E-Book, Deutsch, Band 2, 336 Seiten
Reihe: Spannungsgeladener Thriller mit ermittelnder Anwältin
Hofelich Nebeljagd
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-1668-0
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Linn-Geller-Thriller
E-Book, Deutsch, Band 2, 336 Seiten
Reihe: Spannungsgeladener Thriller mit ermittelnder Anwältin
ISBN: 978-3-7517-1668-0
Verlag: beTHRILLED
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Julia Hofelich studierte zunächst Germanistik und Komparatistik, bevor sie zu Jura wechselte. Nach ihrem Referendariat arbeitete sie als Rechtsanwältin und absolvierte ein Fernstudium zur Drehbuchautorin. Für ihre Kurzgeschichte "Opfer" wurde sie für den renommierten GLAUSER nominiert. Julia Hofelich ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Autoren/Hrsg.
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1 Draußen wurde es langsam dämmrig, und es hatte angefangen zu schneien. Dicke Flocken schwebten auf die Straße vor der Kanzlei. Rechtsanwältin Linn Geller beendete das Telefonat mit einer Mandantin und sah auf die Uhr am Bildschirmrand ihres Laptops. Es war kurz vor fünf. Heute würde sie endlich einmal früher Feierabend machen. Sie würde in die Innenstadt fahren, ein wenig über den Weihnachtsmarkt schlendern, ein Nikolausgeschenkchen für ihren Kanzleipartner Götz kaufen und eine dieser köstlichen Zimtwaffeln essen, die es an einem der Stände zu kaufen gab. Und danach würde sie sich mit einem Krimi und einer Tasse Tee auf ihr Sofa setzen. Der perfekte Abend, von dem sie seit Tagen träumte. Sie hängte mehrere Akten zurück in den Aktenschrank hinter ihrem Schreibtisch, fuhr den Computer herunter und brachte ihre leere Kaffeetasse in die kleine Küche. Während sie die Tasse und die Kanne ausspülte und abtrocknete, betrachtete sie die beiden Schnappschüsse, die seit gestern an einem der weißen Hängeschränke klebten und die Götz und sie beim Renovieren ihrer Kanzlei zeigten. Götz, in einem schreiend bunten Hemd, das über seinem Bauch spannte, grinste freundlich von einer Leiter. Sie selbst stand mit zwei Pinseln vor einer frisch gestrichenen Wand und lachte. Sie trug einen Malerkittel, der über ihrer schlanken Figur schlabberte, und hielt ihre Hände ins Bild, die so voller Farbspritzer waren, dass man kaum noch ihre hellbraune Haut erkennen konnte. Auch ihre schwarzen Haare hatten einiges abbekommen. Sie berührte das Bild mit dem Zeigefinger und zwang sich zu einem Lächeln. Es war eindeutig ein Fortschritt. Noch vor einem Jahr wäre es undenkbar gewesen. Niemand hätte Fotos von ihr machen oder gar aufhängen dürfen. Und auch jetzt noch, obwohl sie auf dem Bild den Kopf leicht drehte und man die Narbe auf ihrer rechten Wange kaum und ihr kaputtes, leicht zur Seite abstehendes Bein in der weiten Hose überhaupt nicht erkennen konnte, verspürte sie einen winzigen Stich im Bauch. Musste für eine Sekunde an den Unfall denken. Als ihr ganzes Leben zusammengestürzt war wie eine baufällige Mauer. Sie wandte sich ab, stellte die Tasse zurück in den Schrank und humpelte zur Garderobe. Sie würde sich bestimmt nicht die Weihnachtsmarktstimmung verderben lassen. Sie tauschte ihre eleganten Schuhe gegen die warmen Stiefeletten, mit denen sie am Morgen in die Kanzlei gekommen war und die ebenfalls gut zu ihrem schwarzen Hosenanzug passten. Als sie gerade ihren Mantel anzog, hörte sie schwere Schritte auf der Treppe vor dem Kanzleieingang, kurz darauf öffnete sich die Tür. »Linn? Zum Glück erwische ich dich noch.« Ihr Kanzleipartner Götz kam mit rotgefrorenem Gesicht und außer Atem herein, in der Hand eine Akte, die er ihr entgegenstreckte. »Das haben die mir gerade bei der Staatsanwaltschaft für dich mitgegeben. Du hast wieder die Pflichtverteidigung in einer Mordsache bekommen?« Sie runzelte die Stirn und nahm die Akte. »Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wovon du redest. Was für ein Mord soll das sein? Die einzigen Strafrechtsfälle, die ich im Moment bearbeite, sind eine kleine Drogendealerin und …« Sie schlug die Akte auf. Johann Haug. Es dauerte eine Sekunde, bis sie den Namen des Beschuldigten einordnen konnte, ein Mann, der vor ein paar Tagen bei ihr angerufen und um einen Termin gebeten hatte. Er hatte aufgeregt von einer Diabetikerin im Unterzucker erzählt. Das Ganze hatte sich am Telefon wenn überhaupt nach unterlassener Hilfeleistung angehört. Da Haug zu dem Beratungstermin am nächsten Tag nicht erschienen war, hatte sie die Sache eigentlich schon abgehakt gehabt. »Sie haben deinen Mandanten heute Mittag verhaftet, weil er seine ehemalige Pflegemutter ermordet haben soll. Die Polizei will ihn jetzt vernehmen. Hier«, Götz gab ihr ein Post-it und strich sich durch seine kurzgeschnittenen, graumelierten Haare, »habe ich dir die Adresse aufgeschrieben, Polizeirevier Ochsenwang. Ein Polizeioberkommissar Rösch. Ich habe da sofort angerufen und darauf bestanden, dass sie mit der Vernehmung warten, bis du da bist. Ich hoffe, das war in deinem Sinne? Wenn du jetzt einen anderen Termin hast, könnte ich für dich hingehen.« »Nein, nein, danke, ich habe Zeit, ich wollte nur auf den Weihnachtsmarkt.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wenn du nicht zufällig bei der Staatsanwaltschaft gewesen wärst, hätten die diesen Haug bestimmt ohne Anwalt vernommen, was meinst du?« »Es ist immer einfacher, ohne einen Verteidiger ein Geständnis zu bekommen.« Götz’ Stimme klang resigniert. »Ich rege mich über so was seit Jahren nicht mehr auf. Doch, ich rege mich auf, aber ich habe kapiert, dass ich wenig machen kann. Egal. Jetzt wissen wir ja alles. Soll ich dich hinfahren? Mit den Öffentlichen bist du ewig unterwegs. Sofern du heute überhaupt noch hinkommst.« Er lächelte sie an. Sie berührte ihn an der Schulter. »Das kann ich fast nicht annehmen.« »Ich mache es gerne. Eine gute Ausrede, um dem inneren Schweinehund nachzugeben und bei dem eisigen Wetter nicht mehr zum Fußballtraining zu gehen.« Sie nickte dankbar und mit einem schlechten Gewissen Götz gegenüber. Hoffentlich konnte sie sich bald wieder ein eigenes Auto leisten. Ihr Kanzleipartner hielt ihr die Tür auf. Mit leisem Bedauern dachte sie an die Zimtwaffel und den in weite Ferne gerückten Feierabend und steckte sich vor dem Hinausgehen noch zwei von Götz selbstgebackenen Mini-Lebkuchen in den Mund, die er dort auf einem Teller für wartende Mandanten hingestellt hatte. Der Berufsverkehr verstopfte die zu engen Stuttgarter Straßen. Selbst Götz, den Linn als ausgesprochen friedliebend kannte, schlug mehrfach mit der Faust aufs Lenkrad und knurrte Verwünschungen. Auf dem Beifahrersitz seines Autos, die Füße zwischen ein Sixpack Bier und ihre Tasche gequetscht, angepustet vom Luftstrom der verbrannt riechenden Heizung, ging Linn mit ihrer Handytaschenlampe die neue Akte durch. Ihr Blick blieb an einem der Tatortfotos hängen, und der letzte Rest ihrer Vorweihnachtsstimmung verschwand. Die Abbildung zeigte eine tote alte Frau, die auf einem zerwühlten Doppelbett lag. Ihr Mund schien vor Entsetzen aufgerissen. Die Augen starrten leer an die Decke, der bleiche Körper war seltsam verdreht, die Hände mit den bläulich angelaufenen Nägeln krallten sich an etwas fest, das wie eine Stoffkatze aussah. Der Rock der Toten war, vielleicht im Todeskampf, hochgerutscht und gab den Blick auf mit Krampfadern durchzogene Beine und abgetragene Unterwäsche frei. Am Boden vor dem Bett sah man einen Brandfleck, auf dem die Reste eines verkohlten Adventskranzes lagen. Das Feuer war zum Bett hochgezüngelt, hatte einen Teil des Kissens und die Haare und Kopfhaut der Toten versengt. Die Frau wirkte so einsam, verletzlich und gequält, dass Linns Kehle vor Mitleid ganz eng wurde. Auch Götz, der an einer roten Ampel zu ihr hinüberschaute, schien der Anblick ziemlich mitzunehmen. Mit einer hilflosen Bewegung fuhr er sich mehrfach über die Haare. »Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass mein Mandant seiner Pflegemutter eine Überdosis Insulin gespritzt und dann abgewartet hat, bis sie gestorben ist«, sagte Linn. »Ines Schneider, so heißt die Pflegemutter, muss sich verzweifelt gewehrt haben, es gab entsprechende Kampfspuren im Schlafzimmer. Als das Insulin seine Wirkung entfaltet hatte, bekam sie Krampfanfälle und Bewusstseinsstörungen, bis sie schließlich ins Koma gefallen und gestorben ist. Mein Mandant soll bis zu ihrem Tod im Zimmer geblieben sein und aufgepasst haben, dass sie nicht den Notarzt oder ihren Mann anruft. Am Ende soll er den Adventskranz angezündet und hinuntergestoßen haben, vermutlich, um das Haus abzubrennen und seine Spuren zu verwischen. Aber das Feuer ging von selbst aus. Er hat dann noch den Hochzeitsschmuck und Geld geklaut.« Angespannt stieß sie Luft durch die Lippen. »Den Insulinpen, also dieses Gerät, mit dem sich das Opfer das Insulin normalerweise gespritzt hat, haben sie vollständig entleert bei ihm zu Hause gefunden. Die Staatsanwaltschaft hält meinen Mandanten für einen Mörder, der heimtückisch und aus Habgier gemordet hat.« Linn starrte die furchtbaren Fotos an, die vor ihr lagen. Schließlich klappte sie die Akte zu und schaltete die Taschenlampe aus. »Haug hingegen hat mir am Telefon erzählt, dass es seiner Pflegemutter gut gegangen sei, als er ihr Haus verlassen habe. Er hat behauptet, er sei unschuldig und die Polizei wolle ihm etwas anhängen.« »Hat er auch gesagt, warum die Polizei so was tun sollte?« »Er meinte, ganz Ochsenwang würde schon seit Jahrzehnten eine Art Hexenjagd gegen ihn veranstalten, auch die Polizei. Mehr wollte er nicht dazu sagen.« »Das ist immerhin eine Erklärung, die ich noch von keinem meiner Mandanten gehört habe«, bemerkte Götz. Eine Zeitlang schwiegen sie beide, während das Auto durch das Schneetreiben kroch. Das Flockengestöber war mittlerweile so dicht, dass man die roten Bremslichter der Fahrzeuge vor ihnen nur noch durch einen Vorhang wahrnahm. Die Scheibenwischer quietschten auf Hochtouren. »Dieses Dorf ist weit oben auf der Alb«, sagte Götz, als sie endlich die Autobahn erreichten, auf der ebenfalls Schrittgeschwindigkeit gefahren wurde. »Hoffentlich kommen wir da bei dem Wetter überhaupt hin. Ich habe zwar Winterreifen, aber …« »Und hoffentlich kommen wir nachher wieder zurück«, fügte sie hinzu. Götz sah sie von der Seite her an und grinste, und für eine Sekunde hatte sie das Gefühl, dass er die Vorstellung gar nicht schlecht fand, mit ihr irgendwo in einem Kaff auf der schwäbischen Alb vom Schnee eingeschlossen zu sein. Das verunsicherte sie ein wenig, und...