Heym | Flammender Frieden | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten

Reihe: Stefan-Heym-Werkausgabe, Romane

Heym Flammender Frieden

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-27755-0
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, Band 2, 480 Seiten

Reihe: Stefan-Heym-Werkausgabe, Romane

ISBN: 978-3-641-27755-0
Verlag: C.Bertelsmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die große Entdeckung: Stefan Heyms auf Deutsch bisher unveröffentlichter Roman!
Algerien, Winter 1942: Die Welt steht in Flammen. Die Fronten der deutschen Wehrmacht bröckeln. Drei Nationen streiten um jeden Quadratmeter des nordafrikanischen Sandbodens: Die Amerikaner mit einem naiven Glauben an das Gute im Menschen, die deutsche Wehrmacht, ein verkommener Haufen, an dessen Spitze zynische Männer ihre Eigeninteressen verfolgen. Und die Franzosen, die dem Vichy-Regime nahestehen und als Kolonialherren um ihre Zukunft bangen. Heym inszeniert deren Zusammentreffen als packendes Duell zwischen dem amerikanischen Geheimdienstoffizier Bert Wolff und Ludwig von Liszt, einem deutschen Stabsoffizier, der Wolff einst grausam gefoltert hat.

Ein mitreißender Kriegsroman, der große moralische und philosophische Fragen stellt: Wie weit darf man mit Faschisten Kompromisse schließen, wenn man Demokratie will? Wie viel Entscheidungsfähigkeit hat der Mensch? Ist es am Ende der Zufall, der alles lenkt, das Schicksal? Oder gibt es, wie manche der einfachen Soldaten glauben, einen Gott?

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. 'Flammender Frieden' ist sein zweiter Roman, den er wie die meisten seiner Werke auf Englisch verfasste. Er entstand, als Stefan Heym als Soldat der US-Army an der Landung der Alliierten in der Normandie teilnahm. In den 50er Jahren kehrte er in der McCarthy-Ära nach Europa zurück und fand Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten, in der DDR. Als Romancier, streitbarer Publizist und stets kritischer Geist wurde er eine international bekannte Symbolfigur des aufrechten Gangs und gilt als einer der erfolgreichsten, vielfach ausgezeichneten Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel.

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KAPITEL EINS


Um 04.31 Uhr morgens eröffneten die Franzosen das Feuer aus ihren Stellungen hinterm Strand und entlang der Straße, die parallel zur algerischen Küste verlief.

Im selben Moment knirschte das Landungsboot mit Sergeant Shadwow McManus und einigen seiner Männer auf den Sand. Die Bugrampe klappte nach unten und wurde zur kurzen Gangway, die in die flache Brandung führte.

Für Shadow, der hinter der Rampe gekniet hatte, war es, als zöge ihm jemand die warme Decke vom Bett. Er fühlte sich nackt, und er fror. Zwischen ihm und dem orangeroten Feuer der war nun nichts mehr – nur noch ein paar Hundert Meter flacher Strand.

Sein Traum aber ging weiter. Es gab zwei Soldaten namens Shadow – einer, der sich genauso verhielt, wie er es bei zahllosen Übungen für eben diese Operation gelernt hatte, der katzengleich voransprang, mit feuchten Händen die Maschinenpistole überm Kopf hielt, der an Land watete, die Beine hochriss, um den Wasserwiderstand zu überwinden und der, kaum an Land, im Zickzack weiterrannte und seinen Männern signalisierte, ihm zu folgen, um sich schließlich schnaufend in den Sand zu werfen. Der zweite Shadow beobachtete den ersten und sagte immer wieder: Das ist alles nicht wahr. Nichts davon. Kann es gar nicht sein. Da läuft ein Film oder so. Niemand wäre verrückt genug, auf dich zu zielen und zu schießen, niemand so dumm, Hals über Kopf in dieses Sperrfeuer zu laufen.

Das gespenstische Licht der Morgendämmerung, entflammt von den Blitzen der Schiffsbatterien und den Erwiderungen der Küstengeschütze, verstärkte beim zusehenden Shadow das Gefühl des Unwirklichen. Wie grandios, dachte er. Für wen wird dieses Spektakel aufgeführt?

Dann bemerkte er, dass der agierende Shadow Angst hatte. Zumindest sah es so aus, denn er hatte den Kopf eingezogen und war von Kopf bis Fuß nur noch Bauch – Bauch im Hals, Bauch in den Beinen, ein allumfassender, von Krämpfen geschüttelter Bauch.

Wenige Schritte vor Shadow siebte ein Kugelregen über den Strand und ließ den Sand aufspritzen. Irgendwer schrie, dann endete der Schrei so abrupt, wie er begonnen hatte. Der wurde getroffen, sagte sich der zusehende Shadow, und bestimmt ist er jetzt tot. Mein Gott, Junge, diesmal hast du noch Glück gehabt.

Und damit endete das merkwürdige Gefühl des Sergeanten, zweigeteilt zu sein. Plötzlich rückte sich die Welt wieder zurecht. Er begriff, dass er nicht allein war. Er begriff, dass seine Männer um ihn herum waren und dass sie, wenn er nicht hochkam, ohne ihn aufspringen und vorwärtsstürmen mussten, und dass das sein Ende wäre.

Vorsichtig hob er den Kopf und sah überall am Strand Männer in den unterschiedlichsten Positionen – laufend, gehend, stehend, kniend; manche lagen wie er am Boden, andere so hingestreckt, als wären sie von einem Laster überrollt worden; ein Offizier gestikulierte, nur verstand Shadow nicht, was er sagte. Sieht albern aus, dachte er. Er sah Männer mühsam Ausrüstung schleppen – Kanonen und Munitionskisten; einige Jeeps und leichte Panzer platschten durchs Wasser und begannen, sich ihren Weg durch diesen Wirrwarr zu bahnen.

Das Chaos weckte seinen Wunsch nach Ordnung und Organisation. Mit dem hier muss jetzt Schluss sein, die Männer sollen antreten. Wissen die denn nicht, was zu tun ist? Hatten sie das nicht endlos geübt?

Er sprang auf und gab ihnen mit Zeichen zu verstehen, dass sie eine Schützenlinie bilden sollten. Ah, sie bewegten sich! Gute Jungs – sie sahen sein Signal und folgten seinem Befehl –, irgendwas in ihnen hatte die Nagelprobe also doch bestanden. Schließlich unterschied sich dieser Strand auch nicht allzu sehr vom Strand in Virginia – der gleiche Sand, die gleichen Dünen, dieselben Prinzipien.

Ja – aber waren sie noch dieselben Männer? War er noch derselbe?

Er erkannte die hagere Gestalt von Corporal Pope, seinem Stellvertreter. Pope schloss zu ihm auf, winkte und formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis – genau wie er sonst einer Kellnerin signalisierte, dass er noch eine Runde Bier wollte. Am äußersten Rand der Schützenlinie, dort, wo er hingehörte, hockte Slotkin. Er stützte die Ellbogen auf die Knie, um die Waffe ruhig zu halten, und schoss immer wieder in die Dünen. Dass Slotkin, sonst der Langsamste der Truppe, dem die anderen meist helfen mussten, der Erste war, der schoss, erstaunte Shadow. Und es erinnerte ihn daran, dass er selbst auch eine Waffe trug.

Warum machte Slotkin das? Was hatte ihn veranlasst, auf eigene Faust etwas zu tun? Shadow schüttelte den Kopf.

Und da passierte das Unerwartete. Es war, als hätte eine seltsam große Faust Shadows Schädel einen heftigen Schlag verpasst. Unterm Helm fühlte es sich wie eine Explosion an. Gedanken begannen, mit unfassbarem Tempo auf ihn einzuströmen.

Ich denke, also lebe ich. Muss eine Kugel gewesen sein, die meinen Helm gestreift hat. Seine Hand schoss hoch, die Finger betasteten die schartige Delle. Die war für mich bestimmt. Die sollte mich töten, mich abmurksen, mausetot machen. Diese Mistkerle, die wollen mich umbringen. Die schießen auf mich. Diese Drecksäcke. Für was zur Hölle halten die mich? Eine Tontaube?

Vielleicht war es der Schock oder die in ihm aufsteigende Wut, die ihn zu ersticken drohte, während sie seine Augen mit einem roten Schleier überzog. Alles, was er sah, war rot – zum ersten Mal in seinem Leben sah er rot. Er rieb sich die Augen, um wieder klar sehen zu können, und er begann zu schreien, schrie in wilden, unartikulierten Lauten gegen den Kloß in seinem Hals an.

Schreiend lief er vorwärts. Bald aber verfiel er in einen Trott, denn der Sand war schwer, und er wollte das Gewehr an der Hüfte ruhig halten. Seine Stimme röhrte weiter aus seiner Kehle. Es war, als trieben ihn seine Schreie voran. Jetzt hatte er die Strandmitte erreicht. Der Anstieg war nicht allzu steil und Shadow nun hoch genug, den Feind auszumachen. Er sah die Helme wie Schildkrötenpanzer über der höchsten Düne, dazwischen das rülpsende Maschinengewehr. Er rannte schnurgeradeaus. Vor einem Maschinengewehr war es sinnlos, im Zickzack zu laufen. Er kannte die Männer nicht, die auf ihn feuerten, aber er hasste sie mit bitterer, rachsüchtiger Inbrunst und gab diesem Hass sogar eine Farbe – er war weiß, glühendweiß. Er hasste sie, weil sie seine Knie treffen wollten, seine Eier, seinen Bauch – Brust oder Kopf konnten sie nicht treffen, dafür war der Schusswinkel zu flach.

Er wollte sie töten. Ihn interessierte nicht, ob seine Einheit hinter ihm war, ihn interessierte auch nicht, ob er allein über das Schlachtfeld lief. Ihm war heiß, er fühlte sich gut, und es war eine Wohltat zu hassen und anzugreifen, anzugreifen und zu hassen. Im Laufen feuerte er. Der Kolben der feuernden Waffe schlug ihm in die Seite, rüttelte ihn durch. Und das tat auch gut.

Dann war er bei ihnen. Erst viel später begriff er, dass längst niemand mehr feuerte, als er zur feindlichen Stellung vordrang. Wie sonst hätten die Männer so in Reih und Glied knien können, Hände überm Kopf?

Was für eine Enttäuschung, keiner von denen war tot oder verwundet. Trotz Shadows Schmerz, trotz all seiner Mühen, seiner Angst und Selbstüberwindung hatten sie kein bisschen abgekriegt.

Dann sah er ihre schäbigen Mäntel, die hohlwangigen, dreckigen Gesichter. »Aufstehen!«, befahl er.

Sie verstanden ihn nicht oder wollten ihn nicht verstehen. »!«, rief einer von ihnen, der Blick flehentlich, verängstigt.

Pope, der zu ihm getreten war und mit der Waffe auf sie zielte, sagte: » – Scheiße auch!«

Shadow aber zuckte mit den Schultern. »Bring sie nach hinten«, befahl er Pope. Dann sammelte er seine Einheit. Während sie landeinwärts durch die eroberten feindlichen Linien marschierten, sah er viele Gruppen, die sich wie sie durch die Dünen schlängelten. Er wartete auf Slotkin, hieb ihm auf die Schulter und sagte: »Na?«

»Na – was?«, erwiderte Slotkin und tat unbekümmert.

Sie mussten beide lachen.

*

Die zwei Männer, die Marguerite Fresneaus Haus in der Rue d’Epignan verließen, sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Der eine, der Vordere, war eher schmächtig, das halb unterm breitkrempigen Hut verborgene Gesicht glatt. Der andere war kaum größer, seine kräftige Figur ließ ihn aber bulliger erscheinen, grobschlächtiger, vor allem in seinen viel zu eng sitzenden Sachen.

Er knöpfte die Jacke zu, hatte damit aber Probleme. »Verdammt, diese unanständige Hast!«, keuchte er. »Geben Sie mir einen Moment, mich richtig anzuziehen, ja? Woher haben Sie den Anzug überhaupt? Der ist viel zu klein.«

»War ja auch nicht für Sie gedacht, Tarnowsky«, sagte der Schmächtige und verlangsamte seinen Schritt. »Sollten sich freuen, dass ich überhaupt einen ergattert habe. Sie wollen da doch wohl nicht in Ihrer gewohnten Kluft auftauchen, oder?«

»Nein«, sagte Tarnowsky. »Schätze nicht. Wie tief sind wir nur gesunken? Muss übel um uns stehen, wenn wir uns schon verkleiden mit diesen … diesen …«

»Mir wäre lieber, Sie würden nicht so laut reden – zumindest nicht auf Deutsch. Hören Sie die Geschütze? Das sind jedenfalls nicht unsere.«

»Schon gut.« Tarnowskys Stimme verriet, dass er seinen Rat als Befehl verstand. Dann änderte sich der Ton, wurde furchtsam, quengelig. »Major?«, fragte er. »Wie soll das enden? Sie müssen doch irgendeine Idee haben.«

Wie sie nun so nebeneinander hergingen, im Gleichschritt, die Schultern straff, schienen...


Robben, Bernhard
Bernhard Robben, geboren 1955, ist seit 1992 als Übersetzer tätig. Er übertrug und überträgt u.a. die Werke von Ian McEwan, John Burnside, John Williams und Salman Rushdie ins Deutsche. 2003 wurde er mit dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW ausgezeichnet, 2013 mit dem Ledig-Rowohlt-Preis für sein Lebenswerk geehrt. Er lebt in Brunne, Brandenburg.

Heym, Stefan
Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. »Flammender Frieden« ist sein zweiter Roman, den er wie die meisten seiner Werke auf Englisch verfasste. Er entstand, als Stefan Heym als Soldat der US-Army an der Landung der Alliierten in der Normandie teilnahm. In den 50er Jahren kehrte er in der McCarthy-Ära nach Europa zurück und fand Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten, in der DDR. Als Romancier, streitbarer Publizist und stets kritischer Geist wurde er eine international bekannte Symbolfigur des aufrechten Gangs und gilt als einer der erfolgreichsten, vielfach ausgezeichneten Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel.



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