Higgins Clark Schlangen im Paradies
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-641-12216-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 336 Seiten
ISBN: 978-3-641-12216-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In der luxuriösen Umgebung einer exklusiven Schön heitsfarm versucht eine junge Schauspielerin Klarheit über den plötzlichen Tod ihrer Schwester zu gewinnen. Aber hinter der Fassade dieses idyllischen Landsitzes lauert das Unheil. Elizabeth gerät in einen Strudel von gefährlichen Ereignissen, die nicht nur ihr Leben bedrohen.
Mary Higgins Clark (1927-2020), geboren in New York, lebte und arbeitete in Saddle River, New Jersey. Sie zählt zu den erfolgreichsten Thrillerautoren weltweit. Ihre große Stärke waren ausgefeilte und raffinierte Plots und die stimmige Psychologie ihrer Heldinnen. Mit ihren Büchern führte Mary Higgins Clark regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten an. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den begehrten Edgar Award. Zuletzt bei Heyne erschienen: »Denn du gehörst mir«.
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Prolog
Juli 1969
Die Sonne tauchte Kentucky in glühende Hitze. Die achtjährige Elizabeth suchte, in eine Ecke der schmalen Veranda gedrückt, Schutz in dem spärlichen Schattenstreifen, den das überhängende Vordach warf. Das Haar, obwohl zurückgebunden, lastete ihr schwer im Nacken. Die Straße war menschenleer, die meisten Leute hielten entweder ihren sonntäglichen Mittagsschlaf oder tummelten sich in der städtischen Badeanstalt. Sie wäre auch gern schwimmen gegangen, hütete sich aber wohlweislich, um Erlaubnis zu bitten. Ihre Mutter und Matt hatten den ganzen Tag über getrunken und dann zu streiten angefangen. Sie haßte diese Auseinandersetzungen, besonders im Sommer, wenn die Fenster offenstanden. Alle Kinder hörten dann auf zu spielen und lauschten interessiert. Diesmal war der Krach wirklich lautstark ausgefallen. Ihre Mutter hatte Matt wüste Schimpfworte ins Gesicht geschrien, so lange, bis er sie wieder schlug. Jetzt schliefen sie beide, schlaff hingestreckt, ohne Bettdecke, die leeren Gläser neben sich auf dem Fußboden. Wenn doch ihre Schwester Leila bloß nicht jeden Samstag und Sonntag arbeiten würde! Bevor Leila den sonntäglichen Job annahm, hatte sie den Tag ausdrücklich für Elizabeth reserviert und ihn gemeinsam mit ihr verbracht. Die Mädchen in Leilas Alter zogen meistens mit Jungen herum, doch Leila nie. Sie wollte nach New York und Schauspielerin werden und nicht in Lumber Creek, Kentucky, hockenbleiben. »Weißt du, Spatz, was der Haken bei all diesen Provinznestern ist? Da heiratet jeder gleich nach der High School, und das Ende vom Lied ist dann ein Haufen plärrender Gören mit vollgekleckerten Turnhemden. Das bitte nicht mit mir.« Elizabeth hörte Leilas Schilderungen über ihre Zukunft als Star andächtig zu, auch wenn sie ihr zugleich Angst einflößten. Sie konnte es sich nicht vorstellen, in diesem Haus zusammen mit Mama und Matt zu leben – ohne Leila. Zum Spielen war es zu heiß. Leise stand sie auf und zog ihr T-Shirt unter dem Gurtband der Shorts zurecht. Sie war ein mageres Kind, langbeinig, auf der Nase ein paar hingetupfte Sommersprossen. Ihre weit auseinanderliegenden Augen hatten einen ernsthaften, erwachsenen Ausdruck – »Prinzessin Rührmichnichtan« nannte Leila sie. Leila erfand ständig Namen für alle Welt – manchmal lustige, manchmal aber auch recht gehässige, wenn sie die Leute nicht mochte. Im Haus war es womöglich noch heißer als auf der Veranda. Die grelle Nachmittagssonne schien durch die schmutzigen Fenster auf die Couch mit den durchgesessenen Sprungfedern und dem an den Nähten bereits herausquellenden Werg, auf den Linoleumboden, dessen ursprüngliche Farbe man schon gar nicht mehr erkennen konnte und der unter dem Ausguß voller Risse und Buckel war. Vier Jahre wohnten sie jetzt hier. An das andere Haus, in Milwaukee, konnte sich Elizabeth nur noch schwach erinnern. Es war ein bißchen größer, mit einer richtigen Küche, zwei Badezimmern und einem großen Hof. Elizabeth hätte gern im Wohnzimmer aufgeräumt, aber sobald Matt aufstand, würde es ja doch im Nu wieder ein heilloses Durcheinander geben – Bierflaschen, Zigarrenasche, achtlos herumliegende Kleidungsstücke. Doch vielleicht lohnte sich ein Versuch. Aus dem offenen Schlafzimmer ertönte Schnarchen, rauh, widerlich. Sie spähte hinein. Mama und Matt hatten sich offensichtlich wieder vertragen. Sie lagen ineinander verschlungen da – sein rechtes Bein über ihrem linken, sein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Hoffentlich wachten sie auf, bevor Leila heimkam. Leila konnte es nicht ausstehen, sie so zu sehen. Leila machte offenbar Überstunden. Die Schnellgaststätte lag in der Nähe der Badeanstalt, und an manchen heißen Tagen erschienen einige Kellnerinnen einfach nicht zur Arbeit. »Ich hab meine Tage gekriegt«, jammerten sie dann dem Geschäftsführer am Telefon vor. »Scheußliche Krämpfe, ehrlich.« Leila hatte ihr davon erzählt und erklärt, was es bedeutete. »Mit deinen acht Jahren bist du zwar noch ziemlich klein, aber bei mir hat Mama sich nie zu einem Gespräch aufgerafft, und wie’s dann passiert ist, konnte ich vor lauter Rückenschmerzen kaum nach Hause laufen und dachte, ich würde gleich tot umfallen. Ich will nicht, daß es dir auch so geht, und ich möchte auch nicht, daß andere Kinder irgendwelche dunklen Andeutungen machen und du dir sonst was vorstellst.« Elizabeth tat ihr Bestes, das Wohnzimmer einigermaßen in Ordnung zu bringen. Sie ließ die Jalousien dreiviertel herunter, um die allzu grelle Sonne abzuhalten. Sie leerte die Aschenbecher, wischte die Tischplatten ab und räumte die Bierflaschen weg, die Mama und Matt vor ihrem Krach geleert hatten. Danach ging sie in ihr Zimmer, das gerade Platz bot für ein Bett, eine Kommode und einen Rohrstuhl mit geborstenem Sitz. Leila hatte ihr zum Geburtstag eine weiße Tagesdecke aus Chenille geschenkt und ein gebrauchtes Bücherregel gekauft, das sie rot gestrichen und an die Wand gehängt hatte. Mindestens die Hälfte der Bücher im Regal waren Theaterstücke. Elizabeth suchte sich einen ihrer Lieblinge heraus, »Unsere kleine Stadt«. Leila hatte voriges Jahr in der High School die Emily gespielt und ihre Rolle so oft mit Elizabeth geprobt, daß die sie ebenfalls auswendig konnte. Manchmal las sie sich während der Rechenstunde ein ganzes Theaterstück lautlos aus dem Kopf vor. Das machte ihr weitaus mehr Spaß, als das Einmaleins herunterzuleiern. Sie mußte eingedöst sein, denn als sie die Augen aufschlug, beugte sich Matt über sie. Sein Atem roch nach Tabak und Bier, was noch schlimmer wurde, als er lächelte und dabei zu keuchen begann. Elizabeth wich zurück, aber sie konnte sich ihm nicht entziehen. Er tätschelte ihr Bein. »Muß ja’n ziemlich langweiliges Buch sein, Liz.« Er wußte genau, daß sie Wert darauf legte, mit vollem Vornamen angeredet zu werden. »Ist Mama wach? Dann kann ich anfangen, das Abendessen zu machen.« »Deine Mama wird noch ’ne Weile schlafen. Wie wär’s, wenn ich mich ’n bißchen hinlege und wir beide dann vielleicht gemeinsam lesen?« In Sekundenschnelle wurde Elizabeth an die Wand geschubst, und Matt machte sich auf dem Bett breit. Sie begann sich zu winden. »Ich steh jetzt auf und fange mit den Hacksteaks an«, sagte sie, bemüht, ihre Angst nicht zu zeigen. Er hielt ihre Arme mit festem Griff umklammert. »Vorher umarmst du Daddy erst mal so richtig lieb, Schätzchen.« »Du bist nicht mein Daddy.« Blitzartig erkannte sie, daß sie in der Falle saß. Sie wollte versuchen, Mama durch Rufen zu wecken, aber jetzt küßte Matt sie. »Bist’n hübsches kleines Ding«, murmelte er. »Aus dir wird später mal ’ne richtige Schönheit.« Seine Hand glitt über ihr Bein, tastete sich weiter nach oben. »Ich mag das nicht«, sagte sie. »Was magst du nicht, Baby?« Und dann sah sie über Matts Schulter hinweg Leila in der Tür stehen. Ihre grünen Augen waren dunkel vor Wut. Blitzschnell hatte sie das Zimmer durchquert und Matt so kräftig am Schopf gepackt, daß sein Kopf zurückschnellte, wobei sie ihn heftig anschrie – alles Wörter, die Elizabeth nicht verstand. Und dann brüllte sie: »Schlimm genug, was die anderen Kerle mir angetan haben, aber ich bringe dich um, wenn du sie auch nur anrührst!« Matts Füße landeten krachend auf dem Boden. Mit einer Seitwärtsdrehung versuchte er, sich von Leila freizumachen. Doch sie hatte sein langes Haar fest im Griff, so daß jede Bewegung für ihn schmerzhaft war. Er fing seinerseits an, Leila anzuschreien, und wollte auf sie einschlagen. Mama mußte wohl den Lärm gehört haben, denn das Schnarchen verstummte. Sie kam ins Zimmer, in ein Bettlaken gehüllt, Ringe unter den trüben Augen, das schöne rote Haar zerzaust. »Was geht hier vor?« murmelte sie. Ihre verschlafene Stimme klang ärgerlich. Elizabeth entdeckte eine Beule an ihrer Stirn. »Mach du lieber deiner Tochter klar, daß sie nicht verrückt spielen soll, wo ich doch bloß ’n bißchen nett sein und ihrer Schwester vorlesen wollte – was ist denn da schon dabei?« Es hörte sich wütend an, aber Elizabeth merkte, daß Matt es mit der Angst zu tun bekam. »Und du mach lieber diesem miesen Kinderschänder klar, daß er sich rausscheren soll, oder ich rufe die Polizei.« Leila riß Matt noch einmal heftig am Schopf, bevor sie ihn losließ, um ihn herumging, sich zu Elizabeth aufs Bett setzte und sie in die Arme nahm. Mama begann auf Matt einzuschreien, dann begann Leila, auf Mama einzuschreien, und schließlich gingen Mama und Matt in ihr Zimmer und stritten sich dort weiter. Danach – lange Schweigepausen. Als sie aus dem Zimmer kamen, waren sie angezogen und sagten, das Ganze sei ein Mißverständnis und sie wollten jetzt ein Weilchen ausgehen, solange die beiden Mädchen hier zusammen wären. Nachdem sie das Haus verlassen hatten, sagte Leila: »Ob du wohl eine Dose Suppe aufmachen und uns ein Hacksteak braten könntest? Ich muß inzwischen nachdenken.« Bereitwillig ging Elizabeth in die Küche, um das Essen vorzubereiten. Während sie es schweigend verzehrten, merkte Elizabeth, wie froh sie über Mamas und Matts Abwesenheit war. Wenn sie zu Hause waren, tranken sie und küßten sich, oder sie stritten und küßten sich. Beides war gleich gräßlich. »Sie ändert sich nie«, erklärte Leila schließlich. »Wer?« »Mama. Sie ist ’ne Säuferin, und egal wen, einen Kerl wird sie immer haben, bis sie dann einfach kein lebendes Mannsbild mehr findet. Aber ich kann dich nicht bei Matt...