Hippler / Armbruster | Logik und Schrecken des Krieges | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 182 Seiten

Hippler / Armbruster Logik und Schrecken des Krieges


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-043431-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 182 Seiten

ISBN: 978-3-17-043431-8
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kriege bringen unsägliches Leid und können ganze Staaten und Gesellschaften vernichten. Und doch führen Menschen seit Jahrtausenden Krieg und nutzen oft die Friedenszeit, um sich für den Krieg zu rüsten. Zwischenstaatliche Kriege waren zuletzt zwar in den Hintergrund getreten, dafür nahmen innergesellschaftliche Kriege zu. Und mit der Rückkehr eines rabiaten Nationalismus werden auch Kriege zwischen Staaten wieder eine größere Rolle spielen, wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine allzu deutlich zeigt.
Jochen Hippler spürt der Frage nach, weshalb Kriege geführt werden. Welche Logik, welche Motive leiten die Kriegführenden? Wie werden Kriege geführt, und was entscheidet über Sieg oder Niederlage? Welche Rolle spielen der technische Fortschritt, Ideologie oder Medien? Welche Arten von Krieg gibt es und handelt es sich überhaupt um ein einheitliches Phänomen? Welche Möglichkeiten gibt es, Kriege zu beenden oder zu vermeiden?

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„Sinnlose“ Kriege? – Warum es Kriege gibt, obwohl sie so zerstörerisch sind
Häufig sprechen die Medien von „sinnloser“ Gewalt, wenn von Terroranschlägen oder Massakern die Rede ist. Ebenso oft hören wir, dass Kriege „völlig sinnlos“ seien. „Sinnlose Gewalt“ zerstöre ganze Städte und Landstriche, Tausende oder Millionen von Menschen werden „sinnlos“ getötet. Es kann kein Zweifel bestehen, dass Kriege furchtbar, grausam, brutal und entsetzlich sind. Aber ob sie auch „sinnlos“ sind, steht auf einem ganz anderen Blatt. Wir dürfen davon ausgehen, dass diejenigen, die einen Krieg beginnen, ihn sicher nicht für „sinnlos“ halten – sonst würden sie ihn ja nicht anzetteln. Ein fremdes Land zu erobern, eine fremde Regierung gewaltsam zu stürzen, Bodenschätze wie Erdöl zu gewinnen, sich im eigenen Land als „stark“, als „Held“ oder Eroberer feiern zu lassen, sind nur einige Absichten, die zumindest dem Angreifer den Krieg als sinnvoll erscheinen lassen. Und auch die Angegriffenen halten ihren Verteidigungskrieg nur selten für „sinnlos“: Wer Opfer eines Angriffskrieges wird, dem erscheint der bewaffnete Widerstand in der Regel als berechtigt und notwendig. Es gelte, die eigene Unabhängigkeit, das eigene Land, die eigene Lebensweise oder Kultur, die eigene Identität zu verteidigen – oder sogar die eigene Existenz. Man kann dann in vielen Einzelfällen darüber reden, ob die Zerstörungen und die menschlichen Opfer es wirklich wert waren – aber diese Frage lässt sich oft erst im Nachhinein beantworten. Natürlich ließe sich einwenden, dass in vielen Kriegen die Angreifer ihr Ziel nicht erreichten oder durch den von ihnen begonnenen Krieg ihre Macht verloren, anstatt gestärkt aus ihm hervorzugehen – oder dass die Angegriffenen trotz hoher Opfer unterlagen. Als die Nazis den Zweiten Weltkrieg als Eroberungs- und Ausrottungskrieg begannen, führte dieser nicht zu ihrer Weltherrschaft, sondern zu ihrem Untergang. Aber zu Beginn schien ihnen der Krieg als geeignetes Mittel, um ihre Machtinteressen und ideologischen Ziele durchzusetzen. Und der Kriegskoalition gegen die Nazis erschien der Krieg sicher nicht „sinnlos“, sondern das einzige Mittel, sich gegen Aggression, Fremdherrschaft und Völkermord zu verteidigen. Wer wollte die Befreiung von Auschwitz oder den Sturz der Nazi-Diktatur „sinnlos“ nennen? Und wer wollte annehmen, dies sei möglich gewesen, ohne den aufgezwungenen Krieg erfolgreich zu Ende zu führen? Wenn wir hier davor warnen, Kriege als „sinnlos“ zu bezeichnen, müssen zwei wichtige Punkte ergänzt werden. Erstens kann dies offensichtlich nicht bedeuten, dass Kriege prinzipiell „sinnvoll“ oder vernünftig wären. Kaum etwas könnte falscher sein. Die Weltgeschichte wimmelt von Kriegen, bei denen man sich unwillkürlich fragt, ob die Kriegführenden denn bei Verstand gewesen sein können. Aber die Frage nach Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit ist oft irreführend, wenn es darum geht, die Beweggründe eines Krieges zu verstehen. Als beispielsweise der irakische Diktator Saddam Hussein im Jahr 1980 das Nachbarland Iran überfiel, war er sich seiner Sache sehr sicher: Der Iran war durch die kurz zuvor erfolgte Islamische Revolution nachhaltig geschwächt und international isoliert, sein Militär erschien kaum noch funktionsfähig, da viele Offiziere ermordet worden oder ins Ausland geflüchtet waren. Durch einen Blitzkrieg dem Iran die an den Irak grenzende Ölprovinz Khuzistan zu entreißen, in der ohnehin die meisten Menschen Arabisch sprachen, nicht Persisch, schien sehr verführerisch. Dieses Kalkül scheiterte sehr gründlich. Bald erwies sich der iranische Widerstand als erstaunlich zäh – die Motivation der Iraner zur Verteidigung ihres Landes war groß, und die politische Führung war bereit, die waffentechnische Unterlegenheit durch ihre größere Bevölkerung und immer mehr „menschliche Wellen“ auszugleichen. Auch die internationale Situation schätzte Saddam Hussein falsch ein. Zwar wurde er von den meisten arabischen Ländern politisch oder finanziell unterstützt, aber darüber hinaus wollte kaum jemand einen Erfolg der irakischen Aggression. Gerade die USA, deren Botschaft in Teheran von „revolutionären Studenten“ besetzt worden war, waren mehr an einem gegenseitigen Ausbluten beider Kriegsparteien interessiert als an einem Sieg des Irak. Sie unterstützen diskret immer diejenige Seite, die gerade unterlegen erschien, mal den Irak, mal den Iran. Es liegt auf der Hand, dass sowohl ein Angreifer als auch Verteidiger zu Beginn eines Krieges davon überzeugt sind, dass die Führung des Krieges in ihrem Interesse liegt, also „sinnvoll“ ist. Sonst käme es gar nicht zum Krieg. Das sind allerdings subjektive Annahmen oder Überzeugungen, die sich später als richtig oder falsch erweisen können. Solche Einschätzungen sind stets Abwägungen zwischen den erhofften „Vorteilen“ eines (erfolgreichen) Krieges – wie Prestige, Land, Macht, Bodenschätze usw. – und den zu erwartenden „Kosten“, in die finanzielle Erwägungen, die politische Stabilität (bzw. Instabilität) und Legitimität, Opfer unter Soldaten und Zivilbevölkerung, Zerstörungen an Material und Infrastruktur und vieles mehr einbezogen werden. Dabei hängt die Einschätzung der politischen, wirtschaftlichen, militärischen und psychologischen Kosten eines Krieges vor allem davon ab, wie man sich den Charakter des Krieges vorstellt: Ist man von einem einfachen Sieg in einem Blitzkrieg überzeugt, wird man die Kosten des Kriegs für gering halten, bei einem jahrelangen Abnutzungskrieg dagegen für sehr hoch. Da Kriege allerdings selten so verlaufen wie von den Kriegführenden vorher geplant, bleibt hier vieles subjektiv und unsicher. Das ist der Grund dafür, dass die Einschätzung, ob ein länger anhaltender Krieg weiterhin „sinnvoll“ ist, sich im Laufe der Zeit ändern kann: Als der Irak 1980 sein Nachbarland Iran überfiel, war Saddam Hussein überzeugt, Khuzistan in einem schnellen Krieg an sich reißen zu können – spätestens nach zwei oder drei Jahren war dem Irak jedoch klar, dass er dieses Ziel verfehlt hatte und darüber hinaus immens hohe Schäden an Menschen und Material zu beklagen hatte. Der Krieg förderte die eigene Machtstellung nicht, sondern untergrub sie. Damit hatte sich die Kosten-Nutzen-Kalkulation dramatisch geändert, und aus einem zweckrationalen, „nützlichen“ Krieg war aus der Sicht Bagdads ein „sinnloser“ geworden. Doch auch aus der Sicht des Iran hatte sich die Rationalität des Krieges verändert, wenn auch auf ganz andere Weise. Ein Krieg zur Verteidigung des eigenen Landes und der Revolution (zu einem Zeitpunkt, als die Mehrheit der Bevölkerung sie noch unterstützte) war zu extrem hohen Kosten erfolgreich geführt worden und nun nicht mehr nötig. Aber der Krieg gewann aus Sicht des iranischen Regimes eine neue Rationalität: Er erlaubte es, jede Form der inneren Opposition aus- und die Gesellschaft gleichzuschalten. Während die Revolution gegen die Diktatur des Schahs aus sehr vielen Quellen entsprungen war, wurden nun alle Kräfte auch gewaltsam unterdrückt, die sich der Herrschaft Ayatollahs Khomeinis und seiner politischen Strömung nicht unterordneten. Diese spielten angeblich den irakischen Invasoren in die Hände. Krieg ist keine gute Zeit für demokratischen Pluralismus, sondern lädt zur Zentralisierung und Gleichschaltung ein. Der „Sinn“ des Krieges aus der Sicht der iranischen Führung war also nicht mehr allein ein militärischer Sieg über Saddam Hussein, sondern vor allem die Durchsetzung der religiös begründeten Diktatur im Iran selbst. Der „Sinn“ und Zweck eines Krieges liegt im Auge der Betrachter, also vor allem darin, ob die Kriegsparteien es für möglich oder wahrscheinlich halten, ihre Kriegsziele zu „vertretbaren“ Kosten zu erreichen. Diese zweckrationale Abwägung wird oft keine ethischen Erwägungen berücksichtigen, falls man den Eigennutz nicht als ethische Richtschnur akzeptieren möchte. Rechtfertigungen
Etwas kompliziert wird die Bewertung der Kosten-Nutzen-Kalkulation der Kriegsparteien dadurch, dass Kriegführende nicht für ihre Ehrlichkeit bekannt sind. Im Gegenteil: Es ist eher die Regel, dass Kriegsparteien über ihre Absichten lügen, sie zumindest verschleiern oder in ein gutes Licht rücken wollen. Kaum jemals hat ein kriegerischer Aggressor die eigene Machtgier als den Grund eines Krieges angegeben. Stattdessen werden fast immer selbstlose oder sonst wie akzeptable Gründe vorgebracht. So behaupteten selbst die Nazis beim Überfall auf Polen (1939), dass zuvor polnische Bewaffnete den deutschen Sender Gleiwitz überfallen und rund ein weiteres Dutzend Grenzverletzungen begangen hätten. Tatsächlich hatte der Sicherheitsdienst der SS den Überfall simuliert. 1964 verabschiedete der US-Kongress die sogenannte Tonkin-Resolution, die den US-Krieg gegen Vietnam rechtlich ermöglichte. Anlass war der „Tonkin-Zwischenfall“, bei dem zwei US-Zerstörer von der nordvietnamesischen Marine zweimal angegriffen worden sein sollten. Der erste Angriff war faktisch bedeutungslos und hatte keine Beschädigungen zur Folge. Den zweiten Angriff hatte es nie gegeben. Nicht viel besser sah es beim zweiten US-amerikanischen Irakkrieg ab 2003 aus. Auch wenn die US-Regierung ihre Rechtfertigungen häufig wechselte, so bestand ihr Kernargument doch darin, dass der Krieg der Zerstörung irakischer Massenvernichtungswaffen dienen sollte – die es allerdings nicht gab. Auch die Sowjetunion nannte fadenscheinige Gründe, als sie seit Ende 1979 ihr Nachbarland Afghanistan mit über 100.000 Soldaten für ein knappes Jahrzehnt besetzte – angeblich, weil die USA in Afghanistan die Kontrolle übernehmen wollten. Dafür gab es keinerlei Hinweise. Und als Wladimir...


PD Dr. Jochen Hippler ist Politikwissenschaftler und Friedens- und Konfliktforscher. Zu seinen Hauptarbeitsgebieten gehören Gewaltkonflikte aller Art (Krieg, Aufstände, Terrorismus usw.) und ihr Zusammenhang mit politischen Identitäten und Governance. Seine regionalen Hauptinteressen sind der Nahe und Mittlere Osten sowie Afghanistan und Pakistan.



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