Hesse | Wer falsch rechnet, den bestraft das Leben | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6083, 217 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Hesse Wer falsch rechnet, den bestraft das Leben

Das kleine Einmaleins der Alltagsmathematik

E-Book, Deutsch, Band 6083, 217 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-66250-8
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Im modernen Alltag gibt es mehr Zahlen als Wörter. Big Data ist in aller Munde. Aber Daten muss man, um sie zu verstehen, genauso deuten wie Wörter. Mathe-Prof. und Zahlen-Guru Christian Hesse zeigt, wie. Er enthüllt die folgenreichsten Fehlerquellen bei Zahlen, Daten und Statistiken, erklärt, wie sie zustande kommen und wie hier Abhilfe zu schaffen ist.
Zahlen lügen nicht, könnte man denken. Doch das stimmt nicht immer. Man kann aus Zahlen, Daten und Statistiken auf der Hand liegende Schlüsse ziehen und sich dennoch ins Unrecht setzen. 'Lügen mit der Wahrheit' könnte man das nennen. Hätten Sie zum Beispiel gedacht, dass sich Ihre Situation verschlechtern kann, wenn Sie eine zusätzliche Handlungsmöglichkeit eingeräumt bekommen? Das ist nur eines von vielen Paradoxa mit Relevanz für das tägliche Leben, die Christian Hesses neues Buch mit intelligentem Witz aufspürt und auflöst. Wer richtig rechnet, lebt besser und im Zweifelsfall auch länger.
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2. Warum es weniger gut sein kann, mehr gute Möglichkeiten zu haben
Die Mehr-ist-besser-Falle
Abenteuer Alltag
Leben ist Wettbewerb, und Alltag ist Abenteuer. Unzählige Begebenheiten des Lebens lassen sich als Wettbewerb zwischen Akteuren verstehen, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Die Akteure haben ihre individuellen Interessen. In den Wettbewerbsspielen handelt jeder Einzelne, um ein von ihm verfolgtes Ziel zu erreichen. Dabei müssen ständig Entscheidungen getroffen werden: Was soll ich als Nächstes tun? Was soll ich als Übernächstes tun? Was soll ich besser nicht tun? Welche Aktion jemand in die Wege leiten soll, hängt natürlich auch davon ab, über welches Reservoir von Handlungsalternativen er überhaupt verfügt. Wenn jemand wenige Optionen hat, dann kann er nur aus diesen wenigen die für ihn optimale Option auswählen. Wenn jemand zusätzliche Optionen hat, ist sein Entscheidungsspielraum größer, und er kann aus Vollerem schöpfen. Was halten Sie vor diesem Hintergrund von der Aussage: Je mehr Handlungsmöglichkeiten jemand hat, desto besser ist es für ihn. Daran lässt sich nicht herumkritteln. Sie werden nicht annehmen, dass ich mit diesem Satz an meinem logischen Apparat vorbeirede. Es gibt an dieser Aussage scheinbar nichts zu zweifeln. Für jeden Einzelnen ist dieser Satz individuell gültig. Und wenn er für jeden Einzelnen gilt, dann sollte er doch auch global gültig sein. Dieser Gedanke ist im Umlauf. Der Philosoph und Physiker Heinz von Foerster hat ihn sogar zur Grundlage einer Maxime gemacht, als er sagte: «Handle stets so, dass die Anzahl der Wahlmöglichkeiten größer wird.» Ein an sich schöner Satz, der nicht aneckt. An ihm fällt aber auf: Die Maxime macht nur dann Sinn, wenn es besser ist, mehr Wahlmöglichkeiten zu haben als weniger. Auch Heinz von Foerster scheint wie selbstverständlich davon auszugehen: Mehr Optionen sind besser. Das ist eine allgemeine Wahrheit bei Behandlungen in der Medizin, bei Verhandlungen in der Wirtschaft und generell in allen Situationen des täglichen Lebens. Sollte man denken. Denkers Pech! Es kann nämlich auch anders sein! Sie meinen jetzt wahrscheinlich, Sie hätten sich verhört oder ich hätte mich geirrt. Aber das ist nicht so. Sie haben sich nicht verhört, und ich habe mich nicht geirrt. Und ich sage Ihnen, was ich meine. Überraschenderweise gibt es tatsächlich Szenarien, die nicht in dieses Muster von «Je mehr, desto besser» passen. Und dabei handelt es sich keineswegs um theoretisch-mathematisch-philosophische Hirngespinste, sondern um ganz reale, natürliche, alltagsrelevante Umstände. Die obige Aussage trifft zwar fast immer zu, das sei zugegeben. Aber vereinzelt kann sie auch falsch sein. In der obigen Weise mit Allgemeingültigkeitsanspruch formuliert, handelt es sich jedenfalls um einen Irrtum. «Je mehr Möglichkeiten, desto besser ist es für den, der sie hat» gehört in die Kategorie der manchmal falschen Vorstellungen. Es ist nun an der Zeit, Ross und Reiter zu benennen: Unterlaufen wird die Ausnahmslosigkeit obiger Aussage vom Braess-Paradoxon. Das Braess-Paradoxon veranschaulicht die Tatsache, dass eine zusätzliche Handlungsalternative, die jedem Akteur eingeräumt wird, die Situation für alle Beteiligten verschlechtern kann. Und zwar für jeden Einzelnen und für die Gemeinschaft. Bei den Braess-Szenarien sind die guten und die schlechten Nachrichten nicht mehr fest an ihren Plätzen. Es sind Stücke ganz neuer, wilder Wirklichkeit. Der Vater des Paradoxons, der deutsche Mathematiker Dietrich Braess, stieß in den 1960er Jahren bei Untersuchungen des Flusses in Verkehrsnetzen auf solche Möglichkeiten. Mit seinem späteren Opus magnum Über ein Paradoxon bei der Verkehrsplanung hat er sie sichtbar in der Geisteswelt platziert. Wir erörtern eine vereinfachte Darstellung, die den Kern der Paradoxie besonders gut herausarbeitet. Dazu sei ein Verkehrsnetz erzeugt. Es muss nicht einmal sonderlich kompliziert sein. Einfach ist hier sogar besser, da leichter verständlich. Abbildung 35: Ein Verkehrsnetz mit vier Straßen und vier Städten A, B, L, R Das Verkehrsnetz umfasst vier Straßen und die vier Städte A, B, L, R. Es gibt zwei Möglichkeiten, um von A nach B zu gelangen, und zwar über die Stadt Links (mit L abgekürzt) oder über die Stadt Rechts (mit R abgekürzt). Die Route A ? L ? B besteht aus dem mehrspurigen Autobahnstück A nach L und der schmalen Landstraße L nach B. Die alternative Route A ? R ? B besteht aus der schmalen Landstraße A nach R und dem mehrspurigen Autobahnstück R nach B. Da die Autobahnen gut ausgebaut sind, beträgt die Fahrzeit von A nach L sowie von R nach B unabhängig vom Verkehrsaufkommen je 10 Zeiteinheiten. Die Landstraßen dagegen sind schmal, und auf ihnen hängt die Fahrzeit vom Verkehrsaufkommen ab.Konkret verhält es sich so: Wenn irgendein Anteil x = 1 aller von A nach B fahrenden Autofahrer sie benutzen, dann ist die Fahrzeit von A nach R und auch von L nach B genau 6x Zeiteinheiten. Demnach: Je mehr Menschen diese Strecken befahren, desto langsamer geht’s für jeden und für alle. Das ist wirklichkeitsnah. Wir starten einen kleinen Ideenflug von der Annahme aus, dass alle Fahrer ihre Fahrzeit von A nach B so gering wie möglich halten wollen. Das ist auch realistisch. Man möchte hier nun mal so schnell wie möglich ans Ziel. Jeder Fahrer kann seine Route von A nach B frei wählen. Schon ein kurzer Blick aus der Vogelperspektive verdeutlicht, dass der Optimalzustand sich einstellt, wenn beide Routen jeweils von der Hälfte aller Autofahrer gewählt werden. Denn dann ist auf beiden Routen die Auslastung x = 1/2. In diesem Gleichgewichtszustand beträgt die Fahrzeit für alle Autofahrer Zeiteinheiten. Wäre nämlich auf einer der beiden Routen x > 1/2, dann vergrößerte sich auf dieser Route die Gesamtfahrzeit auf 10+6x > 13 Zeiteinheiten. Langfristig würde das einige Fahrer dazu bewegen, zur anderen Route zu wechseln, bis der Gleichgewichtszustand erreicht ist. Der Gleichgewichtszustand beim Wert x = 1/2 ist zudem stabil: Ein Autofahrer, der aus dem Gleichgewichtszustand heraus die Route wechselt, vergrößert auf seinem neuen Weg den Anteil x leicht über 1/2 hinaus und verlängert damit seine Fahrzeit ein wenig. Also ist vom Gleichgewichtszustand aus jeder Routenwechsel für jeden Wechsler ungünstig. Die Mathematiker nennen solche Zustände Nash-Gleichgewichte. Diese Gleichgewichte charakterisieren eine Situation, von der ausgehend kein einzelner Akteur – also keiner der Autofahrer – für sich einen Vorteil erreichen kann, wenn er im Alleingang sein Verhalten ändert – also die andere Strecke fährt. Damit haben wir eine erste, schon recht genaue Vorstellung von den Gegebenheiten in diesem simplen Verkehrsnetz erlangt. Ring frei zur zweiten Runde
Im nächsten Durchlauf nehmen wir nun an, dass eine zusätzliche Straße gebaut wird, und zwar eine Schnellstraßenverbindung zwischen L und R. Die Straße sei gut ausgebaut und die Fahrzeit liege bei zwei Zeiteinheiten. Dies eröffnet allen Fahrern weitere Optionen, um von A nach B zu kommen: Zusätzlich zu den bisherigen beiden Routen A ? L ? B und A ? R ? B besteht nun für jeden die Möglichkeit A ? L ? R ? B. Das sei Route 3. Und Route 4 ist A ? R ? L ? B. Abbildung 36: Erweitertes Verkehrsnetz nach Bau der Schnellstraßenverbindung L nach R Wie man mühelos ablesen kann, ist es in der neuen Situation für jeden Fahrer tatsächlich günstiger, die Schnellstraße zu nehmen, und zwar in der Variante A ? R ? L ? B. Denn selbst wenn alle Fahrer über R steuern, so dass x = 1 wird, kommt man von A über R und anschließend mit der Schnellstraße zügiger nach L als auf direktem Weg mit der Autobahn A nach L. Außerdem: In R eingetroffen, ist es stets günstiger, über L nach B zu fahren, als direkt mit der Autobahnverbindung R nach B. Als Wirkung der neuen Trasse L nach R stellt sich also ein neuer Gleichgewichtszustand ein. Das...


Christian Hesse, geb. 1960, promovierte an der Harvard University (USA) und lehrte an der University of California, Berkeley (USA). Seit 1991 ist er Professor für Mathematik an der Universität Stuttgart.


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