Hemon | Zombie Wars | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Hemon Zombie Wars

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-17923-6
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-641-17923-6
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



„Hemon kann einfach keinen langweiligen Satz schreiben.“ The New York Times Book Review

Chicago 2003. Joshua Levin, wohlstandsverwöhntes Kind einer orientierungslosen Generation, lässt sich durch seine Mittdreißiger treiben. Seine einzige Leidenschaft gilt dem Drehbuchschreiben. Mit einer Persiflage auf die Trashkultur und Allmachtsfantasien Amerikas, das sich gerade auf eine weitere Invasion des Irak vorbereitet, will er den Durchbruch schaffen. Doch gerade, als ihn die Inspiration zu einer vielversprechenden Skriptidee ereilt – „Zombie Wars“ – gerät sein Leben aus den Fugen: Nicht nur sein kriegstraumatisierter Vermieter, sondern auch ein eifersüchtiger Ehemann haben es plötzlich auf ihn abgesehen. Joshua hat alle Hände voll zu tun, um seinen Hals zu retten – und wird zu einem Antihelden, wie er ihn selbst nicht hätte besser erfinden können.

In seinem neuen turbulenten Roman dringt Aleksandar Hemon tief in die Seele seiner Wahlheimat Amerika und hält ihr provokant und erzählerisch brillant den Spiegel vor.

Aleksandar Hemon wurde 1964 in Sarajevo geboren. 1992 hielt er sich im Rahmen eines Kulturaustauschs in den USA auf, als er von der Belagerung seiner Heimatstadt erfuhr. Er beschloss, im Exil zu bleiben. Seit 1995 schreibt er auf Englisch und veröffentlicht regelmäßig unter anderem in "The New Yorker", "Granta" und "The Paris Review". Sein Erzählband "Die Sache mit Bruno" erschien 2000 in acht Ländern gleichzeitig. 2002 folgte der Roman "Nowhere Man", der für den "National Book Critics Circle Award" nominiert war. Die MacArthur Foundation zeichnete Hemon 2004 mit dem "Genius Grant" aus. Spätestens seit seinem international gefeierten Roman "Lazarus", der in Deutschland auf der Shortlist des Internationalen Buchpreises 2009 stand, gehört er zu den meist beachteten Stimmen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. 2013 erschien "Das Buch meiner Leben", wie alle Bücher des Autors in Deutschland bei Knaus. Hemon lebt mit seiner Familie in Chicago.

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Also, was könnte ich mit dem Jungen machen?, fragte sich Joshua. Alle menschlichen Gefühle lassen sich von Freude, Schmerz und Lust ableiten, aber vor allem – das könnte Spin zu Rise sagen – vom Beat. Er könnte aber auch einfach den Mund halten. Vielleicht war er ja eher der starke, schweigsame Typ? Warum so und nicht so? Schreiben bedeutete doch vor allem eines: die hoffnungslose Bürde von Entscheidungen tragen zu müssen, die keinerlei Folgen nach sich ziehen.

Der Nachmittag im Coffee Shoppe ging gerade in den Abend über, und Joshuas Koffeinpegel hatte längst den der Plantage in Ruanda erreicht, von der sein Getränk vermutlich stammte. Deshalb wollte er nun auch unbedingt Ruanda googeln und Wissenswertes über fremde Kulturen erfahren, in der Hoffnung, sein aktuelles kreatives Dilemma würde sich damit von selbst auflösen. Irgendwann einmal, vor der Erfindung des World Wide Web der Versuchung, hatte es doch diese sogenannte Inspiration gegeben. Dann aber war alles Nachdenken ersetzt worden durch die Suche nach Belanglosigkeiten. Zum Glück gab es kein W-Lan im Coffee Shoppe.

Also öffnete Joshua einen Unterordner mit einem anderen Skript, das sich bereits seit Ewigkeiten im Entwicklungsstadium befand (Titel: The Snakeman Blues – Rückkehr der Schlange). Ein fanatischer Comic-Nerd und ein abgedankter Superheld (der Snakeman), der sich widerwillig als Englischlehrer in einer öffentlichen Schule seinen Lebensunterhalt verdient, schließen sich darin zusammen, um gegen den heimtückischen Bürgermeister von Chicago zu kämpfen. Joshua konnte sich einfach nicht entscheiden, ob der Snakeman am Ende sterben oder überleben und in den Schuldienst zurückkehren sollte – was in Chicago die wirkliche Heldentat war –, und wenn ja, ob in menschlicher Form oder als Schlange. Ein Happy End wäre kitschig, sein Tod am Schluss deprimierend, und eine Zwischenlösung fiel Joshua nicht ein. Davon abgesehen: Wie sollte ein Reptil gegen das Chicago Police Department und den hinterhältigen Bürgermeister kämpfen?

Da er zu unterzuckert war, um auch nur ein Wort zu tippen, das dann vielleicht zum nächsten führen würde, blieb ihm nichts anderes übrig, als auf die leere Stelle unter der Zeile zu starren, die er als Letztes geschrieben hatte. (Snakeman: Warte! Zuerst kümmern wir uns um den Boss!) Der gute alte Baruch de Spinoza hatte recht: Die Unendlichkeit ist größer als alle Realität. Aber die Endlichkeit im Grunde auch. Joshua blickte zum Fußgängerübergang vor dem Coffee Shoppe hinüber, wo nichts passierte, bis er einen gewissen Trost darin fand, sich für ein imaginäres Publikum bei einer zukünftigen Dinner-Party clevere Witzchen auszudenken: Wie kam man eigentlich dazu, sein Café hochtrabend Shoppe zu nennen, statt Shop? Hatten etwa bereits die Helden aus Chaucers Canterbury Tales Chai-Lattes mit Sojamilch getrunken? Und stand dann nicht zu befürchten, dass Baristas mit einer Vorliebe für Mittelenglisch bald schon von der Schwarzen Pest dahingerafft würden? Et cetera.

Er wollte gerade eine weitere Datei öffnen, um seine gesammelten Shoppe-Pointen festzuhalten, als eine ganze Horde jugendlicher Kadetten wie in Zeitlupe am Horizont der Olive Street auftauchte, was Joshua an die Totale in Lawrence von Arabien erinnerte, in der sich auf der flachen Wüstenhorizontale ein winziger Fleck langsam in einen Reiter verwandelt. Die Kadetten kamen die Straße entlanggetrottet, versetzten einander kameradschaftliche Hiebe, klatschten sich auf die ausrasierten Nacken und kannten offenbar keinerlei Sorgen, abgesehen vielleicht von der Angst, aus dem Rudel ausgestoßen zu werden. Plötzlich sah er sie, dick mit Staub bedeckt, in der Wüste vor sich, sah, wie ihnen die Zungen vor Durst aus den Mündern hingen, während sie in eine Schlacht zogen, in der sie erwachsen werden und/oder heldenhaft zu Tode kommen würden, während ihnen die ruchlosen Eingeborenen pisswarmes kontaminiertes Wasser in zerbeulten Blechtassen reichten. Noch konnten sich die Kadetten ihre Sandsturmzukunft natürlich nicht vorstellen, sich höchstens schon mal ein wenig im Voraus bemitleiden. Genau genommen konnten sie kaum etwas erahnen, was über ihre nächste Mahlzeit hinausging oder über das Ausspielen ihrer kindischen Abgebrühtheit, über das neckische Pseudohandgefecht auf dem Weg zum Abendessen. Wer einen Geist hat, der zu sehr vielen Dingen befähigt ist, der hat auch, so in der Art hieß es doch bei Baruch, einen Körper, dessen größter Teil ewig ist. Und während Joshua über die traurige Gedankenlosigkeit der Kadetten sinnierte, kam ihm die Szene aus Dawn of the Dead in den Sinn, in der die Zombies um ein verlassenes Einkaufszentrum kreisen, unfähig, ihr Leben vor dem Untotendasein zu vergessen, da ihre befallenen Hirne noch immer die Überreste glücklicher Weihnachtserinnerungen mit sich herumschleppen. Ein pausbäckiger Kadett nahm Joshuas inspirierten Blick wahr, und während der Rest des Korps zum Sandwichladen nebenan weitertrottete, verschwand hinter der Scheibe das Grinsen auf seinem breiten Gesicht. Seine Wangen waren gerötet, die unterschiedlich großen Vorderzähne bildeten eine ungleichmäßige Skyline, und in seinen Augen leuchtete die arrogante Unschuld der Jugend. Ein segensreicher Lidschlag genügte, und Joshua sah die Landschaft seiner Geschichte in ihrer ganzen Vollkommenheit vor sich: all die endlosen Möglichkeiten, die Overhead-Shots und Totalen, all die grandiosen Figurenkonstellationen, die am Firmament aufflammten, die Freiräume, in die eine Liebesgeschichte eingebaut werden konnte – Joshua brauchte nur noch durch dieses maßgeschneiderte Paradies zu wandeln und alles niederzuschreiben. Dieses Mal, dazu war er fest entschlossen, würde seine Vision nicht zusammen mit den Gebeinen all der anderen Ideen im Speicher seines Computers verrotten. Noch an Ort und Stelle öffnete er eine neue Datei. Er verfasste die Titelseite und starrte sie dann mit großen Augen an:

Zombie Wars – Krieg der Untoten

Von Joshua Levin

Chicago, 31. März 2003

Und weiter starrte er sie an.

Zu schade, dass Schöpfung sich nicht erzwingen ließ – es sei denn vielleicht, man war Gott persönlich. Joshua musste erst einmal was essen, bevor er sich auf sein Werk stürzen konnte. Also stellte er sich in der Schlange hinter einem übertätowierten Arschloch an, das sich nicht zwischen Bananen- und Kürbisbrot entscheiden konnte, während der Barista mit der Che-Guevara-Baskenmütze (der vermutlich fließend das gottverdammte Mittelenglisch beherrschte) gleichgültig ins Leere blickte. Dank des Staus konnte Joshua sich in aller Ruhe ausmalen, wie ein Zombie in die Halstattoos des Arschlochs beißen würde, wie Blut über die bereitgestellten Latte-Becher spritzte und sie rosa färbte, während sich der Zombie vom hysterisch zischenden Espressoautomaten nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen ließ. Auch für sein kunstvolles Streben nach dem perfekten Schaum für Joshuas Cappuccino benötigte der an Chaucer geschulte Revolutions-Barista eine Ewigkeit und gab der Zombie-Apokalypse so Zeit genug, ihre kataklysmische Realität auszuhauchen und auf den Grund von Joshuas Geist abzusinken. Zurück an seinem wackligen Tisch kaute er an seinem Karottenbrot herum, bis er eine zenartige Stufe von geistiger Koffeinschock-Leere erreicht hatte. Er schloss die Datei, dann das Programm und schließlich den Laptop, um ihn in seiner Tasche zur Ruhe zu betten.

Schon früher hatte Joshua wesentliche Abschnitte seines Lebens verschwendet, ohne dass ihn dies besonders bedrückt oder traumatisiert hätte. Das Hauptproblem an diesem Montag war jedoch, dass er einige Seiten zu seinem Workshop(pe?) Drehbuchschreiben II mitbringen musste, der heute zum ersten Mal bei Graham, ihrem Kursleiter, zu Hause stattfinden sollte. Auch die Birkenstock-Schwanzlutscher des Film-Collectives waren Blutsauger. Einen schamlosen Anteil der Kursgebühr zweigten sie für die Raummiete ab und machten sich nicht mal die Mühe, für ausreichend Klopapier zu sorgen. Graham hatte das bisher aus eigener Tasche übernommen, nun aber entschieden, dass sich seine treuen Workshoppers ihre Hintern ebenso gut in seiner bescheidenen Behausung abwischen und er das ganze Geld für sich behalten könnte.

Ohne Seiten und nur mit den vagesten Erinnerungen an einschlägige Zombiefilme ausgestattet, machte es sich Joshua also auf einem lilafarbenen Sitzsack in Grahams Wohnzimmer bequem. Salzbrezeln und eine große Flasche kohlensäureloser Cola light standen auf dem Couchtisch. Während ihm von seiner verrutschten Unterhose die Hoden eingeklemmt wurden, vermied Joshua jeden Augenkontakt mit dem ganz in Flanell gewandeten Dillon, der gerade, hüfttief eingesunken in einem verblichenen Futon, für die Gruppe einige seiner Ideen umriss. Auch Bega war da, hockte in einem Motörhead-Shirt am Schreibtisch und ließ andächtig das verschwenderisch beleuchtete Wrigley-Field-Baseballstadion auf sich wirken, das man von Grahams Fenster aus sehen konnte. Die Zuschauer feierten lautstark einen Home Run, und Bega schnaufte wehmütig. Sein graues Haar, unordentlich gescheitelt, passte hervorragend zu den gräulichen Stoppeln auf seinem Gesicht. Graham unterbrach Dillons Litanei, um eine passende Stelle aus seinem soeben fertiggestellten eigenen Skript zum Besten zu geben.

»Gesegnet seien die Amateure!«, deklamierte er mit der großkotzigen Stimme seiner Klischeefigur. »Die, die sich bemühen, die scheitern, in der Scheiße schwimmen! Lasst uns diejenigen preisen, die von Großem träumen und nichts erreichen, die sich nicht verdrießen lassen vom...


Hemon, Aleksandar
Aleksandar Hemon wurde 1964 in Sarajevo geboren. 1992 hielt er sich im Rahmen eines Kulturaustauschs in den USA auf, als er von der Belagerung seiner Heimatstadt erfuhr. Er beschloss, im Exil zu bleiben. Seit 1995 schreibt er auf Englisch und veröffentlicht regelmäßig unter anderem in "The New Yorker", "Granta" und "The Paris Review". Sein Erzählband "Die Sache mit Bruno" erschien 2000 in acht Ländern gleichzeitig. 2002 folgte der Roman "Nowhere Man", der für den "National Book Critics Circle Award" nominiert war. Die MacArthur Foundation zeichnete Hemon 2004 mit dem "Genius Grant" aus. Spätestens seit seinem international gefeierten Roman "Lazarus", der in Deutschland auf der Shortlist des Internationalen Buchpreises 2009 stand, gehört er zu den meist beachteten Stimmen der amerikanischen Gegenwartsliteratur. 2013 erschien "Das Buch meiner Leben", wie alle Bücher des Autors in Deutschland bei Knaus. Hemon lebt mit seiner Familie in Chicago.

Mumot, André
André Mumot ist promovierter Kulturwissenschaftler, Journalist, Autor und Literaturübersetzer. Seit 2008 übersetzt er Autoren wie Neil Gaiman, Raquel J. Palacio, Nick Harkaway und Aleksandar Hemon. Er lebt in Berlin.



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