E-Book, Deutsch, Band 1, 272 Seiten
Reihe: Assaf Rosenthal
Höftmann Die letzte Sünde
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8412-0225-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv
E-Book, Deutsch, Band 1, 272 Seiten
Reihe: Assaf Rosenthal
ISBN: 978-3-8412-0225-3
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stadt im Fieber.
Tel Aviv - die Metropole der Sünde im Heiligen Land. Hier ermittelt Kommissar Assaf Rosenthal, ein ehemaliger Armeeoffizier, der Menschenfreund, Zionist, Frauenheld und liebenswertes Muttersöhnchen zugleich ist. Als eine junge Frau an einer Sprachenschule erdrosselt aufgefunden wird, scheint der Täter schnell gefunden: Ein junger Afrikaner wurde zuletzt mit der Toten gesehen. Doch dann findet Rosenthal heraus, dass das Mädchen eine Prostituierte war und den Namen Sulamith trug - 'die schönste aller Frauen'. Plötzlich scheinen andere verdächtig: Die Spur führt zu den Zuhältern und Drogenbossen der Stadt ...
Katharina Höftmann, geboren 1984 in Rostock, ist vor zwei Jahren im Rahmen eines Journalistenstipendiums nach Israel gezogen. Seitdem lebt sie mit ihrem israelischen Lebensgefährten in Tel Aviv. Die studierte Psychologin, die in der Vergangenheit für verschiedene Medien wie Die Welt, und dpa arbeitete, hat ein Sachbuch mit dem Titel 'Guten Morgen Tel Aviv - Geschichten aus dem Holy Land' veröffentlicht.Bei Aufbau Taschenbuch sind die Kriminalromane um Kommissar Assaf Rosenthal 'Die letzte Sünde' und 'Der Rabbi und das Böse' und 'Tote Kameraden' lieferbar.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Der Wecker klingelte zum zweiten Mal. Assaf Rosenthal drückte auf die Taste, die das nervige Dröhnen in seinem Ohr stoppte. Dann drehte er sich noch einmal stöhnend um. Das Ganze wiederholte sich kurze Zeit später. Nach etlichem Dröhnen, Drücken, Stöhnen und Umdrehen quälte sich der Kommissar um zwanzig nach acht schließlich aus dem Bett. Seine Füße platschten auf die kalten Fliesen. Sein Kopf dröhnte. Er war erst um zwei Uhr morgens ins Bett gekommen. Angetrunken. Yaron und er hatten im »12« bei einigen Gläsern Bier über Frauen und die Zeit beim Militär geredet. Es waren mindestens zwei Bier zu viel gewesen. Und dann noch die vielen Joints bei Yaron auf der Terrasse. Nun rächte es sich – Assaf hatte einen schweren Kopf. Er musste an Hanna denken, mit der er das letzte Mal, als er richtig viel getrunken hatte, zusammen gewesen war. Das war ja jetzt erst einmal vorbei. Ginge es nach seiner Mutter, waren die Zeiten, in denen er viel trank und feierte, sowieso vorbei. Sein fünfunddreißigster Geburtstag lag vor ihm. »Werde endlich erwachsen, Abale«, pflegte sie ihm immer häufiger zu sagen und meinte damit: »Finde endlich eine Frau und heirate und schenk mir Enkelkinder.«
Assaf machte sich einen Kaffee und setzte sich, um richtig wach zu werden, auf die Terrasse. Der Plastikstuhl knirschte gefährlich unter ihm. Scheiß-Türkenware, schoss es ihm durch den Kopf. Eigentlich hatte er die Stühle nicht kaufen wollen. Made in Turkey. Das waren jetzt Feinde. Aber bei hundert Schekel für vier Stühle konnte man seine Prinzipien schon mal außer Acht lassen. Obwohl er erst seit zwei Monaten in dem Apartment wohnte, hatte er bereits alles komplett eingerichtet. Seine Brüder hatten ihn mit verschiedenen Möbeln ausgestattet, die sie selbst nicht mehr gebrauchen konnten. Den Rest hatte er auf dem Flohmarkt in Jaffa erstanden. Die Frauen, die er gelegentlich mitbrachte, mochten es. »Eklektischer Style«, hatte eine neulich gehaucht, bevor er ihr den BH gekonnt mit einer Hand, ohne hinzuschauen, aufgeschnippt hatte.
Der Zeiger der Uhr im Wohnzimmer bewegte sich auf halb neun zu. Um neun hätte er eigentlich im Büro sein müssen – das würde wieder nichts werden. Ohne Frühstück konnte er unmöglich das Haus verlassen. Wer wusste schon, wie der Tag werden würde und wann er das nächste Mal etwas zwischen die Zähne bekäme. Immerhin regnete es nicht mehr, er konnte also mit dem Roller fahren. Natürlich könnte er als Kommissar auch einen Dienstwagen bekommen, aber bisher hatte er dieses Privileg noch nicht in Anspruch genommen. Die Straßen in Tel Aviv waren sowieso ständig verstopft, überall stockte und staute es, und ungeduldige Israelis hupten wie im Wahn. Der öffentliche Nahverkehr in Tel Aviv war für den ansonsten sehr umweltbewussten Assaf auch keine Alternative. Er verstand nicht, welche der tausend Busse wohin fuhren. Die ausgeblichenen Pläne, die auch nur an manchen Haltestellen an verrosteten Pfählen hingen, waren verwirrend und halfen niemandem. Blaue und rote Linien schienen wie in einem Labyrinth-Spiel aus dem Kreuzworträtselmagazin ins Nichts zu verlaufen. Endstationen waren auch nicht ausgeschrieben. Selbst wenn man den Namen der Station kannte, wusste man nicht, wann der Bus dort hielt. Der Busfahrer war ebenfalls keine Hilfe; Anzeigen gab es nur in den wenigen neueren Bussen. Und an den Haltestellen selbst hingen zwar allerlei Werbeplakate, halbnackte Frauen oder Bilderbuchfamilien, aber bestimmt keine Schilder mit Namensbezeichnungen. Kurzum: Als Assaf vor kurzem nach Tel Aviv gezogen war, hatte er sich sofort einen Roller zugelegt.
Assaf zerhackte schnell ein paar Zwiebeln und frische Petersilie und warf das Ganze zusammen mit ein paar Eiern in die Pfanne. Anschließend stopfte er das Omelette mit etwas Salat und Tomaten in eine Pita. Danach ließ er sich gebeugt auf den Teppich im Flur nieder. Wie ein Reptil schob er seinen Oberkörper nach vorne, um kurze Zeit später seine Arme von sich zu strecken, während sein Hinterteil in die Höhe schnellte. Er atmete tief durch die Nase ein und aus. Die Bewegungen wiederholte er mehrmals, bevor er schließlich, mit wie zum Gebet gefalteten Händen, kerzengrade im Flur stehend, die Prozedur beendete. Guten Morgen, Sonnengruß. Assaf verbog sich mit täglicher Regelmäßigkeit, in der Hoffnung, dass ihm die Verrenkungen Energie für den Tag geben würden. Gegen Kater half es bestimmt auch.
Um kurz nach neun schloss Assaf endlich die Tür seiner Wohnung im zweiten Stock ab und lief die Treppe hinunter. Ein paar Streicheleinheiten für die Katze, die jeden Morgen an seinem Roller wartete und die er manchmal fütterte, dann düste er los Richtung Süden der Stadt. Morgen für Morgen entlang der Strandpromenade. Diese quoll um die Zeit bereits vor Menschen über. Radfahrer und Mädchen, die dachten, dass sie vom schnellen Gehen abnehmen würden, huschten über das gemusterte Pflaster. Ab und zu war auch mal eine dabei, die den Sport gar nicht nötig hatte und wahrscheinlich nur ihr knackiges Hinterteil in den engen Leggins präsentieren wollte. Das sollte ihm recht sein. Doch für mehr blieb ihm jetzt keine Zeit, er steuerte den Roller Richtung Jaffa. Zum Polizeihauptquartier. Seit kurzer Zeit sein Arbeitsplatz. In den letzten Wochen eher Platz als Arbeit, denn viele ereignislose Tage lagen hinter ihm. Nicht, dass in der Stadt nicht gemordet wurde, aber Wieler, der alte Pitbull, hatte ihn an den Schreibtisch verbannt und ihm täglich eingebläut, sich erst einmal gründlich einzuarbeiten. Ein-zu-ar-bei-ten. Assaf hatte aus dem gegebenen Respekt heraus emsig dicke Aktenordner gewälzt und staubige Papierberge durchgewühlt. Er war eigentlich nur wegen Chaim Wieler hier. Der Pitbull war sein Befehlshaber bei der Offiziersausbildung gewesen und hatte ihn von Anfang an unter seine Fittiche genommen. Assaf wusste nicht genau, warum, er und Wieler waren grundverschieden. Wieler hatte ihm mal gesagt, dass es genau das war, was er an ihm schätzte. Assaf verkörpere für ihn den neuen Typ Kommissar. Den modernen Kommissar. Assaf lachte, und sein Motorradvisier beschlug leicht. Viele seiner Freunde fanden seine Ansichten antiquiert. Wie er über die Araber dachte zum Beispiel, auch seinen flammenden Patriotismus fanden sie nicht zeitgemäß. Aber darüber sprach er in seinem beruflichen Umfeld kaum. Als Wieler dann Direktor bei der Polizei in Tel Aviv geworden war, hatte er Assaf angerufen und ihm angekündigt, dass er ihn bald nachholen würde. »Rosenthal, dann kommst du endlich aus deinem Scheiß-Gaza weg. Tel Aviv! Das passt zu dir! Die modernste Stadt Israels!«
Im Präsidium war man nicht begeistert. Assaf hatte bisher als kommandierender Offizier an der Grenze gearbeitet, das Land vor Eindringlingen geschützt und Terroristen der Hamas festgenommen, inklusive Spezialeinsätze, über die er mit niemandem sprechen durfte. Sie nannten ihn den Soldatenkommissar. Natürlich nur hinter seinem Rücken, ins Gesicht hätte ihm das keiner gesagt. Dafür hatten sie doch zu viel Respekt. Gaza und Pitbull, das war eine beeindruckende Kombination, trotz allem. Assaf war sich sicher, dass er diese Abneigung gegen ihn bald neutralisieren würde. Er konnte Menschen sehr gut für sich einnehmen. Das war eine seiner größten Stärken.
Bevor er in den weißen Gebäudekomplex verschwand, schloss Assaf seinen Roller ab. Er überprüfte die Klemme an den Bremsen und legte ein riesiges Kettenschloss fast zärtlich um den weißen Plastikkörper herum. Dann sicherte er den Roller mit einem weiteren Schloss, das er außerdem mit einem Laternenpfahl verband. Der Kommissar war überzeugt, dass man nicht einmal auf dem Polizeigelände sicher war vor Dieben und schon gar nicht hier in Jaffa, wo sich afrikanische Flüchtlinge und junge arbeitslose Araber aus Langeweile und auf der Suche nach Kupfer, Eisen und alten Möbeln herumtrieben. Er betrat das Gebäude, begrüßte den Sicherheitsmann am Eingang mit einem freundlichen »Boker tov«, zeigte seinen Ausweis – nicht jeder Sicherheitsmann kannte ihn schon – und lief entspannt die drei Stockwerke zu seinem Büro hinauf. Auf die fünf Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an.
Itzik Nakash und Yossi Hag saßen bereits an ihren Plätzen. Sie waren beide Polizeihauptmeister und ihm damit untergeordnet. Assaf fand sie beide recht sympathisch. Mit Yossi, dem jüngeren, der nur ein wenig älter als er selbst war, hatte er sich von Anfang an besonders gut verstanden, da sie gemeinsame Interessen und einen ähnlichen Humor hatten. Er war außerdem viel engagierter als Itzik. Der schien in Gedanken schon in Rente zu sein. Assaf hatte das Gefühl, dass Itzik nur noch seine Zeit absaß, bis er endlich seinen 67. Geburtstag feiern konnte. Er rief den beiden Männern »Boker tov« zu und versprach Yossi, gleich einmal vorbeizukommen. Direkt im Büro neben ihm saß Zipi Meier. Die Sekretärin hatte wieder einmal ganz tief in die Trickkiste ihrer Kleiderkammer gegriffen. Assaf schätzte sie auf Ende fünfzig. Sie saß in einem engen weißen Top da, die üppigen Brüste nach oben gequetscht. An den Schultern hatte der Stofffetzen Löcher, die ihr nicht mehr ganz frisches, leicht hängendes Fleisch betonten. Assaf lächelte ihr freundlich zu, nett war sie und lustig. Dann öffnete er seine Bürotür, ein eigenes Büro, und fuhr den zugegebenermaßen uralten Computer hoch. Er checkte schnell News und E-Mails. Hanna hatte geschrieben. Sie schickte ihm den Link zu einem Restaurant, das vor kurzem in Berlin eröffnet hatte. Dazu hatte sie sechs Wörter in die E-Mail getippt: »Du und ich? In Berlin? Bald?« Assaf würde ja gerne zu ihr fahren, aber hier konnte er erst einmal keinen Urlaub nehmen. In diesem Moment erschien der Name Wieler auf...