Hohlbein Die Templerin - Das Wasser des Lebens
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-19812-1
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Templerin 4
E-Book, Deutsch, 544 Seiten
Reihe: Die Templerin
ISBN: 978-3-641-19812-1
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolfgang und Rebecca Hohlbein haben die Fortsetzung der großen Saga um die legendäre Templerin Robin geschrieben.
Autoren/Hrsg.
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2. KAPITEL
Ein Knecht mit Leinenkutte und geschnürten Sandalen führte Robin am sagenumwobenen Davidsturm vorbei und durch die verwinkelte Festung, die König Balduin seinen Palast nannte – was in Robins Ohren fast beleidigend klang. Ein Palast, das war in ihren Augen insbesondere in diesem Teil der Welt eine große, gut bewachte, aber dennoch wohnliche Residenz – ein Ort, an dem man sich nicht bloß sicher, sondern auch zu Hause fühlen sollte. Hier aber drängten sich Gebäude unterschiedlicher Größe aus sandfarbenen Buckelquadern in scheinbar willkürlicher Anordnung um den Turm des Herodes. Und selbst bei dem gigantischen, aus mindestens zweierlei Baustilen zusammengewürfelten Turm samt Zitadelle konnte von heimeliger Ausstrahlung keine Rede sein. Statt an einen Ort, an dem Prinzessinnen sich wohlfühlten, gemahnte Balduins sogenannter Palast an ein oberirdisches Verlies, in dem man Prinzessinnen gefangen hielt. Bewachte Zellen jedenfalls bot er zu diesem Zweck genug.
Ein labyrinthartiges Gewirr von Wehrgängen, überdachten und offenen Treppen sowie steinernen Balkonen verband die vier- bis achteckigen, tristen Bauten miteinander. Robin erspähte lediglich Schießscharten, durch die sich die Festungsanlage zu allen Seiten hin verteidigen ließ – aber nicht ein einziges Fenster.
Obwohl sie sich am helllichten Tag zunächst überwiegend im Freien durch die Anlage bewegten, war es hinter den Wehrmauern der Festung schattig, beinahe dunkel und dennoch so warm, dass Robin bald bereute, neben ihrem Pferd und den schweren Rüstungsteilen auch ihren Wasserschlauch am Tor zurückgelassen zu haben. Auch der Anblick der zahlreichen Zweierpatrouillen mit dem Wappen des Königs auf blutroten Waffenröcken sowie das beunruhigende Gefühl, aus finsteren Winkeln und Nischen des Gebäudes heraus beobachtet zu werden, trugen nicht zu Robins Wohlbefinden bei. Schließlich jedoch winkte der junge Knecht Robin in eines der kleineren Gebäude hinein – und kaum dass Robin die Türschwelle überschritten hatte, wäre sie am liebsten wieder umgekehrt.
Im Inneren des Gebäudes war es weniger heiß als außerhalb, was vermutlich daran lag, dass sich selbst die trockene Hitze vor dem abscheulichen Gestank nach Verwesung grämte, der Robin fast den Atem nahm. In dem engen, eher niedrigen Raum war es dämmrig – bis auf ein wie ausgeschnitten wirkendes Rechteck auf dem Fußboden unmittelbar vor dem Eingang, in dem sich nun Robins Schatten abzeichnete. Wie die Gestalt eines Dämons, der gekommen ist, um die Überreste der gefangenen Prinzessinnen zu holen, die irgendwo in der Finsternis ganz in der Nähe verwesen, ging es Robin durch den Kopf. Sie schüttelte sich vor Abscheu, überwand sich aber und folgte dem Knecht durch eine unauffällige, erbärmlich quietschende Tür aus armdicken Holzbohlen in einen von Fackeln beleuchteten Gang hinein. Die verwinkelten Gänge waren in flackerndes, orangefarbenes Licht getaucht. Knapp ein halbes Dutzend sperriger Holztüren führten aus dem Gang in einen anderen Teil des unheimlichen steinernen Irrgartens. Balduins Soldaten standen hier in so akribischen Abständen, als wären sie lebendige Gitterstäbe eines riesigen Käfigs. Obwohl kein Einziger von ihnen ihre Ankunft zu registrieren schien, spürte Robin ihre aufmerksamen Blicke bei jedem Schritt im Nacken brennen.
Je tiefer sie in den Palast des Königs eindrangen, desto penetranter wurde der Gestank, wurde zu einer unsichtbaren Wand aus Fäulnis. Dabei war es nicht einmal der süßliche, an Verwesung erinnernde Geruch selbst, der mit jedem Schritt an Intensität gewann, sondern dessen Kombination mit etwas anderem, an und für sich sogar Wohlriechendem, das in unsichtbaren Schwaden durch die Korridore waberte und sich mit dem Geruch von Krankheit, Sterben und Tod zu etwas schier Unerträglichem vermengte. Robin widerstand nur noch mit Mühe dem Impuls, sich die Nase zuzuhalten, als der Knecht schließlich vor einer weiteren hölzernen Tür innehielt, die nicht von einem königlichen Ritter, sondern von einem ganz in Schwarz gekleideten Lazariter beaufsichtigt wurde. Robin wusste, dass sie ihr Ziel erreicht hatten, noch bevor der Bruder des Lazarusordens mit einer Geste beiseitetrat, die einladend sein sollte, durch die eitrigen Pusteln auf seinem bleichen Handrücken aber wie eine stumme Verwünschung wirkte. Der Knecht schob die Tür auf, setzte selbst allerdings keinen einzigen Schritt über die Schwelle. Mit einer tiefen Verbeugung nannte er Robins Namen und trat dann fast fluchtartig den Rückzug an, noch ehe die warme Stimme Balduins, die den jungen Ritter von Tronthoff freundlich einzutreten bat, gänzlich verklungen war. Robin tat wie ihr geheißen und wünschte sich zugleich kaum etwas sehnlicher, als mit dem dunkelhaarigen Knecht tauschen und im Eilschritt von diesem Ort verschwinden zu können.
Robin war dem König bereits zwei Mal zuvor begegnet. Beide Male hatte er ein dunkles Tuch um sein Haupt geschlungen, wie es die Sarazenen in der Wüste taten, und so sein Gesicht verborgen. Hier in seinem Privatgemach jedoch verzichtete der König darauf, die schrecklichen Folgen des Aussatzes zu bedecken. Robins Blicke glitten schutzlos über die nässenden, eiternden Pusteln, die den Körper Balduins bedeckten und im gelben Licht der großzügig verteilten Kerzen glänzten. Einige der offenen Stellen nässten längst nicht mehr, sondern waren schwarz und so trocken, dass abgestorbene Hautpartikel davon abblätterten wie totes Herbstlaub. Robin war sich nicht sicher, ob das linke Ohr des Königs, das sich schwarz unter seinen aschblonden, glanz- und kraftlosen Locken abzeichnete, noch vollständig war oder ob ihm von Natur aus auffällig kleine Ohren beschert waren. Unter Balduins Augen lagen tiefe grauschwarze Ringe, seine Lippen waren dunkel und rissig, und Robin mochte die Unannehmlichkeit, die ihm das Sprechen inzwischen bereiten musste, nicht einmal erahnen.
Sie verneigte sich tief und einen Moment länger als nötig, als der hinfällige König sie mit erstaunlich beschwingter Stimme begrüßte. Aus den Augenwinkeln registrierte sie mit mehr als nur einem Anflug von Unbehagen, dass der Lazariter die Tür hinter ihr geschlossen hatte, sobald sie gänzlich eingetreten war. Balduin und sie blieben allein im Raum zurück.
Als sie wieder zum König aufsah, vermied sie den direkten Blick in sein Gesicht. Stattdessen schaute sie sich in dem Raum um, der ihrem eigenen Schlafgemach unter Salims Dach weder in Größe noch in Pracht auch nur ansatzweise das Wasser reichen konnte. Fast war sie enttäuscht von dem, was der König von Jerusalem sein Privatgemach nannte. Die winzige Kammer gereichte kaum dem Abt einer kleinen Komturei zur Ehre, geschweige denn einem leibhaftigen König von Gottes Gnaden. Es gab nur wenige Möbelstücke: ein großes, aber einfaches Bett, einen klobigen Schrank, einen kleinen Tisch, ein Regal und einen einzigen Stuhl mit ledernem Sitz und Rückenteil, auf dem Balduin – der sich sichtlich um Haltung bemühte – eher kauerte, als dass er saß. Das flackernde Licht trieb gespenstische Schatten über die Wände, während die Kerzen in einem lieblos angefertigten eisernen Leuchter Tränen aus Wachs auf den nackten Boden weinten. Auf dem Tisch glomm Weihrauch in einer flachen Kupferschale, der dem Gestank von Krankheit und Verwesung jene unangenehm würzige Note hinzufügte, die Robin bereits auf dem Hinweg registriert hatte. Neben dem Weihrauchbehälter leuchtete matt eine sarazenische Handlaterne aus Messing mit kunstvoll durchbrochenen Gittertürchen und verlieh dem Raum zumindest einen Hauch von Eleganz. Robin hätte ein sprichwörtliches Königreich für ein Fenster gegeben, aber es gab keines.
Als sie sich Balduin nun erneut zuwandte, war ihr bewusst, dass der richtige Moment, seinen Willkommensgruß zu erwidern, schon lange verstrichen war. Sie versuchte unauffällig, durch den Mund zu atmen, konzentrierte sich auf die smaragdgrünen Augen des Königs und hoffte, dass man ihr den Abscheu nicht mehr allzu deutlich ansehen konnte. Dabei entging ihr nicht, dass Balduins Augen, die für gewöhnlich allem Elend zum Trotz voller Lebenslust waren, sich für einen Wimpernschlag trübten. Sie las Bestürzung in seinem Blick, vielleicht auch Scham, und schämte sich selbst zum zweiten Mal an diesem Tag, anderen mit ihren Empfindungen unrecht getan zu haben. Hoffnungsvoll versuchte sie sich an einem offenen Lächeln, das ihr misslang.
Balduin überspielte ihre verunglückte Grimasse mit einem traurigen und zugleich herzlichen Nicken und winkte sie mit den teils dunkel verfärbten Fingern seiner linken Hand näher zu sich heran. »Robin von Tronthoff«, wiederholte er seinen Gruß. Doch als er sich erheben wollte, um ihr die Hand zu reichen, verließ ihn die Kraft. Mit leiderfülltem Stöhnen sackte er in sich zusammen, obschon sein ausgemergelter Leib kaum mehr wiegen konnte als Robin selbst. Erst jetzt erahnte Robin das Ausmaß der Schmerzen, die er erlitt, und es brach ihr fast das Herz. Der Aussatz ließ seinen jungen Körper bei lebendigem Leib verrotten. Wie konnte Gott das bloß zulassen? Wieso zwang er dem König über das Heilige Land eine solch grausame Prüfung auf?
Balduin überspielte seinen missglückten Versuch, sich zu erheben, mit einem tapferen Lächeln: »Euch frisch und bei guter Gesundheit wiederzusehen wärmt mein geschundenes Herz. Tretet näher, damit ich Euch bestaunen kann. Immerhin ist es das erste Mal, dass ich Euer Gesicht im Wachzustand frei von Blut, Dreck oder Tränen zu sehen bekomme. Und ich muss sagen, es gefällt mir ausgesprochen gut.«
»Danke.« Allem schlechten Gewissen zum Trotz...




