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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Hirth Malus


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-218-01411-3
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-218-01411-3
Verlag: Kremayr & Scheriau
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eva googelt: Scheidungsberatung.
Was macht Eva nach der Vertreibung aus dem Paradies? Sie beendet die Missbrauchsbeziehung mit Adam, kommt im Jetzt an und versucht, ihr Leben selbstbestimmt neu aufzubauen.
Der Apfel, die Schlange, die Erkenntnis, die Schuld, die Vertreibung, das Leben danach. Was, wenn Eva heute leben würde und sich aus der gewaltvollen Beziehung mit Adam befreien könnte? Die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben hätte?
Simone Hirth nimmt das biblische erste Menschenpaar als Ausgangspunkt für eine Parabel, die unversehens in der Gegenwart landet – toxische Männlichkeit, Arbeitslosigkeit und Scheidungsprozess inklusive. Sie rechnet gnadenlos ab mit dem patriarchalen Erbe unserer Gesellschaft und öffnet die Tür zu einem anderen Lebensentwurf.

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Eva marschiert durch die Ödnis und gelangt zu einem Bahnhof. Wien Meidling. Das Jahr: 2023. Eva kann sich nicht aussuchen, in welchem Jahrhundert sie landet. Das Paradies verlassen heißt: die Umstände hinnehmen, die draußen herrschen. Es muss hingenommen werden, was kommt. Außerhalb des Garten Eden ist die Zeit nicht stehen geblieben, bleibt niemals stehen. Es weben sich Schicksale, Altlasten, Ereignisse, Geschichten, Muster und Kriege über Kriege ineinander. Das Durchkommen ist schwer, egal, in welches Jahrhundert man gerät. An welchen Ort. In welchen Bezirk. In diesem Fall also der zwölfte Wiener Gemeindebezirk. Eva muss nun mit der Zeit gehen, auch wenn diese sie zuerst erdrückt, ihr die Luft zum Atmen nimmt, schneidend kalt ins Gesicht bläst. Der Geruch von Frittierfett und Urin in den Unterführungen muss ausgehalten werden. 2023. Ein weit fortgeschrittenes Zeitalter, so viel weiß Eva. Sie weiß dennoch nicht, was sie hier erwartet. Sie kann auch nicht lange darüber nachdenken. Sie muss weiter. Adam und Gott klingen ihr in den Ohren: Du schaffst es nicht. Kann man Äpfel auf den Ohren haben?, fragt sich Eva. Sie muss sich solche Fragen nun stellen. Sonst werden die anderen Fragen in ihr zu laut. Wien Meidling, Bahnhofsareal, werktags, nachmittags. Niemand erkennt Eva. Der letzte Apfel, den sie aus dem Paradies noch besitzt, macht sie hier nicht besonders. Alle haben hier ihre Äpfel zu essen, ihre Coffees-to-go zu schlürfen, ihre Burger und Kebabs aus fettigem Papier zu wickeln. Das Paradies haben sie alle hinter sich gelassen, früher, später, sie erinnern sich nicht mehr daran. Reisende, Pendler, allerhand Leute hasten an Eva vorüber, Durchsagen überschneiden sich, Züge fahren ein, fahren ab, rauschen durch. Eva lässt sich treiben, gerät in eine zugige Passage, nimmt die Rolltreppe. Gibt kurz die Kontrolle an diese Stufen ab, die sich von selbst bewegen, die sie hinauftragen, hinauf. Es wird heller. Und als Eva oben die Rolltreppe verlässt, steht sie, und ahnt noch nichts davon, an einem Ort, an dem sie erst einmal nichts muss, aber vieles können wird: vor einer öffentlichen Bücherei. Das Paradies ist was für Anfänger, denkt Eva nun, das rege Treiben hinter der Glasfront der Meidlinger Bücherei beobachtend, und nimmt einen großen Bissen. Eva zieht die Tür mit Schwung auf. Der Schwung, mit dem Eva die Tür der Meidlinger Bücherei öffnet, ist ein Schwung, den Eva vorher nicht gekannt hat. Von dem sie selbst überrascht ist. Im Paradies gab es keine Türen, die schwungvoll geöffnet werden konnten. Es gab eigentlich gar keine Türen im Paradies, denkt Eva. Vielleicht war auch diese Tatsache das Problem. Dieser Schwung nun lässt Eva anders atmen. In den Bauch hinein. Tiefer. Dieser Schwung steigt in den Kopf und füllt ihn aus. Dieser Schwung lässt Eva den Kopf zurückwerfen und die Nase weiter nach oben halten. Als sie die Bücherei betritt. Und auch danach noch, als sie zwischen den Regalreihen entlanggeht. Die Finger über Buchrücken gleiten lässt. Denkt: Es wird gehen. Von hier aus. Und weiter. Nur weil Eva einer uralten Legende entsprungen ist, heißt das nicht, dass sie im Jetzt und Hier verloren wäre. Eva ist zwar aus der Rippe von Adam gemacht worden, aber Gott war doch so unvorsichtig, ihr ein eigenes Hirn einzusetzen. Und dieses Hirn hat Eva an den scheinbar endlosen, eintönigen, immer gleichen Tagen im Paradies bestens zu benutzen gelernt. Stopp! Ich war nicht unvorsichtig, als ich Eva ein Hirn gab, sagt Gott. Ich war großzügig! Und nun wird meine Großzügigkeit schamlos ausgenutzt. Dieses Weibsbild tanzt Adam und mir auf der Nase herum und verwirft mit einem Mausklick alles, woran wir glaubten und was wir zu Evas Bestem wollten. Eva googelt: Scheidungsberatung. In der Bücherei gibt es einen kostenlosen Internetrechercheplatz. Eva vertieft sich. Eva vertieft sich so lange, bis sie blass um die Nase wird. Ihr Magen knurrt. Eva wird einen Moment lang schwarz vor Augen. Geht es Ihnen gut? Möchten Sie ein Wasser?, fragt eine Frauenstimme. Die Stimme hat Arme und Hände und reicht Eva ein Glas Wasser. Eva trinkt, trinkt, noch ein Glas wird von der Stimme mit den Händen und den Armen gereicht, dann hat die Stimme auch Beine, einen Bauch, einen Kopf, ein Gesicht. Und in diesem Gesicht ist: Verständnis. Geht es wieder?, fragt die Stimme. Wollen Sie kurz mit mir in den Pausenraum kommen? Danke, sagt Eva, und sie kommt gerne mit. Die Stimme wird zur Bibliothekarin. Die Bibliothekarin sagt: Ich bin Magdalena. Eva deutet auf eine Schale voller Äpfel, die auf dem Tisch steht. Darf ich? Magdalena sagt: Klar. Ich will nicht indiskret sein, sagt Magdalena, aber ich habe gesehen, was du recherchiert hast. Ich darf doch du sagen? Ich wollte da raus, sagt Eva, weil… Das musst du mir nicht erklären, sagt Magdalena. Oder was glaubst du, warum ich Bibliothekarin geworden bin, anstatt zu bleiben, wer ich war und den Legenden zufolge sein sollte. Auch Magdalena hat ihr Päckchen zu tragen, und kein kleines. Ein Verhältnis mit Jesus zu haben war kein Zuckerschlecken, sagt sie. Und aus dem Neuen Testament auszusteigen ist kein Pappenstiel. Es hat lange gedauert, bis ich alles ablegen konnte, was ich war. Oder besser: was aus mir gemacht wurde. Es dauert eigentlich noch immer an. Für sehr, sehr viele bin ich noch immer die Hure, die die Geschichtsschreiber aus mir machten. Eva richtet sich weiter auf, fühlt sich besser. Magdalena sagt: Ich lebe jetzt schon länger im Jetzt und Hier, besser gesagt: in Wien Meidling. Hier habe ich nach dem Ausstieg aus meinem alten Leben eine günstige Wohnung gefunden. Das ist in diesen Zeiten in Wien nicht mehr so einfach. Da muss man nehmen, was man kriegt. Die Wohnung ist nicht groß, aber ausreichend. Für dich, Eva, ist dort allemal auch noch Platz. Wenig später sperrt Magdalena die Tür ihrer kleinen Wohnung in Wien Meidling auf und zeigt Eva alles, was sie wissen muss, um sich zurechtzufinden. Wichtig ist, sagt Magdalena, dass du jetzt zur Ruhe kommst und überlegen kannst. Dass du einen klaren Kopf bekommst und Kräfte sammelst. Du wirst sie brauchen. Und wenn es um die Äpfel geht – davon habe ich immer genug zu Hause. Magdalena weist auf eine Schale voller Äpfel auf dem Küchentisch. Ich habe einen Schrebergarten am Stadtrand, sagt sie. Ich bin gut versorgt. In den ersten Tagen schläft Eva vor allem. Die Müdigkeit drückt sie buchstäblich nieder. Eva fühlt sich bleiern, kann sich kaum aufrecht, die Augen kaum offenhalten. Schlaf, sagt Magdalena, morgens, wenn sie das Haus verlässt und in die Bücherei zur Arbeit geht, schlaf weiter, sagt sie, und deckt Eva zu und stellt den Teller voll Apfelschnitze und den Krug mit Wasser neben das Bett, das sie Eva überlassen hat. Erst am dritten Abend sitzt Eva in der Küche, als Magdalena von der Arbeit kommt, und sagt: Sitzen geht wieder. Aber schlecht ist mir. Und meine Brüste tun weh. Magdalena hebt die Augenbrauen, nimmt noch im Stehen einen Apfel aus Schale auf der Anrichte neben sich, beißt hinein, lässt sich auf den Küchensessel neben Eva sinken, gibt Eva den Apfel und sagt: Iss, meine Liebe, und jetzt erst recht. Iss. Magdalena borgt für Eva aus der Bücherei: Wander, Maxie: Guten Morgen, du Schöne Sie legt ihr das Buch neben das Bett und einen Apfel darauf. Als Eva zu lesen beginnen möchte, klingelt es an der Tür. Eva legt das Buch weg und sieht nach, wer da ist. Es ist der Postbote. Er hat ein Einschreiben. Für sie. Als Eva den Brief öffnet und liest, verschluckt sie sich, hustet. Der Brief ist von Gott. Du sollst deine Kinder unter Schmerzen gebären, schreibt er. Eva überlegt: Woher zum Teufel weiß der schon wieder, dass ich … ich weiß es ja selbst erst seit heute. Und woher weiß er, wo ich … der alte Stalker. Und vermutlich hat er es so gewollt, der Herr Gott, sonst hätte er im Paradies für Verhütung gesorgt. Eva trinkt einen großen Schluck Wasser, beißt in den Apfel, denkt: Das schaff ich jetzt auch noch. Dem werd ich’s zeigen. Und Adam kann mir den Buckel runterrutschen. Jemand, der nicht für sich selbst sprechen kann, ist sicher nicht der Mensch, mit dem ich Familie spielen werde. Eva zerknüllt den Brief, wirft ihn in den Papierkorb und fängt sofort an, nach einer Hebamme zu googeln. Noch bevor sie überhaupt eine Krankenversicherung hat. Eine Hebamme ist wichtig, meint Magdalena. Die Hebammen sind rar, überlastet, unterbezahlt. Mit der Suche kann man, weiß Magdalena von anderen Freundinnen, nicht früh genug anfangen. Über Magdalenas altes Handy hat Eva sich zuerst gefreut. Es gibt nun allerhand zu regeln, und so ist sie unabhängig. Bald aber ist Eva sich nicht mehr sicher, ob das neue, eigene Handy wirklich ein Segen ist. Gott hat Adam informiert und ihm ihre Nummer...


Simone Hirth, geboren 1985 in Freudenstadt. Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Nach diversen Umzügen und Aushilfsjobs lebt sie heute als freischaffende Autorin in Kirchstetten (Niederösterreich). Verschiedene Preise und Stipendien, u.a.: Literaturstipendium des Landes Baden-Württemberg, Start-Stipendium des BMUKK, Reinhard-Priessnitz-Preis sowie Hans-Weigel-Literaturstipendium. Ihr Debütroman "Lied über die geeignete Stelle für eine Notunterkunft" wurde für den Alpha Literaturpreis nominiert. Zuletzt erschien ihr Briefroman "Das Loch" (Kremayr & Scheriau 2020).



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