E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten
Reihe: Assaf Rosenthal
Höftmann Der Rabbi und das Böse
3. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8412-0655-8
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv - Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 2, 304 Seiten
Reihe: Assaf Rosenthal
ISBN: 978-3-8412-0655-8
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Priester und der Tod Hochsommer in Tel Aviv. Kommissar Assaf Rosenthal will nur eines: Urlaub machen. Doch dann wird auf einer Friedensdemo in Jaffa vor seinen Augen ein ehrwürdiger Rabbiner von einem Mann im Weihnachtskostüm angegriffen. Wenig später stirbt der Geistliche. Assaf lässt die Sache keine Ruhe, und er findet Ungeheuerliches heraus: Der Rabbi wäre ohnehin bald gestorben. Spuren von Arsen finden sich in seinem Körper. Und er war in dunkle Immobiliengeschäfte im arabischen Teil der Stadt verstrickt. Als dann auch noch Krieg in Israel ausbricht, drohen die Ermittlungen den Kommissar an seine Grenzen zu bringen ... Der zweite Fall von Kommissar Rosenstahl - ein packende Reise mitten in die Gesellschaft des modernen Israels. Von einer deutschen Autorin, die in Tel Aviv lebt.
Katharina Höftmann, geboren 1984 in Rostock, ist vor zwei Jahren im Rahmen eines Journalistenstipendiums nach Israel gezogen. Seitdem lebt sie mit ihrem israelischen Lebensgefährten in Tel Aviv. Die studierte Psychologin, die in der Vergangenheit für verschiedene Medien wie Die Welt, und dpa arbeitete, hat ein Sachbuch mit dem Titel 'Guten Morgen Tel Aviv - Geschichten aus dem Holy Land' veröffentlicht.Bei Aufbau Taschenbuch sind die Kriminalromane um Kommissar Assaf Rosenthal 'Die letzte Sünde' und 'Der Rabbi und das Böse' und 'Tote Kameraden' lieferbar.
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KAPITEL 1
»Seid ihr bereit für den Frieden?«
Assaf Rosenthal rollte mit den Augen. Vor ihm wippte Gili mit ihrer roten Lockenmähne auf und ab. Eben hatte Kobi Rubin die Bühne des Friedenskonzertes im Ehrlich-Park in Jaffa betreten. »Atem muchanim le shalom?« Der Kommissar wusste, dass er mit so einer Frage auf einem Konzert, das von der Organisation Peace Now veranstaltet wurde, rechnen musste. Trotzdem. Wie lächerlich! Bereit für den Frieden? Er war seit seiner Geburt bereit dafür, aber der Frieden, der kam ja doch nicht. Kobi Rubin mit seiner schütteren grauen Matte, die ihm wie ein zerfledderter Besen hinterher wehte, sah aus, als sei er seit Jahrhunderten bereit für den Frieden. Assaf erinnerte sich, dass schon aus dem alten knatternden Küchenradio seiner Mutter die Schlager von Rubin dröhnten. Dann hatte der Alkohol den Sänger für eine Dekade aus dem Verkehr gezogen, und nun stand er wieder hier. Wie Phönix aus der Asche. Bejubelt von jungen und alten Israelis, die sich die Hoffnung und den Willen nach Schalom nicht nehmen lassen wollten. Nicht von Raketen, nicht von Terroranschlägen und schon gar nicht von ihrer eigenen Regierung. Immerhin darauf konnte man sich noch verlassen.
Gili griff nach seiner Hand und rief lachend: »Ich sehe dir an, wie albern du das hier findest.«
»Nein gar nicht, buba«, log er. »Alles gut.« Assafs Blick war nun ganz auf seine Freundin fixiert. Er konnte sich nicht satt sehen an ihren Augen, die in der Sonne grün mit einem leichten Gelbstich schimmerten, und an den vielen Sommersprossen, die wie ein perfektes Bild in ihr Gesicht gekleckst waren. Für diesen Anblick ging er sogar auf Pro-Palästina-Konzerte. Und in all die eigenartigen Kunstausstellungen, in die ihn die Galeristin in den letzten Wochen geschleppt hatte. Er hatte sowieso einen Teil seines sechzehntägigen Jahresurlaubs nehmen müssen, da konnte er auch einen Nachmittag für den Frieden opfern. Und zur Belohnung würden sie in ein paar Stunden in ihrem Zelt am Strand sitzen und Zwiebeln ins Lagerfeuer halten.
Auf der Bühne robbte sich Kobi Rubin an seine sexy Backgroundsängerin heran, die allem Anschein nach vergessen hatte, ein Kleid über ihre Reizwäsche zu ziehen, während er mit brüchiger Stimme ins Mikrofon krächzte. Doch die alten Hits, wie Assaf sie kannte, waren das nicht, die aus dem schwächlichen Stimmorgan des Mannes ertönten. Ein DJ, wahrscheinlich ein orientalischer Jude aus Beersheva oder Aschkelon, hatte die Lieder in einen Techno-Remix gepresst und sie damit des letzten Funkens Charme beraubt. Gegen Bass und Beat und diese Zeiten überhaupt ankämpfend, schrie Rubin in diesem Moment verzweifelt die letzten Zeilen seines Hits, mit dem er einst den Grand Prix gewonnen hatte. Das Publikum tobte, und Assaf ließ sich zwischen ihnen zu einem leichten Wippen hinreißen. Gili pfiff begeistert auf zwei Fingern.
Den Jubel genießerisch wie einen Regen in der Wüste abwartend, stand Kobi Rubin wie sein eigenes Denkmal auf der Bühne. Der Applaus verebbte langsam, und der Altstar wurde ernst und sah nun ganz wie ein Versicherungsvertreter aus: »Leute, ich will euch einen besonderen Menschen vorstellen. Er hat mehr für den Frieden in unserem Land getan als wir alle zusammen. Er engagiert sich beharrlich für ein friedliches, gerechtes Zusammenleben zwischen uns und unseren palästinensischen Brüdern und Schwestern. In schweren Zeiten, in denen unsere Regierung uns auf Hass trimmen will, propagiert er Liebe. Er ist Mitglied der Gruppe ›Rabbiner für Menschenrechte‹ und spiritueller Führer der ›Simchat Tora‹-Gemeinde. Er hat arabische Jugendzentren in Hebron und hier in Jaffa aufgebaut. Einen tosenden Applaus bitte für Rabbiner Zvi Ben Avraham aus New York!«
Assaf streckte sich leicht auf die Zehenspitzen und entdeckte einen weißhaarigen Rabbiner im Publikum, auf dem Kopf trug er einen hohen Fedora-Hut mit nach oben gebogener Krempe. Der bärtige Mann, bekleidet mit einem langen schwarzen Gehrock, die unmenschliche Hitze völlig ignorierend, bahnte sich seinen Weg zur Bühne. Seine Peies, die Schläfenlocken, schwangen mit jedem Schritt im Takt. Die Hände hochgestreckt, winkte er dem begeisterten Publikum zu.
Als Assaf plötzlich Schreie hörte, dachte er noch amüsiert, dass der Rabbi wohl von einigen seiner Jünger wie ein Popstar bejubelt wurde. Dann begriff er, dass etwas nicht stimmte. Der Kommissar streckte sich und hüpfte leicht hoch, um besser sehen zu können. Der Rabbiner war verschwunden, so, als sei er hingefallen. Sicherheitsmänner eilten von allen Richtungen auf die Stelle zu, an der Assaf den älteren Mann vermutete. Das Publikum blickte entsetzt Richtung Bühne. Nun verstanden auch die Menschen um ihn herum, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Dann schien die Zeit für einen Moment still zu stehen. Eine Frau schrie, offenbar ohne auch nur einmal Luft zu holen, mit schriller Stimme. Und nur die verschiedenen Klangfarben ihres Schreiens waren ein Anzeichen dafür, dass die Welt sich weiter drehte. Wie in Zeitlupe sah Assaf, dass aus dem Gerangel plötzlich jemand entwich: Verkleidet als Weihnachtsmann flüchtete der Mann durch den Pfad, den die Sicherheitskräfte als Notausgang frei geschoben hatten, dabei umschlängelte er die Muskelpakete geschickt wie ein Slalomläufer. Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte es fast lustig ausgesehen, wie der schlanke Weihnachtsmann die gestählten, aber ungelenken Männer einen nach dem anderen hinter sich zurückließ. Kommissar Rosenthal überlegte keine Sekunde und nahm die Verfolgung des fliehenden Weihnachtsmannes auf. Er bahnte sich, laut »Polizei« rufend, den Weg durch die Menge und sah gerade noch, wie der kostümierte Mann um die Ecke der Yefet-Straße in die kleinen Gassen von Jaffas Viertel Ajami verschwand. Assaf sprintete ihm mit angewinkelten Armen hinterher. An der Kurve stieß er fast mit einem Fahrradfahrer zusammen, dessen Fahrradkorb, voll gepackt mit Einkaufstüten, dem Mann die Sicht auf die Straße und den Kommissar versperrt hatte. Assaf strauchelte kurz und folgte dem Weihnachtsmann dann in das Straßengewirr. Er passierte eine Moschee, um die sich gleichmäßig schmale Gänge wie Umarmungen wickelten. Am Ende, genau dort, wo das Minarett begann, führte eine lange, schmale Steintreppe zu der etwas tiefer gelegenen Haivi-Straße. Assaf entdeckte den Flüchtigen, der in diesem Moment die Treppe mit einer gekonnten Bewegung in einem Zug heruntersprang. Dann kletterte der verkleidete Santa Claus die hohe Mauer, welche die enge Straße zur linken Seite begrenzte, scheinbar mühelos, flink wie eine Echse hoch und verschwand hinter ihr. Assaf blieb nicht viel Zeit über die Wendigkeit des Mannes zu staunen. Etwas weniger routiniert, ja im Vergleich zu dem gelenkigen Mann im seltsamen Kostüm geradezu behäbig, lief er die Treppe herunter und erklomm die terracottafarbene Wand ebenfalls. Der Flüchtige war bereits zur Hälfte die schmale, endlos lang erscheinende Straße hinter der Mauer entlanggelaufen. Er drehte sich kurz hektisch um, und Assaf sah, dass er sogar an den Vollbart gedacht hatte, nach dem das Weihnachtsmannkostüm verlangte. In der heißen Augustsonne, die gnadenlos auf Jaffas alte Steine herunterschien, musste der Mann darunter Blut und Wasser schwitzen. Während er die Gasse ebenfalls entlang rannte, überlegte der Kommissar, dass es sich anhand der gelenkigen Bewegungen um einen jüngeren sportlichen Mann handeln musste. Weiter kam er mit seinen Gedanken nicht, denn der Mann hatte nun einen neuen Weg gefunden, ihm zu entkommen. Er hangelte sich pfeilschnell über ein Tor und hüpfte von dort, indem er sich an der Satellitenschüssel hochzog, auf das Dach eines niedrigen Einfamilienhauses. Assaf versuchte es ihm mit einiger Verzögerung gleichzutun, aber ein bedrohlich bellender Schäferhund stellte sich ihm in den Weg.
Als der Kommissar schließlich, nach einigen beruhigenden Worten für den Hund und einem schnellen Satz, ebenfalls auf das Dach gelangte, war der flüchtende Weihnachtsmann längst verschwunden. Assaf legte keuchend die Hände auf seine Knie. Dann stand er auf und sah wie ein Lotse auf Wachposten in alle Richtungen. Hinter ihm bot sich ein geradezu malerisches Bild. Das Mittelmeer strahlte in verführerischem Tiefblau, ein Kirchturm und ein Minarett lagen Seite an Seite in pittoresker Eintracht. Und mittendrin stand der gutaussehende Assaf Rosenthal in seiner schmalen dunkelblauen kurzen Hose, einem bordeauxfarbenen Poloshirt und feinen Wildledermokassins. Das Bild hätte auch – das war die Ironie des Augenblicks – aus einer Modezeitschrift stammen können. Assaf strich sich mit einer schnellen Handbewegung den Schweiß aus dem dunklen Vollbart. Ihm fiel das nah gelegene Parkhaus ein, in dem er manchmal Gilis Wagen parkte. Der Kommissar holte Schwung und landete hart im Vorgarten. Bevor der Schäferhund ihn abermals entdeckte, rannte Assaf bereits die Straße hinunter. Er bog in die Mendes France ein, passierte den Wohnsitz des französischen Botschafters, spurtete durch den Toulouse-Garten und fand sich nun direkt am Meer wieder. Entlang dutzender Baustellen, die vom einzigartigen Bauboom dieser Gegend Jaffas zeugten, gelangte er wenige Minuten später zu dem Parkhaus. Um diese Uhrzeit an einem Freitag war weder in dem Parkhaus noch in der Tankstelle, die sich im Erdgeschoss befand, viel los. Der Kommissar lief durch den niedrigen Eingangsbereich, vorbei an den verwaisten Zapfsäulen. Über ihm hingen rote Metallrohre, die im Falle eines Brandes Wasser über die Tankstelle verteilen sollten. Sie sahen wie eine der abstrakten Kunstinstallationen aus, die Gili so liebte. Das Wärterhäuschen an der Schranke zum Eingang der Garage war leer. Daneben entdeckte Assaf in einem...