Holt | Unter dem Herbstmond | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 656 Seiten

Holt Unter dem Herbstmond


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95530-515-4
Verlag: Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 656 Seiten

ISBN: 978-3-95530-515-4
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'Wenn ein Mädchen sich zur Zeit des Herbstmondes unter die große Eiche setzt, kann sie den Mann sehen, den sie einmal heiraten wird.' So lautet eine alte Sage, die der jungen Cordelia Grant nicht mehr aus dem Kopf geht, nachdem sie im Herbst in der Schweiz einem geheimnisvollen Fremden gegegnet ist. Sie verliert ihn wieder aus den Augen, doch muss sie selbst dann noch an ihn denken, als der reiche Grundbeseitzer Sir Jason Verringer um sie wirbt ... Victoria Holt, die Meistererzählerin des Unheimlichen, verbindet in diesem aufregenden Roman ein Höchstmaß an Spannung mit einer romantischen Handlung, die den Leser bis zur letzten Seite fesselt.

Victoria Holt (eines von mehreren Pseudonymen Eleanor Burfords) wurde in London als Tochter eines literaturbegeisterten Kaufmanns geboren. Da mehr Bücher als Geld im Hause waren, begann sie früh zu lesen und bald auch selbst zu schreiben - anfangs Kurzgeschichten, später zahlreiche Romane, die Bestseller wurden und sie zu einer international berühmten Autorin machten.
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Die Erscheinung im Wald


Ich war neunzehn, als ich das Erlebnis mit »der Erscheinung im Wald« hatte. Rückblickend mutet es fast mystisch an, wie etwas, das in einem Traum geschah. Tatsächlich war mir oftmals, als hätte sich alles nur in meiner Phantasie abgespielt, obwohl ich schon immer nüchtern veranlagt und keineswegs verträumt war; allerdings war ich recht unerfahren, ich ging damals noch zur Schule und war gerade dabei, meine Kinderschuhe abzustreifen.

Es geschah Ende Oktober an einem Nachmittag in einem Wald in der Schweiz, nicht weit von der deutschen Grenze, im letzten Jahr meines Aufenthalts in einer der vornehmsten Schulen Europas. Tante Patty hatte darauf bestanden, daß ich dort »den letzten Schliff« erhielt.

»Zwei Jahre dürften genügen«, sagte sie. »Es kommt nicht so sehr darauf an, was du dort lernst, sondern was man dir nach Meinung der Leute dort beigebracht hat. Wenn die Eltern hören, daß eine von uns in Schaffenbrucken ausgebildet wurde, werden sie ihre Töchter unbedingt auf unsere Schule schicken wollen.«

Tante Patty war Vorsteherin einer Mädchenschule, und nach Beendigung meiner Ausbildung sollte ich ihr dort zur Hand gehen. Für diese Aufgabe mußte ich die besten Voraussetzungen mitbringen, und durch den »letzten Schliff« sollte ich zum unwiderstehlichen Köder für Eltern werden, die den Wunsch hegten, daß etwas vom Glanz Schaffenbruckens auf ihre Töchter abfärbte.

»Snobismus«, murrte Tante Patty, »schierer Snobismus. Aber was sollen wir anderes machen, wenn nur dadurch Patience Grants exklusivem Institut für junge Damen zu einem ansehnlichen Profit verholfen wird?«

Tante Patty war wie eine Tonne anzuschauen; sie war klein und ausgesprochen mollig. »Ich ess’ nun mal gern«, pflegte sie zu sagen, »warum soll ich’s mir da nicht schmecken lassen? Ich halte es für die Pflicht und Schuldigkeit eines jeden Erdenbürgers, die guten Dinge zu genießen, die uns der Herr beschert hat, und Roastbeef und Schokoladenpudding wurden erfunden, um gegessen zu werden.«

Die Verpflegung in Patience Grants Institut für junge Damen war vorzüglich – sie unterschied sich deutlich von der Kost, die in vielen ähnlichen Etablissements aufgetischt wurde. Tante Patty war nicht verheiratet, »aus dem einfachen Grund«, wie sie sagte, »weil niemand um mich angehalten hat. Ob ich ja gesagt hätte, das steht auf einem anderen Blatt, aber da sich mir das Problem nie gestellt hat, braucht weder meine Wenigkeit noch sonst wer sich darüber den Kopf zu zerbrechen.«

Sie ließ sich ausführlich über das Thema aus. »Ich war die geborene Sitzenbleiberin«, erzählte sie, »das ewige Mauerblümchen. Denk nur, damals, bevor ich durch mein Übergewicht so unbeweglich war, konnte ich auf Bäume klettern, und wenn ein Junge es wagte, mich an den Zöpfen zu ziehen, dann mußte er schleunigst verschwinden, wenn er einen Kampf vermeiden wollte, aus dem ich, meine liebe Cordelia, unweigerlich als Siegerin hervorgegangen wäre.«

Das glaubte ich gern, und oft dachte ich, wie dumm die Männer doch seien, da keiner von ihnen genügend Verstand besaß, um Tante Pattys Hand anzuhalten. Sie wäre eine vorbildliche Ehefrau geworden; so aber war sie mir eine vorbildliche Mutter. Meine Eltern hatten sich der Missionarsarbeit in Afrika gewidmet. Man bezeichnete sie als Heilige, aber wie viele Heilige waren sie so sehr damit beschäftigt, die Welt im großen zu bekehren, daß sie sich kaum um die Probleme ihrer kleinen Tochter kümmerten. Ich kann mich nur undeutlich erinnern – ich war erst sieben Jahre alt, als ich heim nach England geschickt wurde –, wie sie mich manchmal mit vor Eifer und Hingabe glühenden Gesichtern betrachteten, als seien sie nicht ganz sicher, wer ich war. Später habe ich mich gefragt, wie sie in ihrem Leben voll guter Werke überhaupt die Zeit und die Lust gefunden hatten, mich zu zeugen.

Jedenfalls – und wohl zu ihrer ungeheuren Erleichterung – stand fest, daß ein Leben im afrikanischen Dschungel nicht das Rechte sei für ein Kind. Ich sollte nach Hause geschickt werden, und wohin konnte man mich schicken außer zu Patience, der Schwester meines Vaters?

Jemand von der Mission, der vorübergehend nach Hause fuhr, nahm mich mit. An die lange Reise kann ich mich nur verschwommen erinnern, aber die rundliche Gestalt von Tante Patty, die mich erwartete, als ich von Bord ging, wird mir unvergeßlich bleiben. Als allererstes fiel mir ihr Hut auf, ein Prachtstück mit einem Vogel obenauf. Tante Patty hatte eine Schwäche für Hüte, die derjenigen fürs Essen beinahe gleichkam. Oftmals behielt sie sie sogar im Haus auf. Da stand sie also – die Augen durch eine Brille vergrößert; ihr Vollmondgesicht glänzte von Wasser und Seife und joi de vivre unter dem prachtvollen Hut mit dem wippenden Vogel, als sie mich an ihren gewaltigen, nach Lavendel duftenden Busen drückte.

»Da bist du also«, lächelte sie. »Alans Tochter ... heimgekehrt.«

Und in diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, tatsächlich heimgekehrt zu sein.

Ungefähr zwei Jahre später starb mein Vater an der Ruhr, und wenige Wochen darauf erlag meine Mutter derselben Krankheit.

Tante Patty zeigte mir die Artikel in den frommen Blättern. »Sie opferten ihr Leben im Dienste Gottes«, hieß es da.

Ich fürchte, ich trauerte nicht sehr. Ich hatte meine Eltern fast vergessen und erinnerte mich höchst selten an sie. Das Leben in Grantley Manor, der alten elisabethanischen Villa, die Tante Patty zwei Jahre vor meiner Geburt von ihrem väterlichen Erbe gekauft hatte, nahm mich gänzlich gefangen.

Wir führten ausführliche Gespräche, Tante Patty und ich. Sie nahm kein Blatt vor den Mund. Später machte ich die Erfahrung, daß die meisten Menschen Geheimnisse haben. Nicht so Tante Patty. Sie ließ ihren Worten freien Lauf.

»Als ich noch zur Schule ging«, berichtete sie, »machte mir das Leben großen Spaß, aber ich hatte nie genug zu essen. Sie haben die Suppe verwässert. Montags nannten sie es Brühe. Die war nicht schlecht. Dienstags war sie ein bißchen dünner, und am Mittwoch war sie so schwach, daß ich mich fragte, wie lange das so weitergehen könnte, bis es sich nur noch um reines H2O handelte. Das Brot war stets altbacken. Ich glaube, durch die Schule bin ich zur Feinschmeckerin geworden; denn ich schwor mir, wenn ich sie hinter mir hätte, würde ich schlemmen und schlemmen. Wenn ich eine Schule leiten würde, sagte ich mir, sollte alles ganz anders sein. Und als ich dann zu Geld kam, fragte ich mich, warum nicht? ›Es ist ein Hasardspiel‹, meinte der alte Lucas. Das war der Anwalt. ›Na und?‹ sagte ich, ›ich mag Hasardspielen Und je mehr er dagegen war, um so mehr war ich dafür. So bin ich eben. Wenn mir einer erklärt, ›Nein, das geht nicht‹, sage ich, so wahr ich hier sitze, ›Doch, das geht.‹ Ich fand die Villa ... sie war gar nicht so teuer, auch wenn einiges renoviert werden mußte. Genau das Richtige für eine Schule. Ich taufte sie Grantley Manor. Grant, wie mein Name. Da hat sich ein bißchen von dem dummen Snobismus eingeschlichen. Miss Grant auf Grantley. Da denkt man doch, die leben hier seit Jahrhunderten, findest du nicht? Da stellt man keine Fragen; man denkt es einfach. Das ist gut für die Mädchen. Ich wollte Grantleys Institut zum vornehmsten Internat des Landes machen, wie dieses Schaffenbrucken in der Schweiz.«

Das war das erste Mal, daß ich von Schaffenbrucken hörte. Sie erklärte es mir. »Alles ist da genau bedacht. Schaffenbrucken wählt seine Schülerinnen sorgfältig aus, und es ist nicht einfach, dort unterzukommen. ›Ich fürchte, wir haben keinen Platz für Ihre Amelia, Madame Smith. Versuchen Sie es im nächsten Schuljahr wieder. Wer weiß, vielleicht haben Sie Glück. Wir sind besetzt und haben eine Warteliste.‹ Eine Warteliste! Das ist eine magische Vokabel im Wortschatz einer Schulvorsteherin. Das hoffen wir alle zu erreichen ... daß die Leute darum kämpfen, ihre Töchter in unserer Schule unterzubringen, statt daß wir sie, wie es gewöhnlich der Fall ist, umwerben müssen.«

»Schaffenbrucken ist teuer«, gab sie ein andermal zu, »aber ich glaube, es ist jeden Pfennig wert. Man lernt Französisch und Deutsch bei Leuten, die es richtig aussprechen, weil es ihre Muttersprache ist; man bekommt Anstandsunterricht, kann tanzen lernen, und gehen übt man, indem man ein Buch auf dem Kopf balanciert. Ja, sagst du, das wird einem in tausend Schulen beigebracht. Gewiß, aber man sieht dich mit ganz anderen Augen an, wenn der Glanz von Schaffenbrucken dich verklärt.«

Ihre Rede war stets vom eigenen Gelächter unterbrochen.

»Du brauchst ein wenig Schaffenbruckener Flair, meine Liebe«, konstatierte sie. »Dann kommst du zurück, und wenn sich herumspricht, wo du gewesen bist, werden die Mütter ihre Töchter nur noch zu uns schicken. ›Was Benehmen betrifft, da ist Miss Cordelia Grant führend. Sie war in Schaffenbrucken, wissen Sie.‹ O ja, meine Liebe, wir werden ihnen einflüstern, daß wir eine Warteliste haben mit jungen Damen, die danach lechzen, von Miss Cordelia Grant, behaftet mit dem Glorienschein von Schaffenbrucken, in den gesellschaftlichen Feinheiten unterwiesen zu werden.«

Es war von vornherein ausgemacht, daß ich, wenn ich »fertig« wäre, an Tante Pattys Schule unterrichten würde.

»Eines Tages«, erklärte sie, »wird sie dir gehören, Cordelia.«

Ich wußte, sie meinte, wenn sie tot sei; doch – ich konnte mir eine Welt ohne sie nicht vorstellen. Mit ihrem glänzenden Gesicht, ihren Lachanfällen, ihren geistreichen Reden, ihrem maßlosen Appetit und ihren übertriebenen Hüten war sie der Mittelpunkt meines Lebens.

Als ich...



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