Herbert | Boris Benders Baby Blues | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 260 Seiten

Herbert Boris Benders Baby Blues


2. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7557-1941-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 260 Seiten

ISBN: 978-3-7557-1941-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Auf einmal sah er überall Kinder. Kleine, schrumpelige, rote Gesichter, dick eingepackt in weich gefederte Wagen, die Daunendecken darüber, trotz der Wärme des Sommers, und manchmal war ein heiseres Krähen zu hören, das ruhiggeschaukelt wurde. Er versuchte, Blicke in die wiegenden Wagen zu erhaschen, die von jungen Frauen geschoben wurden, die langsam gingen, mit kurzen, vorsichtigen Schritten." Frankfurt in den Achtzigerjahren. Der Lokaljournalist Boris Bender (Redaktionskürzel bb) hat sich gerade von seiner Elke getrennt und will jetzt das Solo-Dasein genießen. Doch schon landet er im nächsten Bett und in der nächsten, fordernden Beziehung. Boris bekommt nicht nur eine alternativ angehauchte Goldschmiedin, sondern gleich deren anderthalbjährige Tochter Anna-Maria dazu. Familie war in seiner Zukunftsplanung aber bislang gar nicht vorgesehen. Kann er es schaffen, Stadt und Land, Frau und Kind, Pils und Tofu, Job und Vatersein in seinem Leben gleichzeitig unterzubringen? Ein Roman aus der Zeit, als die Frauenversteher der 80er zu den Kinderverstehern der 90er werden durften.

Matthias Herbert wurde 1960 in Darmstadt geboren. Nach einem bis dahin eher ereignisarmen Leben machte er 1979 das Abitur und wurde zum Entsetzen vieler Polizist. Als Ordnungshüter stand er bald vor der Wahl, depressiv zu werden oder mit dem Schreiben zu beginnen. Er wählte eine Mischform: Er verfasste fortan kaum verständliche und traurige Prosa. Nach drei Jahren zog er die Uniform aus und hat seitdem eine Allergie gegen grüne Kleidung. Ein orientierungsloses Jahr später schrieb er sich zum Studium von Germanistik, Buchwesen und Publizistik in Mainz ein. Ein gleichzeitig eintreffender Nachwuchsliteraturpreis überzeugte ihn davon, dass er als Autor vielleicht doch nicht talentfrei war. Bald musste er aber feststellen, dass die Germanistik Literatur auseinandernimmt und nicht zusammensetzt und verlor die universitäre Motivation. Während er mehr schrieb als studierte, arbeitete u. a. als Kraftfahrer, Bäcker, Fensterputzer, Buchclubwerber, Druckereigehilfe, Installateur, Gärtner, Offsetmonteur, Meinungsforscher, Gewächshausverkäufer, Bewässerungskonstrukteur, Reprofotograf und Hifi-Händler. Geld verdiente er als Schriftsteller erst, als er anfing, Krimis für Illustrierte zu schreiben. Rundfunkarbeiten und eine Einladung zu einem Drehbuchseminar der Bertelsmann-Stiftung folgten, bei dem er nachdrückliche auffiel und entdeckt wurde. 1988 gab er seinen letzten Brotjob auf und versuchte seinen Traum zu leben, als freier Schriftsteller zu existieren. Da er mit seinem ersten Drehbuch gleich als das Talent des Jahrzehnts gefeiert wurde, musste er sich um Aufträge keine Sorgen machen. Er gab das Prosaische nahezu vollständig auf und widmete sich filmischem Mord und Totschlag. Über 30 Jahre später hat er mehr als tausend Tote auf dem Gewissen und gute 350 Drehbücher verfasst. Um das Erzählerische nicht völlig aus den Augen zu verlieren, schrieb Matthias Herbert in den 90ern Tagesgeschichten. Dabei hatte er sich vorgenommen, jeden Tag wenigstens ein kleines Prosastück zu verfassen. Die Geschichten vom alten Meister Brack entstanden in dieser Zeit. Heute lebt und schreibt Matthias Herbert in Limburg an der Lahn, haust in einem Schloss mit Turmblick über die Stadt und teilt sich die Wohnung in einer Autoren-WG mit seiner jüngsten Tochter.

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Trennung
Es war ein Stühletag, wie er immer sagte, wenn er die Artikel in die Redaktion brachte, die Artikel, die er am frühen Morgen geschrieben hatte oder noch in der Nacht, gleich nach dem Konzert oder dem Theaterstück oder der Versammlung. Stühletage zogen ihn einfach nach draußen. Er wehrte sich nicht dagegen, er hielt es nicht aus, nicht in einem der Zimmer seiner Wohnung, nicht auf dem Balkon, der immer zitterte, wenn die Straßenbahn vorüberfuhr und den Löffel in der Kaffeetasse zum Klingen brachte und die Zeitung auf dem kleinen, runden Marmortisch zum Knistern. Er konnte es nicht ertragen, später in dem großen aber verwinkelten, staubigen Büro zu sitzen, das die vielen Bildschirme mit einem leisen, dichten, zähen Summen füllten, einem Summen, das er immer spürte, mal stärker, mal kaum wahrnehmbar, aber stets vorhanden. Wenn er den Staub vom Rand des grün flimmernden Monitors wischen wollte, zog er eine knisternde Spur und manchmal glaubte er, Funken zu sehen. Sie wussten das, in der Redaktion, sie lachten darüber, sie sagten, das sei ein Spleen von ihm, und manchmal ließ sich Grever zu einem Witz hinreißen, über den keiner lachen wollte, weil keiner Grever leiden konnte, aber sie akzeptierten es, weil sie nicht anders konnten. Er war ein „Freier“, wie er immer betonte. Er würde sich die Freiheit nehmen, seine Artikel rechtzeitig abzuliefern, wo er sie ausformulierte, das wolle er sich nicht vorschreiben lassen, sagte er, und legte vier Einspalter vor, die er aus einer einzigen Versammlung mitgebracht hatte, und niemand traute sich mehr etwas zu sagen. Nur Kraft rief: „Halb drei Redaktionskonferenz“ und meinte dann, er solle endlich verschwinden und für Kraft einen Kaffee mittrinken oder auch zwei, und er ging, weil es Sommer war und Stühletag. Ein Stühletag kündigte sich an, meistens schon am Abend davor, wenn das Orange und das Rot und das Schwarz und die vielen Farben dazwischen, für die er keine Namen fand, ihn zur Kamera greifen ließen und er wieder einen ganzen Film verbrauchte, Bild für Bild für Bild immer wieder das gleiche Motiv, die Hochhäuser im Sonnenuntergang. Wenn der Messeturm dann die Sonne aufspießte, fragte er sich wieder, warum er nicht Fotograf geworden war, wenn Fotografieren solche Bilder zu finden hieß. Am nächsten Tag, um kurz vor neun würde Luka vor dem Café stehen, mit frisch gebügeltem Hemd, schwarzer Hose und fleckiger Schürze, würde prüfend nach dem blauen Himmel schauen, noch einen tiefen Zug aus der Zigarette nehmen, sie dann mit der flachen Sohle seines blank geputzten Schuhs austreten, die Kippe mit einer knappen Bewegung der Fußspitze beiseite schleudern und zu dem Laternenpfahl gehen, an dem die aufgetürmten Stühle und Tische angeschlossen waren, mit dicken Ketten und zwei Vorhängeschlössern aus braun verwittertem Messing. Luka würde die Stapel der Stühle an ihre Plätze tragen, und wenn Luka gerade damit angefangen hätte, sie in dem engen Raum zwischen Gemüsestand, Fotogeschäft und Straßenmitte, der ihm dafür zugestanden wurde, aufzustellen, dann würde er kommen und sich auf seinen Platz setzen. Luka würde ihm zulächeln, „Kaffee?“ fragen, und er würde nicken, und Luka würde den Kaffee bringen, ohne Zucker, aber mit zwei Döschen Milch, und Luka würde fragen: „Gibt Regen?“, und er würde „Ja“ sagen, und sie würden sich anlächeln, nur ein wenig die Mundwinkel verziehen, wie Komplizen, wie zwei, die ein Geheimnis zu wahren wüssten, aber so, dass jeder um sie herum sehen könnte, dass sie eins hätten. * Er sitzt auf dem Stuhl, auf dem er immer sitzt, wenn er frei ist, in der zweiten Reihe rechts außen, und sieht dem Hund nach, der an jedem Baum schnüffelt und weiß nicht, ob er erleichtert ist, oder verärgert oder traurig. Er möchte es eigentlich gar nicht herausfinden, weil das Gefühl nicht so weh tut. Manchmal ist es sogar ganz angenehm, das bisschen Traurigkeit zu spüren, wenn es so dicht neben der Erleichterung liegt. * Er sagte, dann sei es wohl besser, wenn sie sich erst einmal eine Weile nicht sehen würden, er und Elke. Elke nickte und drückte die halb gerauchte Zigarette auf der Untertasse aus, auf der Untertasse, die auf dem kleinen Bistro-Tisch auf seinem Balkon stand, und um die Kerze flatterten zwei Motten und warfen Schatten auf Elkes Gesicht. Elke wohnte in derselben Straße, und es würde schwierig, dachte er, dann sah er Elke an und wusste, dass er Elke jetzt nicht gerne anfassen würde, Elke nicht gerne über die runden Schultern streichen würde, so wie Elke es gerne mochte, und dass er nicht gerne Elkes Hände spüren wollte in seinem Nacken, und er wusste, dass etwas anders geworden war, aber er wusste nicht genau, was. Elke sagte, sie würde anrufen. Er nickte. * Er schaute in seinen Kaffee und dachte, dass sich jetzt in einem schlechten Film der Himmel darin spiegeln müsste, aber er war in keinem Film. Er goss Milch in den braunen Schaum und löffelte ihn wie immer, schmeckte die bittere Schärfe und dachte, dass es ihm ganz gut ging, eigentlich. * Später kamen die anderen. Die, die er kannte, die, die er kennen musste, die, die er nicht kennen wollte, und die, die er gerne kennen gelernt hätte. Die dürre Roswitha aus der Bäckerei gegenüber und der fette Mattern vom Telefonladen, dann Hauptmann mit der Glatze und dem grauen Beamtenbart, der immer einen jungen Mann und ein Mädchen dabeihatte, aber es waren nicht Hauptmanns Kinder. Der zigarrenrauchende Student mit dem Sauerkrautbart, den er ZEIT-Mann genannt hatte, weil der immer nur DIE ZEIT las und alles um sich herum vergaß, und die zwei Kroaten, die sich mit den beiden Türken an einen Tisch setzten und deutsch redeten, und wenn er genau zuhörte, konnte er etwas aufschnappen, von Motoren und Benz und BMW und Adressen im Flüsterton. Manchmal kam auch Burkhard vorbei, und er bemerkte, dass der immer runder wurde, seit Burkhard endlich im Stadtparlament saß. Aber auch dort trug Burkhard noch seine Blazer aus dem Secondhand-Laden um die Ecke und seine Hemden immer ohne Krawatte. Burkhard schrieb für die Konkurrenz, aber nicht aktuell, sondern Anekdoten, Geschichten aus der Historie des Stadtteils. Über die von der Metzgerei Dorn schwarz geschlachteten Schweine aus Verstecken im Wald und über die Leihbadewannen von Haushalt Merkel, von Ärzten verordnet, und von der echten Stradivari, die der Trödler Senff bei einer Wohnungsauflösung gefunden hatte. Histörchen aus dem Stadtteil, in dem Burkhard geboren war, und den Burkhard wohl sein Leben lang nicht verlassen würde. Burkhard wusste immer Vertrauliches und Vertraulichstes aus den Ausschüssen zu berichten, Vertrauliches, das Burkhard immer mit einem „aber das hast du nicht von mir“ absicherte, und Kraft fragte nie, woher diese Information stammte. * Gegen halb elf kommen die Woolworth-Gesichter, die mit schriller Stimme die neuesten Sonderangebote verbreiten, „beim Wollwortt“, dort wo es Hemden gibt für zwölf Mark, bügelfrei, mit Krawatte und Taschentuch. Später tauchen die Mütter mit vollbepackten Kinderwagen auf, Gemüse vom Italiener, Dosen von Aldi, Fleisch von Dorn im Netz, eine Hand am Wagen, das Neugeborene schaukelnd, den Blick auf die Drei-, Vierjährigen, die die Tauben jagen, immer nur ein paar Schritt weit. Mütter, die bei der kurzen Rast, in der Hand die Tasse Kaffee, ein paar Worte tauschen mit den anderen Müttern, Krankheiten und Mittagessen, Angebote und Schwangerschaften, Worte, die sie morgen, übermorgen zurückbekommen werden und nicht als die erkennen, die sie gestern selbst gegeben haben. * „Sonnentage sind Kindertage“, denkt er, fasst es zusammen in einer Überschrift, nicht zu breit für einen Dreispalter, so wie er alles ordnet, sortiert, klassifiziert, was er sieht, Bäume und Pflaster in Sätze presst. „Das sommerliche Treiben auf dem Marktplatz“, denkt er, die drei alten Frauen am Esstisch heißen „Lebensabend“, der vor sich hinbrabbelnde Bettler an den Rolltreppen zur UBahn „Menschliches Strandgut“ und die beiden Schwarzhaarigen mit den Nylonjacken, die vor dem Reformhaus stehen, „Gewalt der Straße“. * Nachdem die Mütter gegangen sind, kommen die Mittagspausen, bleiche Bürogesichter, die noch den Geruch nach heißem Kopierpapier und Farbbändern mit sich herumtragen und den Streit mitgebracht haben, zum Nachtisch, auf ein Eis und ein Gespräch, unter uns, über ihn, oder sie, oder beide. Bürogesichter, die laut und deutlich das, was sie sagen sollten, erörtern, das, was sie tun müssten, verabreden und das, was sie lassen werden, verschweigen. * Sie setzte sich an den Nachbartisch und rückte einen Stuhl an seinem etwas zur Seite, damit der Kinderwagen mit den abgefahrenen Reifen Platz hatte. Im Wagen saß das blonde Kind mit den grauen Augen, das Kind, das ihn anschaute, ihm...



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