemeinen, weniger über einen Mann und seine individuelle männliche Identität. Genau in diesem mindestens bipolaren Verstehensraum aber bewegt sich die Rede von Identität und Männlichkeit, wenn sie heute auf die Entwicklungsperspektive hin betrachtet werden soll: Welche allgemeinen Kennzeichen einer Identität, also welche sozial geteilten, kulturell charakteristischen („gender“), vielleicht biologisch mitgegebenen Aspekte („sex“) treten wie in Wechselwirkungen mit dem individuellen Erleben und Ausprägen von männlicher Identität? Kann denn heute diese Kategorie in ihrem Spannungsfeld von „sex“ und „gender“ überhaupt überindividuell sinnvoll konzeptioniert werden? Als Einführung ins Thema dieses Buches will dieser Beitrag Zugänge eröffnen zum Nachdenken über Identitätsentwicklung und Männlichkeit, indem insbesondere wirkmächtige klassische sowie einige (nach wie vor) aktuell diskutierte identitätstheoretische Ansätze der psychoanalytischen Tradition vorgestellt und auch zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Er ist insofern weniger zukunftsweisend instruktiv als vielmehr eine darin aber hoffentlich anregende Erinnerung an prägende Schritte des allgemeinen Diskurses über männliche bzw. geschlechtliche Identität und ihre je subjektiv-individuelle Entwicklung. Viele dieser Ansätze und noch viele weitere mehr kommen an anderen Stellen in diesem Band ausführlicher zum Klingen und ich hoffe, dass der Gesamtklang der Beiträge dann eine anregende Melodie für jeden Leser ermöglicht! 1. Identität heute verstehen und gestalten – Einleitende Bemerkungen Der Begriff der Identität leitet sich sprachgeschichtlich aus dem Lateinischen (idem) ab und meint so viel wie Gleichheit oder Selbigkeit. Er bezeichnet somit sowohl die Gleichheit verglichener Elemente wie auch in seiner Gesamtheit die Einzigartigkeit eines Objektes bzw. und insbesondere einer Person. Mit Blick auf den Menschen liefert der Identitätsbegriff das in Sprache ausgedrückte Symbol einer wohl grundmenschlichen Eigenschaft: der Frage nach dem je eigenen einzigartigen Sein. „Identität läßt sich als die Antwort auf die Frage verstehen, wer man selbst oder wer jemand anderer sei.“14 So definiert es Heiner Keupp im Lexikon der Psychologie. In Bezug auf die eigene Person kann diese Frage in unterschiedlichen Phasen des Lebens auftauchen, ausgelöst durch Schicksalsschläge und einschneidende Lebenserfahrungen oder auch durch die Auseinandersetzung mit den prägenden Kontexten des eigenen Lebens. In unser individualisierten und pluralen und damit komplexen Gesellschaft stellt die Gleichzeitigkeit der Ansprüche ganz unterschiedlicher Rollen und Bezüge eine besondere Herausforderung dar. In seiner intensiven Auseinandersetzung mit Identität und Religion in der heutigen Gesellschaft schreibt der Theologe Christopher Zarnow: „Identität wird in der modernen Gesellschaft angesichts der ihr eigenen Differenzierungs- und Pluralisierungsdynamik damit tendenziell zu einem Dauerthema.“15 Thematisierung allein aber genügt nicht. Vielmehr wird die Auseinandersetzung mit und die Konstruktion der eigenen Identität in der Vielfalt der Lebensbezüge als eine aktive Aufgabe verstanden, wofür der Begriff der „Identitätsarbeit“ steht und woraus entsprechend vielfältige Perspektiven auf diese folgen. Noch einmal Zarnow: „Die Vielfalt der individuellen Bearbeitungsstrategien spiegelt sich auf der Ebene des wissenschaftlichen Identitätsdiskurses in der Suche nach sprechenden Leitmetaphern: Von der ,Bastelexistenz‘ über die ,Patchwork-Identität‘ bis hin zu ,nomadischen‘ Selbstkonzepten reicht die Palette der gebotenen sozial- und kulturwissenschaftlichen Interpretationsmodelle.“16 Ein wesentliches Charakteristikum der Identitätsarbeit tritt im vergleichenden Blick der Perspektiven hervor: Die Arbeit am Selbstverhältnis ist nicht ohne Prozesse der Selbst- und Fremdverständigung leistbar. Identität ist somit in der Konstruktion wie Reflexion ein Akt sozialer Konstruktion und damit immer ein mehrdimensionales Geschehen, was die kulturwissenschaftlichen Diskurse in ihrer Betonung der Unterschiedlichkeit von sex und gender völlig zu Recht herausgearbeitet haben. In diesem mehrdimensionalen Prozess wird auf individuelle Weise eine soziale Verortung versucht. Es geht um das Herstellen eines Passungsverhältnisses von subjektiver Innensicht und einer gesellschaftlich-sozialen Außenperspektive: „Identität bildet ein selbstreflexives Scharnier zwischen der inneren und der äußeren Welt. Genau in dieser Funktion wird der Doppelcharakter von Identität sichtbar: Sie soll einerseits das unverwechselbar Individuelle, aber auch das sozial Akzeptable darstellbar machen. Insofern stellt sie immer eine Kompromißbildung zwischen ,Eigensinn‘ und Anpassung dar.“17 Wenn nun in diesem Aufsatz auf psychologische Perspektiven eingegangen werden soll, sind auch diese nicht unabhängig aus sich heraus entwickelt worden. Beantwortet „Identität im psychologischen Sinne [...] die Frage nach den Bedingungen, die eine lebensgeschichtliche und situationsübergreifende Gleichheit in der Wahrnehmung der eigenen Person möglich machen (innere Einheitlichkeit trotz äußerer Wandlungen)“18, nimmt sie damit selbstverständlich die Frage auf, die etwa Platon bereits reflektiert hat: Sokrates legt er in seinem Dialog über das Gastmahl folgende Aussage in den Mund: „auch jedes einzelne lebende Wesen wird, solange es lebt, als dasselbe angesehen und bezeichnet: z.B. ein Mensch gilt von Kindesbeinen an bis in sein Alter als der gleiche. Aber obgleich er denselben Namen führt, bleibt er doch niemals in sich selbst gleich, sondern einerseits erneuert er sich immer, andererseits verliert er anderes: an Haaren, Fleisch, Knochen, Blut und seinem ganzen körperlichen Organismus. Und das gilt nicht nur vom Leibe, sondern ebenso von der Seele: Charakterzüge, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, Freuden und Leiden, Befürchtungen: alles das bleibt sich in jedem einzelnen niemals gleich, sondern das eine entsteht, das andere vergeht“19. Wenn nun auf den Aspekt der Geschlechtsidentität im Besonderen fokussiert wird, muss zunächst festgehalten werden, dass es auch für den Begriff der Geschlechtsidentität keine verbindliche und allgemein oder auch nur in den Bezugswissenschaften anerkannte Definition gibt. Im Sinne gerade postmoderner kulturwissenschaftlicher Theorien ist genau das auch der angemessene Umgang mit diesem Thema und gar kein zu verfolgendes Ziel. 2. Psychologische Perspektiven auf Identität Identität wird psychologisch als konzeptioneller Rahmen verstanden für die Interpretation der eigenen Erfahrungen einer Person und damit als Basis alltäglicher Identitätsarbeit. Diese verfolgt das Ziel, ein individuell gewünschtes oder notwendiges „Gefühl von Identität“ zu erzeugen. Das Streben nach sozialer Anerkennung und Zugehörigkeit ist für das „evolutionäre Mängelwesen“20 Mensch die Voraussetzung für diese Prozesse. Insbesondere in der Pluralität und Individualisierung spätmoderner Kontextbedingungen hat diese alltägliche Identitätsarbeit die Aufgabe, die Verknüpfungen unterschiedlicher Teilidentitäten vorzunehmen. Das Spektrum reicht hier von stark biologisch verorteten Identitätsaspekten wie etwa dem körperlichen Geschlecht (sex) bis hin zu rein in Lebensstilfragen sich konstituierenden Aspekten, etwa dem Musikgeschmack oder dem Kleidungsstil. Dazwischen liegt ein kaum abbildbarer Raum an weniger scharfen Konstitutionsprozessen. Diese Verknüpfungsprozesse sind selbst abhängig von den machtbestimmten Räumen und Beziehungen, in denen sie stattfinden. Mit Blick auf die männliche Identität könnte diese individuelle Verknüpfungsarbeit unterschiedlicher Identitätsaspekte beispielhaft folgende Aspekte beinhalten, die das gedachte Ich für sich in ein kohärentes Identitätskonzept zu integrieren versucht: „Ich fühle mich männlich, weil ich einen Männerkörper habe, spiele den ,Männersport‘ Fußball und sehe zugleich gern ,weiblich‘ konnotierte Liebes-Filme. Durch die kritischen Anfragen von Feministinnen an meine Vater-Rolle bin ich irritiert. Ich arbeite als Pflegekraft in einem sog. Frauenberuf.“ Die Ressourcen, die einer Person für diese Herausforderungen zur Verfügung stehen, sind ein weiterer, wesentlicher Faktor dieser Identitätsarbeit, „die von...