Hormayr | Aufbruch in die „Heimat des Proletariats“ | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 27, 160 Seiten

Reihe: Studien zu Geschichte und Politik

Hormayr Aufbruch in die „Heimat des Proletariats“

Tiroler in der Sowjetunion 1922–1938
mit zahlreichen Abb.
ISBN: 978-3-7065-6246-1
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Tiroler in der Sowjetunion 1922–1938

E-Book, Deutsch, Band 27, 160 Seiten

Reihe: Studien zu Geschichte und Politik

ISBN: 978-3-7065-6246-1
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Annähernd 80.000 ÖsterreicherInnen entschlossen sich in der Zwischenkriegszeit, ihre Heimat zu verlassen. Mehr als 3.000 davon führte die Suche nach Arbeit und Verdienst in die Sowjetunion. Ehemalige in russische Kriegsgefangenschaft geratene Soldaten der k.u.k. Armee blieben im Land oder kehrten nach ihrer Entlassung dorthin zurück, andere beteiligten sich an (meist kurzlebigen) in Österreich beworbenen Siedlungsprojekten. Ende der 1920er Jahre verstärkte die Sowjetunion erfolgreich ihre Bemühungen um eine Rekrutierung von westlichen Facharbeitern und Ingenieuren. Am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise war das Angebot eines gesicherten Einkommens auch für viele Österreicher attraktiv. Neben wirtschaftlichen Motiven stand die von europäischen Intellektuellen mitgetragene Begeisterung für das sozialistische Experiment.

Unter den Auswanderern und Politemigranten – und am Ende Opfern des Stalinschen Terrors – waren auch Tiroler. Ihren Spuren wird in der vorliegenden Studie nachgegangen. Sie verfolgt die Lebenswege des Schriftstellers Thomas Moser aus Erl und des Stubaier Bauern Josef Hofer, der es zum Bürgermeister einer sibirischen Kleinstadt brachte, ebenso wie die des Innsbrucker Sozialdemokraten Otto Deschmann, des Chemiestudenten Emmerich Übleis oder des Leninschülers Romed Pucher. Ausführlich dargestellt werden die Folgen der Februarkämpfe 1934 im Raum Wörgl anhand des gut dokumentierten Schicksals der Familie Sappl.

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Auswanderungsland Sowjetunion
„Hier wird eine neue Welt gebaut“– Der Traum vom sozialistischen Paradies
Die wirtschaftliche Not der Nachkriegsjahre, die mit der Weltwirtschaftskrise in den Industrieregionen einsetzende Massenarbeitslosigkeit und politische Verfolgung im austrofaschistischen Ständestaat machten für 80.000 österreichische StaatsbürgerInnen die Emigration zur einzigen Hoffnung auf ein besseres Leben. Den weitaus größten Anteil stellten das Burgenland und Wien, gefolgt von Niederösterreich und der Steiermark. Für Tirol registrierte das dem Bundeskanzleramt zugeordnete Wanderungsamt 1.954 Personen (1919 bis 1937), mit einem auch im übrigen Österreich zu beobachtenden Höhepunkt im Jahr 1923.1 Die bevorzugten Ziele der Auswanderer befanden sich in Nord- und Südamerika. Private Auswanderungsvereine bewarben Siedlungsunternehmungen, misstrauisch beobachtet durch die Behörden, die in vielen Fällen nicht zu Unrecht an der Seriosität der Vereinsfunktionäre zweifelten.2 Der Antrag auf Genehmigung zur Gründung eines Vereins „Kolonie Innsbruck“, der Arbeitsangebote und Projekte in Brasilien vermitteln wollte, wurde von der Tiroler Landesregierung aus diesem Grund untersagt. Man befürchtete, dass in Not geratene Tiroler nicht ausreichend über die Risiken einer Auswanderung aufgeklärt würden.3 Annähernd 3.000 Österreicher brachen in die Sowjetunion auf. In den ersten Nachkriegsjahren handelte es sich vielfach um ehemalige österreichische Kriegsgefangene, denen nach ihrer Rückkehr aus Russland jede Lebensgrundlage in der Heimat fehlte.4 Österreichische Facharbeiter und Ingenieure stellten etwa 20 % der im Rahmen der Umsetzung des ersten Fünfjahresplans zwischen 1928 und 1932 in Westeuropa und Amerika angeworbenen „Spezialisten“.5 Mit Stolz meldete die Rote Fahne allein für das Jahr 1931 die Zahl von 1.262 Emigranten aus Österreich, deutlich mehr als für jedes andere Auswanderungsland – nur die Sowjetunion könne in der weltweiten Krise des kapitalistischen Systems Werktätigen die Gründung einer sicheren Existenz bieten.6 Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 1.9.1923, 15 Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 25.6.1926, 5 Genährt wurden derartige Hoffnungen auch durch die Berichte von TeilnehmerInnen an Arbeiterdelegationen, die ab 1925 auf Einladung der Regierung die Sowjetunion besuchten. Sie trafen Vertreter von Genossenschaften und Gewerkschaften ebenso wie prominente Politiker, besichtigten Betriebe und bestaunten kulturelle Einrichtungen, in der Regel ohne sich der in allen Einzelheiten vorbereiteten und überwachten Abläufe bewusst zu sein. Begeisterte Gefühle der Solidarität mit der russischen Arbeiterklasse erfasste in diesen Jahren KP-AnhängerInnen wie SozialdemokratInnen gleichermaßen, Intellektuelle aus ganz Europa lieferten euphorische Reiseberichte. Vielen Jüdinnen und Juden, die sich 1918 der KPÖ angeschlossen hatten, galt die Sowjetunion der Jahre nach der Revolution als Gelobtes Land.7 Mit der Organisation von Delegationsreisen war die „Kommission für auswärtige Verbindungen des Zentralrats der russischen Gewerkschaften“ betraut, die nichts dem Zufall überließ: „Das Grundprinzip dieser Delegationsreisen ist, den Delegierten keine Sekunde Ruhe, keine Möglichkeit zum Nachdenken über das Gesehene und Gehörte zu geben. Sie werden von einem Ort an den anderen gezerrt, man organisiert für sie große Empfänge in den Stadtsowjets, in den Volkskommissariaten, selbst im Kreml, man blufft sie durch die Anwesenheit der bolschewistischen ‚Elite‘; man besticht sie unmerklich durch Festessen und Krimweine, um so in ihnen jeden Widerstand gegen jene Propaganda zu brechen, die sie vom Augenblick ihrer Ankunft bis zu ihrer Abreise umgibt.“8 Einer der wohl nicht allzu zahlreichen Tiroler Teilnehmer an einer Arbeiterdelegation war der langjährige KP-Aktivist Josef Bucher aus Hötting, der im Frühjahr 1931 für zehn Wochen die Sowjetunion bereiste.9 Der Parteivorstand der SDAP lehnte die Arbeiterdelegationen grundsätzlich ab, setzte aber nur in wenigen Fällen disziplinarische Maßnahmen. Die Tiroler Sozialdemokraten Angelus Pallestrang und Josef Populorum allerdings wurden nach einer derartigen Reise im November 1927 aus der Partei ausgeschlossen. Beide traten der KPÖ bei.10 Auswanderer in die Sowjetunion traten die Reise über Vermittlung von zwei „Spez-Büros“ in Wien an, wurden direkt von Arbeitsämtern vermittelt oder reisten mit einem Touristenvisum des sowjetischen Reisebüros Intourist ein. Die Realität des Lebens in der Sowjetunion konnte indes mit den Erwartungen selten Schritt halten. Niedrige Löhne, schlechte Wohn- und Arbeitsbedingungen und die unzureichende Lebensmittelversorgung bewogen schon in der ersten Hälfte der 1930er Jahre viele Österreicher, ihre Verträge nicht mehr zu verlängern. Ein Überblick des Tiroler Anzeigers über Auswanderungsströme in außereuropäische Länder im Jahr 1933 nennt die Sowjetunion nach Palästina, Brasilien, den USA und Argentinien nur mehr an fünfter Stelle.11 Ein gescheiterter Versuch, in die Sowjetunion zu gelangen: Das selbstgebaute Boot einer Gruppe von Innsbrucker Kommunisten kenterte bereits bei der Volderer Brücke (Juli 1932) Auch in der österreichischen Öffentlichkeit hatte sich die Wahrnehmung der Sowjetunion merklich verändert. Die Presse berichtete ausführlich über die Hungerkatastrophe in der Ukraine und anderen Regionen des Landes. Hilfskomitees mit vielfach prominenter Unterstützung wurden gegründet, deren Tätigkeit vom Außenamt jedoch im Interesse ungestörter Handelsbeziehungen nur mit Zurückhaltung zur Kenntnis genommen wurde.12 Von russischer Seite stieg nach 1935 der Druck auf die zunächst begehrten ausländischen Spezialisten, das Land zu verlassen: Sie sollten durch eine mittlerweile ausgebildete Generation junger sowjetischer Facharbeiter ersetzt werden. Arbeitsbewilligungen wurden ohne Angabe von Gründen entzogen und die Ausweisung verfügt, die vor allem jene traf, die sich geweigert hatten, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen.13 „Die proletarische Revolution klopft im Herzen Europas“14 – Die Ankunft der Schutzbündler
Österreicher stellten auch eine hohe Zahl von politischen Flüchtlingen in der Sowjetunion. Zwischen 1925 und 1940 wurden 832 Personen von der Legitimationskommission der sowjetischen Roten Hilfe (MOPR) als Politemigranten anerkannt, rund ein Zehntel aller bewilligten Fälle.15 Die Verfassung der Russischen Föderativen Sowjetrepublik (RFSR) von 1918 regelte in Artikel 21 ohne Einschränkung die Gewährung von Asyl für aus politischen oder religiösen Gründen verfolgte Ausländer. Auch die Stalinsche Verfassung von 1936 verbürgte das Asylrecht in Artikel 129, wenngleich in modifizierter Form: „Die UdSSR gewährt Bürgern ausländischer Staaten, die wegen Verfechtung der Interessen der Werktätigen oder wegen wissenschaftlicher Betätigung oder wegen ihrer Teilnahme am nationalen Befreiungskampf verfolgt werden, das Asylrecht.“16 In der Realität wurde dieses Asylrecht allerdings sehr restriktiv gehandhabt. Nur wenige Tausend Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 massiver Verfolgung ausgesetzt sahen, erhielten eine Einreisebewilligung.17 Ganz anders hingegen war die offizielle sowjetische Reaktion, als es nach dem Februar 1934 um die Aufnahme der kampferprobten österreichischen Schutzbündler ging. Bereits die brutale Reaktion der Regierung von Bundeskanzler Ignaz Seipel auf die Demonstrationen vor dem Wiener Justizpalast nach dem Freispruch der Mörder von Schattendorf im Juli 1927 hatte in der sowjetischen Presse für Schlagzeilen gesorgt: Die Öffentlichkeit erfuhr von einem „Aufstand des österreichischen Proletariats gegen die faschistische Reaktion“ und vom „Verrat“ der Sozialdemokratie, die sich einmal mehr als unfähig erwiesen hätte, die revolutionären Massen zu führen. 1. Mai 1934 in Moskau – Schutzbündler auf der Tribüne Die Ereignisse des Februar 1934 schienen nun die seit Jahren propagierte Sozialfaschismus-These zu bestätigen.18 Der heldenhafte Widerstand der österreichischen Arbeiter gegen die Regierungstruppen stand für Wochen im Zentrum der Berichterstattung. Die Kommunisten hätten in diesen Kämpfen eine maßgebliche Rolle gespielt, die Führung der sozialdemokratischen Partei hingegen erneut versagt. Die Internationale Rote Hilfe schickte Unterstützungsgelder nach Österreich und im Zentralkomitee (ZK) der VKP (b) fiel am 10. März 1934 die Entscheidung, allen ausreisewilligen Schutzbündlern in der Sowjetunion Asyl zu gewähren,...


Gisela Hormayr, Mag.a phil., Dr.in phil., ist Historikerin mit dem Forschungsschwerpunkt Nationalsozialismus. Publikationen (Auswahl): „Ich sterbe stolz und aufrecht“ – Tiroler SozialistInnen und KommunistInnen im Widerstand gegen Hitler, Innsbruck 2012; „Die Zukunft wird unser Sterben einmal anders beleuchten“ – Opfer des katholisch-konservativen Widerstandes in Tirol 1938-1945, Innsbruck 2015; „Wenn ich wenigstens von euch Abschied nehmen könnte“ – Letzte Briefe und Aufzeichnungen von Tiroler NS-Opfern aus der Haft, Innsbruck 2017; Verfolgung, Entrechtung, Tod. Studierende der Universität Innsbruck als Opfer des Nationalsozialismus, Innsbruck 2019; „Zwischen Diktatur und Freiheit – Kufstein 1900–1950“, Kufstein 2020.



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