Hermann / Rausch | Einen Sommer lang | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1-5, 252 Seiten

Reihe: Georg Hermann, Kette, Edition R

Hermann / Rausch Einen Sommer lang


2. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7578-4312-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 1-5, 252 Seiten

Reihe: Georg Hermann, Kette, Edition R

ISBN: 978-3-7578-4312-0
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Während draußen der 1. Weltkrieg tobt und andere Autoren sich mit diesem mörderischen Wahnsinn bereits auseinandergesetzt haben, startet Georg Hermann im Jahre 1917 seine autobiographische Pentalogie (Die Kette) mit dem ersten Band "Einen Sommer lang". Die Handlung spielt von April bis Oktober des Jahres 1899 - den aktuellen Krieg lässt der Autor erst viel später an seine Romane heran. Junge Paare, zu denen auch Fritz Eisner, des Autors Alter Ego, gehört, finden sich zur Verlobung. Kleinbürgertum trifft Bildungsbürgertum, alles ganz Wilhelminisches Zeitalter, noch "gute alte Zeit". Wer es sich leisten kann, verbringt den Sommer in einer Sommerwohnung, in diesem Falle bei Potsdam, wo die Witwe Lindenberg und ihre Töchter Annchen und Hannchen Hof halten. Hier laufen vor den Augen des Lesers die gesellschaftlichen Ereignisse der Jahrhundertwende ab. Liebe, Intrigen, Betrügereien, ein unglaublicher Gerichtsprozess und all die zwischenmenschlichen Beziehungen der künftigen Protagonisten geben dem Leser einen Einblick in die Zeit. Ein Hauch Fontane, ein Hauch von Keyserling - wer hier opulente Handlung erwartet, wird nicht auf seine Kosten kommen. Selbst ein Liebesdrama mit Todesfolge wird hier dezent inszeniert und von vielen kaum zur Kenntnis genommen. Dafür wird er aber ausgiebig entschädigt durch die Beschreibung der Charaktere der Personen und ihrer Verhaltensweisen. Fein beobachtend, süffisant, manchmal maliziös, doch immer voller Toleranz, mit einer Schwäche für Außenseiter. Kabale und Liebe mit viel Humor und Augenzwinkern, Erotik in ihrer zeitgemäßen Form. Dabei kommen Literatur, Kunst und Natur nicht zu kurz. Wer sich auf diesen Roman einlässt, wird belohnt durch eine angenehme Sprache, die Einführung in die Vorkriegswelt und immer wieder zufrieden schmunzelnd weiterlesen wollen - und vielleicht auch den Lebensweg dieser Gesellschaft weiter verfolgen wollen: ihren Weg vom Kaiserreich über den Krieg bis in die Weimarer Republik mit ihrer Hochinflation, mit Fritz Eisner als Mittelpunkt.

Leider kennen heute nur noch wenige Leser den Autor Georg Hermann (1871-1943), allerdings lassen die neuesten Ver-lagsaktivitäten auf Besserung hoffen. Geboren als Georg Borchardt in einer jüdischen Berliner Familie, wählte er später den Vornamen des Vaters als seinen Nachnamen. Neben seiner kaufmännischen Lehre interessierten ihn vor allem Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie. Sein literarischer Werdegang begann Ende des 19. Jh., während er beim Statistischen Amt in Berlin beschäftigt war und für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften schrieb. Vor dem 1. Weltkrieg zog es ihn von Berlin nach Neckargemünd, und er war maßgeblich an der Gründung des SDS beteilig, des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller zum Schutz der Schriftsteller vor Ausbeutung durch die Verlage. In der Nazizeit war er gezwungen, das Land zu verlassen. Im holländischen Exil wurde er jedoch nach Auschwitz deportiert und von den Nazis ermordet. Seinen literarischer Ruhm - häufig wurde er nach seinem Vorbild als "jüdischer Fontane" bezeichnet - begründeten vor allem zwei Romane: "Jettchen Gebert"(1906) und die Fortsetzung "Henriette Jacoby" (1908), beide ein Millionenerfolg! Ihr gesellschaftlicher Hintergrund ist die Biedermeierzeit um 1840. Zahlreiche weitere Romane sollten folgen (insgesamt knapp zwanzig). Den stärksten autobiographischen Bezug haben die Romane der sogenannten Kette, das sind insgesamt fünf Werke mit der Titelfigur Fritz Eisner, wovon die beiden ersten ("Einen Sommer lang", "Der kleine Gast") Ende des 19. Jh. bzw. zu Beginn des 20. Jh. spielen. Der dritte Teil der Pentalogie, "November achtzehn", spielt in den letzten Tages des 1. Weltkriegs. Die beiden letzten Teile ("Ruths schwere Stunde", "Eine Zeit stirbt") führen uns in die Zeit unmittelbar nach dem Krieg 1919 bzw. in die Hochinflationszeit 1923.

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Fritz Eisner hatte sich auch eine richtige Kapitänswitwe als eine liebe alte Dame vorgestellt mit Silberhaar und glattem Scheitel und einer großen, gediegen funkelnden Granatbrosche, schwarzgekleidet, etwas schwerfällig, am liebsten am Fenster sitzend und, die Hände auf dem Leib, leise und freundlich lächelnd. Also die Kapitänswitwe hier war von allem das Gegenteil. Sie war noch keineswegs alt, aber sie wollte bedeutend jünger scheinen, als sie war. Eine statiöse Person war sie, mit hübschem, aber nicht gerade feinem Gesicht, kanarienblond, nach letzter Mode frisiert und schick in eine Art Reitkleid gepreßt; sehr freundlich, aber von der unwiderleglichen Freundlichkeit der Aufsichtsdame in einem Warenhaus (»Fräulein Puphal – bitte kommen Sie einmal zu mir!«). Und Kinder hatte sie ... vier Stück, immer so ungefähr eine Olympiade auseinander. Alles Mädchen, wohl so vier-, acht-, zwölf-, sechzehnjährig. (Der Kapitän, reimte sich Fritz Eisner zusammen, muß eigentlich nach den Zeiträumen, die zwischen den Kindern liegen, sehr umfassende Weltreisen auf Segelschiffen gemacht haben.) Sie sollten sofort herausgejagt werden; aber Frau Luise Lindenberg bat, sie möchten bleiben, sie störten gar nicht und wären doch so reizend. Und das waren sie auch! Bildhübsch! Jedes auf seine Art. Keins dem anderen ähnlich. Sie erinnerten eigentlich in der Abstufung an die Haarwellen in den Auslagen der Friseure, die von Blond über Rot zu Braun und dann zu Schwarz laufen. Ja, es schien hier noch weiter – wie Fritz Eisner staunend feststellte – eine ganz merkwürdige, biogenetisch geradezu verblüffende Tatsache in diesen Kindern in Erscheinung zu treten. Nämlich, eines war zweifellos etwas mongoloider Typ; eines Wikinger, reines Nordlandsblut; eines Mittelmeertyp; und das Kleinste ganz klar mit der olivfarbenen Haut, der breiten Nase, diesen großen, schönen, dunklen Augen, die ein wenig an die eines Leonbergers erinnerten: den leichtgewulsteten Lippen, diesen starren schwarzen Haaren, Südseetyp ... Es hatte also hier sicherlich der jeweilig-vorhergegangene Aufenthalt des Kapitäns durch seine Fülle von Erinnerungsbildern abweichend auf den sonst zu erzeugenden Normaltyp der beiden Eltern gewirkt. Etwas, was wohl bisher vermutet, aber in so reiner Erscheinungsform kaum je beobachtet worden ist, sagte sich Fritz Eisner. Frau Luise Lindenberg stellte Fritz Eisner vor. »Der Bräutigam meiner älteren Tochter Annchen, Frau Kapitän«, sagte sie. »Meine jüngere Tochter ist auch verlobt mit ...« – Frau Luise Lindenberg machte eine Pause – »mit einem Doktor der Jurisprudenz« (das klang doch besser). Fritz Eisner fühlte, wie die Frau Kapitän ihn mit einem nicht ganz unwohlgefälligen Blick einhüllte, und schloß daraus, daß der Kapitän doch schon vor längerer Zeit mit seinem Schiff untergegangen sein müßte. Ein richtiger Kapitän ertrinkt. »Er ist Schriftsteller«, sagte Frau Luise Lindenberg, nicht ganz ohne Stolz, als ob sie damit aussprechen wollte: Er treibt zwar etwas, was eigentlich nichts einbringt; – aber es kann doch nicht jeder. Ein Schriftsteller jedoch schien der Frau Kapitän wenig zu bedeuten. Sie war wohl mehr für abgehärtete Freiluftmenschen, braunrote, grogtrinkende Seebären ... Und da Frau Luise Lindenberg von ihr auch tausend Dinge über Wirtschaft, Bäcker, Schlächter, Milchmann, Gemüsefrau, Wäsche wissen wollte und ferner bat, ob sie ihr nicht noch ein halbes Dutzend mittlerer flacher Teller für die Küche hinaufstellen könnte, so wandte Fritz Eisner sich den kleinen Mädchen zu. Die Sechzehnjährige – frühreifer Mittelmeertyp, schon ganz damenhaft gekleidet – las plötzlich wie verbiestert »Des Doktors Töchterlein« von der Helmuth. Das heißt, sie hatte ein anderes aufgeschlagenes Buch noch darunter liegen. Die Zwölfjährige – das blonde Wikingermädchen – schrieb mit schiefem Kopf langsam und schwungvoll und schräg in das Schönschreibeheft eine Seite nach der Vorschrift: »Müßiggang ist aller Laster Anfang – Emil.« Emil stand nämlich noch besonders da, weil man das große E gar nicht genug üben kann. Die wenigsten Menschen schreiben es schön. Die Achtjährige – der mongoloide Typ – ohne Zweifel die netteste von dem Vierblättrigen (solche Art von Kind, das sich mit einem Ball und einer Mauer ganz still für sich drei Stunden lang beschäftigen kann) saß ruhig da und kniff abwechselnd das eine und dann das andere Auge zu. »Was machst du denn da, Lottchen?« fragte Fritz Eisner nach einer Weile. »Ach, ich habe mir ein Spiel erfunden, Onkel.« »Wie heißt es denn, Lottchen?« fragte Fritz Eisner. »Ich nenn's: die Nase rutschen lassen, Onkel.« Das ewige »Onkel« machte Fritz Eisner stutzig. Es gibt so Häuser, wo die Kinder zu all und jedem »Onkel« sagen. »Ja – wenn ich nämlich das Auge zumache, Onkel, rutscht die Nase hier 'rüber; und wenn ich das hier zumache, geht sie wieder auf die andere Seite.« Das Kleinste aber – der Südseetyp – kümmerte sich um gar nichts und malte ganz seelenruhig mit roter Schneiderkreide ein Männchen an den schwarzen eisernen Ofen. »Wie lange ist denn Ihr Herr Gemahl schon tot?« fragte drüben Frau Luise Lindenberg. Die Frau Kapitän sah zu Frau Luise Lindenberg mit tränenschimmerndem Blick hinüber. »Über sechs Jahre«, sagte sie. »Mein armer Mann ist schon viel länger tot«, bemerkte Frau Luise Lindenberg beiläufig. »Das Schiff kann Anfang September ... es braucht aber auch erst Ende Oktober gesunken zu sein – ach ja!« »Und wie alt bist du denn, Lieschen?« fragte Fritz Eisner die Kleine, als sie gerade dem Männchen noch ein paar Arme an die Nase malte. »Vorjte Woche bin ich vier Jahr jeworden«, piepste Lieschen und zeichnete dem Mann einen Vollbart. Seltsam, dachte Fritz Eisner, die Kapitänswitwe muß sich wohl, ganz in ihre traurigen Erinnerungen verloren, versprochen haben. Frau Luise Lindenberg holte nun plötzlich einen Bruder aus der Versenkung, der nicht recht gut getan, zur See gegangen und verschollen war, und der Fritz Eisner bisher unterschlagen worden war. Fritz Eisner nahm das nicht weiter übel. Er wußte genau: Jede Familie hat so einen Bruder oder Vetter oder eine Tante oder eine Schwägerin, die mal unterschlagen wird – sie brauchen nicht mal immer zur See gegangen zu sein. Oben begann es plötzlich wieder: »Fliegenschmalz, Fliegenschmalz lülü, lalaa.« »Ach, das ist die Frau Baumeister«, sagte die Kapitänswitwe, »sie ist sehr musikalisch.« »Meine Tochter Annchen auch.« »O, da werden sie sich sicher anfreunden. Sie ist eine entzückende Frau. Der Mann kann leider nur ein paarmal die Woche zu ihr herauskommen. Er baut in Berlin.« »Und was wohnen sonst ...?« »Unter meinen Mietern ist immer das beste Verhältnis. Sie sind eigentlich nachher stets wie eine große Familie. Ich sehe mir meine Leute vorher sehr genau an. Ich nehme nicht jeden. Hier unten wohnt noch eine Frau Direktor mit ihren Kindern. Wissen Sie, der Mann ist so etwas ganz bedeutendes Kaufmännisches, so Direktor einer großen Sache. Aber er ist jetzt überarbeitet – diese Herren sind ja heute alle nervös – mein Mann war nie nervös ...« »Meiner auch nicht«, rief Frau Luise Lindenberg. »Und deshalb ist er in einem Sanatorium. Und da hat nun die Frau Direktor ihre Wohnung am Kurfürstendamm einfach zugeschlossen und ist hier herausgezogen. Man weiß ja auch nicht, wie sie sich verhalten soll. Zurückziehen aus der Gesellschaft will sie sich nicht. Das schadet ihr. Und wenn sie wieder ohne ihren Mann alles mitmacht, reden die Leute auch.« »Und sind sonst ...?« »O nur über Sonnabend, Sonntag kommt immer ein junges Ehepaar aus Berlin – ein Doktor Martini und seine reizende junge Frau – und die übernachten hier in dem Gartenhäuschen. Sie sind leidenschaftliche Angler, und da fahren sie mit dem letzten Zug 'raus; denn, wenn die Sonne erst hoch ist, beißen die Fische nicht mehr.« »Doktor Martini?« meinte Frau Luise Lindenberg nachdenklich, »aber der kann es nicht sein?! Erstens ist er unverheiratet, und zweitens angelt er nicht.« »Hallo«, rief Fritz Eisner. »Ich glaube, jetzt kommt der Möbelwagen, man hört ihn schon rumpeln.« »Da hinten ist er, Onkel«, rief Lottchen, die ans Fenster gelaufen war. Gott sei Dank, das war er! Man konnte schon deutlich den Namen »Lehmann« lesen. Die beiden Pferdchen zuckelten gemächlich Kopf bei Kopf und nickten einander zu. Die zwei Damen waren aufgesprungen, und die...



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