Hoffmann / Lindner | Ein Museum zwischen Innovation und Ideologie | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 848 Seiten

Hoffmann / Lindner Ein Museum zwischen Innovation und Ideologie

Das Salzburger „Haus der Natur“ in der Ära von Eduard Paul Tratz, 1913–1976

E-Book, Deutsch, 848 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6200-3
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das Salzburger Haus der Natur und seine Geschichte sind untrennbar mit der Person von Eduard Paul Tratz verbunden. Tratz gründete in den 1920er Jahren ein innovatives Natur- und Gesellschaftsmuseum, das er 1939 aus opportunistischen Motiven in das SS-„Ahnenerbe“ integrierte und an den biologistischen Zeitgeist anpasste. Nach seiner Internierung durch die US-Besatzungsbehörden wurde Tratz 1949 erneut zum Museumsdirektor bestellt. Damit begann eine zweite Phase der „Ära Tratz“, die durch ein hohes Maß an öffentlicher Wertschätzung bei gleichzeitiger Ausklammerung seines Handelns während der NS-Zeit gekennzeichnet war. Der vorliegende Sammelband ist nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit Tratz’ ambivalenter Persönlichkeit. Er beinhaltet darüber hinaus einen Abriss der Geschichte des Museums als Institution, eine eingehende Darstellung der Kontinuitäten und des Wandels im Ausstellungsbereich sowie eine Geschichte der Sammlungsbestände unter Einbeziehung der Provenienzforschung.
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Zwischen Innovation und Ideologie: Die Ausstellung im Haus der Natur 1924–1976
Susanne Köstering
Das Haus der Natur war ein Museum neuen Typs. Anders als traditionelle Museen speiste es sich nicht aus einer bestehenden Sammlung, sondern es verstand sich als permanente, wachsende und sich verändernde Ausstellung. Andere typische Bereiche der Museumsarbeit, etwa Sammeln und Forschen, spielten demgegenüber eine untergeordnete Rolle. Hauptaufgabe der Museumsmitarbeiter war es, die Ausstellung stets aktuell zu halten, zu überarbeiten und zu erweitern. Die Ausstellung war gleichsam das Museum, und sie war immer im Werden, niemals abgeschlossen. Die Ausstellung des Hauses der Natur auf ideologische Elemente zu untersuchen, ist demnach ein zentraler Aspekt der kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte des Museums. Vermittelte sie biologistisches Gedankengut, rassistische Ideologie? Die Zeit des Nationalsozialismus bildet den Dreh- und Angelpunkt dieser Analyse, die sich indes nicht auf diese Zeit beschränken darf. Der Anspruch dieses Beitrags besteht vielmehr darin, die Ausstellung über die gesamte Zeit des Direktorats Tratz zu rekonstruieren. Die Zeit des Nationalsozialismus wird nicht isoliert, sondern im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und der Verarbeitung nach 1945 betrachtet. Ziel ist es, die Inhalte, die das Haus der Natur seit seiner Gründung 1924 und bis zum Ende der „Ära Tratz“ 1976 durch seine Ausstellung vermittelte, zu rekonstruieren und dabei Kontinuitäten und Brüche herauszuarbeiten. Das bedeutet, das Gesamtkonzept, den inhaltlichen Aufbau, den didaktischen Ansatz und visuelle Strategien zu analysieren. Die gesamte Dramaturgie muss berücksichtigt werden, die Kernbotschaften müssen herauspräpariert werden. Die Betrachtung des Salzburger Natur-Museums und seiner Ausstellung steht im Kontext der Museumsreformbewegung des 20. Jahrhunderts. Immerhin verstand dessen Direktor sich als Teil der Avantgarde der Museumswelt und sein Projekt als Vorbild für andere. Es muss daher nach dem Realitätsgehalt dieser Behauptung gefragt werden: Wie innovativ war das Haus der Natur? Und – vorausgesetzt, sein Innovationspotenzial war tatsächlich groß – lag dann genau darin etwa zugleich ein Gefahrenpotenzial, sich der NS-Ideologie auszuliefern? War das sich stets wandelnde Museum besonders anfällig für politische Einflussnahme, weil es dem Zeitgeist folgte? Die Literaturbasis, auf der die vorliegende Analyse aufbaut, ist schmal. Einen grundlegenden Beitrag zum Salzburger Haus der Natur leistete 1990 die Hamburger Wissenschaftshistorikerin Sabine Schleiermacher, als sie in einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik erstmals das Konzept der Ausstellung des Hauses der Natur im Nationalsozialismus dekonstruierte.1 Entsprechende historische Abhandlungen zu anderen Naturkundemuseen im Nationalsozialismus sind rar, das Feld wird jedoch seit wenigen Jahren intensiver bestellt als zuvor.2 Dagegen darf die für das Fallbeispiel Salzburg relevante Quellenüberlieferung als reichhaltig bezeichnet werden. Tratz ließ sein Museum und dessen Ausstellung bis in das kleinste Detail dokumentieren. Neben Jahresberichten und Museumsführern, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln bieten daher Fotodokumentationen und Arbeitsbücher, Schriftwechsel, Skizzen und Konzepte eine breite Grundlage. Das Fehlen der meisten Aktenbestände aus der Zeit des Nationalsozialismus kann teilweise durch Bestände aus dem deutschen Bundesarchiv kompensiert werden. Das Museum für darstellende und angewandte Naturkunde (1924–1937)
Das frühe 20. Jahrhundert war in Westeuropa geprägt von Nationalismus, Konservatismus, zugleich aber auch von Fortschrittseuphorie und Modernisierung. Reformströmungen im Bereich der Kunst, des Kunstgewerbes, der Lebensführung und des Schulunterrichts forcierten den gesellschaftlichen Aufbruch in die Moderne. Auch die Museumslandschaft geriet in Bewegung. Das Museum – der ehrwürdige Tempel der Wissenschaft und der Kunst – wurde als Ort der Volksbildung neu konstituiert. Pioniere dieser Aufbruchstimmung waren im deutschsprachigen Raum die naturhistorischen Museen. Sie verstanden es zunehmend als ihre Aufgabe, der breiten Bevölkerung, vor allem aus der Arbeiterschaft und dem neuen Mittelstand, Wissen über die Phänomene und Zusammenhänge der Natur zu vermitteln. Die Reformbewegung der Naturkundemuseen durchdrang in Deutschland im späten Kaiserreich das dichte Netz von Museen aller Sparten. Sie trennten ihre wissenschaftlichen Sammlungen von didaktisch konzipierten Ausstellungen. Die Inhalte und Formen der neu geschaffenen Ausstellungen variierten je nach wissenschaftlicher oder ästhetischer Ausprägung, aber allen Konzepten war gemein, dass sie neue wissenschaftliche Perspektiven, Positionen und Disziplinen visualisierten, die sich aus der Evolutionstheorie ableiteten: darunter als die verbreitetsten die Tiergeografie, die Biologie und die Ökologie. Der Erste Weltkrieg bremste die Museumsreform ab, aber in den 1920er Jahren nahm sie erneut Fahrt auf. Inzwischen hatte die Reformbewegung einen neuen Museumstyp hervorgebracht: das Sozial- bzw. Wirtschafts- und Gesellschaftsmuseum. Dieser neue Typ war in Europa seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert aufgekommen, dazu gehörten Technik-, Arbeitsschutz- und Hygienemuseen sowie Museen für Wirtschafts- und Gesellschaftskunde.3 Sie hatten das Ziel, wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischer, sozialer und ökonomischer Anwendung zu verbinden und aufklärend breit in die Gesellschaft hineinzuwirken. Gesundheits- und Sozialvorsorge waren ihre Mission, Wissenschaftspopularisierung ihr Mittel. In ihren von Weltausstellungen und Messen inspirierten Ausstellungen setzten sie neue didaktische Instrumentarien ein, u. a. Modelle, Hands-on-Versuchsanordnungen, Grafiken und statistische Darstellungen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erlebten sie einen Boom. Sie standen prototypisch für Volksbildung, Fortschritt und Modernität. Die Ausstellung in Etappen
Das 1924 in Salzburg eröffnete „Museum für darstellende und angewandte Naturkunde“ fußte auf dem Ansatz, Methoden der Gesellschaftsmuseen auf ein Naturkundemuseum zu übertragen. Damit war es im Kontext der Naturkundemuseen ein Vorreiter. Wirtschafts- und Gesellschaftsmuseen beruhten oftmals auf Initiativen von Einzelpersonen, die in der Wirtschaft tätig waren und der Gesellschaft dienen wollten: Dies gilt beispielsweise für den Ingenieur Otto von Miller in München (Deutsches Museum) und den Odol-Fabrikanten Karl August Lingner in Dresden (Deutsches Hygiene-Museum). In Salzburg war ein Biologe Vater des Gedankens: Eduard Paul Tratz. Eine Universitätskarriere als Biologe war ihm verwehrt, da er keinen akademischen Abschluss vorweisen konnte, seine Kompetenzen befähigten ihn aber durchaus als Museumsgründer und -leiter, denn er brachte Sammeleifer, künstlerische Begabung und eine stark ausgeprägte Ambition, geradezu missionarischen Eifer mit.4 Die Idee Im Dezember 1922 legte Eduard Paul Tratz die Gründungsidee und zugleich eine Vision des „Museums für darstellende und angewandte Naturkunde“ einer größeren Öffentlichkeit dar.5 Als gedanklichen Ausgangspunkt markierte er das Weltbürgertum des modernen Menschen mit dessen Entfremdung von der Natur (Industrialisierung, Zweckdenken, Ausbeutung der Natur) und folgerte daraus, dass die Heimatliebe und die Kenntnis der heimatlichen Natur überaus dringlich in der Bevölkerung zu verankern seien. Dafür solle das Museum geschaffen werden, der Gedanke liege in der Luft, und sein Vogelmuseum in Hellbrunn bei Salzburg habe schon den Ansatz gezeigt, den ein solches Museum haben müsse: 1920 hatte Tratz im Monatsschlössl Hellbrunn ein privates Vogelmuseum eröffnet, dessen Ausstellung auf einem biologischen, d. h. die Lebensweisen der Vogelarten darstellenden Ansatz fußte. Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage stehe dem Vorhaben zwar entgegen, aber es gehe um Höheres, langfristig zu Schaffendes, das sich mit Unterstützung der Bevölkerung und zahlender Besucher, auch Touristen, weitgehend selbst erhalten könne. Die Hürde, ein passendes Gebäude zu finden, könne ebenfalls überwunden werden, denn die leer stehende ehemalige Hofstallkaserne eigne sich bestens für das Museum. Sammlungen seien auch vorhanden, nämlich seine eigene, die städtische und private Sammlungen. Das Museum werde, indem es auch angewandte Naturkunde zeigen würde, das heißt: die Verwertung natürlicher Rohstoffe thematisieren würde, insbesondere der heimischen Wirtschaft nützen. Anschließend an diese Vorrede malte Tratz seine Vision in Form eines gedanklichen Rundgangs durch das Museum aus. Geschickt begann er in der Gegenwart, mit einer Darstellung des Landes Salzburg, die sowohl geografisch angelegt als auch touristisch ausgerichtet war. Von da aus katapultierte er sie in die Vorgeschichte, um sie mit der Entstehung des Bodens, dessen Aufbau, ausgestorbenen Riesentieren, Höhlen, Rohstoffen aus der Erde und deren vielfältigen Verwertungen bekannt zu machen. Er führte sie weiter zum Wasser und zur Wasserkraft, zur Erforschung der Seen, ferner in den Wald mit seinen Holzarten und deren Nutzung sowie seltenen Alpenpflanzen – unter Verweis auf den Naturschutz....


Univ.-Prof. Dr. Robert Hoffmann, lehrte bis zu seiner Pensionierung neuere und österreichische Geschichte am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg. Er forscht und publiziert u. a. zur Gesellschafts-, Kultur- und Zeitgeschichte Salzburgs, Geschichte des Bürgertums in der Habsburgermonarchie, Tourismusgeschichte sowie Geschichte des Wohn- und Siedlungswesens.

Mag. Dr. Robert Lindner, Leiter des Biodiversitätszentrums und der wissenschaftlichen Sammlungen am Haus der Natur, stellvertretender Direktor. Als Kurator der Wirbeltiersammlungen und der Biodiversitätsdatenbank (gleichzeitig Inventardatenbank) beschäftigt er sich unter anderem auch mit der Geschichte von Museumssammlungen und deren Provenienz.


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