Buch, Deutsch, Band 76, 432 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 213 mm, Gewicht: 533 g
Reihe: Campus Historische Studien
Die politische Ökonomie der Eroberung Neuspaniens
Buch, Deutsch, Band 76, 432 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 213 mm, Gewicht: 533 g
Reihe: Campus Historische Studien
ISBN: 978-3-593-50953-2
Verlag: Campus
Der welthistorische Vorgang der Eroberung Amerikas fasziniert heute noch. Wie er organisiert war und welchen Dynamiken er folgte, wurde aber bislang nicht hinreichend erforscht. Vitus Huber nimmt die Verflechtung politischer und ökonomischer Anreiz- und Belohnungsschemata in den Blick und analysiert, wie Beute und ihre Verteilung die diversen Akteure, Institutionen und Praktiken der "Conquista" beeinflussten und welche Rolle hier das Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit spielte. So zeigt diese Studie, wie Beute und Verwaltung, Gewaltökonomien und Staatsbildungsprozesse bei der "Conquista" in verblüffender Weise zusammenhingen. Mehr noch: Diese Zusammenhänge formten nicht nur die Eroberung Amerikas, sondern begründeten zudem ein über 300 Jahre währendes Kolonialreich.
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Inhalt
Einleitung 11
1. Verträge, Versprechen und Verteilungsgerechtigkeit. Vereinbarung der Belohnungsansprüche
1.1 Genealogie der iberischen Beuteökonomie. Legitimationen, Normen und Praktiken seit der Reconquista 43
1.1.1 Gerechter Krieg und Kriegsfinanzierung 44
1.1.2 Quinto real und die Verrechtlichung von Raub 57
1.1.3 Beutepraktiken in der Reconquista 68
1.2 Kontraktualistische Conquista. Joint Ventures "in unserem Namen und auf Eure Kosten" 79
1.2.1 "Die Teilung der Welt wie eine Orange". Expansion und Mission 80
1.2.2 Risiko-, Gewinn- und Beuteverteilung in den capitulaciones 83
1.2.3 Velázquez' Instruktion an Cortés und der Cabildo de Veracruz 97
1.3 Goldgierige Glücksritter? Cortés' Versprechen an seine Leute 105
1.3.1 Mobilisierungspraktiken I. Ausrufung und Versprechen 106
1.3.2 Mobilisierungspraktiken II. Registrierung und Kontrolle 114
1.3.3 Investitionen 124
1.3.4 Das epistemische Setting der Beuteökonomie 129
1.4 "Indios amigos". Allianzen und Mobilisierung der Indio-Konquistadoren 139
1.4.1 Prähispanische Gesellschaftsstrukturen und Belohnungskulturen 140
1.4.2 Indigene Allianzen mit den spanischen Konquistadoren 146
1.5 Die Beute im Kopf. Analyse der Quellenlage und Beutebegriffe 153
2. Die Beute im Griff. Übertragung von Besitzrechten
2.1 Kriegsbeute 169
2.1.1 Formen der Beuteakquise 169
2.1.2 Typologie des Beutecharakters 171
2.1.3 Indios als Beute. Repartimiento und encomienda 175
2.2 "Jedem seinen Anteil". Praktiken der Beuteverteilung 185
2.2.1 Mobile Beute. Gold, Silber, Edelsteine und Gefangene 186
2.2.2 Boden des Imperiums. Landverteilung und Bürgerpflichten 214
2.2.3 Encomiendas. Zuteilung ›anvertrauter‹ Indios 225
2.3 Die Conquista ernährt sich selbst. (Mikro-)Dynamiken der Conquista 235
2.3.1 Conquista-Itinerare. Geografische Mobilität der Konquistadoren 236
2.3.2 Conquista-Karrieren. Soziale Mobilität der Konquistadoren 249
2.3.3 Reinvestierte Beute. Mikrokoloniale materielle Dynamik 252
2.4 Staatsbildende Konquistadoren. Von der ermächtigenden Funktion des Steuerzahlens 259
2.4.1 Die königlichen Akteure und kolonialen Institutionen 260
2.4.2 Prozess der Edel- und Buntmetallschmelze 272
2.4.3 Buchhaltung der Beute und Übertragung des quinto real 279
2.5 Schweigen über Beute, sprechen über encomiendas. Zum Diskurs über Beuteverteilung 287
3. Vom Schwert zur Feder. Sicherung des Status
3.1 Gnadenökonomie. Die Genese der informaciones de méritos y servicios 301
3.1.1 Von parte zu merced. Die Verschiebung der Beutehoheit zur Krone 302
3.1.2 Dienst- und Verdienstberichte. Standardisierung eines staatsbildenden Verfahrens 306
3.1.3 Die Tücken der Texte. Textaufbau, Textkorpus und die Konsequenzen für ihre Analyse 320
3.2 "Im Dienste Ihrer Majestät". Narrative Strategien 327
3.2.1 "A su costa y minsión". Ostentation der Leistung 329
3.2.2 "Primer conquistador". Forderung nach Distinktion 340
3.2.3 "Ad perpetuam rei memoriam". Perpetuierung des Belohnungsanspruchs 349
Fazit 359
Danksagung 367
Anhang
Abbildungsverzeichnis 373
Abkürzungsverzeichnis 375
Ungedruckte Quellen 377
Gedruckte Quellen 381
Literatur 387
Register 419
Einleitung
Das Bild aus der Descripción de Tlaxcala des Mestizen Diego Muñoz Camargo zeigt die beiden bekanntesten Generalkapitäne der Conquista: Francisco Pizarro und Hernán Cortés (vgl. Abb.?1). Neben ihnen knien ein Inka und die berühmte Nahua-Übersetzerin Malinche. Um die vier Personen herum liegen Reichtümer der Neuen Welt: Goldbarren und Silbermünzen, diverse Behälter und bestickte Tücher. Über den Köpfen der Generalkapitäne steht: "Cortés offeriert Neuspanien" und "Pizarro offeriert Peru". Daraus lässt sich schließen, dass die beiden Konquistadoren dem nicht abgebildeten König Karl?V. (1516-56) die Herrschaft über die eroberten Reiche, inklusive der materiellen und personellen Ressourcen ›anbieten‹. Die fiktive Szene stellt dar, wie Cortés und Pizarro ihre Eroberungserfolge dem König als Dienst ostentativ überreichten.
Es handelt sich insofern um eine typische Darstellung der Conquista, als auf die prominentesten Figuren fokussiert wird, den Indigenen eine untergeordnete Rolle zugeschrieben wird und die materiellen Schätze hervorgehoben werden. Die Darstellung lässt jedoch wichtige Aspekte aus, darunter die selbstständige Handlungsfähigkeit (agency) der Indigenen sowie die zahlreichen weiteren Akteure, Ebenen und Verteilprozesse der Eroberung. Deren Besonderheit gründet unter anderem darin, dass die Konquistadoren sich nicht als reguläre königliche Armee organisierten. Sie waren weder Soldaten noch Söldner mit einem festgelegten Sold, sondern relativ spontan zusammengestellte Gruppen junger Männer, die teils aus dem Kleinadel, hauptsächlich aber aus den mittleren Gesellschaftsschichten stammten. Sie unterstellten sich einem Anführer, dem die spanische Krone erlaubt hatte, einen Entdeckungs- und/oder Eroberungszug auszurüsten und durchzuführen. Die nötigen Mittel dazu mussten die Teilnehmer selbst in die Beutegemeinschaft einbringen. Als Belohnung für ihre Leistung, die sich an den beigesteuerten Leuten, Waffen, Tieren oder auch Schiffen und Nahrungsmitteln bemaß, hatten sie Anspruch auf einen Teil aus der Beute. Diesen teilte ihnen der Anführer in einem ersten Schritt unmittelbar zu, wobei der Krone in der Regel ein Fünftel zustand. In einem zweiten, mittelbaren Belohnungsvorgang supplizierten die Konquistadoren bei der Krone um Privilegien, Titel und ›Ehren‹. Aus ihren dazu verfassten ›Dienst- und Verdienstberichten‹ (informaciones de méritos y servicios) sowie aus weiteren Quellen geht hervor, dass sie von der Krone erwarteten, für ihre Leistungen belohnt zu werden.
Unter diesen Vorzeichen liest sich dieses Bild nicht nur als Demonstration von Diensten qua Beute, sondern auch als Supplikation um mittelbare Belohnungen. Berücksichtigt man den Entstehungskontext der Zeichnung, wird eine Ebene erkennbar, die nicht illustriert ist: Muñoz Camargo widmete diese Beschreibung von Tlaxcala nämlich Philipp II. (1556-98) und überbrachte sie ihm 1585 in einer Gesandtschaft, die beim König um Privilegien für den Stadtstaat Tlaxcala bat. Das Bild war somit selbst Teil einer Ostentation von Leistung, die auf königliche Gnadenerweise zielte und sich nur im Rahmen dieser bemerkenswerten gestaffelten Belohnungslogik der spanischen Expansion erklären lässt.
Das führt zur Frage nach dem Einfluss der Beute auf die Conquista. Wie formte die Beute diesen welthistorischen Vorgang? Die Antwort gestaltet sich komplexer als von der Forschung bisher erfasst, denn mit der Beute ist das Problem ihrer Verteilung verbunden und dieses betrifft verschiedene Akteure, Ebenen und Prozesse mit unerwartet weitreichenden Konsequenzen. Wie prägten also Beute und ihre Verteilung die Eroberungsunternehmen vor, während und nach deren Durchführung? Wie ließen sich Beuteansprüche im Voraus vereinbaren ohne die Kenntnis, was es in den unbekannten Gebieten zu plündern gab? Wie, nach welchen Kriterien und nach welchen normativen Vorlagen und gebräuchlichen Praktiken wurde die Beute verteilt? Wie veränderte oder unterschied sich dies je nach räumlicher, zeitlicher und institutioneller Dimension? Welchen Konzeptionen von Leistung bzw. Dienst und Verdienst folgten die Belohnungslogiken? Welches Rechts- und Gerechtigkeitsverständnis lässt sich darin erkennen? Wie wirkte sich die Beuteverteilung schließlich auf den kolonialen Institutionenaufbau aus?
Der Forschungsstand zum Komplex der Conquista hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich entwickelt. Die latein- und US-amerikanische, teilweise auch europäische Forschung konzentrierte sich insbesondere auf Fragen zu Wahrnehmung, Kulturkontakt, lokalen Aushandlungsprozessen und indigener agency. Aufwind erhielt die Conquista-Forschung unter anderem durch die 500. Jahrestage (Kolumbus 1492, Geburt des späteren Karl?V. 1500, Nuñez de Balboas ›Entdeckung‹ des Pazifik 1513) und den gleichzeitig aufkommenden Trend der transnationalen Verflechtungs- und Globalgeschichte oder der connected history. Dabei wurden neue, paradigmatisch veränderte Konzeptionen des kolonialen Gesamtzusammenhangs erzeugt - zum Beispiel durch die epistemologischen und kulturhistorischen Ansätze (spiritual conquest). Des Weiteren wurden im Bereich der teilweise massiven indigenen Beteiligung an den Gewalt- und Eroberungsakten (indian conquest) neue Forschungsresultate erarbeitet. Damit büßte der Mythos des ›europäischen Wunders‹, wonach eine nur 500-köpfige Gruppe Spanier die hunderttausenden ›Azteken‹ besiegt habe, seine Überzeugungskraft ein. Außerdem sind ebendiese Azteken statt als Monolith seither als multiethnische und politisch kleinteiligere Entitäten differenzierter darzustellen. Diesen neuen, hinsichtlich des eurozentrischen Narrativs revisionistischen Ansatz versucht eine Gruppe um Matthew Restall als New Conquest History zu etablieren. Weitgehend ausgeklammert von diesem Prozess der Infragestellung alter Deutungsschemata blieben erstaunlicherweise die eigentlichen Konquistadoren, ihre Motive, die Mikrodynamik und Ökonomie ihrer Beutezüge sowie die jeweilige Organisation als Gruppe.
Seit den 1960er Jahren kamen wichtige, oft prosopografisch angelegte Arbeiten zu einzelnen Sozialverbänden und Szenarien hinzu: James Lockhart erstellte die klassische Studie zu den 167 Konquistadoren, die mit Francisco Pizarro vom Inkakönig Atahualpa die größte Edelmetallbeute der gesamten Conquista (offiziell 1,5 Millionen Pesos) erpressten. José Avellaneda Navas verfasste das prosopografische Pendant der diversen Eroberungszüge im späteren Vizekönigreich Neugranada. Für Neuspanien haben verschiedene Historiker Lexika der Konquistadoren und weiterer Siedler zusammengestellt. Hier lieferte Bernard Grunberg die fundiertesten Publikationen. Im Ergebnis lässt sich so zwar der ›Umriss‹ der beteiligten Gruppen im Hinblick auf ihre soziale und regionale Herkunft klarer erkennen. Die innere Dynamik der Gewaltgemeinschaften und ihre Strategien eines militärischen Ein- und diskursiven Ausschlusses der indigenen Alliierten bedürfen aber weiterer Analyse. Bisher wurde die Frage nach der Motivation und Dynamik der Konquistadoren in Handbüchern wie in großen Teilen der Forschung durch den Hinweis auf die besondere Gier nach Gold, auf chevalereske Abenteuerlust oder auf christlich-feudal geprägte Dienstmentalitäten gegenüber Gott und Krone für beantwortet erklärt. Damit sind allerdings nur Chiffren benannt, die aus zeitgenössischen Rechtfertigungs- oder Skandalisierungsdiskursen entnommen sind und vor allem durch die spanische Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts konserviert wurden.
Einzelne ältere Arbeiten haben dies erkannt und sich richtungsweisend mit der Motivation der Konquistadoren und den Mechanismen der spanischen Expansion beschäftigt. In der diesbezüglich aufschlussreichsten Studie bezeichnete Mario Góngora die gewinnbringende Menschenjagd für den Sklavenhandel als konstitutiven Anlass für Gruppenzusammenschlüsse. Während dieser Befund lediglich für die frühe Phase der Conquista in der Karibik und der Küstenregion von Tierra Firme zutraf, beleuchtete Góngora nebenbei die Zusammensetzung der Konquistadorengruppen und die typischen Beutemechanismen. Góngoras Erkenntnisse zu materiellen Abhängigkeiten der Konquistadoren entstanden gewissermaßen als Nebenprodukt, und beschränkten sich auf die unmittelbare Beuteverteilung. Sie wurden von der Forschung daher kaum rezipiert. Dies mag einerseits der stärker rechtshistorischen Ausrichtung seines Ansatzes geschuldet sein, andererseits unterschieden sich die Dynamiken in Tierra Firme von jenen in Neuspanien und Peru, wo neben den Beutezügen durch die ›Fronarbeits-‹ und Tributsysteme (encomienda bzw. mita) alternative Einnahmequellen bestanden. Auf die Definition solcher Leitbegriffe wie capitulación, encomienda etc. konzentrierte sich lange Zeit die institutionenorientierte spanischsprachige Forschung, worüber sie die Spielräume in praxi aus dem Auge verlor. Die gerade für die frühe Kolonialzeit so konstitutive situative Dynamik und Flexibilität wurden als Ausnahme statt als Regel gedeutet. Damit kam der spezifisch ökonomische und okkasionell-kontraktualistische Charakter des Vorganges der Conquista zu kurz. In der Konsequenz dominierte lange Zeit ein Gerüst aus Rechtsinstrumenten und Institutionen, das sich mit den Dynamiken und der Flexibilität im Vollzug von Eroberung und früher Kolonialherrschaft kaum mehr in Deckung bringen ließ. Auf dieses Problem haben jüngere Studien mit der Herausarbeitung der indigenen agency und des permanenten interethnischen Aushandelns lokaler Gruppen reagiert. Diese Fortschritte liefern neue Versatzstücke für ein vollständigeres Bild. Jedoch müssen die bereits vorhandenen Ergebnisse ebenfalls revidiert werden. Insbesondere jene zur spezifischen Kontraktualistik und Beuteökonomie, Organisation und Mikrodynamik der Konquistadorengruppen sowie zu ihren Motiven und der je nach Adressat stark variierenden Quellensprache müssen neu perspektiviert werden. Sie bilden darum einen wesentlichen Teil des Untersuchungsgegenstandes der vorliegenden Arbeit.
Den treibenden Motor der spanischen Expansion sah die Forschung bisher entweder im mittelalterlich, feudalen Charakter der Conquista oder in den sich herausbildenden frühkapitalistischen Strukturen. Diese Dichotomie verschleiert jedoch die konstitutive Verflechtung beider Bereiche. Daher wurden jüngst der Joint-Venture-Charakter der Expansionsbestrebungen und die kontraktualistische Basis der einzelnen Verflechtungsakte zwischen Krone und Privatakteuren betont. Damit eröffneten sich Forschungsperspektiven, in deren Konsequenz die hier zugrundeliegende Konzeptualisierung der politischen Ökonomie steht. Die bisherigen Studien zur Vertragssituation behandelten die capitulaciones bzw. asientos, also die Vereinbarungen zwischen der Krone und den Anführern, und dies hauptsächlich aus einem juristischen und institutionsgeschichtlichen Blickwinkel. Aber welche politischen und ökonomischen Implikationen brachten diese Verträge mit sich? Welche Rahmenbedingungen wurden damit geschaffen? Außerdem bleibt zu klären, wie das Innenverhältnis der Bindungen, Loyalitäten und Versprechungen zwischen den Anführern und ihrer angeworbenen Konquistadorengruppe aussah.
Die Desiderate zu den Konquistadorengruppen betreffen auch die Begriffsgeschichte. Die in der Literatur genannten Bezeichnungen ›hueste‹ und ›compaña‹ lassen sich in den Quellen so gut wie nicht finden, ›compaña‹ nur in Panama und Nicaragua. Dass sich der Terminus ›hueste‹ in der Forschung halten konnte, hat mit Setzungen der spanischen Forschung des späten 19. Jahrhunderts zu tun. Sie übertrug Begriffe aus der mittelalterlichen Reconquista- und Kreuzzugsterminologie auf das 16. Jahrhundert, um auf diese Weise eine Kontinuität ritterlich-christlicher Traditionen zu suggerieren. Aus der Reconquista tradiert wurden aber vielmehr die ökonomisch-politischen Anreizstrukturen und Belohnungstechniken von Eroberung. Auch der in der Literatur dominierende Begriff des Soldaten (soldado) für den Konquistador gilt es, als interessegefärbt und nachrationalisiert zu entlarven bzw. ihn in den Kontext der Belohnungslogik zu stellen, um seinen camouflierenden Einsatz aufzudecken. Die Konquistadoren hüllten ihr Handeln in den Mantel der zeitgenössischen Rechts- und Rechtfertigungsdiskurse, auch und gerade dort, wo sie sich de facto stark an ökonomisch-politischen Opportunitäten orientierten und auf Kooperationen und Kompromisse angewiesen waren. Mehr noch: Sie passten ihre Aussagen taktisch an die Belohnungsmechanismen der Krone an, was häufig bedeutete, dass sie ihre eigene Leistung betonten und die faktische Angewiesenheit auf Kooperationen und Kompromisse verschwiegen. Diese je nach Adressat gefärbte Quellensprache sollte jedoch auf ihre Funktion hin analysiert werden.
Eine genauere Untersuchung der rhetorischen Strategien der Quellen oder zumindest der semantischen Gehalte von Schlüsselbegriffen wie ›Dienst‹ oder ›Verdienst‹ und der Konzeption einer gerechten Belohnung ist für die nötige Neubewertung des Gesamtkomplexes Conquista unumgänglich. Dazu bedarf es nicht zuletzt des Einbezugs bisher vernachlässigter Quellen wie der informaciones de méritos y servicios. Auf das große Potenzial dieser ›Dienst- und Verdienstberichte‹ der Konquistadoren wurde wiederholt hingewiesen, doch erst in den letzten Jahren wurde vermehrt dazu geforscht - wenn auch primär für die Zeit ab Philipp II. (1556) bis ins 18. Jahrhundert. Die zögerliche Annäherung hat zum einen mit der teilweise schwierigen Lesbarkeit dieser Quellenmasse zu tun, zum anderen mit der taktischen Funktion der Quellen, die Krone von besonderen Leistungen des je einzelnen Konquistadors zu überzeugen und zu Gunsterweisen zu bewegen. Genau diese Funktion soll in dieser Arbeit analysiert und kontextualisiert werden.
Neben anderen Quellen nutzte Wendy Kramer die informaciones de méritos y servicios, um die zentrale Rolle der Encomienda(-Verteilung) für den Übergang von der Eroberungs- zur Siedlungsphase in Guatemala zwischen 1524 und 1544 nachzuzeichnen. Diese sowie die erwähnte Studie von Mario Góngora kommen dem hier zu verfolgenden Ziel am nächsten. Neben dem abweichenden räumlichen Untersuchungsgegenstand soll im Gegensatz zu Góngora nicht nur die unmittelbare Beuteökonomie innerhalb der Gruppe berücksichtigt werden, sondern auch die damit verbundene Verrechtlichung der Beute und mittelbare Statussicherung der einzelnen Konquistadoren durch die Krone sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für die Conquista und Interaktionen mit den indigenen Allianzen. Kramers Ansatz erweiternd, gilt es zudem, die Mikrodynamiken der Conquista-Züge stärker zu beleuchten, um die spezifische, doppelte Belohnungslogik der spanischen Expansion aufzuzeigen.
Die Studien zum Phänomen der Beuteverteilung sowie den damit verwandten Feldern der Gewaltökonomie und der Gewaltgemeinschaften sind für diese Arbeit ebenso bedeutend. Neben dem Forschungsüberblick sollen bereits diejenigen Aspekte hervorgehoben werden, die für die vorliegende Studie heuristisch fruchtbar zu machen sind.
Den Forschungsstand zur (Kriegs-)Beute im Allgemeinen nannte Jutta Nowosadtko 2008 "äußerst lückenhaft". Für die Frühe Neuzeit klingt das fast euphemistisch, wenn man bedenkt, dass der beinahe konkurrenzlose Klassiker Fritz Redlichs De praeda militari aus dem Jahr 1956 stammt - eine kurze Studie, die als Nebenprodukt seiner Arbeit zu frühneuzeitlichen deutschen Kriegsunternehmern entstand. Nur einzelne kleinere Untersuchungen widmeten sich ebenfalls gänzlich der Beute, während diese als Unterthema in vielen kriegs- und militärgeschichtlichen Studien auftauchte - besonders seit dem cultural turn in den 1980er Jahren. Gerade in der Forschung zum Söldnerwesen entstand in den letzten Jahren eine Reihe interessanter Arbeiten, in denen die Beute meist aus sozialhistorischer Perspektive Beachtung fand. Diese Lücke haben Horst Carl und Hans-Jürgen Bömelburg erkannt, die im Rahmen der DFG-Forschergruppe ›Gewaltgemeinschaften‹ den ersten epochenübergreifenden Sammelband zum Thema Beutepraktiken herausgaben. Der dort referierte Forschungsstand, in dem das iberische (Forschungs-)Gebiet jedoch weitgehend ausgelassen wurde, hat sich seither neben den bereits erwähnten Publikationen nur für das Mittelalter weiterentwickelt. Florens Deuchlers Nachtrag zum kulturellen und symbolischen Wert von Beute als Trophäe entstammt seinen Studien zur Burgunderbeute, die er in den 1960er Jahren publizierte. Analytisch profunder dürfte Michael Juckers Habilitationsschrift zur Kulturgeschichte der mittelalterlichen Beute werden. In einer Reihe von Aufsätzen hat Jucker neben der ökonomischen bereits verstärkt die symbolische Taxonomie der Beute und ihre Transformationen in den Blick genommen. Er plädiert dafür, die Dichotomie von symbolischen und ökonomischen Wertekategorien von Beute aufzuheben, indem man die Zirkularität der Beute berücksichtigt, weil die Beute akquiriert, verteilt und in Kreisläufe mit gegebenenfalls anderen Wertecodes eingespeist werde. Je nach Quellenlage ist dies ein - wie er selbst gesteht - schwer realisierbarer Ansatz, der meines Erachtens für das Eroberungssetting der Conquista an die gestaffelten Belohnungsschemata adaptiert werden müsste. Die mittelbaren Ansprüche von Eroberern auf dauerhafte soziale und ökonomische Besserstellung, die für den Übergang in eine koloniale Gesellschaftsformation entscheidend waren, erhielten in den bisherigen Studien zur Beuteverteilung zu wenig Aufmerksamkeit. Das liegt daran, dass der spanische Fall weitgehend ausgespart wurde. Somit sind die Konsequenzen aus derlei Anstößen noch zu ziehen.