Horn Die Garne der Fischer der Irrsee
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-89896-701-3
Verlag: wbv Media
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zur Lyrik von Paul Celan
E-Book, Deutsch, Band 22, 272 Seiten
Reihe: Beiträge zur Kulturwissenschaft
ISBN: 978-3-89896-701-3
Verlag: wbv Media
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Immer schon war der "Wahnsinn" das Kennzeichen des wahren Dichters. Selten hat man allerdings die psychiatrische Realität dieses Wahnsinns in ihrer Beziehung zum dichterischen Text untersucht. Paul Celan verbrachte den Großteil seiner letzten Lebensjahre in der Psychiatrie und beging 1970 Selbstmord. Dieses Buch geht den Fragen nach, welche individuellen Ursachen zu seiner Krankheit führten, welche Traumata in Celans Lyrik ihren Niederschlag gefunden haben und in welcher Weise die manisch-depressive Krankheit den Stil und den Inhalt vor allem seiner späten Lyrik geprägt hat. Wie die "Psychose" als Sprachstruktur und Thema in den Texten Paul Celans als Widersinnigkeit, Sinnlosigkeit und das Unaussprechliche dennoch zu einem Fascinosum seiner Lyrik in der Zeit der Gegenmenschlichkeit wird, ist Kern dieser Untersuchung.
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»Das Blutmeer geht übers Land«[1] – Das Trauma
Celan hat gegenüber Freunden behauptet, er könne nach den Störungen seiner Jugend nicht mehr schreiben (Felstiner 2000, 105). Es geht aber bei einem, der beide Eltern in einem Konzentrationslager verloren hat und selbst in einem Arbeitslager beinahe nicht überlebt hätte, sicher um mehr als nur um »Störungen«. Alfred Hoelzel (1987, 355) schreibt, der Holocaust sei für Celan mehr als nur eine jüdische Tragödie gewesen. Für Celan war der Holocaust ein Trauma, das aufs Engste mit seiner Suche nach Sinn in einer rätselhaften Existenz zusammenhing. Für ihn ging seit Auschwitz ein »mit Himmeln geheizter / Feuerriß durch die Welt«. Statt eines Gottes gibt es in dieser Welt nur die »Ewige Wanze«, »umschnüffelt von Falsch und Verstört«. (Der mit Himmeln geheizte (G212)) In dieser Welt muss er sich immer noch »gegen Leugnungen und falsche Anschuldigungen« wehren (H96). In Jenseits des Lustprinzips erinnert Freud (1921, 7) daran, dass psychische Traumata durch verschiedene Ereignisse ausgelöst werden (obwohl alle Menschen verschieden auf solche Erfahrungen reagieren): »Nach schweren mechanischen Erschütterungen, Eisenbahnzusammenstößen und anderen, mit Lebensgefahr verbundenen Unfällen ist seit langem ein Zustand beschrieben worden, dem dann der Name ›traumatische Neurose‹ verblieben ist. Der schreckliche, eben jetzt abgelaufene Krieg hat eine große Anzahl solcher Erkrankungen entstehen lassen und wenigstens der Versuchung ein Ende gesetzt, sie auf organische Schädigung des Nervensystems durch Einwirkung mechanischer Gewalt zurückzuführen.« Ein Mensch, der genetisch eine Anlage zu einer Psychose hat, ist durch ein solches Trauma besonders gefährdet. Das Trauma seiner Biografie hat Celans Dichtung sein ganzes Leben lang beschäftigt und bildet immer wieder das eigentliche Thema seiner Gedichte. Gegen die Rede von der Fiktionalität der Poesie hat Paul Celan immer darauf bestanden, dass jedes Gedicht sein genaues Datum hat und verbindlich ist. Datierung heißt bei Celan Festmachen des Gedichts an der historischen Realität, das Gedicht herausholen aus seiner vermeintlichen Zeitlosigkeit (vgl. Allemann 1987, 6 u. 13). Dass dieses Trauma auch der Auslöser (wenn auch nicht die eigentliche Ursache) seiner psychischen Krankheiten war, wird noch zu zeigen sein. Was an Celans Gedichten auffällt, ist ihre dialogische Form, »ihre immer wieder aufgenommene Anrede eines Du, wobei gleich erkannt wird, dass mit diesem Du ein totes gemeint ist« (Jackson 1977, 76). Auch wenn das nicht für alle Gedichte zutreffen mag, aber die Mutter als im Holocaust Ermordete steht doch fast immer auch hinter dem Du. Jedenfalls ist es richtig zu sagen: »Die im Bilde des Steins chiffrierte Schicksalserfahrung Celans ist auf den Tod als Grunderlebnis zurückbezogen. […] Sie versteht sich als Totengedächtnis.« (Schwarz 1966, 10; vgl. Witte 1987, 74) Die zunehmende Versteinerung und Vereisung seiner Gedichte ist auch so zu verstehen, ebenso wie seine Irritation, wenn Karl Krolow den »Surrealismus« von Celan betonte, meinte, er schreibe »Verse von zarter Schönheit und Tiefe«, oder wenn Piontek von poésie pur, zaubrische Montage und von »Etüden und Fingerübungen« sprach. (Felstiner 2000, 106f.) Gegen solche Vereinnahmungen Celans für eine harmlose Moderne argumentiert Bogumil (2002, 135): »Realist sein heißt jedoch auch, konkret zu sprechen, nämlich weder referentiell darstellend noch metaphorisch umgestaltend. Vielmehr meinen die Wörter, was sie im buchstäblichen Sinn sagen.« Vom Sprachgitter[2] an wird »die Kommunikation zwischen dichterischen Ich und den Toten als unmöglich erkannt, […] vielmehr projiziert jetzt der von der leeren Transzendenz gezeichnete Dichter sein Scheitern in sie hinein und formt sie zu absoluten Metaphern der transzendentalen Vergeblichkeit.« (Schwarz 1966, 40; Jackson 1977, 77) Es geht um einen Weltzerfall, der einerseits aus diesen traumatischen Ereignissen, andererseits als Folge seiner Psychose zu erklären ist, der aber in »einem zumindest intentionierten Weltgewinn umschlägt, wobei sich die Sprache selbst als Welt realisiert«, und so wird die Dichtung zu »Sprachgewinn als Wirklichkeitsgewinn« (Schwarz 1966, 60). Es fällt nun, Mutter, Schnee in der Ukraine: (G399)
Wahrscheinlich schon 1942/43 ist das Gedicht Es fällt nun, Mutter, Schnee in der Ukraine entstanden. Schnee ist eine zentrale poetische Chiffre für die Erinnerung an die ermordeten Eltern, die Toten der Schoah und die verlorene Heimat im Osten. (H91) Dass Celan vom Heiland spricht – »Des Heilands Kranz aus tausend Körnchen Kummer« – ist eigenartig, wenn auch seine Dornenkrone aus »tausend Körnchen Kummer« eben zum Bild für das Leiden wird, das Menschen angetan wird. Der tiefe Schmerz über die Trennung und schließlich den Tod der Mutter kann zudem wegen der Entfernung nicht mitgeteilt werden: »Von meinen Tränen hier erreicht dich keine.« Celan selbst in einem Arbeitslager interniert, schreibt über sich und seine Mithäftlinge: »Wir sterben schon« und spricht zu seinen Mitgefangenen: »was schläfst du nicht, Baracke?« Die Melancholie drückt sich in der Metapher aus: »Auch dieser Wind geht um wie ein Verscheuchter …« Die Frage »Sind sie es denn, die frieren in der Schlacke« richtet sich an seine Mitgefangenen, deren »Herzen Fahnen und die Arme Leuchter?« sind – ein Bild des Widerstands, der sich um die Fahne und den siebenarmigen Leuchter schart. Nur in diesem Widerstand kann er sein Ich aus diesem Schrecken retten: »Ich blieb derselbe in den Finsternissen: / erlöst das Linde und entblößt das Scharfe?« Aber seine Orientierungspunkte, die Sterne, sind unsicher geworden: »Von meinen Sternen nur wehn noch zerrissen / die Saiten einer überlauten Harfe …« Das Leben scheint seinen Sinn verloren zu haben, die Freude am Leben versiegt: »Dran hängt zuweilen eine Rosenstunde. / Verlöschend. Eine. Immer eine …«. Die existenzielle Frage ist am Ende: »Was war es, Mutter: Wachstum oder Wunde«? Und die Antwort darauf ist nicht einfach: einerseits ist sein Gedicht immer geprägt von diesem grauenhaften Geschehen, andererseits bleibt ihm immer eine Verwundung. Nicht nur seine Mutter hat er verloren im Schnee der Ukraine, sein eigenes Ich ging verloren, und deshalb die Frage: »versank ich mit im Schneewehn der Ukraine?« Hans-Peter Duerr (1985, 184) bringt das psychotische Bewusstsein der Leere in Verbindung mit einer Eisscholle, einer vereisten Polarwelt, mit Steinwesen in einer erstarrten Mondlandschaft und mit der Totenstille abgestorbener Gefühle: »ich bin die Leere«. Todesfuge (G40)
Gerade die Todesfuge trug entscheidend dazu bei, dass Celan als einer der wesentlichen Repräsentanten der deutschsprachigen Literatur nach 1945 angesehen wird. Man kann Wolfgang Emmerich nur zustimmen, wenn er in der Einleitung zu seiner Celan-Biografie sagt: »Seine Todesfuge ist ein, ja vielleicht das Jahrhundertgedicht« (Emmerich 1999, 7). Ebenso zutreffend ist die Feststellung von John Felstiner, der die Todesfuge als »das Guernica der europäischen Nachkriegsliteratur« bezeichnet, das, wie er weiter folgert, »selbst zu einem Akteur der Geschichte geworden« (Felstiner 2000, 53) ist. Holthusen sah eigenartigerweise die Todesfuge als »reine Dichtung« ohne »politische Dimension« (H61). Und auch Buck (2002, 18) versucht, Celans Anliegen so zu präzisieren: »Celan schreibt kein Gedicht über Auschwitz, wie gelegentlich behauptet wird, sondern eine poetische Fuge des Erinnerns an die Toten der Vernichtungslager.« Zur Entstehung des Gedichts gibt es widersprüchliche Angaben. Bukowiner Freunde erinnern sich an eine Ausarbeitung in Czernowitz 1944. Celan kehrte nach der Entlassung aus dem rumänischen Zwangsarbeitslager Anfang 1944 nach Czernowitz zurück.[3] »In der makabren Atmosphäre von Czernowitz, der untergegangenen ›jüdischen Stadt deutscher Sprache‹ (Chalfen, 19), entstanden wohl im Herbst 1944 erste Entwürfe zum Gedicht. Manches spricht dafür, dass hierbei der poetische Wettstreit mit dem Freund Immanuel Weißglas anregende Wirkung ausübte.« Peter Horst Neumann (234) hat gesagt: »Alle Motive des Gedichts sind vorgegeben«. Und Buck (2002, 14f.) führt das aus: »Man braucht gewiss nicht allein an die offenkundigen Übereinstimmungen mit Motiven in Gedichten von Rose Ausländer, Alfred Margul-Sperber, Immanuel Weißglas oder Moses Rosenkranz zu denken. Das Czernowitzer ›Metapherngeflecht‹ ist lediglich eine Quelle der Anregung unter vielen anderen.« Immanuel Weißglas berichtet zur Entstehung der Todesfuge: »Es kam so: wir sprachen Verse vor uns hin, die zu Gedichten gerannen.«[4] Der Autor selbst hat angegeben, er habe die Todesfuge »im Frühjahr 1945 in Bukarest geschrieben«.[5] Sicher ist, dass der Text im Frühjahr 1945 in Bukarest seine definitive Gestalt bekommen hat. Buck (2002, 12f.) meint, damit sei nur das Datum der endgültigen Fertigstellung gemeint, sodass die Existenz früherer Fassungen oder zumindest von Vorstufen keineswegs ausgeschlossen werden kann. Aber erst zwei Jahre später erschien Anfang Mai 1947 das Gedicht unter dem Titel Tangoul mortii (Todestango)[6]in rumänischer Übersetzung in der Zeitschrift Contemporanul (vgl. PC/GCL 2, 305). Buck stellt fest, dass die Todesfuge innerhalb des Werkzusammenhangs einen entscheidenden Punkt der dichterischen Entwicklung...