E-Book, Deutsch, 448 Seiten
Hogle Ist für immer nicht viel schlimmer?
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26092-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 448 Seiten
ISBN: 978-3-641-26092-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eigentlich hat Naomi alles – einen Job in einem charmanten Tante-Emma-Laden, ein Traumhaus und Nicholas, ihren gut aussehenden Verlobten. Es könnte alles so schön sein, wäre da nicht die Hochzeit. Die Hochzeit, die jedes Budget zu sprengen droht. Die Hochzeit, die ihre übergriffige Schwiegermutter zur eigenen Party umfunktioniert. Die Hochzeit, in der sie ausgerechnet ihn heiraten muss: Nicholas, der sich seit der Verlobung wie ein rücksichtsloser Vollidiot benimmt! Naomi würde sich am liebsten aus dem Staub machen, doch wer die Hochzeit platzen lässt, bleibt auch auf den Kosten sitzen! Da hilft nur eines: Nicholas das Leben zur Hölle machen und dafür sorgen, dass er zuerst das Handtuch wirft. Dumm nur, dass Nicholas wohl dieselbe Idee gehabt zu haben scheint …
Sarah Hogle lebt in Ohio und ist Mutter zweier Kinder. Wenn sie ihrer Familie nicht gerade Streiche spielt oder davon träumt, eines Tages in einem alten Schloss im Wald zu leben, schreibt sie am liebsten romantische und humorvolle Geschichten. »Ist für immer nicht viel schlimmer?« ist ihr erster Roman bei Blanvalet.
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Kapitel 1
Ein Jahr und neun Monate später
Was für ein hässlicher, beschissener Tag. Regen trommelt auf die Windschutzscheibe des ebenfalls beschissenen Autos meines Kollegen, es riecht nach kalten Fritten und Kiefernwald. Leon klopft mit den Fingerkuppen auf dem Lenkrad und beugt sich ein bisschen vor, damit er etwas sehen kann. Die Scheibenwischer bewegen sich bei maximaler Stärke hin und her, aber es regnet so stark, als hätte jemand den Himmel in der Mitte aufgeschlitzt und als würde nun ein Ozean herausfließen.
»Danke noch mal fürs Mitnehmen.«
»Gerne, jederzeit.«
Ich presse meine Lippen zusammen und inhaliere Kiefernwaldgeruch. Was auch immer Leon hier versprüht hat, bevor ich ins Auto gestiegen bin, es wird mich für den Rest des Tages begleiten. Ich weiß nicht sehr viel über ihn, es kann also gut sein, dass er eine Leiche im Kofferraum hat und dass dieses Waldspray den Geruch überdecken soll.
»Es regnet echt stark«, sage ich. Brandy konnte mich nicht mitnehmen, weil ihre Schwester sie schon früh abgeholt hat. Zach ist heute mit dem Motorrad gefahren, was er mittlerweile sicherlich bereut. Melissa hat mir zwar angeboten, mich zu fahren, man konnte ihr aber deutlich ansehen, wie sie gehofft hat, dass ich ablehne, was ich dann auch getan habe. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich immer noch will, dass sie mich mag. Sie ist aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen sehr kalt zu mir, seit ich sie mit einem Freund meines Verlobten bekanntgemacht habe, der, wie sich herausstellen sollte, ein notorischer Fremdgeher ist. Sie denkt, dass Nicholas und ich das wussten und ihr Vertrauen in Männer absichtlich zerstören wollten.
»Ja, es soll die ganze Woche über regnen.«
»Das ist sehr schade für die Kids, die sich auf Halloween freuen.«
Leon schaut mich kurz an, bevor er den Blick wieder auf die Straße richtet. Oder auf das, was er von ihr sieht – ehrlich, ich weiß nicht, wie er es schafft, auf der Straße zu bleiben, denn ich kann nichts sehen. Nach dem, was ich erkennen kann, könnten wir gerade auch übers Feld fahren. Es ist Ende Oktober, und wir haben vier Grad. Letzte Woche hatte ich kurze Hosen an. Und in der Woche davor war es so kalt, dass es fast geschneit hätte. Der Herbst in Wisconsin ist immer ein riesiger Spaß.
»Gibst du ihnen Süßigkeiten?«, fragt Leon.
Eigentlich müsste die Antwort lauten. Ich liebe Süßigkeiten, und ich liebe Kinder, vor allem unausstehliche kleine Jungs, weil ich sie so lustig finde. Den Herbst mag ich auch. Schon den ganzen Monat trage ich Lidschatten in schimmernden Kupfertönen, denn ich will, dass meine Augenlider glühen wie die untergehende Sonne, die schief über einem Kürbisbeet steht.
Der Boden in meinem Schlafzimmer ist ein Durcheinander an weichen Pullis, in denen ich mich fühle wie eine See-Kapitänin, kniehohen Stiefeln und unendlich langen Schals. Jede meiner Mahlzeiten enthält eine Spur Kürbisgewürz. Wenn ich Kürbis nicht esse, inhaliere ich ihn wie eine Abhängige – auf jeder freien Fläche im Haus stehen Kerzen, die nach Essen riechen. Apfelkuchen, Kürbiskuchen, Kürbis pur, Apfel-Kürbis-Mischung.
Auch optisch bin ich der absolute Herbsttyp. Das hat mir die Frau an einem MAC-Schminktisch versichert. Wegen meiner bernsteinfarbenen Augen und dem langen, gerade herunterhängenden kastanienbraunen Haar. Aber in meinem Inneren wusste ich schon längst, dass ich die ultimative Herbst-Bitch bin. Es ist meine DNA.
Zurzeit fühle ich mich aber nicht danach, an Halloween Süßigkeiten zu verteilen. Ich habe nicht einmal dekoriert, was eigentlich meine Lieblingsbeschäftigung zu Beginn einer Saison ist. Ich werde den Halloween-Abend höchstwahrscheinlich alleine in Jogginghose verbringen und irgendwelchen Müll im Fernsehen anschauen, während Nicholas bei einem Freund spielt. Oder ich gehe früh ins Bett, nachdem wir zur Enttäuschung der Kinder billige Reisezahnbürsten und Zahnseide verteilt haben.
»Vielleicht«, sage ich schließlich, denn es ist mir mittlerweile egal, was ich tue. Ich könnte Achterbahn fahren oder eine Einkaufsliste schreiben, mein Begeisterungslevel wäre der gleiche. Und das deprimiert mich. Was mich aber noch stärker deprimiert, ist, dass ich nichts dagegen unternehmen werde.
»Ich würde es tun, wenn ich in einer Straße wohnen würde, in der mehr los ist«, antwortet er. »Dort, wo ich wohne, kommen keine Halloween-Kids hin.«
So etwas wie eine geschäftige Straße gibt es in Morris nicht. Der Ort ist so klein, dass man ihn nur mit Mühe auf der Karte von Wisconsin findet. Es gibt hier nur zwei Ampeln.
Scheinwerferlichter huschen an uns vorbei, Reifen spritzen Wasserwellen wie Moses, der das Rote Meer teilt. Wenn ich hätte fahren müssen, hätte ich schon längst auf einem Parkplatz angehalten und gewartet, bis der Regen nachlässt. Aber Leon ist die Ruhe selbst. Ich frage mich, ob er auch dann so nett dreinguckt, wenn er Leute zerhackt und ihre Leichenteile scheibchenweise über ein Schneidebrett in seinen Kofferraum schiebt.
Andererseits hat Leon mir nie Grund gegeben, mich vor ihm zu fürchten. Ich sollte höflich nachfragen, wo er wohnt oder etwas in die Richtung, aber ich schiele ständig auf die Uhranzeige und frage mich, ob Nicholas wohl schon zu Hause ist. Ich hoffe inständig, dass dem nicht so ist. Der Junk Yard, wo ich arbeite, öffnet täglich um zehn und schließt abends um sechs, außer samstags, da ist er von elf bis sieben geöffnet.
Nicholas ist Zahnarzt und arbeitet in der Praxis Rise and Smile in der Hauptstraße, der Langley Road, auf der wir uns gerade befinden. Er hat um sechs Feierabend. Normalerweise bin ich vor ihm zu Hause, da er immer noch bei seinen Eltern vorbeischaut, um seiner Mutter Kaffee zu bringen oder um sich einen unverständlichen Brief durchzulesen oder wegen was auch immer, über das sie sich täglich bei ihm beschwert. Wenn sie ihn über vierundzwanzig Stunden nicht sieht, funktioniert ihr Betriebssystem nicht mehr.
An diesem Morgen habe ich festgestellt, dass mein Auto einen Platten hat. Während ich dastand und den Reifen anstarrte, erinnerte ich mich an eine Szene aus dem letzten Jahr. Nicholas sagte mir damals, er müsse mir mal zeigen, wie man einen Reifen wechselt. Ich fühlte mich in meinem Stolz verletzt. Wieso ging er davon aus, dass ich das nicht schon längst wusste? Also habe ich erst mal klargestellt, dass ich mich seit Jahren mit der Materie auskenne. Ich bin eine moderne, verantwortungsbewusste und selbstständige Frau. Ich brauche keinen Mann, der mir bei Wartungsarbeiten an meinem Auto hilft.
Nun ist es aber so, dass ich in Wahrheit nicht weiß, wie man einen Reifen wechselt. Heute Morgen war gutes Wetter, und ich hatte keine Ahnung, dass es abends regnen würde, also beschloss ich, zu Fuß zur Arbeit zu gehen – das erklärt meine aktuelle Notlage in Leons Auto. Nach Hause zu laufen, war nicht im Entferntesten eine Option. Der Pulli, den ich anhabe, ist aus Kaschmir.
Meine kleine Lüge übers Reifenwechseln wuchs mir etwas über den Kopf, als Nicholas’ Vater, der leider sehr veraltete Ansichten hat, einen Kommentar darüber abließ, dass Frauen nicht wüssten, wie man Öl wechselt. Ich erwiderte: »Wie bitte? Ich wechsle mein Öl ständig selbst.« Ich habe das aus feministischen Gründen gesagt. Daraus kann mir keiner einen Strick drehen. Und dann habe ich mich damit gerühmt, dass ich schon Stoßdämpfer und Bremsbelege selbst ausgewechselt habe und nie die Hilfe eines Automechanikers brauche. Ich weiß, dass Nicholas misstrauisch ist und versucht, mich zu beobachten, wann immer es etwas an meinem Auto zu tun gibt. Zum Glück erledige ich das immer dann, wenn er in der Arbeit ist, so kann er mich nie in Aktion sehen. Ich schleiche mich dann nämlich wie ein Dieb in die Werkstatt Morris Auto und bezahle Dave immer in bar. Dave ist ein guter Typ. Er hat versprochen, mich niemals zu verpfeifen, und lässt mich die Lorbeeren für seine Arbeit einheimsen.
Jedes Gebäude auf der Langley Road sieht in diesem Regen bläulich und verschmiert aus. Wir fahren an einer Monet-Version von Rise and Smile vorbei, und ich bete, dass Nicholas mich nicht wie durch ein Wunder auf dem Beifahrersitz eines fremden Wagens erkennt. Wenn er davon erfährt, dass ich heute nicht selbst gefahren bin, wird er wissen wollen, warum. Und ich habe keine plausible Erklärung. Er wird herausfinden, dass ich ihn über meine Automechanik-Kenntnisse angelogen habe, und sein süffisantes -Gesicht wird mich so sehr ärgern, dass ich ganz viele Pickel bekommen werde. Dabei ist es eine Unverschämtheit, dass er meine Reparaturkenntnisse überhaupt so kritisch hinterfragt. Es ist sexistisch, davon auszugehen, dass ich nicht weiß, wie man undichte Schläuche und Schleifbänder repariert und was auch immer ein Auto sonst noch dazu bringt, zu machen. Er soll weiterhin an meine Lügen glauben.
Ich will, dass Leon sich beeilt, auch wenn er kaum etwas sieht, und ich würde es sehr begrüßen, wenn ich in diesem Auto, das so riecht, als hätte es einen ganzen Wald auf dem Gewissen, nicht sterben würde. Ich frage mich, wie ich ihn darum bitten kann, sein Leben in Gefahr zu bringen, damit ich Zeit habe, mir YouTube-Tutorials anzugucken, bevor Nicholas nach Hause kommt. Lohnt es sich, dafür von der Straße abzurutschen? Ja, definitiv, das tut es. Ich habe dieses Geheimnis nicht so lange gehegt und gepflegt, dass es jetzt wegen ein bisschen Regen platzt.
Ich hebe einen To-go-Becher vom Boden und drehe ihn um. »Huch, Dunkin’ Donuts? Den sollte...




