Hofer | Was haben Sie gemacht, als die Mauer fiel? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Hofer Was haben Sie gemacht, als die Mauer fiel?

Prominente aus dem Osten erinnern sich

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-86789-593-4
Verlag: Bild und Heimat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer. Ein Ereignis, das sich wie kein anderes in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingebrannt hat. 25 Jahre danach erinnern sich noch Millionen an die Bilder von jubelnden »Mauerspechten« und weinenden »Grenzgängern« und wissen noch genau, was sie an diesen Tagen erlebt haben. Auch viele prominente Frauen und Männer aus Politik, Wirtschaft, Sport, Film und Fernsehen verbinden mit diesem historischen Tag prägende Momente. Mit ihnen hat sich Jan Hofer ausführlich unterhalten. Ausgehend von der Frage, »Was haben Sie gemacht, als die Mauer fiel?«, entlockt er dabei seinen Gesprächspartnern mit viel Geschick und Einfühlungsvermögen, welche Hoffnungen, Erwartungen und Prägungen sie mit diesem Datum verknüpfen und wie sich ihre Träume entwickelt haben. Ein unterhaltsames Buch, das aus unterschiedlichen Perspektiven von den »Wende«-Tagen berichtet und mit viel Witz und Sympathie den wohl hoffnungsvollsten Tag unserer jüngeren Geschichte noch einmal lebendig werden lässt.
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Gunther Emmerlich Welche Erinnerungen haben Sie an den 9. November 1989? Tagsüber hatte ich Probe in der Semperoper. Dort sollte zwei Tage später, am 11. November, die Sendung »Show­ko­lade« aufgezeichnet werden. Am Abend saß ich mit Reinhard Mey, der zum ersten Mal in der DDR war, in einem Dresdner Bierkeller. Ich war sehr glücklich, dass ich es endlich geschafft hatte, ihn hierher zu holen. Dass er bislang noch nicht in der DDR auftreten durfte, lag an der Freiheit, die er über den Wolken vermutete. Auch das Lied »Ich würde gern einmal in Dresden singen« war eine unbotmäßige Aufforderung aus Sicht der Parteifunktionäre. Aber aufgrund der sich anbahnenden Veränderungen und nicht zuletzt wohl auch ein wenig dank meiner permanenten Bemühungen war’s dann eben doch möglich, ihn in die Sendung zu holen. Und wie es der Zufall wollte, gab es in diesem Bierkeller, in dem wir nun saßen, einen Fernsehapparat, der mehr so nebenbei lief. Doch als wir die scheinbar dubiosen, aber letztlich so befreienden Worte von Schabow­ski hörten, war die Kneipe außer Rand und Band. Fremde Menschen umarmten Reinhard Mey wie einen verlorenen Sohn, und mich gleich dazu. Wir waren alle aufgewühlt und voller Hoffnung. Am nächsten Vormittag zur Probe standen der Regis­seur Ben Beissert und ich allein auf der Semperoper-­Bühne. Sämtliche Mitarbeiter der Sendung hatten kurzerhand beschlossen, nach Berlin zu fahren, um persönlich dem historisch bedeutsamen Geschehen beizuwohnen. Da Beissert als Regisseur und ich als Moderator am nächsten Tag die Hauptarbeit zu bestreiten hatten, konnten wir uns den Kollegen nicht einfach anschließen. Die Sendung musste ja stattfinden. Am Abend kehrten die Mitarbeiter mit den herrlichsten
Eindrücken zurück. Und die Sendung, wie hätte es auch anders sein können, war eine ganz besondere. Mit Reinhard
Mey sang ich gemeinsam sein Lied »Gute Nacht, Freunde«. Der Text hatte plötzlich eine unglaubliche Aktu­alität: Für den Tag, für die Nacht unter eurem Dach.
Habt Dank für den Platz an eurem Tisch, für jedes Glas,
das ich trank, Für den Teller, den ihr mit zu den euren stellt, als sei
selbstverständlicher nichts auf der Welt Habt Dank für die Zeit, die ich mit euch verplaudert hab’ Und für Eure Geduld, wenn’s mehr als eine Meinung gab. Dafür, dass ihr nie fragt, wann ich komm’ oder geh’, Für die stets offene Tür, in der ich jetzt steh’. Für die Freiheit, die als steter Gast bei euch wohnt. Habt Dank, dass ihr nie fragt, was es bringt, ob es lohnt. Vielleicht liegt es daran, dass man von draußen meint, Dass in euren Fenstern das Licht wärmer scheint. Das ging uns beiden sehr nah. Reinhard hat uns kurz vor Weihnachten mit seiner Familie besucht. Er wollte dem Moment des gemeinsam erlebten Mauerfalls Gestalt verleihen und schenkte mir eine Gitarre, in der bis heute ein Zettel klebt: In Erinnerung an den 9., 10. und 11. November 1989 Reinhard Was haben Sie in den nächsten Tagen und Wochen gemacht? Ich habe nach der Sendung nachgeholt, was meine Kollegen mir schon voraushatten: die Fahrt nach Berlin. Meine Frau und ich haben es sehr genossen, durchs Brandenburger Tor gehen zu können. Und auch wir haben das damals oft gehörte Wort »Wahnsinn« wahnsinnig oft ausgesprochen. Mit welchen Dingen waren Sie 1989 beschäftigt? An der Semperoper war ich sehr beschäftigt, außerdem mit der Sendung »Showkolade«, Konzerte der unterschiedlichsten Art, die Semper-House-Band, Kammermusik, ich sang Lieder-, Arien- und Duettabende. In der Mitte des Lebens, 1987, kam zu all meinen künstlerischen Aktivitäten noch das Fernsehen hinzu. Moderiert hatte ich zuvor schon bei vielen Veranstaltungen. Dies und meine musikalische Vielseitigkeit weckte das Interesse der Fernsehmacher. Das zum Beruflichen, aber das Jahr 1989 war vor allem durch die politischen Ereignisse das spannendste Jahr in meinem Leben. Ende September hatten wir eine Willenserklärung bei mir zu Hause verfasst, die nach den Vorstellungen verlesen wurde, was genau den Effekt hatte, den wir uns versprochen hatten: dass wir quasi aus unseren Rollen heraustraten und einfach mal darüber sprachen, dass in diesem Land etwas geschehen musste und es so nicht weitergehen konnte. Die Leute standen auf und applaudierten begeistert. Am 5. Oktober war ich unter den Demonstranten auf der Prager Straße, als die Gruppe der 20 gebildet wurde. Im November habe ich die Künstler­demo auf dem Theaterplatz in Dresden vor hunderttausend Menschen moderiert. Haben Sie deshalb Probleme bekommen? Seit meinem 18. Lebensjahr wurde eine Stasiakte über mich geführt. Die letzten Einträge stammen aus dem November 1989. Ich wurde abgehört. Meine Briefe wurden geöffnet. Insgesamt waren 36 IMs auf mich angesetzt. Das weiß ich alles aus der Akte. Das Erstaunliche ist, dass sie mich dennoch Karriere machen ließen. Dass ich erfolgreich sein durfte und später ins nicht­sozialistische Ausland reisen durfte, lag an meinen künstlerischen Leistungen und daran, dass sie mit mir Devisen ins Land bringen konnten. Es lag nicht daran, dass sie mich so unheimlich nett fanden. Hätte sich der Staat 1989 übrigens zur Wehr gesetzt und wirklich hart durchgegriffen, dann wäre ich in ein Lager gekommen, das weiß ich durch die Stasiauflösekommission der Semperoper. Ich wäre ins Lager nach Tautenhain in der Nähe meiner Geburtstadt Eisenberg gekommen. Hatten Sie Verdachtsmomente gegenüber Menschen, die Sie gut kannten, vielleicht sogar bei Kollegen oder Nachbarn? Wir sind davon ausgegangen, dass es die Stasi gibt. Wir sind auch davon ausgegangen, dass sie uns im Blick hat und dass es viele Spitzel in den Gremien gibt. Aber man hat sich nicht permanent umgedreht und vergewissert, ob da nicht einer hinter einem steht. Da wäre man ja verrückt geworden. Den Versuch eines normalen Lebens gab es in der DDR allemal. Dass ich über zehn Jahre lang zu keinem Gastspiel ins westliche Ausland, nicht mal nach Jugoslawien, mitgenommen wurde, hat natürlich begründete Verdächte aufkommen lassen, die durch die Einsicht der Akte 1993 Gewissheit wurden. Gab es Gespräche, in denen Sie zurechtgewiesen wurden? Ja, natürlich. Der Chef des DDR-Fernsehens hat mich öfters mal zu sich zitiert. Das Gespräch lief immer sehr ähnlich ab. Er sagte: »Du hast doch eine so angenehme Stimme. Es ist doch vollkommen egal, worüber du sprichst. Musst du denn immer in die Dreckecken reinleuchten?« Er duzte mich, ich ihn nicht. Ich erwiderte: »Wenn wir die kabarettistischen Teile herausnehmen, dann fehlt der Sendung das Salz und der Pfeffer.« Er sagte: »Ja, aber brems das doch mal ein bisschen. Ich kriege jedes Mal Anrufe vom Politbüro!« Er meinte damit nicht nur meine Äußerung, sondern auch die von Wolfgang Stumpf. Live durfte die Sendung nie ausgestrahlt werden, damit man allzu unbotmäßige Bemerkungen rausschneiden konnte. Welche positiven Aspekte hatte das Leben in der DDR? Mit dem Land, in dem man seine Jugend verlebt hat und berufliche Erfolge hatte, verbinden einen immer auch angenehme Erinnerungen. Überdies malt der Pinsel der Erinnerung immer gülden. Dennoch empfinde ich Ostalgie bisweilen als etwas kurios. »Kein schöner Land« hätte ich in der DDR nicht überzeugend interpretieren können. Natürlich kann man immer etwas Positives aus dem Gesamtzusammenhang herausnehmen, aber man darf dabei nicht die Kehrseite der Medaille vergessen. Nur drei Beispiele: Die Mieten waren erfreulich niedrig. Es konnte aber kein Hausbesitzer mit diesem Geld sein Haus erhalten – nicht einmal der Staat. Es gab offiziell keine Arbeits­losigkeit, aber es gab eine systembedingte Arbeitsergebnis­losigkeit. Unsere Schwimmer gewannen bei Olympischen Spielen sehr viele Goldmedaillen, eine Schwimmhilfe für meinen Sohn gab es nicht. Darüber hinaus hat man sich in der DDR sehr geholfen, denn Druck erzeugt bekanntlich Wärme, und wenn man im Volk der Jäger und Sammler etwas zu bieten hatte, wurde einem auch geholfen. Die erste Lücke im Eisernen Vorhang kam durch die Grenz­öffnung Ungarns zum Westen hin zustande. Wie haben
Sie die Ereignisse wahrgenommen und empfunden? Hatten Sie Angst vor Eskalation? Man hatte ja vor Augen, was schon einmal geschehen war, 1953 in der DDR, in Ungarn 1956, in der CSSR 1968. In Af­ghanistan sind die Russen einmarschiert und unmittelbar davor hatte man die furchtbaren Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking erlebt. Natürlich hatten wir große Angst. Hatten Sie den Fall der Mauer für jemals möglich gehalten? Das hat niemand gedacht. Als das erste Mal »Die Mauer muss weg« oder »Deutschland einig Vaterland« gerufen wurde – ich war von Anfang an mit auf der Straße –, dachte ich nur: ›Das ist zu früh.‹ Dann überschlugen sich die Ereignisse und die Straße hat das Tempo der Politik vor­gegeben....


Jan Hofer zählt zu den beliebtesten Fernsehmoderatoren in Deutschland. Seit 1986 moderiert er die »Tagesschau« und die »Tagesthemen«, 2004 wurde er Chefsprecher der »Tagesschau«. Vielen ist er als Gastgeber der MDR-Talkshow »Riverboat« bekannt, die er von 1992 bis 2012 moderierte. Er hat zahlreiche Bu¨cher herausgegeben, zuletzt »Liebe Lottofee, anbei meine Zahlen fu¨r kommende Woche«. Die kuriosesten Zuschriften ans Fernsehen (2012).


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