Huby | Bienzle und das ewige Kind | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Bienzle

Huby Bienzle und das ewige Kind

Krimi
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-10-400638-3
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Krimi

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Bienzle

ISBN: 978-3-10-400638-3
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kommissar Bienzle als väterlicher Freund eines Mordverdächtigen Es ist schon Nacht. Die meisten Standbetreiber in der Stuttgarter Markthalle haben längst Feierabend gemacht. Ein Wachmann dreht seine letzte Runde. Plötzlich hört er Schritte. Eine Tür fällt ins Schloss. Und dann erfasst der Lichtstrahl seiner Taschenlampe ein grausiges Bild: Der Markthändler Joseph Janicek liegt vor seinem Stand im eigenen Blut. Sein behinderter Sohn Geza sitzt vor ihm und hält ein Messer in der Hand. Hauptkommissar Ernst Bienzle nimmt sich des verstörten Jungen an, weil er weiß, der Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens könnte bei Geza liegen. Der geistig zurückgebliebene junge Mann fasst Vertrauen zu dem Kommissar. Nach und nach jedoch entsteht ein Bild, das immer komplizierter wird. Joseph Janicek war nicht nur der Ehrenmann, als der er in seiner Umgebung galt.

Felix Huby schreibt seit 1976 Kriminalromane, Tatorte und Fernsehserien. Aus seiner Feder stammen die Kommissare Bienzle, Palü, Schimanski und nun auch Peter Heiland. Felix Huby wurde für sein Werk mit dem 'Ehrenglauser' der Autorengruppe Deutsche Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT ausgezeichnet.
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Erster Tag – Montag


»Bei so einem Wetter jagt man keinen Hund auf d’ Straß«, knurrte der Wachmann Leo Wissmann. Der Regen peitschte ihm schräg von vorne ins Gesicht. Am Nachmittag hatte noch die Sonne geschienen, aber, na ja, es war April. Der kleine, gedrungene Mann überquerte den Schillerplatz und warf einen Blick auf die mächtigen Mauern des Alten Schlosses. Einer der Scheinwerfer, die das Denkmal des großen Dichters in der Mitte des Platzes beleuchteten, schien falsch justiert zu sein und warf einen vom Regen verwischten Schatten auf die mächtigen Steinquader der Schlossmauer. Wissmann nahm sich vor, dies am nächsten Tag der Stadtverwaltung zu melden.

Der Wachmann freute sich auf das nächste Objekt, das er zu kontrollieren hatte: die Markthalle. Als er eine der schweren bronzenen Eingangstüren aufschloss, riefen von der Stiftskirche her die Glocken zum Abendgottesdienst um halb acht.

Bei keinem seiner Kontrollgänge nahm sich Wissmann so viel Zeit wie in der Markthalle. Er liebte den Geruch, der ihn empfing, sobald er den hohen, langgezogenen Raum des Jugendstilgebäudes betrat. Bis 18 Uhr boten hier die Händler Obst und Gemüse aus aller Herren Länder an: frische Datteln und Feigen, spanische Kakifrüchte, griechische Pfirsiche, Tomaten aus Lanzarote. Es gab aber auch heimische Speisekartoffeln, frisches Sauerkraut von den Filderhöhen im Süden Stuttgarts und an den Metzgerständen Hausmacherwurst und Maultaschen. Über allem schwebte der Geruch, der aus den Kräuter- und Gewürzständen drang. An manchen Abenden war noch der eine oder andere Standbesitzer da, wenn Wissmann seinen Rundgang machte, aber heute war die Halle menschenleer.

Die schwere Pforte fiel hinter ihm zu. Wissmann schloss ab und richtete seine starke Handlampe nach oben. Spielerisch zeichnete er mit dem Lichtstrahl Figuren an die gewölbte Decke. Während er den hellen Keil weiter durch die Halle wandern ließ, griff er hinter sich nach dem Kippschalter. Die Deckenlampen gaben während der Nachtschaltung nur ein diffuses Licht ab.

Wissmann nahm bei seinem Kontrollgang immer denselben Weg. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, den Ablauf seiner Überprüfung zu ändern. Sein ganzes Leben verlief nach den immer gleichen Regeln.

Plötzlich hörte er Schritte. Der Wachmann blieb stehen und hielt den Atem an. Da wieder! Dann klang es, als stieße jemand gegen eine Kiste oder ein anderes Hindernis.

»Ist da wer?« Die Schritte entfernten sich schnell. »Wer ist da?«, rief der Wachmann. Er rannte in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren. Eine Tür wurde aufgerissen. Ganz am Ende des Ganges. Dort ging es in die weitläufigen unterirdischen Räume hinab, wo jeder Händler seinen eigenen Keller hatte, sauber abgeteilt durch Lattenwände. Der Wachmann erreichte die Kellertür. Als er nach ihr fasste, schwang sie von alleine auf.

Gleich hinter dem Eingang ging es eine steile Treppe hinab. Zögernd blieb Wissmann stehen. Nichts war zu hören.

Der Flüchtige konnte sich hinter jeder Ecke verstecken, er konnte auch eine der eisernen Luken aufgestoßen haben, durch die über Rutschen Waren in den Keller herabgelassen wurden, und auf die Straße hinausgestiegen sein. Außerdem gab es unterirdische Gänge, die in mehrere Richtungen führten. Der Wachmann horchte.

Die unterirdischen Räume gehörten nicht zu seinem Kontrollgebiet. Wissmann drückte einen Schalter neben der Tür. Blaues Neonlicht flammte zuckend auf, ehe es sich gleichmäßig ausbreitete. Alles war ruhig. Wissmann kamen Zweifel, ob er nicht einer Täuschung erlegen war. Er machte kehrt und stieg wieder zur Halle hinauf. Sorgsam schloss er die Tür hinter sich ab und schritt dann langsam durch den Mittelgang auf die Empore am anderen Ende zu, auf der sich ein feines italienisches Restaurant befand, das um diese Zeit freilich längst geschlossen war. Als er den Scheitelpunkt erreicht hatte, bog er um einen Stand, der Schwarzwälder Würste, Schinken und Schnäpse anbot und der genauso mit festen Planen verhängt war wie alle anderen. Jetzt ging er durch den linken Gang zurück.

Plötzlich blieb er abrupt stehen. Etwa zwanzig Meter vor ihm war ein Stand nicht aufgeräumt. Kisten stapelten sich unordentlich oder waren umgestürzt. Ein Teil der Waren lag auf dem Boden. Der Verkaufstisch war nicht abgedeckt.

Jetzt hörte der Wachmann ein leises Schluchzen. Er rannte los.

»Geza!« Der junge Mann, den Wissmann gerufen hatte, kauerte zwischen Obstkisten. Er stieß jetzt laute Klagelaute aus. Sein Körper pendelte hin und her, vor und zurück, vor und zurück, und immer wieder stieß er hervor: »Papa! Papa!« In der Hand hielt er ein Fleischermesser, dessen Scheide mit einer schartigen rotschwarzen Blutkruste überzogen war. Vor ihm lag auf dem Rücken Joseph Janicek, Gezas Vater.

»Was ist denn passiert?«, fragte Leo Wissmann mit zitternder Stimme.

Der junge Mann starrte ihn nur an und wiederholte: »Papa!«

»Komm, gib mir das Messer!« Der Wachmann streckte seine rechte Hand aus. Mit der linken riss er nacheinander zwei Plastiktüten vom Haken, in die sonst Obst eingefüllt wurde. Eine zog er wie einen Handschuh über, in die andere ließ er das Messer gleiten, das ihm der junge Mann bereitwillig aushändigte.

Geza starrte unverwandt auf den Toten. »Papa?« Wissmann griff nach seinem Handy und wählte die 110.

Ernst Bienzle gähnte verstohlen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er schon vor einer Stunde Schluss gemacht. Aber Hannelore, die ohnehin nur selten vor Mitternacht ins Bett fand, ignorierte alle Signale ihres Partners. Auf dem runden Tischchen zwischen ihnen lag ein Stapel Reiseprospekte.

»Also St. Petersburg – ich weiß net«, sagte Bienzle.

»Du weißt, wie lange ich mir das schon wünsche. Drei, vier Tage würden wir alleine für die Eremitage brauchen.«

»Vier Tage für ein Museum?«

»Die Eremitage ist nicht nur ein Museum. Die ist ein Kulturereignis!«

»Aber der russische Wein ist bestimmt kein Kulturereignis.«

»Zehn Tage wirst du doch ohne Maultaschen und deinen Trollinger auskommen! Ich denke, wir sollten Anfang Juni fahren. Geht das bei dir?«

»Den Termin müsst ich mit der Personalabteilung abklären.«

»Ja, bitte, mach das.«

Bienzle wiegte seinen Kopf hin und her, als ob er sich nicht sicher sei. »Vielleicht fahren wir nach meiner Pensionierung!«

»Fängst du jetzt schon wieder damit an. Du hast noch fünf Jahre Zeit.«

»Das glaub ich nicht!« Bienzles Antwort kam so ernst, dass Hannelore unwillkürlich aufschaute. »Ja«, fuhr er fort, »ich mach ja nicht irgend so einen Bürojob. Und es sind nicht nur die körperlichen Strapazen. Jeden Tag kommt was Neues. Erst letzte Woche hab ich mich wieder saumäßig blamiert, weil ich nicht g’wusst hab, dass man jedes Handygespräch über den Telefonanbieter zurückverfolgen kann bis zu dem, der gesprochen hat. Auch wenn der seine Nummer unterdrückt hat. Jedes, verstehst?«

»Ist ja nicht so schwierig. Aber so etwas ist doch noch lange kein Grund aufzugeben. Du löst deinen nächsten Fall genauso brillant wie die meisten bisher, und dann reden wir wieder.«

»Ja, ja, dann reden wir wieder. Aber ich muss auch noch entscheiden, ob ich zu meinem vierzigjährigen Abiturjubiläum nach Tübingen fahre.«

»Tübingen ist natürlich näher als St. Petersburg«, sagte Hannelore mit leiser Ironie in der Stimme.

Das Telefon klingelte. Bienzle ging sofort ran, froh, dass er auf Hannelores kleine Gemeinheit nicht antworten musste. »Ja, Bienzle hier – Gächter, wo brennt’s denn?«

»In der Markthalle«, kam es vom anderen Ende der Leitung. »Einer der Standbesitzer ist erstochen worden.«

»Ich bin in zehn Minuten vor Ort!«, sagte Bienzle.

»Das kommt ja wie bestellt.« Mit einem kleinen Seufzer schob Hannelore die Prospekte zusammen.

Als Bienzle und Gächter in der Markthalle eintrafen, war der Gerichtsmediziner Dr.Kocher schon da. Ohne aufzusehen, sagte er: »Der ist schon länger als eine Stunde tot.«

»Wie viel länger?«, fragte Bienzle.

»Alles Weitere nach … «

Bienzle hob die Hände. »Nach der Obduktion, ich weiß.« Geza Janicek saß auf einer umgekippten Obstkiste und pendelte mit seinem Oberkörper. Die Hände hatte er vor das Gesicht geschlagen. »Ich bin schuld«, jammerte er ein ums andere Mal. »Ich bin schuld!«

Bienzle schaute den jungen Mann verwundert an. »Und wer sind Sie?«

Der Wachmann Leo Wissmann hatte sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten. Jetzt trat er vor und sagte: »Das ist der Sohn von ihm.« Er nickte zu der Leiche hin. »Aber er ist nicht so ganz richtig im Kopf. Ich habe ihn bei dem Toten gefunden. Das Messer hat er in der Hand g’habt.«

Der Mann, der noch immer wimmernd auf der Obstkiste kauerte, nahm jetzt die Hände von seinem tränenüberströmten Gesicht. Bienzle schätzte ihn auf zwanzig, höchstens zweiundzwanzig Jahre. Fast unnatürlich blaue Augen starrten den Kommissar an. Die schwarzen Haare standen in allen Richtungen vom Kopf ab.

»Hat es einen Kampf gegeben?« Der Kommissar deutete auf ein paar Kisten und Bretter, die wild durcheinanderlagen.

Kocher meldete sich: »Nach den Verletzungen zu schließen, ist der Mann nach hinten gekippt und hat die Sachen umgerissen.«

»Da ist übrigens noch einer g’wesen«, berichtete Wissmann.

Bienzle fuhr zu ihm herum. »Noch einer? Hier in der Halle?«

Wissmann nickte. »Wie ich Licht angemacht hab, isch jemand weggerannt.«

»Weg? Wohin?«

»Er ist durch den Keller abgehauen. Zur Tür hat er net rauskönne. Die hab ich ja hinter mir...


Huby, Felix
Felix Huby schreibt seit 1976 Kriminalromane, Tatorte und Fernsehserien. Aus seiner Feder stammen die Kommissare Bienzle, Palü, Schimanski und nun auch Peter Heiland. Felix Huby wurde für sein Werk mit dem „Ehrenglauser“ der Autorengruppe Deutsche Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT ausgezeichnet.

Felix HubyFelix Huby schreibt seit 1976 Kriminalromane, Tatorte und Fernsehserien. Aus seiner Feder stammen die Kommissare Bienzle, Palü, Schimanski und nun auch Peter Heiland. Felix Huby wurde für sein Werk mit dem „Ehrenglauser“ der Autorengruppe Deutsche Kriminalliteratur DAS SYNDIKAT ausgezeichnet.



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