E-Book, Deutsch, 432 Seiten
Holt Tanz der Masken
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95530-510-9
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 432 Seiten
ISBN: 978-3-95530-510-9
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
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Victoria Holt (eines von mehreren Pseudonymen Eleanor Burfords) wurde in London als Tochter eines literaturbegeisterten Kaufmanns geboren. Da mehr Bücher als Geld im Hause waren, begann sie früh zu lesen und bald auch selbst zu schreiben - anfangs Kurzgeschichten, später zahlreiche Romane, die Bestseller wurden und sie zu einer international berühmten Autorin machten.
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Drei Wünsche im Zauberwald
Ich sitze in der Falle. Ich bin in einem Netz gefangen, und es ist nur ein kleiner Trost, daß ich das Netz selbst gesponnen habe. Der Gedanke an die Tragweite dessen, was ich getan habe, erfüllt mich mit lähmender Angst. Ich habe niederträchtig, vielleicht sogar verbrecherisch gehandelt; jeden Morgen, wenn ich aufwache, schwebt eine drohende Wolke über mir, und ich frage mich, welch neues Mißgeschick dieser Tag für mich bereithält. Wie oft habe ich gewünscht, ich hätte nie von Susannah, Esmond und den anderen gehört – besonders aber von Susannah. Ich wünsche, ich hätte nie einen Blick auf Mateland geworfen, dieses stattliche, ehrwürdige Schloß, das mit seinem mächtigen Pförtnerhaus, seinen grauen Mauern und Zinnen wie der Schauplatz eines Ritterromans aus dem Mittelalter wirkte. Dann wäre ich nie in Versuchung geraten.
Am Anfang sah alles so einfach aus, und ich war so verzweifelt. »Dieser alte Teufel packt dich am Ellbogen und verführt dich«, hätte meine alte Freundin Cougaba auf der Vulkaninsel gesagt. Es stimmte. Der Satan hatte mich verführt, und ich war der Versuchung erlegen. Deshalb befinde ich mich hier auf Schloß Mateland und suche, gefangen und verzweifelt nach einem Ausweg aus einer Lage, die mit jedem Tag bedrohlicher wird.
Die Anfänge liegen weit zurück – eigentlich begann alles schon vor meiner Geburt. Es ist die Geschichte meines Vaters und meiner Mutter; es ist die Geschichte Susannahs – und natürlich auch meine. Doch als mir zum erstenmal bewußt wurde, daß es mit mir eine besondere Bewandtnis hatte, war ich gerade erst sechs Jahre alt.
Ich verbrachte die frühen Jahre meiner Kindheit in der Holzapfelhütte am Dorfanger von Cherrington. Der Anger lag im Schatten der Kirche. In seiner Mitte befand sich ein Weiher. An schönen Tagen ließen sich dort die alten Männer auf der Holzbank nieder und verplauderten den Vormittag. Auch ein Maibaum stand auf dem Anger, und am ersten Mai wählten die Dorfbewohner eine Königin. Ich beobachtete die Feierlichkeiten durch die Ritzen der Jalousien vor dem Fenster der guten Stube, sofern es mir gelang, den wachsamen Augen Tante Amelias zu entkommen.
Tante Amelia und Onkel William waren sehr fromm und meinten, der Maibaum sollte entfernt werden und mit diesen heidnischen Bräuchen müsse Schluß sein; doch glücklicherweise waren wir anderen nicht dieser Ansicht.
Wie gerne wäre ich dort draußen gewesen. Ich sehnte mich danach, das junge Grün aus den Wäldern zu holen, eines der Bänder zu ergreifen und mit den ausgelassen Feiernden um den Maibaum zu tanzen. Ich hielt es für den Gipfel der Glückseligkeit, zur Maikönigin gewählt zu werden. Doch für diese Ehre mußte man wenigstens sechzehn Jahre alt sein, und ich war damals noch nicht einmal sechs.
Ich hätte mein seltsames Leben vermutlich noch eine ganze Weile so hingenommen, wären da nicht all diese Winke und Andeutungen gewesen. Einmal hörte ich Tante Amelia sagen: »Ich weiß nicht, ob wir auch das Richtige getan haben, William. Miss Anabel hat mich gebeten, und ich gab einfach nach.«
»Denk doch auch an das Geld«, mahnte Onkel William.
»Aber es bedeutet doch, daß wir eine Sünde billigen.«
Onkel William versicherte ihr, daß niemand behaupten könne, sie hätten gesündigt.
»Wir haben einer Sünderin vergeben, William«, beharrte sie.
William erwiderte, sie hätten keine Schuld auf sich geladen. Sie hätten nur getan, wofür sie bezahlt würden, und womöglich könnten sie damit der Hölle eine Seele entreißen.
»Die Sünden der Väter werden den Kindern vergolten«, erinnerte ihn Tante Amelia.
Er nickte nur und ging hinaus zum Holzschuppen, wo er eine Weihnachtskrippe für die Kirche schnitzte.
Mir wurde allmählich klar, daß Onkel William nicht so ausschließlich danach strebte, gut zu sein, wie Tante Amelia. Er lächelte hin und wieder – zwar ein verschämtes Lächeln, aber es deutete sich doch zuweilen an; und als er mich einmal während der Festlichkeiten am ersten Mai durch die Jalousien spähen sah, ging er ohne etwas zu sagen aus dem Zimmer.
Gewiß, ich schreibe dies erst nach Jahren auf, doch ich glaube mich zu erinnern, daß ich sehr bald merkte, daß in Cherrington gewisse Mutmaßungen über mich geäußert wurden. Onkel William und Tante Amelia waren ein für die Betreuung eines Kindes ungeeignetes Paar.
Matty Grey, die eine der Hütten am Anger bewohnte und an Sommertagen vor ihrer Tür zu sitzen pflegte, galt im Dorf als eine Art Original. Ich plauderte gern mit Matty, wann immer es mir möglich war. Das wußte sie, und wenn ich in ihre Nähe kam, stieß sie seltsame schnaufende Laute aus, und ihr fetter Körper zitterte, was ihre Art zu lachen war. Dann rief sie mich zu sich und lud mich ein, mich zu ihren Füßen niederzusetzen. Sie nannte mich »armes kleines Würmchen« und befahl ihrem Enkel Tom, ja nett zur kleinen Suewellyn zu sein.
Mein Name gefiel mir recht gut. Er war von Susan Ellen abgeleitet. Ich glaube, das »w« hatte man dazwischengeschoben, um die zwei nebeneinanderstehenden »e« zu trennen. Ich fand den Namen hübsch. Ausgefallen. In unserem Dorf gab es eine Menge Ellens und eine Susan, die Sue gerufen wurde. Aber Suewellyn war einmalig.
Tom gehorchte seiner Großmutter. Er sorgte dafür, daß die anderen Kinder aufhörten, mich zu hänseln, weil ich anders war. Ich besuchte die private Elementarschule, deren Vorsteherin eine ehemalige Gouvernante vom Gutshaus war. Sie hatte die Tochter des Gutsherrn unterrichtet. Als die junge Dame ihre Dienste nicht mehr benötigte, hatte sie ein kleines Haus unweit der Kirche bezogen und eine Schule eröffnet, in welche nun die Dorfkinder gingen. Unter ihnen war auch Anthony, der Sohn der Tochter des Gutsherrn. Nach einem Jahr würde er einen Hauslehrer bekommen, und später würde er ins Internat gehen. Es war schon eine buntgemischte Gesellschaft, die sich da in Miss Brents Stube versammelte und mit Holzstäbchen Buchstaben in mit Sand gefüllte flache Kästen kritzelte und das Einmaleins herunterleierte. Wir waren zwanzig, im Alter von fünf bis elf, aus allen Volksschichten; für manche war die Ausbildung mit elf Jahren zu Ende, andere würden sie fortsetzen. Außer dem Erben des Gutsherrn waren da noch die Töchter des Arztes und die drei Kinder eines ortsansässigen Bauern sowie all diejenigen, die so waren wie Tom Grey. Unter ihnen war ich das einzige Kind, das ungewöhnlich war.
Mit mir hatte es nämlich etwas Geheimnisvolles auf sich. Ich war bereits geboren, ehe ich eines Tages im Dorf auftauchte. Die Ankunft der meisten Kinder war sonst ein vielbesprochenes Ereignis, bevor der Neuankömmling wirklich in Erscheinung trat. Mit mir war das anders. Ich lebte bei einem Ehepaar, das für die Betreuung eines Kindes höchst ungeeignet war. Ich war immer gut angezogen und trug zuweilen Kleider, die weit kostspieliger waren, als es der Stand meiner Pflegeeltern erlaubt hätte.
Dann waren da die Besuche. Einmal im Monat kam sie.
Sie war schön. Sie fuhr in der Bahnhofsdroschke vor der Hütte vor, und ich wurde zu ihr in die gute Stube geschickt. Ich wußte, daß es ein bedeutendes Ereignis war. Denn die gute Stube wurde nur zu besonderen Gelegenheiten benutzt etwa wenn der Pfarrer zu Besuch kam. Die Jalousien waren stets heruntergelassen, aus Furcht, die Sonne könnte den Teppich ausbleichen oder den Möbeln schaden. Hier herrschte eine heilige Atmosphäre. Vielleicht lag es an dem Bild von Christus am Kreuz oder an dem Heiligen – ich glaube, es war Sankt Stephan –, in dem lauter Pfeile steckten und aus dessen Wunden Blut tropfte; gleich daneben hing ein Jugendbildnis unserer Königin, die sehr streng, hochmütig und mißbilligend dreinschaute. Das Zimmer wirkte bedrückend auf mich, und nur bei verführerischen Ereignissen, wie es die Festlichkeiten am ersten Mai wären, traute ich mich hinein, um durch die Ritzen auf das übermütige Treiben auf dem Anger zu spähen.
Doch wenn sie da war, war das Zimmer wie verwandelt Sie hatte prachtvolle Kleider. Sie trug stets mit Rüschen und Bändern besetzte Blusen, lange Glockenröcke und kleine, mit Federn und Schleifen verzierte Hüte.
Sie sagte jedesmal: »Hallo, Suewellyn!«, so, als sei sie mir gegenüber ein wenig schüchtern. Dann lief ich auf sie zu und ergriff ihre ausgestreckte Hand. Sie hob mich hoch und musterte mich so eindringlich, daß ich mich ängstlich fragte, ob mein Scheitel gerade war und ob ich nicht vergessen hatte, mich hinter den Ohren zu waschen.
Wir setzten uns nebeneinander auf das Sofa. Eigentlich haßte ich dieses Sofa. Es war aus Roßhaar und pikte sogar durch meine Strümpfe hindurch an den Beinen; doch wenn sie da war, merkte ich nichts davon. Sie stellte mir eine Menge Fragen, die alle mich betrafen. Was aß ich gern? War mir im Winter kalt? Wie ging es mir in der Schule? Waren alle nett zu mir? Als ich lesen lernte, wünschte sie, daß ich ihr zeigte, wie gut ich es beherrschte. Sie drückte mich an sich, und wenn die Droschke wieder vorfuhr, um sie zum Bahnhof zu bringen, umarmte sie mich und machte ein Gesicht als würde sie gleich weinen.
Das war alles sehr schmeichelhaft. Denn wenn sie sich auch eine Weile mit Tante Amelia unterhielt und ich unterdessen aus der guten Stube geschickt wurde, schien es doch, als ob ihre Besuche vornehmlich mir galten.
Wenn sie fort war, kam es mir vor, als habe sich im Haus etwas verändert Onkel William sah aus, als strenge er sich mächtig an, damit seine Miene sich zu einem Lächeln verzog, und Tante Amelia ging umher und murmelte vor sich hin: »Ich weiß nicht,...




