E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Holt Die Lady und der Dämon
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95530-503-1
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-95530-503-1
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Victoria Holt (eines von mehreren Pseudonymen Eleanor Burfords) wurde in London als Tochter eines literaturbegeisterten Kaufmanns geboren. Da mehr Bücher als Geld im Hause waren, begann sie früh zu lesen und bald auch selbst zu schreiben - anfangs Kurzgeschichten, später zahlreiche Romane, die Bestseller wurden und sie zu einer international berühmten Autorin machten.
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Einladung ins Schloß
An einem heißen Junitag gestand mir mein Vater das Geheimnis, das unser beider Leben gänzlich verändern sollte. Nie werde ich mein Entsetzen darüber vergessen. Die Sonne brannte an dem Tag unbarmherzig. Mein Vater schien innerhalb weniger Minuten um Jahre gealtert, und als er mir seinen Blick zuwandte, las ich in seinen Augen Verzweiflung. Jetzt gab es keine Heimlichtuerei mehr. Er wußte, daß er seine Tragödie nicht länger vor mir verbergen konnte.
Selbstverständlich war ich diejenige, die es als erste erfuhr. Ich stand ihm näher als sonst ein Mensch – näher selbst als meine Mutter zu ihren Lebzeiten. Ich war mit allen seinen Stimmungen vertraut: Ich kannte den Triumph des schaffenden Künstlers, sein Ringen, seine Enttäuschungen; denn im Atelier verwandelte sich der sanfte, umgängliche Mann in einen anderen Menschen. Dort verbrachte er die meiste Zeit. Hier spielte sich sein Leben ab. Schon als Fünfjähriger hatte er in diesem Haus, das den Collisons seit hundert Jahren als Wohnsitz diente, seinem Vater bei der Arbeit im Atelier zugesehen. In der Familie erzählte man sich, daß man ihn als vierjährigen Knirps einmal vermißte, bis ihn sein Kindermädchen hier gefunden hatte, wo er mit einem der feinsten Haarpinsel seines Vaters auf einem Stück Pergament malte.
Die Collisons hatten in der Welt der Kunst einen guten Namen. Ihre Miniaturen waren in ganz Europa berühmt, und es gab keine Sammlung von Rang, die nicht wenigstens einen Collison enthielt.
Die Miniaturmalerei war Tradition in unserer Familie. Mein Vater behauptete, das Talent habe sich durch die Generationen vererbt, und um ein großer Maler zu werden, müsse man in der Wiege beginnen. So war es jedenfalls bei den Collisons. Seit dem 17. Jahrhundert malten sie Miniaturen. Ein Vorfahre war Schüler von Isaac Oliver gewesen, der wiederum Schüler keines Geringeren als des berühmten elisabethanischen Miniaturmalers Nicolas Hilliard war.
Bis hin zu meiner Generation hatte stets ein Sohn die Nachfolge seines Vaters angetreten und so nicht nur die Tradition, sondern auch den Namen fortgeführt. Mein Vater aber hatte lediglich eine Tochter – mich.
Das mußte für ihn eine große Enttäuschung gewesen sein, wenngleich er es niemals aussprach. Außerhalb des Ateliers war er ein sehr sanfter Mensch, der stets Rücksicht auf die Gefühle anderer nahm; er sprach ziemlich langsam und wägte seine Worte ab, stets ihrer Wirkung auf andere bedacht. Wenn er arbeitete, war das allerdings anders. Dann schien er völlig besessen: Er vergaß Mahlzeiten, Verabredungen, Verpflichtungen. Zuweilen hatte ich den Eindruck, daß er nur deshalb so fieberhaft arbeitete, weil er sich als den letzten Collison sah. Allmählich erkannte er jedoch, daß dies nicht unbedingt der Fall sein müßte, denn auch ich hatte die Faszination des Pinsels, des Pergaments und des Elfenbeins entdeckt. Ich war entschlossen, die Familientradition fortzuführen, und wollte meinem Vater beweisen, daß eine Tochter nicht minderwertig, sondern ebenso fähig war wie ein Sohn. Das war einer der Gründe, weshalb ich mich mit Begeisterung der Malerei verschrieb. Der andere, weit wichtigere Grund war der, daß ich – ungeachtet meines Geschlechts – das Talent für die subtile Portraitmalerei geerbt hatte. Ich besaß den inneren Antrieb – und war so vermessen anzunehmen, auch die Begabung –, um mit jedem meiner Vorfahren zu wetteifern.
Mein Vater war damals Ende Vierzig, doch seine klaren blauen Augen und sein stets zerzaustes Haar ließen ihn jünger erscheinen. Er war groß – ich hatte gehört, daß man ihn als aufgeschossen bezeichnete – und sehr schlank, wodurch er eine Spur linkisch wirkte. Ich glaube, die Leute waren überrascht, daß dieser recht unbeholfene Mann so delikate Miniaturen schaffen konnte.
Sein Vorname war Kendal; das war Familientradition. Vor langer Zeit hatte ein Mädchen aus dem Seengebiet in die Familie eingeheiratet, und dieser Name war der ihres Geburtsorts. Ferner war es Tradition, daß die Vornamen aller Männer mit Kanfingen, und die Initialen K. C. – so klein in eine Ecke geritzt, daß sie kaum sichtbar waren – waren das Kennzeichen der berühmten Miniaturen. Es hatte oftmals Verwirrung gegeben, welcher der Collisons ein Bild gemalt hatte, und häufig hatte man das Entstehungsdatum erst aus der Wirkungsperiode des Dargestellten herleiten können.
Bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr war mein Vater unverheiratet. Er gehörte zu den Menschen, die alles beiseite schieben, was sie von ihrer Arbeit ablenken könnte. Das galt auch für die Ehe, obwohl er sich, einem Monarchen ähnlich, seiner Pflicht bewußt war, den Erben zu zeugen, der die Familientradition fortführte.
Erst als er zum Wohnsitz des Grafen von Langston in Gloucestershire kam, fühlte er den Wunsch zu heiraten, und das nicht nur als bloßes Pflichtbewußtsein gegenüber der Familie. Der Graf hatte ihn beauftragt, Miniaturen von der Gräfin nebst ihren beiden Töchtern Lady Jane und Lady Katherine – genannt Lady Kitty – zu malen, und Vaters Meinung nach war die Miniatur von Lady Kitty das beste Bildnis, das er je geschaffen hatte. »Ich habe es mit Liebe gemalt«, bemerkte er in seiner sentimentalen Art.
Es war Liebe mit einem romantischen Ausgang obwohl der Graf mit seiner Tochter natürlich anderes im Sinn gehabt hatte. Er war kein sonderlicher Kunstkenner; er wollte lediglich eine Collison – Miniatur, weil er gehört hatte, daß »dieser Collison gut war«.
Mein Vater hatte ihn einen »Banausen« genannt, der glaubte, Künstler seien Bedienstete, die von wohlhabenden Männern gefördert würden. Schließlich hatte er sich für seine Tochter mindestens einen Herzog erhofft.
Das Mädchen Kitty jedoch zeigte sich entschlossen, seinen Willen durchzusetzen, und sie hatte sich ebenso heftig in den Künstler verliebt wie dieser in sie. Sie brannten durch, und Kitty wurde von ihrem erzürnten Vater unterrichtet, daß die Pforten von Schloß Langston ihr auf immer verschlossen seien. Da sie die Torheit besaß, Kitty Collison zu werden, war ihr fortan jegliche Verbindung mit der Familie Langston untersagt.
Lady Kitty schnippte nur mit den Fingern und machte sich für das nach ihren Maßstäben gewiß bescheidene Leben im Hause Collison bereit.
Ein Jahr nach der Hochzeit kam ich auf dramatische Weise zur Welt; ich machte eine Menge Mühe, was Lady Kitty ihre ohnehin nicht sehr robuste Gesundheit kostete. Als halbe Invalidin war sie seither außerstande, noch mehr Kinder zu gebären, und man mußte sich der unangenehmen Wahrheit stellen: Das einzige Kind war ein Mädchen, und das bedeutete anscheinend das Ende des Geschlechts der Collisons.
Man ließ mich freilich niemals fühlen, daß ich eine Enttäuschung war, doch ich kam von selbst dahinter, als ich von den Familientraditionen erfuhr und in das große Atelier hineinwuchs, dessen riesige Fenster so angelegt waren, daß sie das helle Nordlicht einfingen.
Ich erfuhr eine Menge aus dem Dienstbotenklatsch, denn ich lernte schon früh, daß ich durch das Personal mehr erfahren konnte als durch Fragen an meine Eltern.
»Den Langstons ist es immer gelungen, Söhne zu kriegen. Meine Nichte ist bei ’nem Vetter von denen in Stellung. Sie sagt, es is’n feudales Haus. Fünfzig Dienstboten ... mindestens, und das bloß auf’m Land. Die Gnädige ist für das hiesige Leben nicht geschaffen.«
»Meinst du, daß sie’s bedauert?«
»O ja, gewiß. Muß sie doch. All die Bälle und Titel und so ... Sie hätte ‘nen Herzog heiraten können.«
»Aber er ist ein echter Gentleman ... das kann man nicht anders sagen.«
»O ja, da geb’ ich dir recht. Aber er ist eben bloß so ‘ne Art Händler ... verkauft Waren. Oh, ich weiß, es sind Bilder, und das soll ja was anderes sein ... aber es sind nun mal Waren ... und er verkauft sie. Das geht nie gut ... wenn man aus der Reihe tanzt. Klasse und so. Und kein Sohn da, nicht wahr. Sie haben bloß diese Miss Kate.«
»Sie hat Geist, daran ist nicht zu rütteln. Hat was von ’ner Madam.«
»Schlägt eigentlich keinem von beiden nach.«
»Weißt du, was ich meine? Er hätte eine kräftige junge Frau heiraten sollen ... eine von seinem Stand ... natürlich, eine Dame ... Tochter eines Gutsherrn oder so ... Er wollte zu hoch hinaus. Dann hätte seine Frau jedes Jahr ein Baby haben können, bis der Sohn gekommen wäre, der alles über die Malerei lernen könnte. So hätte es sich gehört. Das kommt davon, wenn man außerhalb seiner eigenen Klasse heiratet.«
»Glaubst du, das macht ihm was aus?«
»Klar macht ihm das was aus. Er wollte einen Sohn. Und unter uns gesagt, die Gnädige hält nicht allzuviel von dieser Malerei. Aber wenn die Malerei nicht wäre, hätte er sie nicht kennengelernt, oder? Und wer weiß, ob das nicht das Beste gewesen wäre?«
So lernte ich begreifen.
Als ich von dem Geheimnis erfuhr, war seit dem Tod meiner Mutter ein Jahr vergangen. Das war ein schwerer Schlag für uns gewesen. Sie war sehr schön, und das hatte meinem Vater und mir genügt. Sie hatte gern Blau getragen, das zu ihren Augen paßte, und ihre Nachmittagskleider waren mit Spitzen und Bändern reich verziert. Da sie seit meiner Geburt eine halbe Invalidin war, fühlte ich mich in gewisser Weise dafür verantwortlich, aber ich tröstete mich damit, daß sie es im Grunde genoß, auf ihrem Sofa zu liegen und Leute zu empfangen, wie eine Königin auf ihrem Diwan. Wenn sie ihre sogenannten »guten Tage« hatte, spielte sie Klavier oder arrangierte Blumen, und manchmal lud sie auch Gäste ein – vornehmlich aus der Nachbarschaft.
Die Farringdons wohnten im nächstgelegenen Gutshaus, und...




